Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag Wien Köln Weimar Verlag Barbara Budrich Opladen Toronto facultas.wuv Wien Wilhelm Fink Paderborn A. Francke Verlag Tübingen Haupt Verlag Bern Verlag Julius Klinkhardt Bad Heilbrunn Mohr Siebeck Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag München Basel Ferdinand Schöningh Paderborn Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, mit UVK / Lucius München Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich
Inhalt Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches... 11 Vorwort... 13 I Einführung und Systematisierung des Themenfeldes.. 15 1 Bedeutung digitaler Medien für Beratung, Therapie und andere klinisch-psychologische Interventionsfelder.... 17 2 Gegenstandsbereiche der Klinischen Psychologie und Psychotherapie und ihr Angebotsspektrum im Internet... 22 3 Schnittstellen von Klinischer Psychologie/Psychotherapie und Medien.... 25 3.1 Theoretische Modelle.... 25 3.2 Systematisierung von Medien.... 27 3.3 Mediennutzung.... 29 3.4 Medienwirkung... 31 4 Standortbestimmung Professionalisierung... 33 4.1 Institutionalisierung der Onlineberatung.... 33 4.2 Habitualisation Vorstufe der Institutionalisierung... 35 4.3 Objectification Annähernde Institutionalisierung... 36 4.4 Sedimentation Vollständige Institutionalisiertheit... 38 5 Rahmenbedingungen.... 40 5.1 Rechtliche Rahmenbedingungen... 40 5.2 Datenschutz... 41 5.3 Soziotechnische Rahmenbedingungen... 43
8 Inhalt 5.4 Kompetenzen... 43 6 Qualitätsmanagement in der Onlineberatung... 46 6.1 Strukturqualität... 47 6.2 Prozessqualität... 47 6.3 Ergebnisqualität.... 48 6.4 Analyseraster.... 49 7 Fragen zum Kapitel.... 53 II Klinisch-psychologische Online-Interventionen... 55 1 Online-Information und Selbsthilfe im digitalen Zeitalter... 57 1.1 Systematisierung... 57 1.2 Vor- und Nachteile... 59 1.3 Gesundheitsbezogene Informationen im Netz: Stand der Forschung... 62 1.4 Online-Selbsthilfegruppen... 70 1.5 Evaluation... 73 1.6 Zusammenfassung.... 77 1.7 Fragen zum Kapitel... 78 2 Onlineberatung... 80 2.1 Systematisierung... 80 2.2 Vor- und Nachteile... 82 2.3 Methoden... 86 2.4 Evaluation... 108 2.5 Zusammenfassung.... 110 2.6 Fragen zum Kapitel... 111 3 Onlinetherapie... 113 3.1 Systematisierung... 113 3.2 Vor- und Nachteile... 114
Inhalt 9 3.3 Kognitiv-behaviorale Interventionsprogramme... 116 3.4 Serious Games.... 122 3.5 Virtuelle Realitäten.... 127 3.6 Onlinesetting als ergänzender Interventionsraum... 134 3.7 Zusammenfassung.... 141 3.8 Fragen zum Kapitel... 142 III Klinisch relevante Auswirkungen der Internetnutzung.... 143 1 Exzessive Nutzungsweisen... 145 1.1 Internetsucht.... 145 1.2 Cybersexsucht... 149 1.3 Computerspielsucht.... 153 1.4 Zusammenfassung.... 157 2 Dysfunktionale Nutzungsweisen... 158 2.1 Stress... 158 2.2 Cyberchondria.... 160 3 Selbstschädigende Nutzungsweisen... 164 3.1 Extreme communities... 164 3.2 Selbstdiagnostik und -medikation... 170 4 Deviante Nutzungsweisen.... 176 4.1 Cyberstalking... 176 4.2 Cybermobbing... 176 4.3 Sexuelle Gewalt.... 181 5 Zusammenfassung... 189 6 Fragen zum Kapitel.... 191 IV Zukunft von Beratung und Therapie im digitalen Zeitalter.... 193 1 Aus- und Weiterbildung... 195
10 Inhalt 1.1 Kompetenz in Onlinekommunikation.... 196 1.2 Kompetenz für Onlineberatung/-therapie.... 197 1.3 Kompetenzen zu rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen... 198 1.4 Onlinesupervision... 200 2 Ethische Aspekte.... 203 3 Weiterentwicklungen.... 208 4 Aufgaben für Praxis und Forschung... 213 5 Fragen zum Kapitel.... 216 Anmerkungen... 217 Literatur.... 218 Sachregister.... 237
1 Bedeutung digitaler Medien für Beratung, Therapie und andere klinisch-psychologische Interventionsfelder Der Einsatz von Medien ist im privaten wie beruflichen Alltag fest verankert. Anhand der Systematisierung von Medien nach dem Kriterium des Übertragungskanals (Frindte, 2001, S. 20, vgl. Abschnitt 1.3) lässt sich zeigen, dass Sekundär- (z. B. Buch), Tertiär- (z. B. Telefon, Video) sowie Quartärmedien (z. B. Computer, Internet, Mobiltelefon) in die täglichen Lebensabläufe von weiten Teilen der Gesellschaft integriert sind. Dabei werden modernere Medien wie das Internet oder das Handy ebenso selbstverständlich genutzt wie traditionellere Medien, wie z. B. das Lesen von Büchern und Zeitungen oder das Anschauen von Videos (siehe Tab. I.1 und I.2). Dabei ist der Trend zu erkennen, dass stationäre Kommunikationsgeräte (Festnetztelefone, Stand-PC) rückläufig sind (z. B. waren 94 % der deutschen Haushalte in 2006 mit einem Festnetzanschluss ausgestattet, in 2008 waren es nur mehr 90 %, siehe Statistisches Bundesamt 2011). Mediennutzung Tab. I.1: Ausstattungsgrad von je 100 privaten Haushalten in Deutschland mit ausgewählter Informations- und Kommunikationstechnik (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2008, 2011) Ausstattung der Haushalte 2011 Computer 81 Internet/Online-Dienst 77 Festnetztelefon 90 (2008) Mobiltelefon 86 (2008)
18 Digitale Medien in Beratung, Therapie & anderen Interventionsfeldern Tab. I.2: Prozentuale Häufigkeit der Nutzung verschiedener Medien von Deutschen zwischen 14 und 64 Jahren (Quelle: Statista, 2008, 2011) Häufigkeit nie/ so gut wie nie seltener 1 3x/ Monat 1x/ Woche 2 3x/ Woche täglich/ fast täglich Zeitung lesen 4 8 5 9 19 55 Buch lesen 16 25 18 13 16 12 Video/DVD schauen 15 28 25 17 12 2 Häufigkeit nie seltener ein paar Mal/ Monat mehrmals/ Woche täglich Internet 20 3 8 30 38 Gesundheitsfragen im Netz Insbesondere hinsichtlich der Etablierung von Quartärmedien lassen sich rasante Entwicklungen verzeichnen. Kaum war Anfang der 1990er Jahre die Internet-Ära eingeläutet, brach mit der mobilen Revolution (Reischl & Sundt, 1999) auch schon das Handy-Zeitalter an. So wurden beispielsweise das E-Business um das M-Business (vgl. z. B. Diederich, Lerner, Lindemann & Vehlen, 2001), das E-Learning um das M-Learning (vgl. z. B. Döring & Kleeberg, 2006) und das Online-Dating um das Mobile-Dating ergänzt (vgl. z. B. Eichenberg, 2010b). Daher verwundert es nicht, dass durch die breite Nutzung von Internet- und Mobilkommunikation sich nicht nur z. B. Wirtschaft, Bildung und soziale Beziehungen verändern, sondern auch Einflüsse auf das Gesundheitswesen erkennbar werden. Beispielsweise gingen 2006 80 % der US-amerikanischen Internetnutzer online, um sich über Gesundheitsfragen zu informieren, wobei der prozentuale Anteil seit 2002 stabil geblieben ist. Hauptsächlich wurde nach Informationen zu spezifischen Krankheiten (64 %) gesucht, 22 % recherchierten WWW- Seiten zu psychischen Störungen (Fox, 2006). Auch in Deutschland nutzen knapp zwei Drittel der Internetnutzer das Internet als Ratgeber bei Gesundheitsfragen (Eichenberg & Brähler, 2013). Dabei werden gerade bei psychosozialen Problemen häufig nicht nur Informationsangebote, sondern ebenso direkte Unterstützung durch professionelle Helfer gesucht. Die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de) verzeichnet seit Jahren eine stabile Nachfrage ihrer Beratungsdienste via
Digitale Medien in Beratung, Therapie & anderen Interventionsfeldern 19 E-Mail und Chat. Angebote wie die der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung mit einer Online-Beratung für Erwachsene sowie Jugendliche (www.bke-elternberatung. de, www.bke-jugendberatung.de) registrieren mehr als 10.000 Nutzerinnen und Nutzer pro Monat (Eichenberg, 2010a). Während der Begriff E-Health (oder auch Telemedizin, Cybermedizin, Online Health, Health 2.0) als Sammelbegriff für unterschiedlichste Aspekte der Schnittstelle von Internet und Medizin verwendet wird (z. B. Informationen für Patienten oder Ärzte auf Gesundheitsportalen, Integration und Aggregation von Patientendaten mit dem Ziel einer persönlichen elektronischen Fall- bzw. Gesundheitsakte oder Interaktionen mit unmittelbarerer Rückkopplung wie z. B. Home-Monitoring bei herzinfarktgefährdeten Patienten; vgl. auch Eysenbach, 2001), fokussiert E-Mental-Health (wie äquivalent dazu auch M-Mental-Health) speziell die Zusammenhänge von digitalen Medien und psychischer Gesundheit. Einerseits finden viele Prozesse der psychosozialen Versorgung vermehrt auch unter Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien statt, andererseits wirkt die Nutzung nicht nur auf das Gesundheitsverhalten ihrer Nutzerinnen und Nutzer, sondern ebenso auf das menschliche Erleben und Verhalten mit potenziell problematischen Effekten zurück. Sind diese extrem, so sind sie Gegenstand der Klinischen Psychologie und Psycho therapie. Somit sollen im Rahmen des vorliegenden Buchs die Schnittstellen von Beratung, Klinischer Psychologie und Psychotherapie und vorwiegend digitaler Medien wie Internet und Mobiltelefon dargestellt werden. Dabei steht eine individuumzentrierte Perspektive im Fokus: Welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen zeigen sich in der Beratung und therapeutischen Nutzung von Medien für Betroffene von psychischen Problemen und Störungen? Welche klinisch relevanten Auswirkungen kann die Nutzung bestimmter Medientypen auf den Einzelnen haben? E-Mental-Health Medienpessimismus und Medienoptimismus Die psychologischen und gesellschaftlichen Implikationen der Etablierung und damit Veralltäglichung von Internet und Handy sind vielfältig und werden sehr kontrovers diskutiert. Kultur- und medienpessimistische Stimmen warnen beispielsweise vor Umweltzerstörung, Informationsüberflutung, Erreichbarkeitszwang, Sprachverfall und Verschärfung sozialer Ungleichheit im Zusammenhang mit Internetund Handynutzung. Optimistische Stimmen dagegen würdigen z. B. Implikationen des Internets
20 Digitale Medien in Beratung, Therapie & anderen Interventionsfeldern Kontroversen gesteigerte Flexibilität, Individualität, gesellschaftliche Partizipation und soziale Integration im Zuge des Mediengebrauchs (vgl. Döring, 2003). Insofern verwundert nicht, dass die Bewertungen auch in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen im Allgemeinen und die psychische Gesundheit im Speziellen auseinandergehen. Während die einen bei der Nutzung von Internet und Handy alarmierend auf gesundheitsgefährdende Aspekte hinweisen, die sich in direkter (z. B. Handystrahlung, Haltungs- und Sehschäden durch häufiges Sitzen vor dem Monitor) und indirekter Weise (z. B. Einfluss von gesundheitsrelevanten Fehl- und Falschinformationen im Internet auf persönliche Gesundheitsentscheidungen, illegaler Handel und Kauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten) äußern können, betonen andere wiederum die Chancen (z. B. niederschwelliger und diskreter Abruf von Patienteninformationen, Möglichkeit zur Vernetzung von Patienten mit seltenen Erkrankungen). Ähnlich polarisierend werden die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und damit klinisch-psychologisch relevante Aspekte diskutiert. Dabei ist die Kontroverse um die Chancen, aber vor allem auch um die Risiken in der Entstehungs- und Etablierungsphase eines Mediums quasi immanent. Bisher wurde jede neue Technologie, die Einzug in den Alltag von breiten Teilen der Gesellschaft gehalten hat, hinsichtlich ihrer Effekte bewertet häufig zunächst emotional gefärbt, anschließend auf der Grundlage empirischer Evidenzen (vgl. z. B. die Medienwirkungsforschung in Bezug auf insbesondere gewalttätige Fernsehinhalte, siehe z. B. Paik & Comstock, 1994) oder bzgl. Videos mit pornografischen Inhalten (Oddone-Paolucci, Genuis & Violato, 2000). Für das Internet wurden so beispielsweise destruktive psychische Effekte postuliert: Es mache süchtig, sozial einsam, generiere und verstärke sexuelle Perversionen und labilisiere insbesondere Jugendliche, die sich in Pro-Anorexie- oder Saufforen gegenseitig krank machen würden. Zudem öffne das Netz unseriösen Psychohelfern Tür und Tor für die Propaganda nicht-wirksamer Therapiemethoden. Beschwichtigende Stimmen hingegen betonen den Nutzen des Internets für soziale Integration, konstruktive Selbsthilfe und Empowerment marginalisierter und von psychischen Problemen und Störungen betroffener Personengruppen sowie für niederschwellige psychosoziale Beratungsangebote. Insgesamt sind beide Positionen pauschalisierend: Sie verstellen den Blick darauf, differenziert die salutogenen wie pathogenen Potenziale der Mediennutzung zu erfassen. Fruchtbarer ist es, empirisch
Digitale Medien in Beratung, Therapie & anderen Interventionsfeldern 21 fundiert zu verstehen, wie und mit welchen Auswirkungen z. B. Menschen mit psychischen Störungen oder in psychischen Krisen Medien nutzen und welche Möglichkeiten und Grenzen Medien als Interventionsmittel bieten. Zur Strukturierung des Themenfeldes bietet sich an, zunächst zwischen den verschiedenen klinisch-psychologisch relevanten Gegenständen, Fragestellungen und Angeboten systematisch zu differenzieren und diese dann in einem Schnittstellenmodell mit verschiedenen Medientypen in ihrer Relevanz für die therapeutische Arbeit in Beziehung zu setzen.