Text: Walther Wuttke Illustration: Andy Potts

Transkript

1 daimler.com/next Das Innovationsmagazin von Daimler 11. Januar 2018 Ein Land an der Steckdose Von Oslo bis zum Nordkap: In Norwegen stehen die Zeichen auf E-Mobilität

2 Mythos: Elektromobilität funktioniert nur im urbanen Umfeld. Wirklichkeit: Elektropionier Norwegen zeigt, wie sich ein ganzes Land elektrisieren lässt. Text: Walther Wuttke Illustration: Andy Potts

3 Es muss sich schon um ein besonderes Produkt handeln, wenn Menschen bereit sind, umgerechnet rund Euro zu überweisen, ohne genau zu wissen, was sie nach einer Wartezeit von mindestens 18 Monaten tatsächlich dafür erhalten werden. Das Objekt der Begierde ist im konkreten Fall der elektrisch angetriebene Mercedes EQC, der in gut anderthalb Jahren auf den Markt kommen wird, und der in Norwegen bereits jetzt reserviert werden kann. Die potenziellen und offensichtlich sehr geduldigen Kunden platzierten allein in der ersten halben Stunde, nachdem der Wagen bestellt werden konnte, mehr als Reservierungen. Und die Zahl, so ein Sprecher von Mercedes-Benz Norwegen, steigt weiter. Um auf der Warteliste vermerkt zu werden, mussten Norwegische Kronen hinterlegt werden, die mit dem noch unbekannten Endpreis verrechnet werden. Offensichtlich hat die vollelektrische B-Klasse der Kombination Mercedes und Elektroantrieb den Weg geebnet. Im vergangenen Jahr und auch noch in der ersten Hälfte dieses Jahres stand das Modell unter den zehn bestverkauften E-Fahrzeugen im Land. Insgesamt kamen bisher gut Exemplare auf norwegische Straßen. Wo E-Mobilität Mainstream ist Wie nirgendwo anders hat sich die Elektromobilität in Norwegen in den vergangenen Jahren zu einem selbstverständlichen Element der mobilen Gesellschaft entwickelt. Während in anderen Weltgegenden noch über Sinn und Zweck der elektrischen Fortbewegung diskutiert wird und Skeptiker behaupten, dass die Elektromobilität höchstens in einem urbanen Umfeld funktionieren kann, sind die Norweger längst auf dem Weg in eine CO2-freie Mobilität. Wenn demnächst das letzte Gas-Kraftwerk geschlossen sein wird, kommt der Strom zwischen Oslo und Nordkap ausschließlich aus erneuerbaren Quellen. "Die Elektromobilität hat sich bei uns zu einem Massenmarkt entwickelt." Christina Bu, Geschäftsführerin des norwegischen Elektromobilverbands Das Königreich hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Schaufenster der Elektromobilität entwickelt und demonstriert bereits heute, wie sich diese in Zukunft problemlos und mit skandinavischer Gelassenheit in den Alltag integrieren lässt. Weder ist das Stromnetz in den vergangenen Jahren angesichts der wachsenden Zahl von E-Mobilen zusammengebrochen, noch sind Elektrofahrzeuge wegen leerer Batterien massenhaft liegengeblieben. In den kommenden Monaten werden die Elektrofahrzeuge (einschließlich der Plug-in-Modelle) die Marke von

4 übersteigen, was sich in einen Marktanteil von 19 Prozent für vollelektrische Modelle und 15 Prozent für Plug-in-Fahrzeuge übersetzt. Die Elektromobilität hat bei uns längst die Pionierrolle verlassen und sich zu einem Massenmarkt entwickelt, erklärt Christina Bu, Geschäftsführerin des norwegischen Elektromobilverbands, in dem rund Elektromobilisten organisiert sind. Vom Jahr 2022 an sollen nur noch emissionsfreie Taxis in der norwegischen Hauptstadt unterwegs sein. Unterwegs mit einem smart ed in Oslo (smart ist die erste vollelektrische Marke in Norwegen) lassen sich Licht und Schatten der Elektromobilität in der norwegischen Hauptstadt schnell erfahren. Freuen dürfte die meisten Elektrofahrer der mautfreie Eintritt in die Metropole. Wo die Verbrenner zur Kasse gebeten werden (mindestens 35 norwegische Kronen oder umgerechnet rund 3,50 Euro), rollt der Zweisitzer kostenlos durch die elektronischen Schranken. Und statt Stau hat der Elektro-smart wie alle anderen E-Mobile freie Fahrt. Denn auch, wenn es Bus- und Taxifahrern nicht gefällt, dürfen Elektrofahrzeuge die entsprechenden Spuren benutzen und an den Verbrennern vorbeifahren. Elektrisch fahren heißt Geld sparen Diese beiden Vergünstigungen allein, so das Ergebnis einer Umfrage, spielen beim Kauf eines Elektromobils eine ausschlaggebende Rolle, sodass sich die Regionen Oslo und Bergen mit ihren zahlreichen Mautstrecken zu den beiden Hochburgen der norwegischen Elektromobilität entwickelt haben. Wenn Sie durch Oslo fahren, hatte Christina Bu gewarnt und die Schattenseite des Erfolgs der E-Mobilität beschrieben, werden Sie erleben, dass die meisten Ladesäulen besetzt sind. In der Tat ist es nicht leicht, einen freien Platz an einer Säule zu bekommen. Die Stadtverwaltung hat dieses Defizit inzwischen erkannt und weitere Mittel für zusätzliche Ladestellen bereitgestellt. Allerdings nutzen die meisten norwegischen E-Mobilisten ihre privaten Ladestationen, die in Zukunft ebenfalls verstärkt gefördert werden sollen. Außerdem sollen die Bauvorschriften geändert werden, damit Eigentümergemeinschaften in Apartmenthäusern den Bau von privaten Ladestationen nicht verhindern können, erklärt Verbandssprecher Petter Haugneland. Ein Blick auf Oslos Straßen zeigt, wie stark die Elektromobilität im Alltag angekommen ist. Offensichtlich ist hier die gesamte in Europa verfügbare Elektromodellpalette unterwegs. Sogar in der norwegischen Provinz Finmarken, dem Eisschrank des Königreichs, haben die Stromer einen Anteil von immerhin fünf Prozent erreicht. In den kommenden Jahren soll das Schnellladenetz weiter ausgebaut werden, sodass auf Autobahnen und Hauptstraßen alle 50 Kilometer eine Möglichkeit zum Hurtigladere besteht. Der Besuch vor Ort zeigt aber auch, dass die Osloer Taxiinnung noch nicht die Signale umgesetzt hat, die aus dem Rathaus in ihre Richtung gesendet werden. Die meisten Taxis vertrauen noch dem bewährten Diesel von Elektromobilität keine Spur. Das wird sich in den kommenden Jahren ändern müssen, denn vom Jahr 2022 an sollen nur noch emissionsfreie Taxis in der norwegischen Hauptstadt unterwegs sein. Die passende Infrastruktur wird gerade vorbereitet. Schon heute gibt es vier Wasserstofftankstellen und 16 Schnelllader, die allein für Taxis reserviert sind und der Ausbau geht weiter. Auch beim öffentlichen Personennahverkehr setzt Oslo in Zukunft auf Elektrifizierung und wird außerdem einen Testbetrieb mit autonom fahrenden Kleinbussen starten.

5 Insgesamt stehen in Norwegen öffentliche Lademöglichkeiten bereit, darunter rund Schnelllader aller Systeme. In den kommenden Jahren soll das Schnellladenetz weiter ausgebaut werden, sodass auf Autobahnen und Hauptstraßen alle 50 Kilometer eine Möglichkeit zum Hurtigladere besteht. An diesen Stationen müssen neben zwei Schnellladern auch zwei 22 kw-lader bereitstehen. Außerdem bieten Supermarktketten ebenfalls die Möglichkeit, während des Einkaufs die Akkus zu laden. Auch beim Bezahlen zeigt Norwegen innovative Lösungen. Wir haben für unsere Mitglieder einen RFID-Stick entwickelt, mit dem an den verschiedenen Stationen bezahlt werden kann, erklärt Bu. Daneben ist auch eine Zahlung per SMS möglich. Beim Ausbau der Elektromobilität hat sich in Norwegen ein deutlicher Wechsel in der Haltung gegenüber den Strommobilen bemerkbar gemacht. Die Elektropioniere hatten zunächst vor allem Bedenken wegen einer vermeintlich unzureichenden Reichweite. Dies spielt nun keine Rolle mehr und wurde von der Befürchtung abgelöst, möglicherweise keine freie Ladestation zu finden. Wer verschmutzt, muss zahlen. Wer sauber fährt, zahlt nichts. Bei der Entscheidung pro Elektromobilität lassen sich die Norweger durchaus menschlich allerdings weniger von Umweltgedanken, sondern von handfesten materiellen Vorteilen leiten. Zusammen mit der Einführung der ersten finanziellen Vorteile für Elektromobile im Jahr 1990 begann der Aufschwung der E-Mobilität. Elektromodelle sind von allen Steuern befreit, die beim Kauf den Preis eines konventionell angetriebenen Fahrzeugs glatt verdoppeln. Deshalb sind viele Elektrofahrzeuge in der Anschaffung preiswerter als die konventionell angetriebenen Versionen. Außerdem entfallen die lokalen Mautgebühren, sodass in den Gemeinden mit Mautstrecken der Anteil der E-Mobile hoch ist, beschreibt Christina Bu die Förderung der Elektromobilität. Im Jahr 2025 endet in Norwegen die Epoche der Verbrennermodelle endgültig. Darin sind sich alle Parteien von rechts bis links einig. Der Gedanke hinter den unterschiedlichen Belastungen lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Wer verschmutzt, muss zahlen. Wer sauber fährt, zahlt nichts. Auf diese Weise subventionieren die Verbrenner zurzeit die Vergünstigungen der Elektromobile. Zwar werden vom kommenden Frühjahr an auch E-Mobile an Mautgebühren beteiligt werden, doch, so Norwegens Finanzpolitiker, dürfen die Fahrer dieser Modelle maximal die Hälfte der Kosten bezahlen, mit denen die konventionellen Modelle belastet werden. Diese Regelung wird dann auch für staatliche Fähren und Parkplätze gelten, blickt Christina Bu in die Zukunft. Überzeugte Nutzer Wer einmal ein Elektrofahrzeug besitzt, entwickelt sich, das haben Umfragen ermittelt, zu einem Botschafter für Elektromobilität. Danach sind 91 Prozent positiv vom Elektromobil überrascht und nur zwei Prozent sehr unzufrieden. Bei immerhin einem Drittel der Befragten wurde das Verbrennermodell vollständig vom Elektrofahrzeug abgelöst. Im Jahr 2025 endet in Norwegen die Epoche der Verbrennermodelle endgültig. Darin, so Bu, sind sich alle Parteien von rechts bis links einig. Aber was passiert dann mit dem Stromnetz, wenn die Norweger alle zur selben Zeit jede Menge Strom benötigen? Zum Beispiel um am Wochenende in ihre Wochenendhütten in den Bergen zu fahren? Wir werden in Zukunft intelligente und flexible Lösungen brauchen, und die werden bereits getestet. Wenn zum Beispiel in einer Garage

6 50 Ladesäulen zur Verfügung stehen, dann werden die ersten zehn Autos schneller vollgeladen als die anderen. Aber am Ende sind alle Batterien voll, prognostiziert Christina Bu. Schließlich ist das Stromnetz bisher ja auch mit der wachsenden Zahl von E-Mobilen fertig geworden. Weitere Artikel: Und wie wird sich die Elektromobilität weiterentwickeln, Frau Bu? Christina Bu lächelt und wagt den Vergleich mit der digitalen Fotografie. Die haben die analogen Hersteller zunächst auch nicht ernst genommen, und jeder weiß, wie das Rennen ausgegangen ist. Die Zukunft fährt elektrisch Experten sind sich einig: Die Elektromobilität nimmt in den kommenden Jahren an Fahrt auf und überholt die Verbrenner. Staatliche Förderung sorgt für den Boom der E-Mobilität Die erste Subvention der Elektromobilität in Norwegen wurde im Jahr 1990 mit dem Verzicht auf die Zulassungssteuer, die aus Gewicht, CO2- und NOx-Ausstoß berechnet wird, gewährt. In den folgenden Jahren von 1996 bis 2009 wurde unter anderem die Kfz-Steuer für vollelektrische Fahrzeuge gesenkt (1996), Mautgebühren erlassen (1997), die Mehrwertsteuer für vollelektrische Modelle gestrichen, und seit dem Jahr 2003 dürfen E-Mobile die Busspuren und seit 2009 kostenlos die staatlichen Fähren benutzen. Entdecken Sie die Zukunft der daimler.com/next