A. N. Danilewsky 77 Inhalt von Kapitel 4 4 Kristallchemie... 78 4.1 Chemische Bindung und Koordination... 79 4.2 Konzept der dichtesten Kugelpackungen... 81 4.3 Strukturtypen... 84 4.3.1 Metalle... 84 4.3.2 Ionenkristalle... 85 4.3.3 Kovalente Strukturen... 86 4.3.4 Mischtypen... 87
78 Kristallographie I 4 Kristallchemie Mit der Symmetrielehre wurde Kristallgeometrie, also die mathematischen Punktlagen eines Raumgitters beschrieben. Die Bestzung dieser Punktlagen mit realen Bausteinen wie Atomen, Ionen oder Molekülen führt zum realen Kristallgitter. Die gegenseitig wirkenden Bindungskräfte dieser Bausteinen aus dem periodischen Sytem der Elemente bilden das Kristallgitter und bestimmen dessen Eigenschaften. Ziel der Kristallchemie ist die Beschreibung der Gesetzmäßigkeiten in der Anordnung bestimmter chemischer Bausteine unter definierten Bedingungen, sowie die resultierenden Eigenschaften. Nach Goldschmidt (1888-1947) und Laves kann man von 3 Bauprinzipien ausgehen: 1. Symmetrieprinzip: die Bausteine streben eine Anordnung mit der höchstmöglichen Symmetrie an 2. Prinzip der dichtesten Packung: die Bausteine streben eine möglichst dichte Raumerfüllung an 3. Wechselwirkungsprinzip: die Bausteine streben eine möglichst hohe Koordination an, d.h. eine Wechselwirkung mit möglichst vielen benachbarten Bausteinen Eine wichtige Rolle spielt daher der Bau der Atome und die resultierende chemische Bindung, deren Bindungskräfte den Zusammenhalt der Bausteine bewirken. Eine ausführliche Darstellung findet sich in den Vorlesungen zur Anorganischen und Analytischen Chemie.
A. N. Danilewsky 79 4.1 Chemische Bindung und Koordination Für einfache Kristallchemische Überlegungen kann das Bohrsche Atommodell verwendet werden: Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen Elektronen bewegen sich in der Atomhülle Die Atomhülle wird in bis zu 7 Hauptschalen unterteilt: Hauptquantenzahlen (K,L, M,...) In den Hauptschale sind nur max. 4 Grundformen der Elektronen-Zustände möglich: Orbitale (s-, p-, d-, f- Zustände mit den Nebenquantenzahlen 0, 1, 2, 3) Die systematische Besetzung dieser Orbitale führt auf das periodische System der Elemente Bei der chemischen Bindung treten die Aussenorbitale in Wechselwirkung Man unterscheidet nach Abb 4.1.1: Metallbindung: positve Atomrümpfe sind von einem Elektronengas umgeben (Au, Fe,...) Van-der-Waals-Bindung: reine elektrostatische Anziehung (zwischen Schichten von Graphit) Ionenbindung (heteropolar): positiv und negativ geladene Ionen werden durch elektrostatische Kräfte zusammengehalten (NaCl) Atombindung (kovalent): Überlappung von Orbitalen mit gemeinsamer paarweiser Nutzung von Bindungselektronen, gerichtete Bindung Abb. 4.1.1: Chemische Bindungen a) Metallische Bindung b) Van-der-Waals-Bindung c) Ionen- bzw. heteropolare Bindung d) Atom- bzw. kovalente Bindung (Beispiel sp 3 -Hybrid)
80 Kristallographie I Bei Kristallen mit kovalenter Bindung ist das Prinzip der dichtesten Packung meist nicht erfüllt, da durch die gerichtete Bindung sperrige Gerüste entstehen (z.b. Silikatstrukturen, die auf SiO 4 Tetradern beruhen). Koordinationszahl: Koordinationspolyeder: Zahl untereinander gleichartiger Bausteine, die ein Zentralatom umgeben, Angabe in eckiger Klammer: KZ [X] Polyeder, das durch die Verbindungslinien zwischen gleichartiger Bausteine um das Zentralatom gebildet wird (Abb. 4.1.2) a) b) c) Abb. 4.1. 2: Koordinationspolyeder a) Würfel, [8] b) Oktaeder [6] c) Tetraeder [4]
A. N. Danilewsky 81 Viele weitere Koordinationen sind möglich. Meist sind die KP nicht ideal ausgebildet sondern verzerrt. 4.2 Konzept der dichtesten Kugelpackungen Die meisten Atome oder Ionen lassen sich in guter Näherung als Kugeln beschreiben. Ausnahmen: elliptisches Cu 2+ und Pb 2+ (Jahn-Teller-Effekt) Dichtest gepackte Schichten gleichartiger Kugeln lassen sich in 2 unterschiedlichen Weisen übereinander stapeln. 1. Schichtfolge A B C, Abb. 4.2.1 a b c Abb. 4.2. 1: A-B-C Schichtfolge entspricht kubisch dichtester Packung 2. Schichtfolge A B - A, Abb. 4.2.2 a) kuboktaedrische Koordination [12] b) kubisch flächenzentrierte Zelle c) Stapelfolge in Richtung [111] a b c Abb. 4.2. 2: A B A Schichtfolge entspricht hex. dichtetser Packung a) Dichteste Packung A B KZ [12] b) hexagonale Zelle c) A B Stapelfolge nach [0001]
82 Kristallographie I Beispiele: am besten verwirklicht für Metalle. Die frei beweglichen Elektronen bewirken die gute elektrische Leitfähigkeit Kubisch dichteste Kugelpackung: Hexagonal dichteste Packung: Mg, Be, Zn,... Au, Ag,...γ-Fe (906 C), duktil Wenn sich die gleichartigen Kugeln alle berühren, bestehen zwischen ihnen symmetrische Hohlräume, Abb. 4.2.3 Abb. 4.2. 3: Lücken in dichtesten Kugelpackungen a) Aufsicht auf A B- Stapelfolge b) Oktaedrische Lücken in der Mitte der EZ c) Tetraedrische Lücken in der Mitte von 1/8-Würfeln - Jede Elementarzelle enthält 1 + 12/4 Hohlräume, die von 6 Kugeln umgeben sind: KZ [6] = oktaedrische Koordination, Oktaederlücken (Position ½ ½ ½ ganz und jeweils die Kantenmitten zu ¼) - Jede Elementarzelle enthält 8 Hohlräume, die von 4 Kugeln umgeben sind: KZ [4] = tetraedrische Koordination, Tetraederlücken (Positionen ¼ ¼ ¼, entspricht der Mitte einer 1/8 Einheitszelle) - Innerhalb einer Schicht zwischen 3 Kugeln befindet sich eine trigonal planare Lücke
A. N. Danilewsky 83 Raumerfüllung bzw. Packungsdichte: Verhältnis der Volumina der in der EZ enthaltenen Bausteine zum Volumen der EZ. Fürdie Anzahl Z gleich roßerkugeln: V Packungsdichte = V 4 Z π R Kugeln = 3 EZ V EZ Radius R = 1 a0 4 2 a 0 = 4R 2 3 V EZ = 4R 2 3 Für kubisch allseitig flächenzentriert ist Zahl der Formeleineheiten Z = 4 und damit die 2 Packungsdi chte = π = 0,74 6 derselbe Wert ergibt sich für die hexagonal dichteste Packung. Für die Besetzung der Lücken gilt mit R B = Radius der kugelförmigen Bausteine,die sich berühren und R A = Radius des Zentralbausteines ein Radienverhältnis für Kuboktaeder: R A /R B = 1,0 oktaedrischen Lücken: R A /R B = 0,41 tetraedrischen Lücken: R A /R B = 0,23
84 Kristallographie I 4.3 Strukturtypen 4.3.1 Metalle in Abb. 4.3.1: Abb. 4.3. 1: Strukturtypen von Metallen a) kubisch dichteste Packung (Au, Ag, Cu,...), [12], F m 3 m b) kubisch innenzentriert (W, α-fe,...), [8] c) kubisch primitiv (nur α-po), [6] d) Hexagonal dichteste Packung (Mg, Zn,...), [12], 6/mmm Zu a): Da die Schichtfolgen durch Gleitung in 4 (111)-Gleitebenen mit geringem Energieaufwand gegeneinander zu verschieben sind, sind Metalle dieses Strukturtyps duktil und leicht hämmerbar, Packungsdichte 0,74, z. B. Gold, Silber, Kupfer zu d): Da nur noch eine Gleitebene (0001) vorhanden ist, sind diese Metalle spröder, Packungsdichte 0,74 zu b): Da keine Gleitebene auftritt, sind diese Metalle noch spröder, Packungsdichte 0,68 Es lassen sich auch kompliziertere Stapelfolgen in der Natur finden: z.b. Americium: A B A C A B A C d.h. Verdoppelung der Mg Elementarzelle
A. N. Danilewsky 85 4.3.2 Ionenkristalle z. B. NaCl - Typ Steinsalz (Halit) NaCl, F m 3 m (Abb. 4.3.2): Kubisch dichteste Packung von Cl - - Anionen mit Na + - Kationen in den Oktaederzwickeln, Radienverhältnis 0,54 c) Abb. 4.3. 2: NaCl-Struktur a) Koordinationszahl [6] b) im Modell der dichtesten Packung andere Beschreibung: je ein kubisch flächenzentriertes Gitter Na + und Cl - um 1/2a ineinandergestellt jedes Cl - ist also oktaedrisch von Na + umgeben und umgekehrt, so daß formal von allseitig kantenverknüpften NaCl 6 Oktaedern gesprochen werden kann (Abb. 4.3.3)
86 Kristallographie I Abb. 4.3. 3: NaCl Struktur als allseitig kantenverknüpfte Oktaeder ebenso: LiCl, Radienverhältnis 0,43, auch CaO, etc. AB-Verbindungen mit Radienverhältnissen 0,41 0,73 kristallisieren meist in der NaCl- Struktur CsCl Typ, P m 3 m, analog Abb 4.6 b mit Zentralatom als Kation Cs + 2 kubisch primitive Zellen, die um ½ ½ ½ verschoben ineinandergestellt sind Koordinationszahl [8], KP Würfel AB Verbindungen mit Radienverhältnis > 0,73 kristallisieren in der CsCl - Struktur 4.3.3 Kovalente Strukturen z. B. Diamant, C, F d 3m, sp 3 Hybridisierung, Orbitale weisen in die Ecken eines Tetraeders Koordnationszahl [4], KP Tetraeder, kovalent Bindung => hohe Härte 10 (Abb. 4.3.4) Beschreibung analog Zinkblende, Abb. 4.3.6 4.3.8 Abb. 4.3. 4
A. N. Danilewsky 87 Beschreibung 1: jedes C-Atom ist tetraedrisch von 4 weiteren C-Atomen umgeben. Die C-Tetraeder sind über Ecken verknüpft => sperrige Struktur, geringe Packungsdichte (Abb. 4.3.4 und analog Abb. 4.3.7a) Beschreibung 2: 2 kubisch flächenzentrierte C-Gitter um ¼ ¼ ¼ ineinandergestellt Beschreibung 3: kubisch dichteste Packung von C-Atomen mit alternierender Bestzung der Hälfte der Tetraederzwickel 4.3.4 Mischtypen z. B. Graphit, C, P 6 3 /mmc Schichtgitter mit C- Sechserringen in Abb. 4.3.5 Koordinationszahl [3], Koordination in der Ebene trigonal planar Zwischen den auf Lücke A B gestapelten Schichten nur van-der-waalsche Kräfte => gute Spaltbarkeit nach (0001), schuppiges Verhalten ähnlich: Molybdänit, MoS 2 Abb. 4.3. 5: Graphit - 2H ZnS: Zinkblende und Wurzit (Abb 4.3.6) a) kubisches ZnS, Zinkblende, F 4 3m, [4], Tetraeder, analog Diamantstruktur, jedoch die beiden Teilgitter mit Zn- bzw, S- Atomen besetzt dadurch Symmetrieerniedrigung und ionische Bindungsanteile, nicht mehr rein kovalent b) hexagonales ZnS, Wurzit, P 6 3 mc ebenfalls [4], tetraedrische Koordination aber andere Verknüpfung der Tetraeder (Abb. 4.3.8) Abb. 4.3. 6: ZnS Struktur a) kubische Zinkblende b) hexagonaler Wurzit
88 Kristallographie I Wie in Abb. 4.3.7 und 4.3.8 gezeigt sind die Tetraeder unterschiedlich über ihre Ecken verknüpft: a) Zinkblende mit einem Inversionszentrum zwischen A und B Atom in Richtung [111] b) Wurzit mit einer Spiegelebene zwischen A und B Atom in Richtung [0001] a b Abb. 4.3.8: Verknüfung der ZnS Tetraeder in a) Zinkblende b) Wurzit Auch die ZnS Struktur läßt sich über verknüpfte Koordinationspolyeder beschreiben: allseitig eckenverknüpfte ZnS 4 Tetraeder (Abb. 4.3.8) (b) Abb. 4.3.7: ZnS Struktur als eckenverküpfte Tetraeder a) Zinkblende b) Wurzit Zinkblende- und Wurzit_Anordnung unterscheiden sich durch eine Drehung der Tetraeder in in jeder 2. Schicht bei Wurzit (Abb. 4.3.7b). Polymorph: Kristalle gleicher chemischer Zusammensetzung, die unter verschiedenen thermodynamischen Bedingungen in verschieden Strukturtypen kristallisieren Isotyp: Kristalle unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung die in demselben Strukturtyp kristallisieren Isomorph: Mischkristallbildung zwischen isotypen Kristallen