Besonderheiten der Versorgung von Schwerhörigkeiten mit Hörgeräten und Hörimplantaten bei Kindern Die 2 4 wichtigsten Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern R. Schönweiler sowie Hörzentrum Lübeck Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck Folien herunterladen: http://www.schoenweiler.de
1. Unterschied Bei Erwachsenen warten Ärzte darauf, dass sie sich als Patienten mit schlechtem Hören melden, erst dann passt man Hörgeräte an. (Ausnahme: Arbeitsmedizin.) Bei Kindern, und zwar allen, sucht man mehrfach nach Schwerhörigkeiten, mit drei Hörscreenings: 1. nach der Geburt (U3) 2. mit 3 ½ Jahren (U8) 3. mit 5-6 Jahren (Schuleingangsuntersuchung)
2. Unterschied Bei Erwachsenen kommt es nicht auf eine sofortige Hörgeräteversorgung an, d.h. eine um z.b. ein Quartal verzögerte Versorgung verursacht keine wesentlichen lebensverändernden Folgeschäden. Kinder, die mittel- oder hochgradig schwerhörig sind, lernen nie mehr normal sprechen, wenn sie jenseits des ersten Geburtstags erstversorgt werden. Fristen: Diagnose <= 3 Monate, Hörgeräte <= 6 Monate.
3. Unterschied In Deutschland gibt es für Erwachsenen nur die Hilfsmittelrichtlinie für Hörgeräteversorgung, die aber nicht versorgungsmedizinische Aspekte regelt. Bei Kindern ist die gesamte Versorgung durch staatliche Richtlinien geregelt und kontrolliert, wie für Impfungen oder meldepflichtigen Krankheiten. Andere Staaten haben sogar Früherkennungsgesetze oder staatliche Programme (USA, Australien, Niederlande, UK, DK). Vorschriften statt Spielraum!
4. Unterschied Die Hilfsmittelrichtlinien: ärztliche Verordnung und Erfolgskontrolle nur bei der Erstverordnung. Bei Folgeverordnung: nur soweit eine erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung geboten = de facto auch bei Erwachsenen bei den meisten zugrundeliegenden Krankheiten! Lebenslange ärztliche Behandlung wie Hypertonie, Diabetes, Asthma, COPD u.v.m.! Bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren: ärztliche Verordnung und Erfolgskontrolle grundsätzlich immer.
5. Unterschied Bei Jugendlichen und Erwachsenen reichen wenige subjektive und objektive Hörtests aus, um fast alle Hörgeräteindikationen zu klären. Kinder kooperieren je nach Entwicklungsalter nur bei einer bestimmten Auswahl an Tests, deshalb muss man eine Vielzahl von subjektiven und objektiven Tests vorhalten.
6. Unterschied Bei Jugendlichen und Erwachsenen streuen die Ergebnisse von Hörtests und Hörsystemerfolgskontrollen in der Regel sehr schmal um einen altersunabhängigen Mittelwert (geringe Varianz). Bei Kindern streuen die Ergebnisse breiter (größere Varianz), deshalb braucht man Wiederholungsmessungen und Plausibilitätskontrollen durch eine Vielzahl subjektiver und objektiver Tests.
7. Unterschied Jugendliche und Erwachsene haben einheitliche Normwerte: Pro Test eine einzige Tabelle für alle Patienten. Bei Kindern sind altersabhängige Normwerte zu beachten, ähnlich wie bei Intelligenztests und Sprachentwicklungstests. Und nicht nur bei psychoakustischen subjektiven Tests, sondern auch bei elektrophysiologischen Tests, z.b. bei den Latenzen der klickevozierten frühen Potentiale (Frühgeborene, unreife Neugeborene).
8. Unterschied Northern & Downs (ab 1984): What is hearing loss?
9. Unterschied Für Erwachsene gibt es flächendeckend eine große Auswahl an Hörgeräteakustikern. Bei Kindern sollten nur Pädakustiker mit einer zweijährigen Weiterbildung Hörgeräte anpassen, und dass sind nicht einmal 5 Prozent der Akustikerschaft. Betriebskrankenkassen: übernehmen sogar andernfalls die Kosten nicht! (Andere Kassen werden folgen.)
10. Unterschied Für Erwachsene bieten Hörgeräteakustiker eine Vielzahl verschiedener Bauformen, Ankopplungen, Komfortausstattungen und Zubehör von einer Vielzahl an Herstellern an. Für Kinder weltweit nur vier Hersteller: Phonak, Oticon, Resound (jedes Alter) und Widex (nur Säuglinge). Anpassung ohne Freiheiten: HdO, konventionelle Schallschläuche, weiche Otoplastiken, Induktionsspule, Audio-Eingang, alle Zusatzschaltungen deaktivieren
11. Unterschied Für Erwachsene gibt es eine Vielzahl von präskriptiven Formeln ( Anpassformeln ), die mit und ohne RECD bzw. in situ-messungen verwendet werden können, z.b. NAL-NL2, DSL v5.0, Perzentilanalyse. Bei Kindern sollte nur DSL v5.0 mit RECD verwendet werden. Niemals Perzentilanalyse!
12. Unterschied X Knochenleitungshörgeräte bei Erwachsenen: Am besten Implantate! Knochenleitungshörgeräte bei Kindern: In den ersten Lebensjahren Stirnband. Vor der Einschulung Knochenleitungs- (BCI) oder aktive Mittelohrimplantate (AMEI).
13. Unterschied Erwachsene: Hörgeräte mit Zubehör einer Übertragungsanlage nur beim Ausüben bestimmter Berufe aussichtsreich auf Erstattung (außerhalb des Regelfalls). Kinder: in Regelkindergärten und schulen können alle mit einer Übertragungsanlage ausgestattet werden. Analoge FM -Systeme werden in der neuen Leitlinie (ab etwa 9/2018) nicht mehr empfohlen, da sie nur ein einziges Mikrophon erlauben! Multimikrophontechnik ist zurzeit nur mit einem einzigen System möglich.
14. Unterschied Indikation zur Hörimplantatversorgung (CI, BCI, AMEI): Erwachsene können selbst entscheiden. Kinder können die Tragweite (speziell einer Ablehnung!) nicht ermessen - die Erziehungsberechtigten müssen entscheiden und oft zeitaufwendig überzeugt werden! Nichtbehandlung bei CI: ggf. Kindeswohlgefährdung! Für Indikation und Machbarkeit: Komorbiditäten berücksichtigen: nur (Fach-) Ärzte sind kompetent.
15. Unterschied BCI und AMEI werden bei Erwachsenen bei Schalleitungsschwerhörigkeiten und guter Knochenleitungshörverlustkurve eingesetzt, die fast immer subjektiv zuverlässig gemessen werden kann. Bei Kindern gelingt die Knochenleitungsmessung und die korrekte Vertäubung nur mit einer Knochenleitungs- BERA. Die Erstanpassung der Prozessoren ist schwieriger und langwieriger, sie soll in den implantierenden Kliniken durchgeführt werden.
16. Unterschied CI: Bei Erwachsenen Indikation fast nur durch Einsilberoder Satzverstehen mit Hörgeräten. Machbarkeit: subjektiver Promontoriumstest ausreichend. Indikation bei Säuglingen und Kleinkindern durch Kombination mehrerer subjektiver und objektiver Schwellwerte, Sprachentwicklung, ggf. Sprachverstehen. Ggf. Cochlear Microphonics zur Klärung einer ASAN. Machbarkeit: objektiver Promontoriumstest (E-BERA).
Fazit zur Versorgung von Schwerhörigkeiten mit Hörgeräten und Hörimplantaten Kinder gegenüber Jugendlichen und Erwachsenen: Mehr Messmethoden, Ausstattung, Zeit, Plausibilitätskontrollen, Wissen über Entwicklungspsychologie und physiologie, Richtlinien Weniger Hörgeräte- und Hörimplantatmodelle, Vielfalt, Freiheiten Andere Anpassstrategien und Nachsorgeprogramme
2 4 Besonderheiten der Versorgung von Schwerhörigkeiten mit Hörgeräten und Hörimplantaten bei Kindern * * *
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