Cipollini RB 1000 Special Edition Zolder 2002 88
RE LEONE AM BERG Wer heute an Mario Cipollini denkt, hat eher den Selbstdarsteller vor Augen, doch man darf nicht vergessen, dass der Weltmeister von 2002 auch ein begnadeter Sprinter war. Die edlen Rennmaschinen, die Super-Mario alias Re Leone inzwischen auf die Räder stellt, sehen ebenfalls erst einmal ziemlich auf den Effekt bedacht aus. Doch wie Marcel Wüst im Tannheimer Tal erfahren konnte, sind die inneren Werte ebenso überzeugend, wie die Optik einzigartig ist. Eben genau so wie bei Cipollini selbst. Text Marcel Wüst Fotografie Kai Dudenhöfer 89
Cipollini RB 1000 Special Edition Zolder 2002 W enn man weiß, wie hoch die Ansprüche von Mario Cipollini an sein Material, seine Teamkollegen und eigentlich an alles waren, dann erwartet man natürlich auch, dass nicht nur die Werbekampagnen für seine eigenen Räder der absolute Hammer sind, sondern stellt diese Erwartungen genauso an das Endprodukt, das Rad. Sein Topmodell RB 1000 (nicht mit seinen Topmodels von früher zu verwechseln, denn die waren aus Fleisch und Blut) hatte ich im Sommer für einige Tage zur Verfügung und natürlich versuchte ich, so viele Radkilometer wie möglich darauf zu sammeln. Ganz besonders freute ich mich, als ich auf der Anreise zur Eurobike einen Abste- 90 cher ins Tannheimer Tal machen konnte, denn die Allgäuer Alpen sind dann schon ein noch anspruchsvolleres Testgelände als die Eifel oder das Bergische Land. Obwohl man sich dort auch sehr gut müde fahren kann... Die etwas kühleren Witterungsbedingungen störten kaum, denn wir hatten ja alle den gesamten August Zeit gehabt, uns schon mal langsam an das Ende des Sommers zu gewöhnen. Das Erste, was bei dieser Sonderedition des RB 1000 auffällt, sind natürlich die Regenbogenstreifen auf dem ansonsten komplett weißen Rahmen. Wer erinnert sich nicht an Cipos grandiosen Sieg auf Ansage beim WM-Rennen auf der nur leicht welligen Strecke in Zolder 2002! Die gesamte Squadra Azzurra stellte sich in seinen Dienst, und trotz des enormen Drucks, den diese Situation auf jeden Sprinter der Welt ausüben würde, gewann Cipo souverän vor Robbie McEwen. Wenn man von Zolder aus die Zeitmaschine zwölf Jahre weiter dreht, steht da nun ein optisch enorm ansprechender Bolide vor einem, und man fragt sich zunächst einmal: Was ziehe ich zu so einem Rad an? Ein gekauftes Weltmeister-Trikot? Nein, das geht gar nicht Also entschied ich mich für klassisches Schwarz-Weiß und rollte erst mal von Tannheim südwärts und dann links hoch nach Grän, wo die ersten Höhenmeter auf mich warteten. Die mir bis dato quasi unbekannten Ursus-Laufräder mit den Sein Namensgeber mied das Gebirge, doch das RB 1000 lässt sich durchaus in höheren Lagen bewegen und klettert flott bergan wenn es die Beine hergeben WAS ZIEHE ICH ZU SO EINEM RAD AN? EIN GEKAUFTES WELTMEISTER-TRIKOT?
Technische Daten Rahmen Cipollini RB 1000 Gabel Cipollini Carbon Komponenten Campagnolo Super Record EPS Laufräder Ursus Bereifung Vittoria Corsa CX, Schlauchreifen Vorbau 3T ARX LTD Lenker 3T ARX LTD Sattelstütze integriert Sattel Selle Italia SLRs Gewicht ca. 7 kg Preis 11.890 Kontakt www.mcipollini.com/de Gute Verzögerung, viel Grip: Die Kombination aus Ursus-Rädern und VittoriaSchlauchreifen bewährte sich im Tannheimer Tal. 91
Cipollini RB 1000 Special Edition Zolder 2002 geklebten Vittoria-Schlauchreifen vermittelten zunächst einmal ein akustisch schönes Fahrgefühl; vor allem aber, da ich Rückenwind hatte, beschleunigte ich die Rennmaschine schnell auf Geschwindigkeiten jenseits der 40 km/h. Die ersten Pedaltritte entscheiden oftmals über like und dislike und ich fand, dass der Rahmen gut auf der Straße lag und auch die Kraft gut auf dieser ankam. Das sehr massive Tretlager hätte ich allerdings eben wegen seines Volumens als noch steifer eingeschätzt, dennoch schoss das Cipollini bei meinen ersten Beschleunigungen brutal nach vorne. Die Sitzposition war sehr sportlich, doch damit hatte ich nicht nur gerechnet, sondern das war definitiv eine meiner Erwartungen an dieses Rad denn welcher Weltmeister braucht schon ein langes Steuerrohr, um komfortabler zu sitzen? Der Sitzdom war genau richtig gekürzt worden und ich hatte meine ideale Sitzposition schon voreingestellt auf dem Testrad vorgefunden eine Tatsache, die sehr viel Freude macht, denn wenn man die Daten bereits vorab schickt, dann sicher genau dafür! Das kurze und sehr bullige Steuerrohr ist sehr stromlinienförmig und der Gabelkopf passt genau in die Lücke zwischen Steuer- und Unterrohr, womit die Aerodynamik weiter optimiert wurde. In seinem oberen Teil folgt das Unterrohr sogar der Rundung des Vorderreifens, ein Merkmal, das man vor allem von Zeitfahrrädern kennt, aber auch andere Hersteller haben diese Variante schon an ih- nach Grän an. Ich fuhr mit gut 45 km/h durch die weit offene Linkskurve, schaltete hinten zwei Gänge dicker und ging aus dem Sattel. Die 3T-Komponenten, also Lenker und Vorbau, ließen kein bisschen Verwindung erkennen, hinzu kam die angenehme Form des Lenkers, der besonders in der Unterlenkerposition großen Spaß machte. Als die Steigung dann jenseits der fünf Prozent ankam und mein Belastungsintervall schon eine gute Minute dauerte, schaltete ich hinten so lange progressiv auf leichtere Gänge, bis ich mit dem extremen Ket ten schräglauf von 53/25 die MIT 53/25 BRACHTE ICH DIE CAMPAGNOLOSCHALTUNG IN EINE SITUATION, DIE MAN ALS SELBSTZAHLER VON RITZELN UND KETTENBLÄTTERN BESSER VERMEIDEN SOLLTE. ren Straßen-Aerorädern gehabt. Ähnlich ist es mit dem Sitzrohr, das besonders im unteren Teil direkt der Hinterradkrümmung folgt und dann gemeinsam mit den tief angesetzten Sitzstreben ins Oberrohr und in den Sitzdom zu fließen scheint eine sehr ästhetische Lösung, die das Rad auch in geparktem Zustand schnell aussehen lässt. Der Komfort leidet dafür nur wenig, und dass diese Aero-Waffe härter ist als ein Granfondo-Rad, versteht sich natürlich auch von selbst. Da aber die Straßen in und um Tannheim eher glatt als holprig sind, sollte mich das nicht stören. Die erste Mini-Bewährung stand dann nach etwa zwei Kilometern bei der Welle 92 Campagnolo-EPS-Schaltung in eine Situation brachte, die man vor allem als Selbstzahler von Ritzeln und Ketten besser vermeiden sollte. Allerdings funktionierte hier alles ohne Probleme. Selbst der mit reichlich Kettenspannung ausgeführte Schaltvorgang auf das kleine Blatt verlief reibungslos also auch hier alles im grünen Bereich. Der Akku der EPS-Einheit ist nun endlich im Rahmen verschwunden und prangt nicht mehr prominent am Unterrohr unter dem Flaschenhalter. Die Verbindung zum Laden lugt nur ganz diskret aus dem rechten Schaltzugeingang am Unterrohr diese war allerdings bei meinem Testbike nicht vor Feuchtigkeit, Aerodynamisch eng geht es zwischen Reifen und Unterrohr zu. Nicht mehr so oft sieht man den Sitzdom (rechts im Bild), der beim Testrad perfekt abgelängt war.
Mit Vollgas in die Kurve stechen? Kein Problem mit dem agilen und standfesten Cipollini Schmutz oder gar Nässe geschützt. Da ich aber inzwischen ein Schönwetterfahrer bin, war das nicht weiter schlimm, und ich nehme an, dass es dafür eine perfekt passende Gummidichtung gibt, die eventuell beim Transport auf der Strecke geblieben ist. Sehr schön und vor allem sinnvoll fand ich den kleinen Kettenfänger, der unter dem Werfer perfekt in den Rahmen eingebaut wurde, und auch die runde Befestigungsplatte für Letzteren hatte was. Nach meiner etwas über zwei Stunden dauernden Testfahrt wollte ich es am Schluss noch einmal wissen und fuhr an Tannheim vorbei ins Nachbardorf Zöblen. Nachdem die steilsten Rampen des Anstiegs zum Zugspitzblick erklommen waren, schaltete ich mit reichlich Zug auf der Kette auf das große Blatt, um die letzten paar Hundert Meter mit richtig Power zu nehmen. Hier ging mir dann deutlich vor dem Rad der Atem aus beziehungsweise machte mir die Physik am Ende einen dicken Strich durch die Rechnung. Etwa 150 Meter vor Erreichen der Kuppe musste ich auf das kleine Blatt schalten aber zumindest hatten Schaltung und Rahmen diesen ultimativen Stresstest gut überstanden. Die Abfahrt wurde dann durch einen ganz leichten Sprühregen nicht zu der erhofften Hochgeschwindigkeitsraserei, wie ich sie mir gewünscht hatte. Allerdings fand ich heraus, dass die Felgenflanken der Ursus-Laufräder gut mit den montierten Bremsklötzen harmonierten, denn nach der typischen kurzen Anbremsphase, die es bedarf, um die volle Bremsleistung herzustellen, waren sowohl die Verzögerung als auch die Dosierbarkeit top. Der Rahmen in Verbindung mit der Gabel war glücklicherweise schon in den oben genannten Mittelgebirgen nahe dem Rheinland auf trockener Straße auf Schräglagentauglichkeit geprüft worden. Da die mir noch aus früheren Jahren so vertrauten Corsa CX als Schlauchreifen montiert waren, konnte ich mich immer extrem gut an das physikalisch Machbare herantasten ganz wie Cipo, der auch ein exzellenter Abfahrer war, wie gemacht für vorhersagbares Handling im Grenzbereich Überhaupt erinnert das RB 1000 sehr an seinen Namensgeber: Es ist äußerst charismatisch, an ihm scheiden sich die Geister und sicherlich ist Cipos Rahmen ein ähnlich extrovertiertes Teil, wie er es selbst gewesen ist mit allem, was dazu gehört auch der großen Klappe! Allerdings: Genau wie beim namensgebenden Original steckt auch beim Cipollini RB 1000 viel dahinter. 93