Immissionsschutzrecht und der Bau von Stuttgart 21 Baulärm Informationsveranstaltung am 15. Juli 2015 im Rathaus der Landeshauptstadt Stuttgart Rechtsanwalt und Mediator Bernhard Ludwig 1
Übersicht Regeln für den Lärm Regeln im Planfeststellungsbeschluss Immissionsrichtwerte der AVV-Baulärm Gesundheitsgefährdender Lärm Umsetzung Beispiele Passiver Schallschutz Vollzugskontrolle durch das EBA Rechtsschutz 2
Die Regeln für den Lärm Die Planfeststellungsbeschlüsse (PFB) regeln konkret den baubegleitenden Immissionsschutz (gemäß 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG, dem Bundesimmissionsschutzgesetz und der AVV- Baulärm) Beispiel: Tenor des PFB 1.1 vom 28.01.2005 (Tiefbahnhof und Talquerung) Seite 44 ff.: 3.3.1. Die Vorhabenträgerin hat sicherzustellen, dass in allen Bereichen die Bestimmungen der AVV-Baulärm vom 19. August 1970 eingehalten werden. 3.3.3. Immissionsschutzbeauftragter für Auskunft an Betroffene ( ) 3
PFB 1.1 - Lärmschutz 3.3.4. Abschnittsübergreifende Detailgutachten sind rechtzeitig vor Baubeginn dem Eisenbahn-Bundesamt (EBA) vorzulegen ( ) 3.3.6. Die Entscheidung über die konkreten Schutzmaßnahmen behält sich das Eisenbahn-Bundesamt auf Grundlage der Detailgutachten gemäß 74 Abs. 3 VwVfG vor. 3.3.7. Vorrang aktiven Schallschutzes. Nur wenn sich dadurch Immissionskonflikte nicht vollständig ausschließen lassen, haben die betroffenen Anspruch auf passiven Schallschutz, sofern Überschreitungen der Richtwerte der AVV-Baulärm, Stand August 1970, Ziffer 3 um mehr als 5 db(a) für einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten prognostiziert wurde ( ) 4
PFB 1.1 - Lärmschutz 3.3.8. Die Vorhabenträgerin (DB Netz AG) muss für Lärmmessungen einen Sachverständigen beauftragen, Messpunkte festlegen, zur Beweissicherung die Lärmmessungen dokumentieren und die Betroffenen auf Verlangen informieren. 3.3.9. Sind (weiter gehende) Schutzmaßnahmen technisch nicht möglich oder mit verhältnismäßigem Aufwand nicht realisierbar, ist den Betroffenen für die Beeinträchtigung von Wohnräumen von der Vorhabenträgerin eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. 5
Immissionsrichtwerte der AVV Baulärm Gebiete mit gewerblichen Anlagen und Wohnungen, in denen noch vorwiegend Wohnungen untergebracht sind: 60 db(a) tags / 45 db(a) nachts Gebiete, in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht sind: 55 db(a) tags / 40 db(a) nachts Gebiete, in denen ausschließlich Wohnungen untergebracht sind: 50 db(a) tags / 35 db(a) nachts o Diese Werte beziehen sich auf sog. Mittelungspegel. Zusätzlich darf nachts kein Messwert (Lärmspitzen) die Richtwerte um mehr als 20 db(a) überschreiten (Nr. 3.1.3 Satz 2 AVV Baulärm). o Nachtzeit ist von 20.00 h bis 07.00 Uhr. o Immissionsort: 0,5 m vor dem geöffneten Fenster (Messort) 6
Gesundheitsgefahr durch Lärm I Verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle liegt bei Dauerschall von 70 db(a) tags und 60 db(a) nachts, oberhalb derer der Staat regelmäßig zur Abwehr einer Gesundheitsgefährdung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie eines unzumutbaren Eingriffs in das Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG verpflichtet ist. vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10.11.2014-10 S 1663/11 m.w.n. Diese Schwelle dürfte auch für einen Gesamtlärmpegel aus Baulärm und Fremdgeräuschen gelten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.1996-4 C 9/95 BVerwGE 101, S. 1, (9)). In diesen Fällen muss der Staat gegen Lärm vorgehen (kein Ermessen). 7
Gesundheitsgefahr durch Lärm II Nach dem bis zum Jahre 2000 erreichten Stand der Lärmwirkungsforschung sollten Dauerschallpegel am Ohr einer schlafenden Person in einem Bereich zwischen 30 und 35 db(a) und Pegelspitzen in der Größenordnung von 40 db(a) nicht überschritten werden (BVerwG, Urteil vom 7. März 2007 9 C 2/06). Nach der Lärmwirkungsforschung besteht Gesundheitsgefahr schon ab 60-65 db(a); Hörschäden drohen ab 80-85 db(a) Wie hört sich Lärm an? 60 db(a)= Zimmerlautstärke 70 db(a) = Staubsauger, Rasenmähe r oder Schreibmaschine 80 db(a) = Pkw-Verkehr 90 db(a) = Lkw-Verkehr Beachte: 2 gleich laute Geräusche erhöhen den Gesamtlärmpegel um 3 db(a), d.h. eine Erhöhung um 3 db(a) entspricht einer Verdoppelung des Lärms 8
Umsetzung Im Kernerviertel mangelhaft DB Netz AG hat im Herbst 2013 mit lärmintensiven Bauarbeiten begonnen (Beginn Rettungszufahrt Hbf Süd; Abbruch Gebäude Sängerstraße, Straßenbau, Leitungsverlegung, neuer Zugang Haltestelle Staatsgalerie) Abschnittsübergreifendes Detailgutachten wurde erst am 11.12.2014 veröffentlicht Passiver Schallschutz nur teilweise umgesetzt 9
Umsetzungsbeispiele Willy-Brandt-Straße 18: Bahn-Gutachter hat Spitzenpegel von 81,4 db(a) tags prognostiziert Gemessen wurden in KW 8/15: 74,3 db(a) (LAFTM 5) auf dem Dach Sängerstraße 6 (schräg gegenüber) Kein passiver Schallschutz umgesetzt Gebäude steht im Eigentum des Landes Baden-Württemberg Nordbahnhofstraße 161 Bahn-Gutachter hat Spitzenpegel von 71,5 db(a) tags prognostiziert Gebäude ist im Besitz der Landeshauptstadt Stuttgart 10
Umsetzung passiven Schallschutz DB Netz AG erstattet nur Kosten für die Maßnahmen (Schallschutzfenster, Lüfter) und verlangt Abschluss eines Erstattungsvertrages DB Netz AG hat Erstattungsverträge auf Basis überholter Detailgutachten angeboten und erst auf anwaltliche Intervention korrigiert DB Netz AG hat in 5 des Erstattungsvertrages zunächst auf einer Klausel bestanden, die den Ausschluss aller weiteren Ansprüche vorsah; diese Klausel wurde erst auf anwaltliche Intervention geändert 11
Vollzugskontrolle durch EBA EBA ist zuständig für den Vollzug des PFB (vgl. Tenor Ziff. A.VIII. Nr. 1 letzter Satz des PFB 1.2) 5 Abs. 1 AEG hinsichtlich des Eisenbahnrechts (insbesondere der Auflagen der PFB) 4 Abs. 2 AEG, soweit andere Gesetze Eingriffsbefugnisse enthalten: 24 S. 1 BImSchG: Anordnungen im Einzelfall zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen ( 22 BImSchG, der auf Baustellen anzuwenden ist) 25 Abs. 3 BImSchG: Bauuntersagung bei Gesundheitsgefährdung. 12
Rechtsschutz Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. 123 VwGO an das Verwaltungsgericht Vgl. Beschluss des VGH Mannheim vom 05.02.2015 10 S 2471/14: Anspruch auf Baueinstellung durch Aufsichtsbehörde nicht nur bei gesundheitsgefährdendem Lärm, vielmehr auch schon, wenn Richtwerte der AVV Baulärm um mehr als 5 db(a) überschritten werden (Ziff. 4.1 S. 1 AVV Baulärm) und der Lärm unvermeidbar ist; Anspruch auf Überwachungsmaßnahmen bei begründetem Verdacht ( 52 Abs. 1, 26 BImSchG) auf solche Lärmwerte; Angemessene Entschädigung für unvermeidbaren Baulärm sei üblich! 13
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bernhard Ludwig Rechtsanwalt und Mediator Rechtsanwälte Keller & Kollegen Kernerplatz 2, 70182 Stuttgart, Tel.: 0711 22 02 1690 www.anwaltskanzlei-keller.de 14