Schlussrechnung, Modellbildung und Interpolation



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Transkript:

Schlussrechnung, Modellbildung und Interpolation Franz Pauer Institut für Mathematik, Universität Innsbruck, Technikerstr. 13, A-6020 Innsbruck, Österreich. Franz.Pauer@uibk.ac.at 1 Einleitung Schlussrechnungen werden ausführlich in der 6. Schulstufe besprochen. Vielen Schülerinnen und Schülern fällt dieses Thema nicht leicht - und das mit gutem Grund. Denn es müssen dabei drei grundlegende mathematische Tätigkeiten ausgeführt werden: modellieren, interpolieren (dazu lineare Gleichungen lösen) und eine Funktion auswerten. Schlussrechnungen werden auch als Dreisatz-Rechnungen bezeichnet. Das spiegelt gut die Struktur Modellieren - Interpolieren - Auswerten wieder. Besonders dann werden solche Aufgaben schwierig, wenn der erste Teil, das Modellieren, als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Der österreichische Lehrplan der AHS-Unterstufe (vom 11. Mai 2000) weist ausdrücklich auf die Wichtigkeit des Modellierens hin: Das Bilden mathematischer Modelle und das Erkennen ihrer Grenzen soll zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Aussagen führen, die mittels mathematischer Methoden entstanden sind. Folgende mathematische Grundtätigkeiten sind zu entwickeln: Kritisches Denken, insbesondere: Überprüfen von Vermutungen; Überprüfen von Ergebnissen; Erkennen von Unzulänglichkeiten mathematischer Modelle; Erkennen von Mängeln in Darstellungen oder Begründungen. In [5] hat Wolfgang Schlöglmann auf die weit über die Mathematik hinausgehende Bedeutung des ersten Schrittes der Schlussrechnung hingewiesen: In einer Welt, in der immer stärker mathematische Methoden verwendet werden, wenn auch oft nur, um den Anschein der Wissenschaftlichkeit oder Unantastbarkeit zu erwerben, ist es notwendig, daß die Problematik des 1 91

Modells allen Schülern zugänglich gemacht wird. Dies muß vor allem auch als Beitrag der Mathematik zur demokratischen Erziehung gesehen werden, denn die Demokratie erfordert die Möglichkeit der Bürger zur Kontrolle und damit auch die Entmystifizierung der sogenannten Sachentscheidungen. In diesem Text werden Schlussrechnungen analysiert, zuerst an Hand eines einfachen Beispiels (Abschnitt 2), dann werden die drei Schritte der Schlussrechnung erläutert und die dazu nötigen Begriffe der Mathematik zusammengestellt: Modellieren (Abschnitt 3), Interpolation (Abschnitt 4) und Auswerten einer Funktion (Abschnitt 5). Dieser Beitrag ist die schriftliche Ausarbeitung meines Vortrages beim Lehrerfortbildungstag am 13. April 2007 in Wien. 2 Ein Beispiel Die Aufgabe Fritz zahlt für 2 kg Äpfel 4 Euro, wieviel hätte er für 3 kg zahlen müssen? ist nicht eindeutig lösbar. Die vielleicht erwartete Antwort 6 Euro setzt voraus, dass der Preis linear vom Gewicht abhängt (oder, anders formuliert, dass der Preis dem Gewicht direkt proportional ist). Wenn ein Obsthändler das Sonderangebot Nimm 3, zahl 2 macht, wäre die Antwort aber 4 Euro. Der Zusammenhang von Gewicht und Preis muss in diesem Fall anders modelliert werden. Wenn eine Ware in ausreichendem Maß zur Verfügung steht, dann bekommen Kunden, die viel kaufen, üblicherweise Rabatt. Umgekehrt steigt der Preis von knappen Gütern, wenn viel gekauft wird. Ein solches knappes Gut ist zum Beispiel Parkzeit in der Innsbrucker Innenstadt: 30 Minuten Parkzeit kosten 50 Cent, 90 Minuten kosten nicht dreimal so viel, sondern 2 Euro. Wir lösen nun die oben gestellte Aufgabe: 1. Schritt: Modellierung Zuerst müssen Annahmen über den Zusammenhang von Gewicht und Preis von Äpfeln gemacht bzw. (vom Händler) vorgegeben werden. Nach Wahl der Einheiten Euro für den Preis und Kilogramm für das Gewicht können wir Preis und Gewicht durch rationale Zahlen beschreiben. Der Zusammenhang zwischen ihnen wird durch eine Funktion 2 92

p : Q Q, a Preis in Euro von a Kilogramm Äpfel beschrieben. (Mit Q bezeichnen wir die Menge aller rationalen Zahlen). Welche Eigenschaften soll diese Funktion haben? Wir nehmen an, dass sich der Preis verdoppelt, halbiert, verdreifacht,..., wenn man das Gewicht verdoppelt, halbiert, verdreifacht,.... Kurz geschrieben: Für alle c, x Q soll p(c x) = c p(x) sein ( Der Preis des c-fachen Gewichts ist das c-fache des Preises ). Das heißt: wir nehmen an, dass die Funktion p linear ist. (Die Überlegung je größer das Gewicht, desto größer der Preis führt nicht notwendig zur Annahme, dass p linear ist. Sie ist ja auch dann noch gültig, wenn es Preisnachlässe gibt.) Vorsicht: Ich verwende hier die in Büchern über Lineare Algebra übliche Definition des Begriffes lineare Funktion. In Schulbüchern werden diese Funktionen oft als homogene lineare Funktionen bezeichnet. Jede lineare Funktion f von Q nach Q ist eindeutig durch ihren Funktionswert f(1) in 1 bestimmt: f(x) = f(x 1) = x f(1). Es ist zu beachten, dass wir die gesuchte Funktion p noch nicht kennen. Das gewählte Modell ist nicht eine lineare Funktion, sondern die Menge aller linearen Funktionen von Q nach Q. 2. Schritt: Interpolation Wir nehmen nun an, dass im Geschäft, in dem Fritz einkauft, der Zusammenhang von Gewicht und Preis linear ist (oder: dass Gewicht und Preis direkt proportional sind) und wollen die lineare Funktion p, die diesen Zusammenhang beschreibt, berechnen. Wir wissen aus der Aufgabenstellung: p(2) = 4. Es ist also die Interpolationsaufgabe Finde eine lineare Funktion von Q nach Q, deren Wert an der Stelle 2 gleich 4 ist zu lösen. Weil p linear ist, ist diese Funktion durch p(1) eindeutig bestimmt. Wegen 4 = p(2) = 2 p(1) können wir (durch Lösen einer linearen Gleichung in einer Unbekannten) p(1) (den Preis von 1 Kilogramm Äpfel) ausrechnen. Damit ist p gut beschrieben: p(x) = x p(1) = 2x. 3 93

In Worten: Der Preis von x Kilogramm Äpfeln ist 2x Euro. Dieses Ergebnis wurde aus der Annahme, dass p linear sein sollte, und der Vorgabe p(2) = 4 durch Lösen einer linearen Gleichung berechnet. 3. Schritt: Auswerten Um die Schlussrechnung zu beenden, müssen wir noch p in 3 auswerten (in diesem Fall bedeutet das, dass eine Multiplikation durchzuführen ist): p(3) = 2 3 = 6. Wenn nun Fritz 3 kg Äpfel kauft und nicht 6 Euro bezahlen muss, dann haben wir uns nicht verrechnet, sondern unsere Modellierung des (vom Händler vorgegebenen) Zusammenhanges von Gewicht und Preis (also die Annahme, dass die Funktion p linear ist) war nicht adäquat, sie müsste in diesem Fall verändert werden. Wer bei einer Schlussrechnung eine eindeutige Antwort erwartet, muss dazu das Modell vorgeben. Die Aufgabe Ein Schiff wiegt 30 Tonnen. Sein Kapitän ist vierzig Jahre alt. Wie alt ist der Kapitän eines Schiffes, das 45 Tonnen wiegt? könnte nur dann gelöst werden, wenn das Alter des Kapitäns eines Schiffes nur von dessen Gewicht abhinge und wenn ausreichend viele Eigenschaften der Funktion, die diesen Zusammenhang beschreibt, bekannt wären. 3 Modellieren Für die mathematische Beschreibung von Beziehungen bzw. Zusammenhängen zwischen Mengen werden häufig Funktionen verwendet. Im Weiteren verwende ich die folgenden Begriffe und Schreibweisen: Eine Funktion von einer Menge M nach einer Menge N ist eine Vorschrift, die jedem Element von M genau ein Element von N zuordnet. M heißt dann der Definitionsbereich und N der Wertebereich der Funktion. Die Schreibweise f : M N, m f(m), bedeutet, dass f eine Funktion von M nach N ist, die dem Element m M das Element f(m) N zuordnet. Das Element f(m) heißt Bild von m (bezüglich f). Ein Element m M mit f(m) = n N heißt ein Urbild von n (bezüglich f). Mit jeder Funktion sind zwei grundlegende Aufgaben der Mathematik verbunden: 4 94

Die Aufgabe, zu einer gegebenen Funktion f und einem Element m des Definitionsbereichs das Bild f(m) zu bestimmen, heißt eine Funktion auswerten. Die Aufgabe, zu einer gegebenen Funktion f und einem Element n des Wertebereichs die Menge aller Urbilder von n zu bestimmen, heißt eine Gleichung (cf. [4], Seite 83). Zur Erinnerung: Wenn M und N rationale Vektorräume sind, dann ist eine Funktion linear, wenn für alle x, y M und c Q gilt: f(x + y) = f(x) + f(y) und f(c x) = c f(x). (Wenn M eindimensional ist, dann folgt die erste Bedingung aus der zweiten). Wir betrachten im Folgenden die Menge F (M, Q) aller Funktionen von einer Menge M nach Q. In dieser Menge kann in natürlicher Weise addiert und mit rationalen Zahlen multipliziert werden: Seien f und g Funktionen von M nach Q und sei c eine rationale Zahl. Dann sind die Funktionen f + g bzw. c f durch (f + g)(z) = f(z) + g(z) bzw. (c f)(z) = c f(z), für alle z M definiert. Dabei gelten die Rechenregeln eines Vektorraums (cf. [3]). Wenn wir eine Funktion von M nach Q zur Beschreibung einer Situation finden wollen, legen wir zuerst Eigenschaften fest, die diese Funktion haben soll. Häufig ist dann die Menge aller Funktionen, die diese Eigenschaften haben, ein Untervektorraum (das ist eine nicht leere Teilmenge mit der folgenden Eigenschaft: sind f und g Elemente der Teilmenge und ist c eine rationale Zahl, dann sind auch f + g und c f Elemente dieser Teilmenge) von F (M, Q). Dieser heißt dann ein Modell der Situation. Beispiele: Die Menge aller linearen Funktionen von Q n nach Q ist ein Untervektorraum von F (Q n, Q). (Im Abschnitt 2 haben wir diesen Untervektorraum als Modell gewählt, dabei war n = 1). Die Menge aller Polynomfunktionen, deren Grad kleiner als eine vorgegebene positive ganze Zahl ist, ist ein Untervektorraum von F (Q, Q). (Polynomfunktionen, deren Grad kleiner als 2 ist, heißen in Schulbüchern oft lineare Funktionen, in Büchern über Lineare Algebra aber meistens affine Funktionen ). 5 95

Die Menge {f c : Q \ {0} Q f c (x) = c/x, c Q} ist ein Untervektorraum von F (Q \ {0}, Q) (und beschreibt die indirekte Proportionalität). 4 Interpolation Eine Interpolationsaufgabe ist durch paarweise verschiedene Elemente t 1,..., t n einer Menge M (diese Elemente heißen Stützstellen) und durch rationale Zahlen y 1,..., y n gegeben. Gesucht ist eine interpolierende Funktion g F (M, Q) mit der Eigenschaft g(t i ) = y i, 1 i n. In dieser allgemeinen Form hat eine Interpolationsaufgabe beliebig viele Lösungen (wenn man vom trivialen Fall M = {t 1,..., t n } absieht). Die Auswertungsfunktion A : F (M, Q) Q n, f (f(t 1 ),..., f(t n )) ist linear. Eine interpolierende Funktion ist ein Urbild von (y 1,..., y n ) Q n unter der Auswertungsfunktion. Wir wählen einen Untervektorraum V des Vektorraums F (M, Q) aller Funktionen von M nach Q so, dass die Einschränkung der Auswertungsfunktion auf V bijektiv ist, das heißt, das jedes Element von Q n genau ein Urbild in V hat. Verlangt man, dass die interpolierende Funktion in V liegt, dann ist sie eindeutig bestimmt. Sie zu berechnen bedeutet, eine lineare Gleichung (bzw. ein System linearer Gleichungen) zu lösen. Beispiele: 1.) Fritz kauft 2 kg Mehl und 1 kg Zucker und bezahlt dafür 4 Euro, Anna kauft 1 kg Mehl und 3 kg Zucker und bezahlt dafür 4.5 Euro. Wieviel hätten sie für 1 kg Mehl und 2 kg Zucker bezahlen müssen? Die Einkäufe von Fritz und von Anna können durch die Zahlenpaare t 1 := (2, 1) und t 2 := (1, 3) beschrieben werden. Der Zusammenhang zwischen den eingekauften Waren und ihrem Gesamtpreis wird also durch eine Funktion von Q 2 nach Q beschrieben. Wir nehmen an, dass diese Funktion linear ist (das heißt: Hätte Fritz oder Anna doppelt, dreimal,... soviel gekauft, hätte er oder sie doppelt, dreimal,... soviel bezahlt. Hätten Fritz und Anna die eingekauften Waren gemeinsam bezahlt, dann hätten sie die Summe dessen bezahlt, was sie getrennt bezahlt haben.) 6 96

Sei g die gesuchte lineare Funktion. Als lineare Funktion ist sie eindeutig durch die Funktionswerte von (1, 0) und von (0, 1) bestimmt. Sind diese a und b, dann ist g(x, y) = ax + by, für alle x, y Q. Die Auswertungsfunktion bildet g auf ab. Dieses Zahlenpaar soll gleich sein. Durch Lösen des Systems (g(2, 1), g(1, 3)) = (2a + b, a + 3b) (y 1, y 2 ) := (4, 4.5) 2a + b = 4 a + 3b = 4.5 von zwei linearen Gleichungen in zwei Unbekannten erhalten wir (a, b) = (1.5, 1), also g(x, y) = 1.5 x + y. 2.) Ein Thermometer zeigt um 8 Uhr 10 Grad, um 12 Uhr 18 Grad und um 17 Uhr 16 Grad Celsius. Welche Temperatur zeigte es um 10 Uhr? Zeit und Temperatur können durch rationale Zahlen beschrieben werden. Der Zusammenhang zwischen Zeit und Temperatur kann durch eine Funktion von Q nach Q beschrieben werden, näherungsweise vielleicht (im Zeitintervall von 7 bis 19 Uhr) durch eine Polynomfunktion, deren Grad kleiner oder gleich 2 ist. Als Modell wählen wir dann die Menge V aller Polynomfunktionen, deren Grad kleiner oder gleich 2 ist. Sei die Polynomfunktion in V mit Durch Lösen des Systems h : Q Q, x c 0 + c 1 x + c 2 x 2, h(8) = 10, h(12) = 18, h(17) = 16. c 0 + 8c 1 + 64c 2 = 10 c 0 + 12c 1 + 144c 2 = 18 c 0 + 17c 1 + 289c 2 = 16 von drei linearen Gleichungen in drei Unbekannten (oder mit Lagrangeoder Newtoninterpolation, siehe [1], Chapter 6, und [2], Abschnitt 15) erhalten wir c 0 = 142 5, c 1 = 20 3, c 2 = 7 30. 7 97

5 Auswerten Wenn nach Wahl eines Modells durch das Lösen einer Interpolationsaufgabe eine Funktion g bestimmt wurde, die den Zusammenhang der Daten in der betrachteten Situation (vermutlich) gut beschreibt, ist noch eine letzte Aufgabe zu erfüllen: die Funktion g in einem gegebenen Element des Definitionsbereichs auszuwerten. Im Beispiel 1 von Abschnitt 4 liefert g(1, 2) = 1.5 + 2 = 3.5 die Antwort: Für 1 kg Mehl und 2 kg Zucker hätten Fritz und Anna 3.5 Euro bezahlen müssen. Im Beispiel 2 von Abschnitt 4 berechnet man h(10) = 224 15 man, dass es um 10 Uhr ca. 15 Grad hatte.. Daraus schließt Das Auswerten von linearen Funktionen und von Polynomfunktionen ist einfach, es erfordert nur das mehrfache Ausführen der vier Grundrechnungsarten. Das ist einer der Gründe für die große Bedeutung der Polynomfunktionen: sie eignen sich gut als einfache Modelle. Das Auswerten etwa von Exponentialfunktionen oder Winkelfunktionen ist im allgemeinen nicht exakt möglich, die Berechnung guter Näherungswerte kann sehr aufwendig sein. Literatur [1] Kostrikin, A.: Introduction to Algebra. Springer-Verlag, New York 1982 [2] Lüneburg, H.: Kleine Fibel der Arithmetik. BI-Wissenschaftsverlag, Mannheim 1988 [3] Pauer, F.: Was sind Vektoren? Wozu braucht man sie? Didaktikhefte 37, 87-98, Österreichische Mathematische Gesellschaft, Wien 2006 [4] Pauer, F.: Gleichungen - Aufgabenstellungen und Lösungsstrategien. Didaktikhefte 39, 81-91, Österreichische Mathematische Gesellschaft, Wien 2007 [5] Schlöglmann, W.: Die Schlußrechnung vom Modellstandpunkt betrachtet. Didaktik der Mathematik 3, 210-216, 1982 8 98