Wissensbasis, Technologietransfer und Marktattraktivität:



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Transkript:

Gesundheitswesen Standort Deutschland. Michael Nusser u. a. Wissensbasis, Technologietransfer und Marktattraktivität: Deutschlands Wettbewerbsposition im internationalen Vergleich Der Gesundheitsstandort Deutschland scheint derzeit gut positioniert zu sein. Vor allem bei der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal und der Marktattraktivität, aber auch bei der Qualität der Grundlagenforschung und klinischen Forschung sowie bei Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wissenschaft sind Wettbewerbsvorteile zu erkennen. Dies gilt leider nicht für die Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. 1. Einleitung und Methodik Die in Deutschland geführten Diskussionen um das Thema Gesundheit fokussieren sich meist auf Arzneimittelpreise, Kostendämpfung, Beitragssatzstabilisierung und Gesundheitsausgabenfinanzierung. Dabei stehen die Behandlung von Krankheiten und die Linderung der Folgen von Krankheiten im Fokus. Diese Sicht greift jedoch in vielerlei Hinsicht zu kurz. Einerseits wird die präventive Vermeidung von Krankheiten und damit die aktive Förderung und Erhaltung der Gesundheit unzureichend berücksichtigt. Denn in einer alternden Gesellschaft und bei zunehmenden Engpässen beim qualifizierten Personal ( Fachkräftemangel ) wird eine gesunde Bevölkerung als Erfolgsfaktor für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und dauerhaftes Wirtschaftswachstum immer wichtiger. Andererseits verursachen die Gesundheitssektoren Pharmaindustrie, Medizintechnik und gesundheitsbezogene Dienstleistungen durch die von ihnen bereitgestellten Verfahren, Produkte und Dienstleistungen (u. a. Diagnostik) nicht nur Kosten im Gesundheitssystem, sondern sie leisten auch einen wichtigen Beitrag als Innovations- und Beschäftigungsmotor ([1], Kap. II.4). Ob der Pharma- und Gesundheitsstandort Deutschland zur Realisierung dieser Potenziale ausreichend attraktiv ist, wird im Folgenden untersucht. Ausgangspunkt sind die Erkenntnisse der modernen Innovationsforschung. Diese geht davon aus, dass Innovationen in einem Innovationssystem entstehen, in dem diverse Akteure in einem interaktiven, interdisziplinären und kollektiven Prozess mit vielfältigen Rückkoppelungseffekten beteiligt sind. Dies impliziert, dass nicht nur alle Teilsysteme (u. a. Wissensbasis, Industrieakteure, Markt/ Nachfrage) innerhalb eines Innovationssystems leistungsstark sein sollten, sondern diese müssen auch untereinander gut vernetzt sein. Nicht einzelne angebots- und nachfrageseitige (Standort-)Faktoren oder Akteure, sondern das Zusammenspiel der Teilsysteme und Akteure ist entscheidend für die Innovationskraft und technologische Wettbewerbsfähigkeit (u. a. [1], [2]). Im Rahmen der Studie Forschungs- und wissensintensive Branchen: Optionen zur Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit (im Auftrag des Deutschen Bundestages) wurde die Leistungsfähigkeit bzw. Wettbewerbsposition des deutschen Pharma- und Gesundheitsstandortes analysiert ([1], Kap. IV). Hierbei wurden im Rahmen einer schriftlichen Befragung von 77 Pharma- und Gesundheitsakteuren aus Industrie und Wissenschaft für verschiedene Forschungsbereiche (Wirkstoff-/Therapie-, Präventions- und Diagnostikforschung) und 13 Krankheitsklassen sehr differenzierte Innovationssystem-Analysen durchgeführt. Aus der Sicht von Forschungseinrichtungen, Großunternehmen und KMU wurden für den Pharma- und Gesundheitsstandort Deutschland die Qualität der Wissensbasis (gemessen durch die Indikatoren Qualität der Grundlagenforschung, Qualität der klinischen Forschung, Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte), Qualität des Wissens- und Technologietransfers innerhalb von Netzwerken und Clustern (gemessen durch die Indikatoren Qualität der Kooperation Wissenschaft- Wissenschaft und Qualität der Kooperation Wissenschaft-Wirtschaft) sowie die Marktattraktivität Deutschlands im Vergleich zu den wichtigsten drei bis fünf Konkurrenzländern untersucht. Als wichtigste Konkurrenzländer wurden in allen Bereichen die USA und das Vereinigte Königreich genannt. Weitere wichtige Wettbewerber sind Japan, Frankreich, die Schweiz sowie Kanada (insbesondere in der Grundlagenforschung), die Niederlande (insbesondere in der klinischen Forschung und bei der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal) und China (bei der Marktattraktivität). Die wichtigsten Ergebnisse werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt. 22 dzkf 11/12-2008

Standort Deutschland Gesundheitswesen Diese und die nachfolgenden Abbildungen können Sie in der Vergrößerung unter www.dzkf-weiterbildung.de ansehen und herunterladen. Abbildung 1 Qualität der Grundlagenforschung infektiöse und parasitäre Krankheiten Neubildungen/Krebs Nervensystem psychische und Verhaltensstörungen endokrine Erkrankungen, Ernährungsund Stoffwechselkrankheiten Verdauungssystem Herz-Kreislauf-System Blut, blutbildende Organe, Störungen mit Beteiligung des Immunsystems Sinnesorgane (Auge, Ohr, Nase) Atmungssystem Haut, Unterhaut Muskel-Skelett-System, Bindegewebe Urogenitalsystem sehr ungünstig Großunternehmen (6 n 9) KMU (5 n 10) Forschungseinrichtungen (19 n 29) ungünstig durchschnittlich günstig sehr günstig Abbildung 2: Qualität der Grundlagenforschung Abbildung 2 Qualität der Grundlagenforschung 2. Wissensbasis Der Zugang zu einer ökonomisch verwertbaren Wissensbasis ( technologische Möglichkeiten ) ist eine wichtige Determinante für die Innovationskraft. Innovationen sind oft das Ergebnis einer zielgerichteten Produktion von technologischem Wissen. Das Ausmaß und die Qualität von Forschung und Entwicklung (F&E) sind daher zusammen mit einem hohen Ausbildungsstand der Erwerbstätigen wichtige Faktoren zur Erklärung des langfristigen Wachstums von Wirtschaftssektoren und Volkswirtschaften. Ohne herausragende F&E fehlen oft nötige Ansatzpunkte zur Umsetzung neuen Wissens in international wettbewerbsfähige Prozesse, Produkte und Dienstleistungen. Diese hohe Bedeutung zeigt sich besonders in der Pharmaindustrie, da sowohl in den F&E-Prozessen als auch in der Produktion und Vermarktung neuer innovativer Arzneimittel ein hoher Wissensstand in sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachdisziplinen (z. B. Biologie, Chemie, Biochemie, Bioinformatik, Verfahrenstechnik) erforderlich ist. Qualität der Grundlagenforschung Bei der Grundlagenforschung bewerten die Akteure die Qualität in der Diagnostikforschung durchschnittlich, d. h. ähnlich gut wie in den wichtigsten Konkurrenzländern (Abb. 1). Die Qualität in der Therapie-/Wirkstoffforschung wird etwas ungünstiger eingestuft, vor allem von den Großunternehmen. Bei der Präventionsforschung hingegen sehen alle Akteursgruppen leichte Wettbewerbsnachteile. Bei den Krankheitsklassen wird die Wettbewerbsposition Deutschlands in der Grundlagenforschung meist durchschnittlich, d. h. ähnlich gut wie in wichtigen Konkurrenzländern, eingestuft (Abb. 2). Wettbewerbsvorteile für Deutschland sind bei den Krankheitsklassen Neubildungen/Krebs, Herz-Kreislauf-System sowie Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems zu erkennen. Ungünstiger wird die Position Deutschlands bei den Krankheitsklassen Verdauungssystem, Sinnesorgane, Haut und Urogenitalsystem bewertet. Die Unterschiede zwischen den Akteursgruppen sind mit Ausnahme weniger Krankheitsklassen (z. B. Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems) eher gering. Qualität der klinischen Forschung Abbildung 3 Qualität der klinischen Forschung Bei der klinischen Forschung (Phasen I bis III) wird die Qualität des Standortes Deutschland im Bereich Therapie-/Wirkstoffforschung als durchschnittlich eingestuft (Abb. 3); dies untermauert die Ergebnisse einer früheren ISI-Studie [2]. Ebenfalls durchschnittlich wird die Diagnostik-Forschung bewertet. Eher ungünstig wird die Qualität der klinischen Forschung im Bereich der Präventionsforschung in Deutschland angesehen. Lediglich die KMU sehen hier die Position Deutschlands etwas optimistischer. dzkf 11/12-2008 23

Gesundheitswesen Standort Deutschland Bei der Qualität der klinischen Forschung sind bei einigen Krankheitsklassen unterschiedliche Einschätzungen zwischen den Akteursgruppen zu erkennen (Abb. 4). Großunternehmen bewerten die Wettbewerbsposition Deutschlands im Vergleich zu den wichtigsten drei Konkurrenzländern etwas positiver als bei der Grundlagenforschung; am günstigsten sind die Bedingungen in den Gebieten Neubildungen/Krebs, Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems sowie Herz-Kreislauf- System. Auch Forschungseinrichtungen stufen die Wettbewerbsbedingungen am deutschen Standort für diese drei Krankheitsklassen als günstig ein. Viele andere Krankheitsklassen (z. B. Sinnesorgane, Urogenitalsystem) werden von den Forschungseinrichtungen aber mit leicht unterdurchschnittlich bewertet. KMU schätzen die Position Deutschlands meist mit leicht unterdurchschnittlich ein. Für die einzelnen Krankheitsklassen zeigen sich zudem folgende Tendenzen: Diejenigen Krankheitsklassen, bei denen die Position Deutschlands in der Grundlagenforschung gut bewertet wurde, werden auch bei der Qualität der klinischen Forschung gut bewertet (z. B. Herz-Kreislauf-System, Neubildungen/Krebs). Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal Abbildung 4 Qualität der klinischen Forschung Abbildung 5 Verfügbarkeit qualifiziertes Personal Technologisches Wissen ist oftmals zu großen Teilen an Mitarbeiter und Organisationsstrukturen gebunden. Zur Generierung und Umsetzung von F&E-Erkenntnissen in international wettbewerbsfähige Produktionsprozesse, Produkte und Dienstleistungen müssen daher ausreichend hoch qualifizierte Arbeitskräfte (u. a. Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker) verfügbar sein. Ein unzureichendes Angebot an (hoch) qualifiziertem Personal kann dazu führen, dass technologische Erkenntnisse der inländischen F&E von ausländischen Wirtschaftsakteuren schneller genutzt werden, wenn im Inland die notwendigen Nutzungskompetenzen nicht in ausreichendem Maße existieren und/ oder ausländisches technologisches Know-how nicht bzw. nicht schnell genug importiert und im Inland in international wettbewerbsfähige Produktionsprozesse, Produkte und Dienstleistungen umgewandelt werden kann. Diese hohe Bedeutung qualifizierter Arbeitskräfte zeigt sich besonders in der Pharmaindustrie, die mit einem Akademikeranteil von 27 Prozent eine Spitzenposition unter allen Wirtschaftssektoren einnimmt ([1], Kap. IV.4.1.1). Hinsichtlich der aktuellen Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal am Standort Deutschland zeichnen die Untersuchungsergebnisse im Vergleich zu den drei wichtigsten Konkurrenzländern ein günstiges Bild: Sowohl Großunternehmen, KMU als auch Forschungseinrichtungen bewerten die aktuelle Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal für die drei Forschungsbereiche Therapie-/Wirkstoffforschung sowie Präventions- und Diagnostikforschung als Wettbewerbsvorteil (Abb. 5). Lediglich KMU bewerten die Situation bei der Präventionsforschung als durchschnittlich und sind bei der Therapie-/Wirkstoffforschung etwas skeptischer als die anderen Akteure. Bei allen Krankheitsklassen sehen die Forschungseinrichtungen und Großunternehmen die aktuelle Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal als Wettbewerbsvorteil, vor allem bei Neubildungen/Krebs, Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, endokrinen Erkrankungen/Ernährungs- und Stoffwechselstörungen und Atmungssystem (Abb. 6). Das qualifizierte Personal wirkt demnach aktuell am Standort Deutschland für die Großunternehmen und F&E-Einrichtungen nicht innovationshemmend. KMU hingegen bewerten die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal für die meisten Gebiete als durchschnittlich, teilweise sogar als leicht ungünstig. Dies bestätigt frühere Studienergebnisse, bei denen die Rekrutierungsmöglichkeiten von KMU im Jahr 2003/04 im Vergleich zu Großunternehmen und F&E-Einrichtungen als ungünstiger bewertet wurden [2]. Lediglich bei infektiösen und parasitären Krankheiten, Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems sowie psychischen und Verhaltensstörungen bewerten KMU die Lage positiv. 24 dzkf 11/12-2008

Standort Deutschland Gesundheitswesen Zwar wird in einigen forschungs- und wissensintensiven Branchen (so z. B. in der Pharmaindustrie) die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte derzeit noch als Standortvorteil gesehen. Allerdings haben auch viele forschungsintensive Industriebranchen, in denen ingenieurwissenschaftliches Know-how eine besondere Rolle spielt, bereits große Rekrutierungsschwierigkeiten (z. B. Fahrzeugbau, Medizin-, Mess- und Steuertechnik). Diese bereits existierenden Personalengpässe beim für die Gesundheitssektoren relevanten hoch qualifizierten Personal (u. a. bei Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern, Mathematikern und Informatikern) werden sich voraussichtlich weiter verschärfen (vor allem in Wachstumsphasen), da die steigende Arbeitsnachfrage aus Industrie und Wissenschaft (z. B. hat sich seit 1975 die Erwerbstätigenzahl mit Fach-/Hochschulabschluss etwa verdreifacht) voraussichtlich das Angebot übersteigen wird (z. B. aufgrund stark sinkender Studienabsolventen zwischen 1996 und 2001 oder hoher Verrentungszahlen älterer Naturwissenschaftler und Ingenieure bis 2015) [1]. Bis 2020 könnten dem Innovationsstandort Deutschland hunderttausende Fachkräfte fehlen, sowohl in der F&E, aber auch in der Produktion oder im Vertrieb. Auch die Gesundheitssektoren werden hiervon betroffen sein, da sie mit anderen forschungs- und wissensintensiven Wirtschaftsbranchen im Wettbewerb um (hoch) qualifizierte Arbeitskräfte stehen. Abbildung 6 Standortfaktor Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal 3. Technologietransfer, Cluster und Netzwerke Für die Gesundheitssektoren ist eine hohe wissenschaftliche und technologische Dynamik sowie eine zunehmende Anzahl relevanter Schlüsseltechnologien und Fachdisziplinen zu beobachten ebenso wie die Erkenntnis, dass Innovationen zunehmend in Überlappungsbereichen von Technologien und Disziplinen stattfinden ([1], Kap. IV.3.1.2). Zudem ändern sich die erforderlichen Kompetenzen entlang der zahlreichen Wertschöpfungsstufen. Das hierfür erforderliche Wissen kann daher in der Regel nicht mehr von einzelnen F&E-Einrichtungen oder Unternehmen (insbesondere von KMU) vorgehalten bzw. kurzfristig bei Bedarf intern aufgebaut werden, sondern ist über viele Wissenschafts- und Industrieakteure verteilt und muss entsprechend zusammengeführt und organisiert werden. Die pharmazeutische Branche ist durch eine besonders hohe Wissenschaftsbindung gekennzeichnet: Sie ist angewiesen auf neueste Erkenntnisse und Impulse sowie komplementäres Wissen und Ressourcen aus der Wissenschaft, die sie in neue Produkte, Prozesse und Dienstleistungen umsetzen kann ( vertikale Vernetzung ) (u. a. [2]). Insbesondere im Bereich Pharmazie/Biotechnologie ist die internationale Vernetzung am weitesten fortgeschritten. Das Wissen wird in zunehmendem Maße international generiert. Nationale F&E-Akteure aus der Wissenschaft besitzen oft eine Antennenfunktion : Sie absorbieren neues Wissen aus dem Ausland und geben es an die nationalen Unternehmen weiter. Dies ist vor allem für KMU bedeutend, die häufig nicht über die finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen verfügen, eigene F&E-Aktivitäten im Ausland aufzubauen. Das Ausmaß und die Effizienz des Wissens- und Technologietransfers hängen jedoch nicht nur von exzellenten F&E-Ergebnissen und der Transferbereitschaft und -fähigkeit öffentlicher F&E-Einrichtungen ab, sondern auch maßgeblich von der Bereitschaft und Fähigkeit der Unternehmen, externes Wissen zu integrieren ( technologische Absorptionsfähigkeit ) [2]. Dies erfordert u. a. eine systematische Informationsbeschaffung über neue Technologien, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen, entsprechende technologische Kompetenzen und Prozesswissen (zur z. B. die effizienten Steuerung von Innovationsprojekten) sowie eine fundierte Kenntnis über nationale und internationale Märkte. Zudem ist in den Unternehmen eine Innovationskultur mit geeigneten innovationsorientierten Organisations- und Anreizstrukturen erforderlich. Neben möglichst permanenten Interaktionsprozessen mit der Wissenschaft benötigen Unternehmen somit auch ein ausreichendes Niveau an kontinuierlichen internen F&E- Aktivitäten, um Wissen, das außerhalb der Unternehmensgrenzen generiert wird, aufnehmen und verarbeiten bzw. für die eigenen spezifischen Zwecke weiterentwickeln zu können. Umgekehrt ist auch die Wissenschaft auf Anstöße und in zunehmendem Ausmaß auch finanzielle (Dritt-)Mittel der Wirtschaft angewiesen, um auch in Zukunft Spitzenforschung betreiben zu können. Der Wissens- und Tech- dzkf 11/12-2008 27

Gesundheitswesen Standort Deutschland Die Überführung neuer wissenschaftlicher F&E-Erkenntnisse in neue international wettbewerbsfähige Pronologietransfer von Einrichtungen der Wissenschaft in die Wirtschaft und ebenso der rekursive Transfer von Erkenntnissen und Problemstellungen der Wirtschaft in die Wissenschaft innerhalb von interdisziplinär ausgerichteten Innovationsnetzwerken sind daher wesentliche Bedingungen für die nachhaltige Innovationsfähigkeit von Wirtschaftssektoren und Volkswirtschaften. Im Kontext der Zusammenarbeit Wissenschaft und Wirtschaft spielt auch die räumliche Nähe in Form von Clustern eine bedeutende Rolle. Die Ballung einer Vielzahl von Wissenschafts- und Industrieakteuren in räumlicher Nähe erleichtert den Zugang zu Kooperationspartnern, vereinfacht die Zusammenarbeit und kann so zur zügigen Diffusion von neuem Wissen und zur schnellen Umsetzung in international wettbewerbsfähige Prozesse, Produkte und Dienstleistungen beitragen (u. a. [1], Kap. IV.6.1). In der Vergangenheit zeigten sowohl F&E-Einrichtungen als auch die deutschen Pharmaunternehmen oft Schwachstellen in der Vernetzung [2]. Während Großunternehmen seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt in nationa- Abbildung 7 Kooperation Wissenschaft und Wissenschaft le und internationale Kooperationsaktivitäten investieren, war diese Lücke zu Beginn des Jahrtausends bei vielen traditionellen Pharma-KMU nach wie vor vorhanden [2]. Nachfolgend werden die Ergebnisse der aktuellen Kooperationsanalysen zusammenfassend dargestellt [1]. Vernetzung Wissenschaft und Wissenschaft Das deutsche Wissenschaftssystem verfügt in den gesundheitsrelevanten Gebieten über eine Vielzahl an Universitäten, Universitätskliniken und Fachhochschulen sowie eine große Anzahl an außeruniversitären Instituten der Grundlagen- und angewandten Forschung (u. a. Max- Planck-Institute, Institute der Fraunhofer- und Helmholtz- Gesellschaft), die wiederum auf verschiedene Standorte verteilt sind. Aufgrund der hohen Ausdifferenzierung des deutschen Forschungssystems auf unterschiedliche Akteure und Standorte ist eine intensive Zusammenarbeit vonnöten, um eine kritische Masse zu erreichen und um Synergien aus komplementärem Wissen und Fähigkeiten erzielen zu können. Eine gute Vernetzung innerhalb des Wissenschaftssystems ( horizontale Vernetzung ) ist daher für den Gesundheitsstandort Deutschland ebenso wichtig wie der Wissens- und Technologietransfer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Wirtschaft ( vertikale Vernetzung ). Daher wurden die wissenschaftlichen F&E-Einrichtungen zunächst hinsichtlich der Zusammenarbeit innerhalb der Wissenschaft befragt. Die Ergebnisse zeichnen folgendes Bild: Sowohl in der Therapie-/Wirkstoffforschung als auch in der Präventions- und Diagnostikforschung wird die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftsakteuren untereinander positiv bewertet und es werden sogar leichte Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu wichtigen Konkurrenzländern gesehen (Abb. 7). Auch die Auswertung nach Krankheitsklassen zeigt ein positives Bild. Hervorzuheben ist vor allem die gute Bewertung der Zusammenarbeit in den Bereichen Neubildungen/Krebs, Herz-Kreislauf-System und Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems (Abb. 8). Insgesamt deuten die aktuellen Untersuchungsergebnisse auf eine Intensivierung der Kooperationsaktivitäten zwischen Wissenschaftsakteuren in den letzten Jahren hin. Denn eine frühere ISI-Untersuchung zeigte, dass es im Bereich der Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wissenschaft Schwachstellen hinsichtlich der Vernetzung gab [2]: Die Vernetzung von Fachdisziplinen war begrenzt; so beklagten z. B. 2003/04 knapp 30 Prozent der F&E-Einrichtungen eine zu geringe lehrstuhl- und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und wiesen auf unzureichende Anreizsysteme hin, die eine intensivere Vernetzung von öffentlichen F&E-Einrichtungen behindern. Vernetzung Wissenschaft und Wirtschaft Abbildung 8 Kooperation Wissenschaft und Wissenschaft 28 dzkf 11/12-2008

37 Uhr Standort Deutschland Gesundheitswesen Abbildung 9 Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Abbildung 10 Kooperation Wissenschaft und Wirtschaft zesse, Produkte und Dienstleistungen ist eine zentrale Aufgabe des Wissens- und Technologietransfers. Der ursprüngliche Transfergedanke geht von der Linearität des Innovationsprozesses aus und zielt auf die Unterstützung des Übergangs von der Forschung zur Anwendung. Gesicherte Erkenntnisse der neueren Innovationsforschung zeigen jedoch, dass inzwischen an die Stelle eines linearen Prozesses ein vernetzter Innovationsprozess zwischen Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft mit vielfältigen Rückkoppelungsschleifen in beide Richtungen getreten ist. Eine unzureichende Vernetzung dieser Akteure kann daher die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig schwächen. Bei den Befragungsergebnissen hinsichtlich der Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft mit Bezug zu den drei Forschungsbereichen treten deutliche Unterschiede zu Tage (Abb. 9): Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit wird im Bereich der Therapie/Wirkstoffforschung und in der Diagnostikforschung als durchschnittlich, d. h. ähnlich gut wie in den wichtigsten Konkurrenzländern, eingestuft. Die Vernetzung in der Präventionsforschung wird hingegen schwächer beurteilt, d. h., hier existieren leichte Wettbewerbsnachteile. Auch hinsichtlich der einzelnen Akteursgruppen zeigen sich Unterschiede: Großunternehmen schätzen die Wettbewerbsposition Deutschlands durchwegs besser ein als KMU und Forschungseinrichtungen. Die Befragung zeigt zudem, dass vor allem KMU derzeit unzureichend im Bereich der Präventionsforschung aktiv sind, obgleich diesem Bereich zukünftig eine sehr hohe Bedeutung beigemessen wird [1]. Eine Ursache hierfür könnte sein, dass KMU verstärkt auf regionale bzw. nationale Teilmärkte ausgerichtet sind und der Bereich der Prävention in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern erst seit wenigen Jahren verstärkt auf die politische Agenda gesetzt wird. Mit einer zunehmenden Öffnung des Gesundheitssystems für den Bereich der Prävention, was die Akteure für sehr wahrscheinlich halten [1], werden sich vermutlich auch unternehmerische Geschäftsmodelle der KMU zunehmend auf Aktivitäten in Richtung Prävention ausrichten. Hier können KMU ihre Wettbewerbsvorteile (u. a. Kundennähe) zukünftig verstärkt ausspielen. Hierfür wäre eine stärkere Vernetzung mit der Wissenschaft hilfreich, um so schnell Zugang zu dem bereits existierenden Wissen im Gebiet der Präventionsforschung zu erhalten. Auch die Ergebnisse bezüglich der Krankheitsklassen zeigen Unterschiede im Profil der Bewertungen einzelner Krankheitsklassen und der befragten Akteursgruppen (Abb. 10). Großunternehmen bewerten die Wettbewerbsposition Deutschlands fast durchgängig positiver im Vergleich zu KMU und Forschungseinrichtungen. Wettbewerbsvorteile bei der Vernetzung Wissenschaft und Wirtschaft sehen die Großunternehmen vor allem in den Bereichen Neubildungen/Krebs, Blut/blutbildende Organe/ Störungen mit Beteiligung des Immunsystems und HerzKreislauf-System. In anderen Krankheitsklassen ist man aus Sicht der Großunternehmen zumindest gleich auf mit den wichtigen Konkurrenzländern. Im deutlichen Kontrast hierzu sehen KMU und Forschungseinrichtungen in nahezu allen Krankheitsklassen Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu den wesentlichen Konkurrenzländern. Lediglich in den Bereichen infektiöse und parasitäre Erkrankungen, Neubildungen/Krebs und Blut/blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems werden die Vernetzungsaktivitäten zwischen Wissenschaft und Wirtschaft von den KMU mit durchschnittlich bewertet, d. h. ähnlich gut wie in wichtigen Konkurrenzländern. Dies deutet im Einklang mit früheren Studien (u. a. [2]) darauf hin, dass vor allem KMU noch immer unzureichend mit den F&E-Einrichtungen vernetzt dzkf 11/12-2008 31

Gesundheitswesen Standort Deutschland Abbildung 11 Marktattraktivität Wettbewerbsposition Deutschlands je Forschungsbereich. (Quelle: [1], Kap. V.2) Abbildung 12 Marktattraktivität Wettbewerbsposition Deutschlands je Krankheitsklasse. (Quelle: [1], Kap. V.2) sind. Ebenso ergeben sich auch für die F&E-Einrichtungen zukünftig noch erhebliche Potenziale durch eine stärkere Vernetzung mit KMU und Großunternehmen. 4. Marktattraktivität Die Marktattraktivität ist ein sehr wichtiges Kriterium für die Standortentscheidungen von Pharmaunternehmen, vor allem im Bereich der klinischen F&E (Phasen I bis III) [2]. Das Konzept der Vorreitermärkte ( Lead Markets ) weist auf diese hohe Bedeutung der Nachfragequalität und des Nachfrageniveaus für die internationale Wettbewerbsfähigkeit hin: Viele anspruchsvolle und qualitätsbewusste Kunden (Privathaushalte, Staat, Industrie) mit einer hohen Bereitschaft zur Aufnahme von Innovationen und Technikoffenheit (so genannte Lead User ) greifen globale Nachfragetrends schnell und früh auf. Diese Lead User sollten frühzeitig in die F&E-Prozesse einbezogen werden, um schnell herauszufinden, wie passfähig Innovationen sind. Daneben sind gute Rahmenbedingungen für rasche Lernprozesse der Anbieter, ein spezifischer innovationstreibender Problemdruck und eine Nachfragesituation, die von hohen Einkommens- und niedrigen Preiselastizitäten und einem hohen Wirtschaftswachstum und Pro-Kopf- Einkommen geprägt ist, gute Voraussetzungen, damit sich ein Land zu einem Lead Market entwickelt (u. a. [1]). In der Pharmaindustrie gilt die USA beispielsweise als ein solcher Lead Market [2]. Die aktuellen Untersuchungsergebnisse hinsichtlich der Marktattraktivität Deutschlands im Vergleich zu den fünf wichtigsten Konkurrenzländern zeichnen ein positives Bild (Abb. 11): Vor allem Großunternehmen und Forschungseinrichtungen sehen in allen Forschungsbereichen (Therapie-/Wirkstoff-, Präventions-, Diagnostikforschung) Wettbewerbsvorteile. KMU hingegen bewerten die Marktattraktivität mit Ausnahme der Präventionsforschung lediglich durchschnittlich. Hinsichtlich der Krankheitsklassen zeigt sich ein differenzierteres Bild (Abb. 12). Wettbewerbsvorteile Deutschlands bei der Marktattraktivität werden vor allem in den Gebieten Neubildung/Krebs, Herz-Kreislauf-System, Blut/ blutbildende Organe/Störungen mit Beteiligung des Immunsystems, endokrine Erkrankungen/Ernährungs- und Stoffwechselkranheiten, Nervensystem sowie psychischen und Verhaltensstörungen gesehen. Leichte Wettbewerbsnachteile bei der Marktattraktivität Deutschlands bestehen in den Gebieten infektiöse und parasitäre Krankheiten, Sinnesorgane, Haut/Unterhaut und Urogenitalsystem. Hinsichtlich der Einschätzungen der Marktattraktivität gibt es zwischen den Akteursgruppen meist nur sehr geringe Unterschiede. Dennoch gibt es auch bei der Marktattraktivität konträre Ansichten, u. a. bei den Gebieten Sinnesorgane, Atmungssystem, infektiöse und parasitäre Krankheiten, Verdaungssystem und Urogenitalsystem. Vor allem die KMU bewerten hier die Marktattraktivität ungünstiger als die anderen Akteure. Insgesamt sehen viele Befragte bei der Marktattraktivität für Deutschland Wettbewerbsvorteile gegenüber wichtigen Konkurrenzländern (u. a. wegen des großen absoluten Marktvolumens). Allerdings betonen die befragten Akteure in diesem Zusammenhang immer wieder die innovationshemmenden Wirkungen rechtlicher und gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen in Deutschland ([1], Kap. III.2.3): Neben bürokratischen Hemmnissen und einer zu geringen Stabilität und Transparenz der Rahmenbedingungen werden vor allem der Zulassungs- und Kostenerstattungsprozess, die Nutzenbewertung und Preisbildung (und damit wichtige Marktfaktoren) von den Akteuren als zentrale Innovationshemmnisse wahrgenommen. 32 dzkf 11/12-2008

Standort Deutschland Gesundheitswesen 5. Zusammenfassung und Ausblick Eine aktuelle Innovationssystem-Analyse des Fraunhofer ISI zeigt, dass der Pharma- und Gesundheitsstandort Deutschland in Summe gut positioniert zu sein scheint, da keine gravierenden Wettbewerbsnachteile zu erkennen sind und in einigen wichtigen Bereichen Wettbewerbsvorteile zu konstatieren sind. Vor allem hinsichtlich der aktuellen Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, aber auch auf der Nachfrageseite (Marktattraktivität) zeigen sich Wettbewerbsvorteile gegenüber den wichtigsten Konkurrenzländern. Im Bereich der Kooperationsbeziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft weist Deutschland, vor allem aus Sicht der KMU und Forschungseinrichtungen, hingegen fast durchgängig leichte Wettbewerbsnachteile auf. Hier können erhebliche Innovationspotenziale künftig noch besser ausgeschöpft werden. Hinsichtlich der angebotsseitigen Faktoren Qualität der Grundlagenforschung und Qualität der klinischen Forschung sowie beim Wissens- und Technologietransfer in Form der Vernetzung innerhalb von Clustern und Netzwerken (gemessen durch die Indikatoren Kooperation Wissenschaft und Wissenschaft sowie Kooperation Wissenschaft und Wirtschaft) hängen die Ergebnisse entscheidend von der Krankheitsklasse ab. Hinsichtlich der Krankheitsklassen zeichnet sich ein differenziertes Bild. Die Untersuchungsergebnisse der Innovationssystem-Analysen zeigen, dass am Gesundheitsstandort Deutschland bei einigen Krankheitsklassen von hoher Relevanz (insb. infektiöse und parasitäre Krankheiten, Muskel-Skelett-System und Bindegewebe; vgl. hierzu [3]) derzeit in einigen Teilsystemen des Innovationssystems keine Wettbewerbsvorteile bzw. zum Teil Wettbewerbsnachteile existieren. Allerdings gibt es auch viel Licht, was für die Zukunft hoffen lässt : Bei Neubildungen/Krebs, dem derzeit wichtigsten Forschungsgebiet weltweit [3], zeigen sich z. B. entlang der gesamten Wertschöpfungskette Wettbewerbsvorteile gegenüber den wichtigsten Konkurrenzländern, d. h., es handelt sich um ein sehr gut funktionierendes Innovationssystem. Ähnlich positiv sind die Ergebnisse in anderen Krankheitsklassen (z. B. endokrine Erkrankungen/Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen, Erkrankungen des Nervensystems, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Blut/blutbildende Organe/ Störungen mit Beteiligung des Immunsystems). Dies ist insofern als günstig zu bewerten, da diese Krankheitsklassen aktuell und zukünftig ebenfalls von sehr hoher Relevanz sind (vgl. hierzu [3]). Dr. Michael Nusser Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) Breslauer Straße 48 D-76139 Karlsruhe Tel.: +49 721 6809 336 E-Mail: michael.nusser@isi.fraunhofer.de Sven Wydra Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) Breslauer Straße 48 D-76139 Karlsruhe Tel.: +49 721 6809 262 E-Mail: sven.wydra@isi.fraunhofer.de Enjoy the time you will save with your projects in our safe hands Anzeige Juliane Hartig Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) Breslauer Straße 48 D-76139 Karlsruhe Tel.: +49 721 6809 340 E-Mail: juliane.hartig@isi.fraunhofer.de Quellen [1] Nusser, M., Wydra, S., Hartig, J., Gaisser, S., Forschungs- und wissensintensive Branchen: Optionen zur Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag TAB-Arbeitsbericht 116 (2007). Die Gesamtstudie ist als Download verfügbar unter http://publica.fraunhofer.de/documents/n-67169.html [2] Nusser, M., Gaisser, S., Input- und prozessorientierte Systemanalyse des Pharma-Innovationsstandortes Deutschland, in: Gaisser, S., Nusser, M., Reiß, T. (Hrsg.): Stärkung des Pharma-Innovationsstandortes Deutschland, Stuttgart (2005), S. 81 184 [3] Nusser, M., Gaisser, S., Internationale Trends in Forschung und Entwicklung Ein Länder-Benchmarking auf Basis von Innovationsindikatoren, in: DZKF Deutsche Zeitschrift für Klinische Forschung 12 (9/10) (2008), S. 21-31 Full service CRO for clinical trials and non-interventional studies Since 1981 Lessingstrasse 14 80336 München Germany Fon: +49 (89) 20 91 20 0 Fax: +49 (89) 20 91 20 30 mail@gkm-therapieforschung.de www.gkm-therapieforschung.de dzkf 11/12-2008 33