Analyse von Fahrlinien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen mittels GPS- und Inertialsensoren im paralympischen Skirennsport
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- Lucas Solberg
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1 1 Analyse von Fahrlinien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen mittels GPS- und Inertialsensoren im paralympischen Skirennsport (AZ /14) Maren Goll & Peter Spitzenpfeil (Projektleiter) TU München, Fakultät für Sport und Gesundheitswissenschaften Deutsches Paralympic Skiteam Alpin (im DBS) 1 Einleitung Wer später bremst, ist länger schnell ein Sprichwort, das auf den ersten Blick plausibel klingt. Ob es jedoch für den paralympischen Skirennsport genau so gilt, ist aufgrund der Komplexität des Faktors Geschwindigkeit fraglich und muss differenziert betrachtet werden. Die Dimensionen des Begriffs Geschwindigkeit erstrecken sich von der Beschleunigung über die vom Athleten bzw. der Athletin innerhalb des Kurses gewählte Linie bis hin zu den geographischen Gegebenheiten des jeweiligen Geländes. Über die Jahre hat durch die zunehmende Professionalisierung die Leistungsdichte in den verschiedenen Klassen stark zugenommen, so dass über den Gewinn einer Medaille vs. eines leer Ausgehens nur hundertstel Sekunden entscheiden. Den entscheidenden Faktor für Erfolg in der Sportart Ski alpin stellt demnach die Geschwindigkeit dar. Jedoch wird diese nicht isoliert als Höchstgeschwindigkeit an einer beliebigen Stelle des Kurses betrachtet, sondern muss in Kontext der Einzelkomponenten Beschleunigung, Kurvengeschwindigkeit und Gelände in den verschiedenen Passagen eines Kurses analysiert werden. Die Tatsache, dass derjenige die schnellste Zeit erzielt, der in der Lage ist, durchgehend mit der höchsten Geschwindigkeit und auf dem kürzesten Radius den jeweiligen zu Kurs bewältigen, verdeutlicht die Bedeutung der Analyse des vielschichtigen Begriffs der Geschwindigkeit im alpinen Skirennsport. Ohne die genannte Analyse der Komponenten der Geschwindigkeit blieb stets die Frage unbeantwortet, an welchen Stellen im Kurs der Athlet oder die Athletin Geschwindigkeit aufnehmen kann, in welchen Passagen er oder sie Teile von ihr wieder einbüßt und durch welche Strategie hinsichtlich Wahl der Fahrlinie der bestmögliche Geschwindigkeitserhalt erzielet werden kann. Aussagen darüber können durch Messung der Ortskoordinaten und der Geschwindigkeit getroffen werden. Die stetige Weiterentwicklung von GPS-Systemen, die bis vor einigen Jahren noch relativ groß und teuer waren und sich an der Athletin bzw. am Athleten nur zu Lasten seiner Bewegungsfreiheit unterbringen ließen, führte dazu, dass mittlerweile sehr handliche und kleine und über längere Zeit auch im mobilen Modus betreibbare Modelle auf dem Markt erhältlich sind. Durch verbesserte Prozessorleistung kann zudem gleichzeitig die Beschleunigung mittels Inertialsensoren gemessen werden, die zusammen mit den Ortsdaten des GPS-Systems eine komplette Aussage über die Charakteristik der Fahrlinie und die Geschwindigkeit liefern. Alles in allem ist die Wissenschaft heute in der Lage, Rennläuferinnen und -läufer mit entsprechender Technik auszurüsten und Daten zu erheben, die Antwort auf die oben genannten Fragen nach dem Geschwindigkeitsverlauf geben.
2 2 Analyse von Fahrlinien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen... 2 Ziel Ziel des Projektes war die wettkampfbegleitende Messung und Analyse von Orts-, Geschwindigkeitsund Beschleunigungsdaten der Mitglieder des Deutschen Paralympic Skiteam alpin bei Weltcup Speed Events und den Paralympischen Winterspielen Mit Hilfe spezieller Software und der Synchronisierung mit Videoaufnahmen wurden Schlüsselstellen im jeweiligen Lauf definiert und in individueller Absprache die Linienwahl angepasst. Durch wiederholte Messung im Training (ein Abfahrts-Event bringt zwei verpflichtende Trainingsabfahrten auf dem Wettkampfkurs mit sich) ergab sich so die Chance, durch die Messungen im renntaktischen Bereich gewinnbringende Vorteile zu erzielen. Antworten und Rückschlüsse auf Kernfragen wie z. B. War die Taktik erfolgreich? War die Linie schneller als die des Vortages? Konnte der Athlet an den Schlüsselstellen mehr Geschwindigkeit mitnehmen? Hat ihn das an anderer Stelle in Schwierigkeiten gebracht und er dort als Folge Zeit eingebüßt? Als Konsequenz: War die Gesamtzeit schneller? Welche Taktik kommt auf Grund dieser Erkenntnisse am Wettkampftag zum Einsatz? wurden durch die messtechnische Begleitung geliefert. 3 Methode Zum Einsatz kam die mobile Messtechnik der Firma 2D Datarecording. Die Anbringung erfolgte rückwirkungsfrei am Athleten bzw. an der Athletin und gewährleistete die volle Bewegungsfreiheit bzw. volle Funktion des Monoskis. Abb. 1: Mobile Messtechnik
3 Analyse von Fahrlinien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen... 3 Zur Verfügung standen 3 Messsysteme, was die gleichzeitige Aufzeichnung der Daten von drei Athletinnen und Athleten ermöglichten. Die einzelnen Messkanäle lieferten Positions-, Beschleunigungs-, und Rotationsdaten, die im Anschluss mit der 2D-Software analysiert wurden. GPS-Signale wurden mit 12 Hz, Beschleunigungs- und Rotationssignale mit 2000 Hz erfasst. Die Messungen wurden während eines mehrtägigen Trainingslehrgangs in den Speed-Disziplinen (Januar 2014, Garmisch- Partenkirchen), einem Abfahrtsweltcup (Februar 2014, Panorama Mountain, Canada) und den paralympischen Winterspielen von Sotschi 2014, sowie einem Technik- Lehrgang nach der Saison in der Disziplin Riesenslalom (April 2014, Kaunertal) durchgeführt. Die Analyse und Interpretation erfolgte stets am selben Tag, die Ergebnisse wurden sofort nach Fertigstellung den Athletinnen und Athleten sowie den Trainerinnen und Trainern zur Verfügung gestellt. 4 Ergebnisse Die Auswertung der Fahrlinien erfolgte generell im Hinblick auf zwei verschiedene Aspekte. Zum einen wurde der Geschwindigkeit (v)- Weg (s)- Verlauf betrachtet, der über die gesamte Kurslänge die Geschwindigkeit am jeweiligen Punkt darstellt (Abb. 2). Abb. 2: Vergleichende v (s)-darstellung zweier Trainingsläufe in der Disziplin Abfahrt einer Athletin. An den meisten Punkten der Strecke liegt die blaue Linie über der roten, damit war die Fahrt der blauen Linie die schnellere Variante. Zum anderen wurde der Geschwindigkeit (v)-zeit (t) Verlauf über die Höhe der Geschwindigkeit am jeweiligen Zeitpunkt der Fahrzeit (Abb.3) analysiert. Abb. 3: Vergleichende v (t)-darstellung zweier Trainingsläufe einer Athletin. Die blaue Kurve ist hier die schnellere Variante.
4 4 Analyse von Fahrlinien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen... In dem exemplarischen Beispiel der beiden Abbildungen (Vergleich zweier Trainingsabfahrten eines Athleten) wies Abb. 2 einen Verlauf der blauen Linie überwiegend über dem der roten Linie auf. Somit war an diesen Punkten die Geschwindigkeit der blauen Linie am selben Ort höher als die der roten Linie. Den Umkehrschluss lieferte Abb. 3 in der Geschwindigkeits- Zeit- Darstellung: die blaue Linie beendete den Kurs früher, was gleichbedeutend war mit einer schnelleren Gesamtlaufzeit. Die Auswahl der Fahrlinie, also die Strategie am Renntag ließ sich mit Hilfe der GPS-basierten Fahrliniendarstellung zusätzlich veranschaulichen (Abb. 4). Investitionen in die Fahrlinie (ein vermeintlich längerer Weg) zahlten sich durch höhere Geschwindigkeit aus. So wurde hier die Taktik, die der blauen Fahrlinie zu Grunde lag, als Renntaktik für den Wettkampftag ausgewählt. Abb. 4: GPS-basierte Darstellung der Fahrlinien (Vergleich Fahrt 1 und 2), Ort: Paralympics Sochi. Die Einsetzbarkeit des Systems war überall gegeben, die Auswertungen lieferten in allen Fällen verlässliche, analysier- und interpretierbare Messwerte. Das Verfahren wie oben beschrieben wurde im Training und Rennen im Optimalfall für alle Athleten durchgeführt, wenn ein Wechsel der Messtechnik unter den Läuferinnen bzw. Läufern während des Rennens realisierbar war. War dies nicht gegeben, so sollte für jede Startklasse wenigstens ein Athlet bzw. eine Athletin als Orientierung für die übrigen mit Messtechnik fahren. Anbringung und Starten des Messsystems dauerte im Schnitt weniger als 2 min pro Person. Der Wechsel des Systems von Person zu Person verlief reibungslos und ebenfalls in einem Zeitrahmen von weniger als 3 min.
5 Analyse von Fahrlinien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen... 5 Im Gegensatz dazu nimmt die Analyse und Auswertung mehr Zeit in Anspruch, teilweise bis zu 4 h, was aber durch die Begleitung eines Wissenschaftlers vor Ort keine größeren Schwierigkeiten verursachte. 5 Transfer/Diskussion Insbesondere in der Möglichkeit der quantifizierbaren Bewertung einer Fahrlinie liegt das größte Potential dieser Messtechnik, was auch in Zukunft ausgeschöpft werden sollte. Vor allem bei Großveranstaltungen, bei denen die Bedeutung der Medaillen im Nachhinein (Sponsoren, mediales Interesse) stetig zunimmt, ist die Entscheidungssicherheit, die die Analyse der Fahrlinie bietet, ein erfolgsentscheidender Vorteil. Anwendung fand die Begleitung mit Messtechnik bei verschiedenen Veranstaltungen. Besonders in Sochi, wo sich die Bedingungen als äußerst schwierig präsentierten und der allgemeine Erfolgsdruck besonders hoch lag, lieferte der wettkampfbegleitende Einsatz der Messtechnik wertvolle Unterstützung für Athleten und Trainer. Diese mussten sich somit nicht allein auf ihre Einschätzung und Erfahrung verlassen, sondern konnten konkrete Handlungsanweisungen und renntaktische Überlegungen aus der Analyse der Daten ableiten. Die Analyse der Beschleunigungen steht noch aus und soll als ein weiteres Bewertungs-Tool im Bereich des Techniktrainings eingesetzt werden. Die Daten sind bereits erhoben, jedoch noch nicht verarbeitet und interpretiert, da das Arbeitsjahr im Rahmen des Betreuungsprojektes noch nicht zu Ende ist. Zum momentanen Zeitpunkt kann das Projekt aber als durchweg positive und erfolgreiche Betreuung der paralympischen Skirennläufer bezeichnet werden. Ein Teil ihres Erfolgs der Weltcup-Saison und der Paralympics in Sotschi in den Speed-Disziplinen kann dabei sicher auch der Analyse der Fahrlinien zugeschrieben werden. Bei den Trainerinnen undtrainern sowie den Athletinnen und Athleten fand der Einsatz der Messtechnik vor allem deshalb große Akzeptanz, weil die essentiellen Punkte einer Betreuung aus ihrer Sicht erfüllt waren: Unkompliziert in der Anbringung/im Einsatz Schneller Wechsel/Messmöglichkeit für mehrere Athleten bzw. Athletinnen Keine Beeinflussung oder Störung des Trainings- und Rennbetrieb Aussagekräftige Analyse und sofort umsetzbare Konsequenzen Begleitung durch einen Wissenschaftler oder einer Wissenschaftlerin als verantwortliche Person für Analyse und Transfer. Die Rennen der Weltcup Serie bieten neben der Rennbegleitung zudem die Möglichkeit, in der Anwendung und Umsetzung der Renntaktik die nötige Routine zu erwerben, um sich dann bei einem Großereignis wie der WM auf die gewählte Taktik verlassen zu können und die optimale Leistung abzurufen.
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