Ergonomische Erfordernisse für den Arbeits- und Lebensraum Büro". Neue Perspektiven einer bewegenden Büroarbeitswelt.
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- Tobias Heinrich
- vor 8 Jahren
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1 Hauptsitz: Augsburger Straße Stuttgart Tel.: Sitz: Waldhornplatz Karlsruhe Tel.: Vortrag von Herrn Dr. Breithecker bei den Regionalveranstaltungen für Verwaltungen anlässlich der Kampagne Denk an mich Dein Rücken Ergonomische Erfordernisse für den Arbeits- und Lebensraum Büro". Neue Perspektiven einer bewegenden Büroarbeitswelt. Damit Mitarbeiter sich am Arbeitsplatz wohl fühlen und ihre körperlichen und geistigen Potentiale entfalten können, muss ihr Arbeitsraum auch zu einem Lebensraum werden. Einem Raum, der dem intrinsischen rhythmischen Bedarf von Statik und Dynamik, von Anspannung und Entspannung einen angemessenen Rahmen bietet. Der Begriff Rhythmisierung orientiert sich an der Forschung zum Biorhythmus. Diesbezüglich sind wir zum einen tagezeitabhängigen Bio-Rhythmen - Aufmerksamkeits-, Anspannungs- und Entspannungsphasen unterworfen. Zum anderen aber auch inneren Rhythmen, das bedeutet periodischen Leistungsschwankungen, die sich bei jedem Menschen u. a. durch die technischfunktionale Ausstattung und Gestaltung des Arbeitsraums bzw. durch arbeitsabhängige physische, kognitive und emotionale Anforderungen ergeben. Raumkonzepte (Verhältnisse) und die sich daraus ergebenden Verhaltensweisen stellen direkte Einflussfaktoren auf komplexe körperliche, geistige und seelische Wechselwirkungsfunktionen dar. Aus der Sicht der Anthropogenese gibt es immer eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum. Auch Räume sind Wesen, können heilen, erleben, befrieden, stimulieren oder krank machen und verderben (W. Mahlke). Der Raum darf nicht als ein Ort für ein lineares Abarbeiten von Aufgabenstellungen betrachtet werden, er ist auch ein heimlicher Verhaltensverführer. Abb. 1. Ein Raum für alle Sinne
2 Sind die Sinne in der Balance, ist der Mensch in der Balance Wohlfühlen und geistige Leistung sind sichergestellt, wenn unser Sinnessystem uns mit möglichst natürlichen Sinnesreizen versorgt. Immer mehr Raumkonzepte, legen deshalb viel Wert auf Tageslicht, Farben, Design, Akustik und Klima. Auf der Grundlage Befinden sich die Sinne in der Balance, befindet sich der Mensch in der Balance steht hier aber eine eher vernachlässigte Sensorik im Fokus einer zeitgemäßen Büroplanung, eine Sensorik, die ihre Sinneszellen im Körper millionenfach verteilt hat (Sinne in Gelenken, Muskeln, Sehnen und im Innenohr): das vestibulär-propriozeptive Sinnessystem, kurz Tiefensensibilität genannt. Sie ist in der Lage Informationsdaten des Köpers zu lesen und zu verwerten, wie u. a. die Lage unseres Körpers im Raum, den Spannungszustand der Muskulatur. Diese Sinne werden aber nur stimuliert, wenn sich der Mensch bewegt. Zahlreiche Studien belegen die Bedeutung dieser Sensorik für physiologische körperliche, geistige und psychische Wechselwirkungsfunktionen. Im Zuge moderner bildgebender Verfahren konnten Wissenschaftler in den letzten Jahren die interaktive Verflechtung von körperlichen und geistigen Prozessen nachhaltig belegen. Vor allem freiwillige und intuitiv durchgeführte Bewegungen erhöhen die Neurotransmitterkonzentrationen (Serotonin, Dopamin) und haben nicht nur einen nachhaltigen Effekt auf unsere Gefühlslage sondern auch auf die exekutiven Funktionen. Exekutive Funktionen werden den höheren geistigen Leistungen zugeordnet. Sie sind notwendig um Handlungen zu planen, Denkprozesse zu organisieren und Aufmerksamkeit zu steuern (Kubesch 2005). Bewegung ist nicht gleich Bewegung Aktuelle Apelle nach mehr Bewegung im Bürobereich werden zwar deutlich wahrnehmbarer, deren Umsetzung konzentriert sich aber zumeist auf organisierte Bewegungspausen bzw. Funktionsgymnastik. Bewegung ist aber mehr. Bewegung gehört phylogenetisch betrachtet zu unserer Natur und zu unserem täglichen Sein. Das ist das Prinzip der Evolution, der Natur, es gilt noch heute. Sitzend hätte der Mensch wohl in der Vergangenheit kaum sein Überleben garantieren können. Sitzend und vor allem Stillsitzend wird aber der Mensch in der Gegenwart und Zukunft multiple Krankheitsbilder selbst mit zu verantworten haben. Es in einem komplexen System nicht nur der Rücken, der leidet; so werden u. a. die Zunahme von Übergewicht, Diabetes Typ 2, Stoffwechselstörungen, Depressionen sowie bestimmte Krebserkrankungen im Zusammenhang mit langen Sitzzeiten und einer nicht artgerechten Lebensweise diskutiert. Unsere über Jahrmillionen von Jahren erworbenes komplexes Systeme muss auch in Zeiten veränderter Lebensrahmenbedingungen räumliche Anforderungen haben, die es fordert. Bewegungsmangel sowie Arbeitsplanforderungen mit überwiegend sitzender Tätigkeit bei einseitiger sensorischer Kost (Reizüberflutung von Auge und Ohr) sind in unserer Genetik noch ebenso wenig eskomptiert wie einseitige, lineare repetitive motorische und kognitive Arbeitsabläufe. Wir müssen uns nur auf unsere Entwicklungsgeschichte besinnen. Wenn wir Lösungen für physiologische Arbeitsplatzverhältnisse finden wollen, müssen wir in die Vergangenheit schauen mitten hinein in die Menschheitsgeschichte. Die gesundheitswirksame Bedeutung an menschliche Verhaltenserfordernisse angepasste Arbeitsplatzverhältnisse beruht auf der anthropologischen Vorannahme, dass der Mensch eine komplexe Körper-Geist-Psyche Einheit ist. Wie bisher
3 verdeutlicht sollten körperliche, geistige und psychische Wechselwirkungsfunktionen nicht längere Zeit linearen Herausforderungen ausgesetzt sein. So konnte Søndergaard et al. (2010) zeigten, dass sich Dis-Komfort beim Sitzen nicht über die Betrachtung einzelner diskreter Werte (z.b. ein bestimmter Gelenkwinkel) abbilden lässt (lineare Betrachtung). Ebenso konnte die häufig vertretene Meinung, dass variables Sitzen (Empfehlung zu häufigerem Wechsel der Sitzpositionen) streng positiv zu assoziieren ist, nicht bestätigt werden. So zeigte sich, dass eine größere Sitzvariabilität mit größeren Dis-Komfort Werten verbunden ist. Fenety und Walker (2002) kommen in ihren Untersuchungen zu ähnlichen Erkenntnissen. Ein geringer Dis-Komfort spiegelt sich stattdessen in hohen Komplexitätswerten (nichtlineare Betrachtung) des Sitzens wieder (Søndergaard et al. 2010). Um Rückenschmerzen und anderen büroarbeitsplatzbezogenen psycho-somatischen Krankheiten bzw. Symptomen entgegenzuwirken, sind Verhältnisse erforderlich, die das menschliche Sinnessystem vielseitig anregen. Abb. 2.: Haltungswechsel zur Stärkung der inneren und äußeren Haltung Eine erweiterte Sicht der Bewegungsförderung im Lebensraum Büro geht über funktionsgymnastische (Rückenschul-) Programme hinaus und bezieht somit die Alltagsmotorik sowie die spontan-intuitiven Bewegungen und ihre Auswirkung auf Wechselwirkungen mit kognitiven sowie sozial-emotionalen Funktionen mit ein. Ein derart verstandener Bewegungsbegriff ist immer ganzheitlich ausgerichtet und somit als Mensch-Raum-Beziehung im Sinne einer Dialoggestaltung aufzufassen.
4 Abb. 3: Embodyment als Voraussetzung für wertschöpfende Konferenzen Konkret bedeutet dies für den Büroalltag: Nicht nur von Mitarbeitern wird heute mehr Mobilität und Flexibilität erwartet. In gleichen Maß muss dies auch für das Arbeitsumfeld gelten. Um das körperliche und geistige Wohlbefinden des Individuums sicherzustellen muss der Arbeitsraum heimliche Verhaltensverführungen anbieten, die dem innewohnenden Bedarf an bedarfsgerechten und selbstorganisierten inneren und äußeren Rhythmuswechseln Rechnung tragen. Den aktivierenden Part stellen die Raumkomponenten dar, die zu intuitiven und selbstorganisierten Bewegungen stimulieren. Hierzu gehören u. a. Bürostühle, Stehhilfen bzw. mobile Hockerelemente, die intuitive Sitzhaltungswechsel für Einzelarbeit oder Teamgespräche ermöglichen (s. Abb. 4), Abb. 4: Alles Leben ist Bewegung Sitz- Stehpulte (Stehmatten für ermüdungsfreieres dynamisches Stehen, Abb. 6), Stehhilfen, Stehtheken für Infoaustausch oder Kreativgespräche (s. Abb. 2),
5 Konferenzräume, Teamgespräche mit Stehtischen und Hochstühlen (s. Abb. 3), Loungebereiche und akustisch abgeschottete Bereiche für den individuellen Rückzug, der Entspannung und geschützte bzw. diskrete Privatgespräche (s. Abb. 5), Abb. 5: sozial anerkannte Orte des Rückzugs und der Entspannung Räume für einen regenerierenden Powernap und für körperliche Aktivität oder des entspannenden Spielens (diese definierten Räume geben Sicherheit, dass sein Bedarf soziale Anerkennung genießt), Anordnung von Drucker, Kopierer etc. an zentralen Punkten zur Intensivierung von Schritten. Verhältnisse verführen zu Verhaltensweisen! Nach dem Prinzip Kleinvieh macht auch Mist lohnt es sich, den Büroalltag aktiv zu gestalten. Im Rahmen komplexer kleiner Aktivitäten können nämlich tägliche auch viele Kalorien gesammelt werden. Dies konnte u. a. Levine und Mitarbeiter (2006) mit ihrer in dem hochrangigen Wissenschaftsjournal Science veröffentlichten Studie zu Alltagsaktivitäten, die mit Handlungsroutinen des täglichen Lebens verbunden waren - sog. NEATs (Non Exercise Activity Thermogenesis) belegen.
6 Abb. 6. kleine Hilfsmittel (instabile Stehmatte) fördern Spontanbewegungen Alltagsaktivere haben demzufolge bis zu 350 kcal pro Tag mehr verbraucht als ihre bis zu 169 Minuten am Tag mehr sitzenden ArbeitskollegInnen. Beide Gruppen wiesen eine vergleichbare Schlafzeit auf. Das durch Arbeitsplatzverhältnisse ermöglichte intuitive, spontane Bewegungsverhalten kann kalorisch hochgerechnet sich somit in einigen Kilo Gewichtsdifferenz pro Jahr niederschlagen. Bildnachweis: Abbildungen 1-5: VS Möbel GmbH & Co. KG, Tauberbischofsheim Abbildung 6: Ludwig Atzt GmbH, Dornburg Autor: Dr. Dieter Breithecker Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e. V. Wiesbaden
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