Regierungsrat Interpellation Samuel Schmid, EDU, Biberstein (Sprecher), und Roland Basler, BDP, Staffelbach, vom 20. Oktober 2009 betreffend Kiesabbau und Siedlungsraum im Aargau; Beantwortung Aarau, 20. Januar 2010 09.293 I. Text und Begründung der Interpellation wurden den Mitgliedern des Grossen Rats unmittelbar nach der Einreichung zugestellt. II. Der Regierungsrat antwortet wie folgt: Ausgangslage Die Grundlage für den Kiesabbau im Kanton Aargau bildet das Rohstoffversorgungskonzept Steine und Erden 1995 (RVK). Dieses qualifizierte Konzept erbringt den Nachweis einer weitgehend regionalen, langfristigen Kiesversorgung und der betrieblichen Weiterexistenz der Versorgungsbetriebe. Die aus dem RVK resultierenden Abbaustandorte für die Sicherstellung der kurz- und mittelfristigen sowie der langfristigen Versorgung wurden in den Richtplan 1996 aufgenommen. Die Umsetzung erfolgt kommunal über die Nutzungsplanungen. Die Interpellation ist allgemein formuliert. Aufgrund der aktuellen Situation ist jedoch zu vermuten, dass für die Eingabe des Vorstosses ein Nutzungsplanungsverfahren in den Gemeinden Staffelbach und Kirchleerau den Anlass gegeben hat. Es geht dabei um die Schaffung einer Materialabbauzone "Stolten" als Umsetzung des im Richtplan festgesetzten Abbaugebiets Nr. 81. Wie das bei Nutzungsfestlegungen häufig der Fall ist, treffen dabei unterschiedliche Vorstellungen und Interessen aufeinander. Anwohnerinnen und Anwohner des geplanten Abbaugebiets und weitere Bürgerinnen und Bürger bekämpfen das Vorhaben. Bei der Festlegung einer Materialabbauzone besteht für die Gemeinden ein grosser Spielraum. Mit entsprechenden verbindlichen Anforderungen und Massnahmen ist dabei eine optimale Gesamtlösung festzulegen, welche insbesondere die in der Interpellation angesprochenen Belastungen minimiert.
- 2 - Um eine mehrheitsfähige Nutzungsplanvorlage und darauf basierend eine Abbaubewilligung zu erreichen, ist erfahrungsgemäss ein offenes Gespräch mit den Hauptbeteiligten, ein gegenseitiges Vertrauen und ein Verständnis für die jeweiligen Anliegen entscheidend. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt hat dem Gesuchsteller empfohlen, das Instrument der Mediation zu nutzen und eine entsprechende Beratung als Starthilfe angeboten. Zur Frage 1 "Kiesabbau hat mehrfache Belastungen zur Folge, z.b. in den Bereichen Verkehrsaufkommen, Staub, Lärm usw. Dies hat auf die Wohnqualität einen direkten Einfluss. Wohnen und Kies abbauen wird von Betroffenen als nicht vereinbar betrachtet. In mindestens einem konkreten Fall wurde diese Ansicht auch vom Bundesgericht gestützt. Welche Bedingungen müssen im Kanton Aargau erfüllt sein, damit ein Kiesabbau an ein Wohngebiet angrenzend erfolgen kann?" Für den Kiesabbau sind grundsätzlich die folgenden Verfahren, beziehungsweise Bedingungen erforderlich: Festsetzung eines Materialabbaugebiets im Richtplan, Ausscheidung einer Materialabbauzone in der kommunalen Nutzungsplanung und schliesslich die Erteilung einer Abbaubewilligung. In Industrie- und Gewerbezonen ist ein Materialabbau ohne Richtplanbeschluss und ohne ausdrückliche Bezeichnung einer Materialabbauzone direkt über ein Abbaubewilligungsverfahren möglich. Die potenziellen Auswirkungen des Materialabbaus werden stufengerecht auf jeder Verfahrensebene beim Entscheidungsprozess berücksichtigt. Bei einem abbaubaren Gesamtvolumen von mehr als 300'000 m 3 ist die Abbaubewilligung mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung verbunden. Diese hat das Ziel, das Projekt so zu gestalten und zu beeinflussen, dass keine übermässigen negativen Auswirkungen auf die Umwelt entstehen. Für einen Materialabbau in der Nähe von Wohngebieten sind auf der generellen Richtplan- Stufe noch keine speziellen Beschlüsse erforderlich. In der Nutzungsplanung und speziell mit der Abbaubewilligung sind jedoch mögliche Auswirkungen durch entsprechende Massnahmen und Auflagen zu minimieren. Zur Frage 2 "Wie viele Kiesabbaugebiete im Kanton Aargau grenzen direkt an Wohnzonen oder werden einzig durch Verkehrsverbindungen voneinander getrennt?" Von den aktuell bestehenden 150 Materialabbauzonen liegen deren sieben in einem Abstand von weniger als 20 m neben einer Wohn- oder Mischzone.
- 3 - Zur Frage 3 "Der kantonale Richtplan und das Rohstoffversorgungskonzept bilden Grundlagen für den Kiesabbau. Der Kiesabbau erfolgt durch private Unternehmen. Durch Erweiterungen bestehender oder Ausbeutung neuer Kiesabbaugebiete, welche an Wohngebiete grenzen oder nur durch Verkehrsverbindungen von diesen getrennt sind, wird die Wohnqualität direkt beeinflusst. Wie ist die Entschädigung von Eigentümern für den dadurch verursachten Wertverlust von Liegenschaften und Baulandparzellen geregelt? Wie wird der Wertverlust ermittelt?" Die Eigentumsgarantie ist in Art. 26 der Bundesverfassung verankert. Danach ist zu beurteilen, ob Planungsmassnahmen einer Behörde die Eigentumsgarantie verletzen und wegen formeller oder materieller Enteignung eine Entschädigungspflicht auslösen. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für durch Kiesabbau verursachte Minderwerte angrenzender Liegenschaften gibt es nicht. Mögliche Ansatzpunkte sind einerseits die Bestimmungen über die materielle Enteignung ( 138 Baugesetz, BauG) sowie Art. 679 und 684 Zivilgesetzbuch (ZGB). Danach können Einwirkungen auf das Nachbargrundstück, die übermässig sind und die Rechtsordnung verletzen, abgewehrt werden. Für entstandenen Schaden kann Schadenersatz verlangt werden. Begehren wegen materieller Enteignung müssten sich gegen die Gemeinden richten, welche die Abbauzone beschliessen; sie wären bei der Schätzungskommission nach Baugesetz einzureichen. Für Schadenersatzklagen gestützt auf Art. 679 ZGB ist der Zivilrichter zuständig; die Klagen müssten sich gegen den Abbauunternehmer und die Eigentümer der auszubeutenden Grundstücke richten. Mit den Bestimmungen zu den Materialabbauzonen sowie den Abbaubewilligungen wird die Einhaltung aller relevanten Vorschriften sichergestellt. Dies gilt beispielsweise für Lärmimmissionen, für welche die Grenzwerte der Lärmschutzverordnung einzuhalten sind. Dem Regierungsrat sind keine Fälle bekannt, in denen wegen eines durch Kiesabbau verursachten Minderwerts Schadenersatzbegehren wegen materieller Enteignung oder gestützt auf Art. 679/684 ZGB eingereicht und Entschädigungen zugesprochen worden sind. Zur Frage 4 "Zum einen brauchen Unternehmer Planungssicherheit. Zum andern sind heute die Siedlungsräume und Verkehrsaufkommen einer schnelleren Veränderung unterworfen als früher. Welchen Einfluss hat dies auf den Planungshorizont für Kiesabbauprojekte? Auf wie viele Jahre können und sollen sinnvollerweise Kiesabbauprojekte ausgelegt sein?" Der 1996 beschlossene, aktuelle Richtplan scheidet Materialabbaugebiete für die kurz- und mittelfristige Versorgung (10 30 Jahre) sowie für die langfristige Versorgung (> 30 Jahre) aus. Im Rahmen der aktuellen Gesamtrevision des Richtplans wird die Bedarfsplanung aktualisiert. Dabei ist vorgesehen, neu Materialabbaugebiete als Festsetzung für die kurz- bis
- 4 - mittelfristige Versorgung (bis 2035) und Materialabbaugebiete als Vororientierung für die langfristige Versorgung (nach 2035) vorzuschlagen. Aufgrund des Richtplanbeschlusses sind die Gemeinden angehalten, mit ihren Nutzungsplänen sicherzustellen, dass die festgesetzten Materialabbaugebiete nicht mit Nutzungen belegt werden, welche einen späteren Abbau der Rohstoffe verhindern oder schwerwiegend einschränken. Mit den kommunalen Materialabbauzonen wird abhängig von der örtlichen Ausgangslage (zum Beispiel Investitionszyklen der jeweiligen Anlagen) in der Regel der regionale Kiesbedarf für einen Planungshorizont von 15 30 Jahren sichergestellt. Die Abbaubewilligungen erfolgen anschliessend in der Regel für einen Zeithorizont von 15 Jahren. Zur Frage 5 "Der Schulweg soll so gestaltet sein, dass ihn die Kinder selbständig, angstfrei und unter geringst möglicher Gefährdung zurücklegen können. Eine Entflechtung der Verkehrswege wurde in der Vergangenheit verschiedentlich vollzogen, stellen doch gemeinsame Fahrbahnen von radfahrenden Schülern und Schwerverkehr ein erhöhtes Unfallrisiko dar. Kiesabbau ist auf Schwerverkehr angewiesen. In wie vielen und welchen solchen Gebieten im Kanton Aargau müssen sich Schwerverkehr und Schulkinder noch die Fahrbahn teilen?" Schulwege werden im Kanton statistisch nicht speziell erfasst. Deshalb kann die Frage nicht direkt beantwortet werden. Aufschluss geben allenfalls die Zahlen zum kantonalen Radroutennetz, welches der Grosse Rat am 16. Januar 2001 beschlossen hat. Seit diesem Zeitpunkt werden aufgrund eines Realisierungsprogramms bis ins Jahr 2015 laufend Lücken im Netz geschlossen und Gefahrenstellen saniert. Noch zu realisieren sind aktuell ca. 50 km Radwege (von 270 km) und ca. 110 km Radstreifen (von 217 km). Neben den Radwegen und Radstreifen umfasst das kantonale Radroutennetz auch im Endausbau 463 km Mischverkehrstrassen, davon 160 km auf Kantonsstrassen (in der Regel mit einem durchschnittlichen täglichen Verkehr von weniger als 3'000 Motorfahrzeugen). Bei Schulwegen, welche nicht Teil des kantonalen Radroutennetzes sind, ist für gefährliche Situationen im Einzelfall eine Sanierung zu prüfen. In diesem Fall liegt die Zuständigkeit zur Entflechtung von Schulwegen und Fahrwegen beziehungsweise zur Ergreifung von flankierenden Massnahmen generell oder im Rahmen von Projekten (zum Beispiel Abbauvorhaben) hauptsächlich bei den Gemeinden. Zur Frage 6 "Es liegt im Interesse aller Verkehrsteilnehmer, dass in sensitiven Gebieten eine Entflechtung der Fahrbahnen ungleicher Verkehrsteilnehmer stattfindet. Mit welchen Massnahmen trägt der Kanton diesem Bedürfnis Rechnung? Bis wann werden die bestehenden Verflechtungen mit einem höheren Gefahrenpotenzial gelöst sein und den Schulkindern Fahrradwege zur Verfügung stehen?" Siehe Antwort zur Frage 5.
- 5 - Zur Frage 7 "Im Anschluss zum Thema Verkehrssicherheit der Fragen 5 und 6: Wer verfügt flankierende Massnahmen bei der Änderung bestehender Kiesabbaubetriebe? In wessen Verantwortlichkeit liegt und zu wessen Lasten erfolgt die Erstellung bzw. der Unterhalt und Betrieb von Fahrradstreifen, welche aufgrund bestehender oder neu erschlossener Kiesabbaugebiete notwendig werden?" Im Rahmen der Nutzungsplanung (Materialabbauzone) und der Abbaubewilligung werden entsprechende Massnahmen festgelegt. Dies, soweit der nachgewiesene Zusatzverkehr durch den Kiesabbau im konkreten Fall eine massgebende Grösse bezüglich der Verkehrssicherheit darstellt. Beispielsweise muss als Voraussetzung für einen Kiesabbau im Gebiet Oberbann in Rupperswil durch die Abbauunternehmung eine neue Radwegverbindung unter der Kantonsstrasse erstellt werden (siehe [09.15] Botschaft vom 14. Januar 2009). Zur Frage 8 "Der Kanton Aargau misst dem Gewässer- und Grundwasserschutz hohe Bedeutung zu. Insbesondere gelten strenge Richtlinien für Gewerbebetriebe, von welchen eine potenzielle Gefährdung von Gewässern und Grundwasser ausgehen könnte. Die Bewilligungspraxis solcher Betriebe ist restriktiv. Der Kiesabbau erfolgt häufig in Gebieten, welche dem Grundwasser nahe kommen. Unter welchen Auflagen kann die Kiesverarbeitung (z.b. Betonherstellung) über Grundwassergebieten erfolgen? Wie wird dem erhöhten Gefahrenpotenzial, das in sensitiven Gebieten von den für die Kiesverarbeitung notwendigen technischen Einrichtungen ausgeht, Rechnung getragen?" Die Kiesverarbeitung geschieht aufgrund der Nähe zu den Kiesvorkommen häufig über Grundwasservorkommen. Bei den sogenannt "sensitiven" Gebieten handelt es sich um Gewässerschutzbereiche zum Schutz nutzbarer unterirdischer Gewässer. Dieser wird gewährleistet, indem eine genügend mächtige Filter- und Interventionsschicht unterhalb des Kieswerkareals bis zum höchsten Grundwasserspiegel erhalten bleibt (deren Mächtigkeit beträgt im Fall des Kieswerks der Fischer Kies- und Beton AG in Staffelbach zum Beispiel mindestens 10 m). In besonders sensitiven Gebieten werden Grundwasserschutzzonen geschaffen, die dazu dienen, Trinkwassergewinnungsanlagen und das Grundwasser unmittelbar vor seiner Nutzung als Trinkwasser vor Beeinträchtigungen zu schützen. In solchen Gebieten dürfen keine Kiesgruben und keine Anlagen zur Kiesverarbeitung erstellt werden (planerischer Schutz des Grundwassers). Beim Bau eines Kies- oder Betonwerks über Grundwasservorkommen ist es ausserdem notwendig, dass der Platz verfestigt wird (betoniert oder asphaltiert), so dass kein verschmutztes Abwasser ins Grundwasser gelangen kann (bauliche Massnahme). Der Betrieb
- 6 - solcher Anlagen verlangt wiederum betriebliche Massnahmen zum Schutze des Grundwassers. So müssen in Gewässerschutzbereichen zum Schutz nutzbarer unterirdischer Gewässer mindestens die folgenden gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden: Die allgemeine Sorgfaltspflicht (Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer [Art. 3 und 6 Gewässerschutzgesetz, GSchG] vom 24. Januar 1991). Anlagen mit wassergefährdenden Flüssigkeiten müssen bewilligt, regelmässig kontrolliert und gewartet werden (Art. 19 und 22 GSchG). Abwasser muss soweit wie möglich wiederverwendet werden, betonhaltige Abwässer müssen vor der Einleitung in die Kanalisation neutralisiert werden (Anhang 3.2, Ziffer 1, Abs. 2 und Ziffer 2 Gewässerschutzverordnung [GSchV] vom 28. Oktober 1998). Kieswaschwässer dürfen nicht in die Kanalisation eingeleitet werden (Anhang 3.3, Ziffer 26 GSchV). Dies bedeutet zum Beispiel für ein Betonwerk: Abwässer dürfen nicht versickert werden, die Abwässer müssen wiederverwendet werden und Wasser gefährdende Flüssigkeiten sind in Auffangwannen zu lagern. Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 3'051.. REGIERUNGSRAT AARGAU