Strafrecht I Allgemeiner Teil 1. Vorsatz, Teil 2 Prof. Dr. D. Klesczewski

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Transkript:

Strafrecht I Allgemeiner Teil 1 Vorsatz, Teil 2 Prof. Dr. D. Klesczewski

Materialien https://strafrecht.jura.uni-leipzig.de/ Strafrecht I AT 1 Hinweise Zum Vertiefen: Klesczewski, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 2017, Rn. 187-194; Klesczewski, Strafrecht Besonderer Teil, 2016, 2 Rn. 13 ff. Prittwitz, JA 1988, S. 486 ff. Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241 ff. E. A. Wolff, Festschrift für Wilhelm Gallas, S. 197 ff. 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 2

Erfolg error in obiecto Referenzprinzip Kausalität Irrtum über den Kausalverlauf Sonderfall: aberratio ictus Handlung dolus generalis 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 3

Fall 5.6 Strafbarkeit von B I. Werfen in die Jauchegrube A. Totschlag, 212 I StGB 1. Obj. Tb. 2. Kein Tötungsvorsatz, 16 I 1 StGB: B hielt N für tot (error in obiecto). B. Fahrlässige Tötung, 222 StGB (nach h. M.: [+]) II. Stecken von Sand in den Mund, 212 I StGB A. Tb. 1. Obj. Tb. 2. Vorsatz a) Theorie vom dolus generalis: (+) b) BGH: (+) b) Tatplantheorie: (-) c) Streitentscheid 22.11.2017 Objektive Zurechnung - Prof. Dr. Klesczewski 4

Meinungsstreit Theorie vom dolus generalis (Mayer, JZ 1956, S. 109) Pro: Einheitliches Geschehen; Täter hat den Erfolg gewollt. Contra: Täter muss nicht nur den Erfolg, sondern die ganze Tatbestandsverwirklichung wollen. BGHSt. 14, 193 : Unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs Pro: Was innerhalb der Lebenserfahrung liegt, ist mitgewollt. Contra: Voraussehenkönnen und Voraussehen sind nicht das gleiche. Tatplantheorie: Abweichung des Kausalverlaufes ist wesentlich (Roxin, AT I, 12 Rn. 174 ff.) Es kommt auf die Einschätzung des Täters vom Verlauf an. 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 5

Fall 5.6 (BGH) Strafbarkeit von B I. Werfen in die Jauchegrube A. Totschlag, 212 I StGB 1. Obj. Tb. 2. Kein Tötungsvorsatz, 16 I 1 StGB: B hielt N für tot. B. Fahrlässige Tötung, 222 StGB (nach h. M.: [+]) II. Stecken von Sand in den Mund, 212 I StGB A. Tb. 1. Obj. Tb. 2. Vorsatz: (+) BGH B. Rw. C. Schuld III. Konkurrenzen: 222 StGB tritt hinter 212 StGB zurück. 22.11.2017 Objektive Zurechnung - Prof. Dr. Klesczewski 6

Fall 5.6 (Roxin) Strafbarkeit von B I. Werfen in die Jauchegrube A. Totschlag, 212 I StGB 1. Obj. Tb. 2. Kein Tötungsvorsatz, 16 I 1 StGB: B hielt N für tot. B. Fahrlässige Tötung, 222 StGB (nach h. M.: [+]) II. Stecken von Sand in den Mund, 212 I StGB A. Tb. 1. Obj. Tb. 2. Vorsatz: (-) Roxin B. Nicht strafbar gem. 212 I StGB III. Stecken von Sand in den Mund, 212, 22 StGB IV. Ergebnis : 212, 22, 222, 53 StGB 22.11.2017 Objektive Zurechnung - Prof. Dr. Klesczewski 7

Vorsatzformen Absicht (auch: dolus directus 1. Grades) Wissentlichkeit (auch: dolus directus 2. Grades) Bedingter Vorsatz (auch: dolus eventualis) 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 8

Definitionen Absicht ist das zielgerichtete Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Wissentlichkeit ist Gewissheit von der Tatbestandsverwirklichung als Nebenfolge des Handelns. Bedingter Vorsatz ist das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung und deren Billigung (Ernstnehmen, Sich-Abfinden-mit) Bewusste Fahrlässigkeit ist das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung im Vertrauen auf deren Ausbleiben. 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 9

Wollen des Erfolges Wissen um Tatbestandsverwirklichung sicheres Wissen Möglichkeitswissen als Ziel Absicht Absicht als Nebenfolge gar nicht 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 10

Wollen des Erfolges Wissen um Tatbestandsverwirklichung sicheres Wissen Möglichkeitswissen als Ziel Absicht Absicht als Nebenfolge gar nicht 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 11

Wollen des Erfolges Wissen um Tatbestandsverwirklichung sicheres Wissen Möglichkeitswissen als Ziel als Nebenfolge Wissentlichkeit gar nicht 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 12

Wollen des Erfolges Wissen um Tatbestandsverwirklichung sicheres Wissen Möglichkeitswissen als Ziel als Nebenfolge Bedingter Vorsatz gar nicht 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 13

Wollen des Erfolges Wissen um Tatbestandsverwirklichung sicheres Wissen Möglichkeitswissen als Ziel als Nebenfolge gar nicht Bewusste Fahrlässigkeit 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 14

Tatbestand des Vorsatzdeliktes I. Tatbestand A. Objektiver Tatbestand B. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz 1. Vorsatzform nennen 2. Wissenselement 3. Willenselement a) Zielgerichtetes Wollen, b) Gewissheit o. c) Meinungsstreit um voluntatives Element beim bedingten Vorsatz 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 15

Fall 6.11: Strafbarkeit des A Messerstich I. Totschlag, 212 I StGB A. Tb. 1. Obj. Tb. a) Tod b) Handlung: Messerstich c) Kausalität d) Objektive Zurechnung 2. Vorsatz a) Vorsatzform nennen, hier: bed. Vorsatz b) Wissenselement c) Willenselement? 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 16

Bedingter Vorsatz Vorstellungstheorien Möglichkeitstheorie Wahrscheinlichkeitstheorie -Risikotheorie -unabgeschirmte Gefahr Fehlender Vermeidewillen Willenstheorien Ernstnahmetheorie Billigungstheorie (BGH) 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 17

Fall 6.11 I. A. 1. 2. c) Willenselement? aa) Möglichkeitstheorie: (+) bb) Wahrscheinlichkeitstheorie: (+) cc) Ernstnahme- / Billigungstheorie: (-) dd) Streitentscheid 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 18

Meinungsstreit Möglichkeitstheorie Pro: Qualitatives Kriterium: Kenntnis / Unkenntnis Wer weiß, dass er den Erfolg bewirkt, der will ihn auch. Contra: Bei unsicherem Wissen gilt Letzteres gerade nicht. Unkenntnis als Nicht-Vorsätzlichkeit lässt keinen Raum für (bewusste) Fahrlässigkeit. Wahrscheinlichkeitstheorie Pro: Kriterium zur Auswahl von Möglichkeiten Contra: Bloß quantitative Unterscheidung Ernstnahme- / Billigungstheorie Es geht um praktisches Wissen: ernst / leicht nehmen. Beim Handeln setzt man u. U. auch auf Unwahrscheinliches (Los). 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 19

Indizien der Rspr. Pro Billigen : Hohe Gefährlichkeit der Vorgehensweise Zweckmäßigkeit des Erfolgseintritts für den Tatplan Fehlen eines Vermeidebemühens Contra Billigen : Hemmschwelle des Rechtsguts Leben hochgradiger Affekt reuiges Nachtatverhalten 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 20

Resultat für Fall 6.11 I. A. 1. 2. c) Willenselement? aa) Möglichkeitstheorie: (+) bb) Wahrscheinlichkeitstheorie: (+) cc) Ernstnahme- / Billigungstheorie: (-) dd) Streitentscheid 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 21

Resultat für Fall 6.11 I. A. 1. 2. c) Willenselement? aa) Möglichkeitstheorie: (+) bb) Wahrscheinlichkeitstheorie: (+) cc) Ernstnahme- / Billigungstheorie: (-) dd) Streitentscheid B. Nicht strafbar gem. 212 I II. Fahrlässige Tötung, 222 StGB (Rspr.) 22.11.2017 Vorsatz - Prof. Dr. Klesczewski 22