Rechtsgrundlagen für Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt 11. Hans Böckler Forum zum Arbeits- und Sozialrecht Forum 1 Das BTHG und Teilhabe im Betrieb Berlin, 2.3.2017 Prof. Dr. Katja Nebe, Universität Halle-Wittenberg 1
Gliederung 1. Rechtsgrundlagen 2. Von Exklusion zu Inklusion - aktuelle Fakten 3. Betriebe als Ort der Inklusion 4. Verknüpfung von Arbeits- und Sozialrecht 5. Kollektive Verantwortung 2
1. Völkerrecht und EU-Recht die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gilt seit dem 26.03.2009 im Rang eines Bundesgesetzes Art. 27 Abs. 1 UN-BRK: Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen [engl. Fassung: inklusiv]und zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Diskriminierungsverbot schließt Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen ein (Artt. 27, 2 UN- BRK) 3
1. Völkerrecht und EU-Recht Klare Regelungen in der RL 2000/78/EG -> Verbot der Diskriminierung wegen Behinderung bei Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung -> Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen (Art. 5 RL) Außerdem: Ratifikation der UN-BRK durch EU -> Verstärkung der Wirkung der UN-BRK -> rasche Rezeption durch EuGH -> Auslegung der RL 2000/78/EG orientiert an UN-BRK, z.b. - Ring, Skouboe Werge, 11.4.2013, C-335/11 (chronische Erkrankung als Behinderung) - Rs. Italien, 4.7.2013, C-312/11 (angemessene Vorkehrungen unabhängig von Schwere der Beeinträchtigung) 4
1. Nationales Antidiskriminierungsrecht -> Verfassung (Artt. 3 Abs. 2, 3 GG) -> Einfaches Recht, z.b. > Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) > SGB IX (Schwerbehindertenrecht und BEM) > Berufsbildungsgesetz Konkrete Normen, bspw. - Verbot der Diskriminierung ( 1, 7 AGG; 81 Abs. 2 SGB IX/ 164 SGB IX n.f.) - Positive Maßnahmen im Bewerbungsverfahren ( 81 Abs. 1, 82 SGB IX / 164, 165 SGB IX n.f.) - Pflicht zu behinderungsgerechter Beschäftigung ( 81 Abs. 4 SGB IX / 164 Abs. 4 SGB IX n.f.) - Behinderungsgerechte Ausbildung ( 64 ff. BBiG) 5
2. Von Exklusion zu Inklusion aktuelle Fakten Staatenbericht Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der UN-BRK -> Empfehlungen des CRPD-Ausschusses (2015) nach der Staatenprüfung im Bereich Arbeit: Der Ausschuss ist besorgt über (a) (b) (c) Segregation auf dem Arbeitsmarkt des Vertragsstaates; finanzielle Fehlanreize, die Menschen mit Behinderungen am Eintritt oder Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt hindern; den Umstand, dass segregierte Behindertenwerkstätten weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern. Nachzulesen: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/monitoring-stelle-unbrk/staatenpruefung/ 6
2. Von Exklusion zu Inklusion - aktuelle Fakten Teilhabebericht BRegierung v. 31.7.13 (BT-Drs. 17/14476): Positiv: - Beschäftigungsanstieg von swb oder gleichgestellten Menschen von 916.000 (2005) auf > 1 Mio. (2010) und 1,2 Mio. (2014) Teilhabebericht 2016 Problematisch für beeinträchtigte Menschen: - Erwerbslosenquote - Dauer der Arbeitslosigkeit - Beschäftigung häufiger unter Qualifikation, zu geringeren Stundenlöhnen und in Teilzeit - steigende Zahl Beschäftigter im ArbBereich der WfbM 7
Erwerbslosenquote 2. Von Exklusion zu Inklusion - aktuelle Fakten Dauer der Arbeitslosigkeit Anzahl der Beschäftigten in den Arbeitsbereichen der WfbM 8
Beschäftigung unter Ausbildungsniveau Mit Beeinträchtigung Ohne Beeinträchtigung Berufsausbildung (Fach)Hochschulabschluss Berufsausbildung (Fach)Hochschulabschluss Männer 25% 33% 21% 19% Frauen 27% 30% 26% 28% Fazit (vgl. Nationaler Aktionsplan 2.0 (v. 28.6.2016), S. 34): - Beeinträchtigungen als erhebliches Risiko von der Teilhabe an Erwerbsarbeit ausgeschlossen zu werden, - Arbeitsmarktintegration hängt [von] einer barrierefreien Arbeitsumgebung ab. 9
3. Betriebe als Ort der Inklusion Erreichbar: nur im Wege eines Leitbildwechsels, d.h. Statt - Reaktion und Exklusion, Vielmehr - Arbeitsrecht für Normalarbeitnehmer und Sozialrecht für sozial Bedürftige und - Risikoverwirklichung an Schnittstellen - Prävention, Diskriminierungsschutz und Teilhabesicherung - Komplementarität von Arbeits- und Sozialrecht für menschengerechte Erwerbsbiografien - Management zur Überleitung an Nahtstellen 10
3. Betriebe als Ort der Inklusion -> Überleitung in die Betriebe, Beispiele: - Überleitungspflichten der Leistungserbringer - vgl. 35 Abs. 2 SGB IX / 51 Abs. 2 n.f. Werden Leistungen zur beruflichen Ausbildung in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ausgeführt, sollen die Einrichtungen bei Eignung der behinderten Menschen darauf hinwirken, dass Teile dieser Ausbildung auch in Betrieben und Dienststellen durchgeführt werden. Die Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation unterstützen die Arbeitgeber bei der betrieblichen Ausbildung und bei der Betreuung der auszubildenden behinderten Jugendlichen. - 136 Abs. 1 S. 3 SGB IX / 219 Abs. 1 S. 3 n.f. Sie [die Werkstatt für behinderte Menschen] fördert den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen. -> korrespondierende Aufnahmepflicht der Betriebe? 11
3. Betrieb als Ort der Inklusion - Mitwirkung der Arbeitgeber bei Aufnahme - 72 Abs. 2 SGB IX / 155 Abs. 2 n.f. Arbeitgeber mit Stellen zur beruflichen Bildung, insbesondere für Auszubildende, haben im Rahmen der Erfüllung der Beschäftigungspflicht einen angemessenen Anteil dieser Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. - 83 SGB IX / 166 Abs. 1 n.f. Die Arbeitgeber treffen mit der Schwerbehindertenvertretung eine verbindliche Inklusionsvereinbarung. In der Vereinbarung können insbesondere auch Regelungen getroffen werden 1. zur angemessenen Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier, frei werdender oder neuer Stellen, 4. zur Ausbildung behinderter Jugendlicher,. 12
4. Verknüpfung von Arbeits- und Sozialrecht These: Das Recht auf Arbeit behinderter Menschen lässt sich nur realisieren und ein inklusiver Arbeitsmarkt nur verwirklichen, wenn Sozialrecht und Arbeitsrecht im wechselseitigen Zusammenwirken ihren Beitrag zur betriebsnahen und betrieblichen (Re)Habilitation leisten. 13
4. Verknüpfung von Arbeits- und Sozialrecht Klare Verantwortung der Arbeitgeber: - Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen ( 241 Abs. 2, 618 BGB), vgl. BAG, 19.12.2013, 6 AZR 190/12 - positive Maßnahmen (vgl. 5 AGG) - Barrierefreiheit (vgl. 3a ArbStättV) -> im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Verhältnismäßigkeit herstellen durch Unterstützung in Form von Beratung, Managementleistungen und Sozialleistungen, bspw.: Unterstützte Beschäftigung, 38a SGB IX / 55 n.f. Assistierte Ausbildung, 130 SGB III Budget für Arbeit (künftig 61 SGB IX idf. ab 1.1.2018) mit dauerhaftem Minderleistungsausgleich und Anspruch auf Arbeitsplatzbegleitung begleitende Hilfen im Arbeitsleben durch das Integrationsamt, 102 ff. SGB IX / 185 n.f. Lebendige Verknüpfung durch kollektive Vereinbarungen 14
5. Kollektive Verantwortung - 83 SGB IX / 166 n.f. - Die Arbeitgeber treffen mit der Schwerbehindertenvertretung und den in 93 genannten Vertretungen [BR, PR usw.] eine verbindliche Inklusionsvereinbarung. - Mitwirkung des Betriebsrates - 80 Abs. 1 BetrVG Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben: Nr. 4 die Eingliederung schwerbehinderter Menschen einschließlich der Förderung des Abschlusses von Inklusionsvereinbarungen nach 83 SGB IX und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen zu fördern; " - Erst recht Tarifvertragsparteien!! - Art. 9 Abs. 3 GG wahrnehmen! - Vorbild: EU-Rahmenvereinbarung über integrative Arbeitsmärkte (2010) - Diskriminierende Regeln beseitigen, vgl. nur 33 TVöD - Übergangsermöglichende Tarifbestimmungen schaffen; Tarifverantwortung nicht nur für Normalarbeitnehmer, sondern für Beschäftigte (vgl. 2 ArbSchG, 6 AGG u.a.) 15
www.reha-recht.de Weitere Quellen Zeitschrift Recht & Praxis der Rehabilitation (in Kürze: www.rp-reha.de) www.rehafutur.de www.gemeinsam-einfach-machen.de 16
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 17