Ruandische Rebellenführer stehen seit einem Jahr vor Gericht Podium zum ersten Prozess nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch

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Transkript:

1 Ruandische Rebellenführer stehen seit einem Jahr vor Gericht Am 4. Mai 2012 jährt sich der Prozessbeginn gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni am Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG). Der Präsident der berüchtigten ruandischen Rebellengruppe Forces Démocratiques de Libération du Ruanda (FDLR) und sein Stellvertreter werden beschuldigt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit befehligt bzw. nicht unterbunden zu haben. Von Deutschland aus sollen sie über viele Jahre hinweg die FDLR im Osten der Demokratischen Republik Kongo gelenkt haben und für die Tötung von mindestens 200 Menschen, Massenvergewaltigungen sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten die Vorgesetztenverantwortung tragen. Zum ersten Jahrestag des Prozessauftakts hatten Brot für die Welt und das Ökumenische Netz Zentralafrika (ÖNZ) ausgewiesene Expertinnen und Experten, die den Prozess von Beginn an verfolgen, zu einer Podiumsdiskussion nach Stuttgart geladen. Brot für die Welt habe als kirchliches Entwicklungswerk einen Auftrag, Menschenrechtsverbrechen anzuprangern, sowie dazu beizutragen, dass diese beendet und die Opfer versorgt und betreut werden, stellte Stefan Cramer, Leiter des Referats Afrika bei Brot für die Welt in seiner Einführung fest. Der erste Prozess nach dem bereits 2002 in Kraft getretenen deutschen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) werde in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig wahrgenommen. Dabei könnte das Urteil Geschichte schreiben. Moderiert von Bianca Schmolze (Prozessbeobachterin für die taz und Leiterin der Bochumer Kampagne gegen Straflosigkeit Gerechtigkeit heilt ) diskutierten Ilona Auer-Frege (ÖNZ), Franziska Ulm (Amnesty International), Claus Molitor (Internationaler Strafgerichtshof, Anklagebehörde IStGH) und Andreas Schüller (European Center for Constitutional and Human Rights - ECCHR), Hintergründe und Faktoren, unter denen es erst möglich geworden ist, im Osten des Kongo über viele Jahre schreckliche Gräueltaten zu verüben. Der Staat existiert in dieser Region eigentlich nicht mehr. Die Regierung in Kinshasa ist durch fehlende Infrastruktur von der Region abgeschnitten und hat kaum Durchsetzungsmöglichkeiten, klärte Ilona Auer-Frege auf. Seit Ende der Mobutu-Ära sei es zu einer Erodierung staatlicher Instanzen insbesondere in Nord- und Süd-Kivu gekommen. Zwar sei die Regierungsarmee FARDC dort aktiv, zu einem nicht unerheblichen Teil soll sie aber selbst die Verantwortung für Menschenrechtsverbrechen tragen. Auer-Frege führte aus, dass die Aktivitäten der FDLR in mittelbarem Zusammenhang mit dem ruandischen Völkermord stehen. In der Folge des Genozids drängten 1994 mehr als eine Million Hutu-Flüchtlinge in den Osten des Kongo. Unter ihnen viele Täter, die für den Völkermord an den Tutsi in Ruanda besondere Verantwortung trugen. Sie organisierten sich im Nachbarland neu, und ab 2000 formierte sich daraus die Hutu-Miliz FDLR. Ursprünglich soll sie das Ziel verfolgt haben, nach Ruanda zurückzukehren, um dort einen Putsch durchzuführen. Dies erwies sich als unmöglich, da Ruanda militärisch zu stark war. Die FDLR soll beabsichtigt haben, auf Anweisung von Murwanashyaka eine humanitäre Katastrophe herbeizuführen, um so ihren Verhandlungsspielraum im internationalen Kräftespiel zu erhöhen. Das Massaker von Busurungi im Mai 2009, bei dem über 200 Zivilisten zu Tode kamen und das im Stuttgarter Prozess eine prominente Rolle spielt, ist nur ein Beispiel für die extremen 1

2 Grausamkeiten, mit denen die FDLR im Kongo agiert. Auer-Frege wies aber auch darauf hin, dass es neben der FDLR weitere Rebellengruppen gibt, etwa Mai-Mai, sogenannte Bürgerwehren, oder die Lords Resistance Army (LRA). Alle finanzieren sich aus einer illegalen Gewaltökonomie. Der Kongo ist reich an metallischen Rohstoffen wie Zinn, Coltan, Gold und Kupfer. Der illegale Handel mit den Rohstoffvorkommen in der Region hat dazu beigetragen, dass sich die Milizen, aber auch kongolesische Politiker und Armee am Kampf um die Ressourcen bereichern konnten. Die Vereinten Nationen haben das weltweit größte Blauhelmkontingent (MONUSCO) mit 20.000 Soldaten im Lande stationiert. Doch selbst dieses massive Kontingent an Soldaten ist damit überfordert, die Konflikte in der Region zu befrieden, wenn die kongolesische Regierung nicht ausreichend kooperiert. Hinzu kommt die fehlende Infrastruktur des Landes. Es gibt kaum Straßen, Strom oder Telefon. Nahezu das gesamte Gebiet ist vom Urwald bedeckt. Somit ist es quasi unmöglich, dieses riesige Gebiet militärisch zu kontrollieren, stellte Auer-Frege fest. Franziska Ulm illustrierte, wie schwierig es für die lokale Bevölkerung ist, unter diesen Bedingungen zu überleben und wie hilflos die kongolesische Regierung in den Konflikten des Ostkongo agiert. Sie schilderte Ansätze der Zivilgesellschaft, sich zu organisieren, machte aber auch deutlich, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) staatliche Institutionen nicht ersetzen können. Es sei Aufgabe der kongolesischen Regierung, Straftäter zu verfolgen und den Opfern juristische Gerechtigkeit zu verschaffen. NGOs geben Opfern jedoch vielfältige Hilfestellungen. Sie schaffen internationale Aufmerksamkeit und beeinflussen rechtliche Rahmenbedingungen, damit Menschenrechtsverletzungen geahndet werden können. Lokale NGOs kümmern sich um die Reintegration von Flüchtlingen und die Rehabilitation von Kindersoldaten, sie versorgen Opfer von Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt und bieten medizinische und psychosoziale Betreuung an. Sie dokumentieren diese Schicksale und kümmern sich um den Schutz von Zeugen der Gewaltexzesse. Ulm beklagte, dass die kongolesische Regierung auch in diesem Bereich völlig versage. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International leisteten hier wichtige Unterstützung, legten den Finger in die Wunden und schüfen Aufmerksamkeit für konkrete Einzelfälle von Rechtsverletzungen: Sie helfen dabei, lokale NGOs, die oft zersplittert sind, zu vernetzen und Kampagnen gegen Straflosigkeit durchzuführen, Rechtspositionen zu stärken, internationales Recht in die nationale Gesetzgebung zu übernehmen, etwa die UN- Anti-Folter-Konvention. Internationale NGOs beeinflussen auch Geberländer des Kongo, sich für die Stärkung des Rechtsstaats einzusetzen. Nach den massiven Menschenrechtsverletzungen während der Wahlen im November 2011 hat die Regierung Kabila international an Ansehen verloren. Auch Gesetzesvorhaben, wie ein unkritisches Amnestiegesetz, hätten dazu beigetragen. Es sicherte mutmaßlichen Kriegsverbrechern wie Bosco Ntaganda und den Kämpfern seiner Rebellengruppe CNDP (Congrès national pour la défense du peuple) Straffreiheit zu. Die Gruppe, zum Schutz der Tutsi gegründet, hatte ebenfalls Angst und Terror im Ostkongo verbreitet. Der Versuch, die CNDP in die reguläre Armee einzubinden, ist gescheitert, das Amnestiegesetz aber noch immer in Kraft. In diesem Kontext könne nicht erwartet werden, dass Kriegsverbrecher im eigenen Land vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Claus Molitor unterstrich, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eine wichtige Säule des internationalen Rechtssystems, des sogenannten Rom-Systems, sei. Bereits 121 Staaten haben das Rom- Statut zur Errichtung des IStGH anerkannt, unter anderem auch die Demokratische Republik Kongo, und ihm dadurch eine herausragende Legitimität verliehen. Viele Staaten haben auch ihr nationales Recht ergänzt, oder wie Deutschland, ein eigenes Völkerstrafgesetzbuch entwickelt. Staaten komme daher eine bedeutsame Rolle im Rom-System zu. 2

3 Neben militärischen und politisch-diplomatischen Interventionen bei Kriegsverbrechen kann nun auch mit juristischen Mitteln von der internationalen Staatengemeinschaft eingegriffen werden, wenn der Sicherheitsrat oder einzelne Staaten Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord identifizieren und anzeigen, oder der Ankläger von sich aus eine Ermittlung aufnimmt. Diese können nun auch außerhalb der Länder geahndet werden, in denen sie begangen worden sind. Es gibt keine Immunität für Täter von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, unterstrich Claus Molitor. Mutmaßliche Täter können somit an keinem Ort der Welt vor Strafverfolgung sicher sein. Das sei eine neue Qualität im Kampf gegen Straflosigkeit. Zudem wachse die Akzeptanz des IStGH auch unter Ländern, die das Rom-Statut noch gar nicht ratifiziert haben, etwa Russland, Indien und den USA. Auch sie haben die Verfolgung von Verbrechen durch den IStGH, etwa in Darfur und Libyen, im Rahmen des UN-Sicherheitsrates unterstützt. Der Referent sah aber auch Grenzen in der Umsetzung internationalen Strafrechts. So kann der IStGH zwar Haftbefehle ausstellen, aufgrund fehlender Exekutive diese aber nicht selbst umsetzen. Hier ist er auf die Hilfe der Staaten angewiesen, die sehr unterschiedlich reagieren. Im Falle des Verfahrens gegen Murwanashyaka leisten u.a. die ruandische, als auch die kongolesische Regierung Unterstützung, etwa für die notwendigen Untersuchungen vor Ort und Zeugenbefragungen. Das ist nicht in jedem Falle selbstverständlich. Dem Zeugenschutz wird höchste Priorität eingeräumt, dennoch stellt er ein Problem besonders in Ländern mit fehlenden rechtsstaatlichen und demokratischen Strukturen dar. Wie sich der IStGH in Den Haag und die internationale Strafgesetzgebung einzelner Staaten ergänzen, verdeutlichte Molitor am Beispiel eines anderen mutmaßlichen Kriegsverbrechers der FDLR. In Den Haag stand Callixte Mbarushimana, Exekutiv-Sekretär der Rebellengruppe, vor Gericht. Seit Mitte 2009 kooperiert die Anklagebehörde des IStGH mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden. Unsere Theorie ist, dass diese Führungselite mit der militärischen Führung im Kongo eine Gruppe gebildet hat mit dem gemeinsamen Ziel, die Zivilbevölkerung im Kongo systematisch anzugreifen, um eine humanitäre Katastrophe herbeizuführen, führte Molitor aus. Zwar gebe es viele Milizengruppen im Osten des Kongo, diese aber sei besonders gefährlich, weil sie versucht haben soll, durch Überfälle auf Dörfereine humanitäre Katastrophe herbeizuführen, um eine Rückkehr nach Ruanda und eine politische Rehabilitierung zu erzwingen. Der FDLR Führungszirkel hat somit Gewalt gegen Zivilisten als Druckmittel für Ihre politische Forderungen genutzt, ergänzte Molitor. Wie hoch der Standard bei der Verfolgung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern vor dem IStGH liegt und wie schwierig es ist, den Nachweis der Täterschaft zu erbringen, verdeutlicht die Entlassung Mbarushimanas aus der Haft in Den Haag im Dezember 2011. Diese Entscheidung der Vorverfahrenskammer ist jedoch nicht endgültig, da die Anklagebehörde die Richtigkeit dieser Entscheidung anzweifelt und in Berufung gegangen ist. Die Vorverfahrenskammer hatte die Beweislage der Anklagebehörde als nicht ausreichend eingestuft, dabei jedoch, der Anklage zufolge, einen zu hohen Standard angelegt, der angemessen für das eigentlich Hauptverfahren wäre, nicht jedoch den weit niedrigeren Anforderungen des Vorverfahren entspricht. Molitor zeigte sich daher optimistisch, dass die Anklage das Berufungsverfahren gewinnen kann. Der in Frankreich lebende Mbarushimana ist nun aufgrund eines von der Pariser Justiz angestrebten Verfahrens wegen Völkermords - in Ruanda - in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und wird sich bei Erfolg des Berufungsverfahrens vor dem IStGH erneut den Richtern in Den Haag stellen müssen. Andreas Schüller beleuchtete u.a. die Komplementarität internationaler Gesetzgebung. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) stellt eine wichtige Ergänzung der internationalen Strafgesetzgebung dar und orientiert sich am Rom-Statut, um einen einheitlichen internationalen Standard zu schaffen. Andere Länder, wie etwa Spanien, haben Strafverfolgungssysteme mit eigenständigen Ermittlungsrichtern, die unabhängige Untersuchungen anstellen und selbstständig Anklagen erheben können. Damit kommt es 3

4 häufiger zu Anklagen als in Deutschland, wo nach knapp zehn Jahren 2011 das erste Verfahren nach dem VStGB eröffnet wurde. In Deutschland ist die Bundesanwaltschaft zuständig. Der Generalbundesanwalt ist aber ein politischer Beamter, der dem Bundesjustizministerium unterstellt ist. Das zeigt gewisse Grenzen auf, die weniger rechtlicher als vielmehr politischer Natur sind, ordnete Schüller die Möglichkeiten der internationalen Strafverfolgung für Deutschland ein. Er wies darauf hin, dass dies auch auf den UN-Sicherheitsrat zutrifft, der zwar theoretisch alle Straffälle nach Den Haag überweisen kann, dies praktisch aus politischen Gründen oft nicht tut. Mit einem Beispiel aus einem anderen politischen Kontext machte er deutlich, worum es geht: Der usbekische Innenminister Almatow war laut Zeugenaussagen als Sicherheitschef am 13. Mai 2005 in das Massaker von Andischan involviert, dem mindestens 200 Menschen, darunter Frauen und Kinder, zum Opfer fielen. Als er zu einer Operation nach Deutschland reiste, kam es zu keiner Strafverfolgung. Sie hätte wahrscheinlich zu diplomatischen Verwicklungen geführt, die die Bundesregierung scheute. Umso wichtiger sei nun dieses erste, wenn auch sehr späte Verfahren, erklärte Schüller. Alleine, dass es aufgenommen worden ist, könne als Erfolg bezeichnet werden. Schüller mahnte zur Besonnenheit: Das Verfahren muss in Ruhe beobachtet werden. Die Bundesanwaltschaft ist noch mitten in der Hauptverhandlung, Zeugen werden vernommen, Dokumente ausgewertet. Es liegt wahrscheinlich noch längst nicht alles auf dem Tisch, und erst am Ende der Beweisaufnahme wird man sehen, wie die Anklagepunkte bewiesen werden können Erst nach dem Urteilsspruch lassen sich die meisten Lehren für künftige Prozesse ziehen. Die Beweisführung ist komplex, da es sich um Verbrechen handelt, die in einem fernen Konfliktgebiet begangen wurden und die eine Vielzahl von Opfern betreffen. Die Ermittlungen fanden und finden auch im Kongo statt. Trotz der Kooperation mit den Regierungen Ruandas und der DR Kongo sei es schwierig, Beweise zu sichern und Zeugen zu schützen. Schüller zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass der Prozess ein Meilenstein sei und deutlich werde, dass sich Deutschland nicht nur politisch, sondern auch juristisch für ein Ende von Straflosigkeit einsetzt. In jedem Fall werde der Prozess eine Fülle wichtiger Erfahrungen bereitstellen. In der Diskussion wurde deutlich, welche Schlüsselrolle Zeugenbefragungen zukommt. Zeugen sind nicht nur Opfer, die sich in einer besonders gefährdeten und schützenswerten Situation befinden. Oft können auch desertierte FDLR-Offiziere, Experten und Spezialisten der Bundesanwaltschaft ein komplexes Bild über Befehlsstrukturen der Miliz, regionale Besonderheiten und andere Aspekte vermitteln. Claus Molitor beschrieb die Aufgabe so: Sowohl Augenzeugen werden gebraucht als auch jene die sagen können: Ja, ich habe die Information per Anruf aus Deutschland oder Paris erhalten. Die Verbindung zwischen Befehl und Ausführung nachzuweisen, ist die große Aufgabe der Beweisführung. Andreas Schüller verwies in seinem Schlussbeitrag darauf, dass die Angeklagten nicht nur wegen der Koordinierung von Kriegsverbrechen, sondern einer möglichen Verhinderung dieser angeklagt sind: Unterlassung und Befehlsverantwortung werden damit als täterschaftliche Beteiligungsformen in der Strafverfolgung genutzt. Dies sei möglicherweise ein erfolgversprechender und bedeutsamer Ansatz für künftige Strafverfahren. In der Konfliktregion wurde sowohl die Verhaftung von Murwanashyaka als auch die Freilassung von Mbarushimana wahrgenommen. Erstere führte dazu, dass sich mehr desertierte Soldaten in ruandischen Demobilisierungslagern meldeten, letztere zu einer Welle von Übergriffen nach dem Motto Wir sind immer noch da!. Ilona Auer-Frege betonte daher: Es wird weltweit wahrgenommen, wenn Straftäter in Deutschland verhaftet werden. Es ist ein wichtiges Signal, dass sie an keinem Ort der Welt mehr sicher sind. Franziska Ulm zeigte sich zuversichtlich, dass das Verfahren in Stuttgart auch große Bedeutung für die Opfer hat: Schon die Verhaftung der mutmaßlichen Straftäter kann dazu beitragen, den Waffenhandel und die Geldbeschaffung für die FDLR zu unterbinden. 4

5 Warum findet das Verfahren nicht im Kongo selbst oder in einem anderen afrikanischen Land statt? Die Experten waren sich einig, dass nationale Gesetzgebungen in afrikanischen Staaten oft nicht effektiv umgesetzt werden oder kaum von nachhaltiger Wirkung sind. Dies illustriert der Gefängnisausbruch eines Rebellenführers der Mai Mai, der zwar rechtskräftig verurteilt worden war, aber seine Haftstrafe nun nicht verbüßt. Ein Beispiel aus dem Senegal belegt den Unwillen der dortigen Regierung, den ehemaligen tschadischen Diktator Hissène Habré, der auch als der Pinochet Afrikas bezeichnet worden ist, vor Gericht zu stellen. Trotz hoher finanzieller Hilfen durch die internationale Gemeinschaft wurden Verfahren im Senegal seit dem Jahr 2000 immer wieder verschleppt und behindert. Dort, wo rechtsstaatliche Standards nicht gegeben sind oder Täter geschützt werden, muss die internationale Gemeinschaft eingreifen, stellte die Diskussionsrunde klar. Dazu sei der IStGH schließlich gegründet worden. Auch in afrikanischen Ländern steigt das Bewusstsein für eine notwendige Beteiligung am internationalen Strafrechtssystem nach dem Rom-Statut. Viele Staaten haben es unterzeichnet und sind bereit, es umzusetzen. Dies beweisen die juristischen und politischen Demarchen aus Kenia und anderen Ländern, die dem sudanesischen Präsidenten Al Bashir gegenüber erklären, ihn bei einer Einreise in ihr Land zu verhaften und nach Den Haag auszuliefern. Seine Reisefreiheit ist damit erheblich eingeschränkt. Offen blieb die Frage, ob es neben dem IStGH auch regionale Ableger geben sollte. Gemischte Gerichtshöfe im Osten des Kongo, in denen lokale und internationale Richter gemeinsam Recht sprechen, waren im vergangenen Jahr von der internationalen Gemeinschaft angeregt worden. Im Zuge des Wahlkampfes scheiterte die Initiative an der Ablehnung durch das nationale Parlament. Neben der juristischen Aufarbeitung können auch die Konfliktländer selbst einen entscheidenden Beitrag leisten. Die logistische Unterstützung einer international koordinierten Rohstoffzertifizierung, Demobilisierungsprogramme und eine Justiz- sowie Sicherheitssektorreform, einhergehend mit effektiver Kontrolle der eigenen Sicherheitskräfte, würden entscheidenden Einfluss auf die Beendigung von Menschenrechtsverletzungen in der Region haben. Der Stuttgarter Prozess könnte das Klima der Straflosigkeit nachhaltig verändern und Standards setzen, die die globale Strafgesetzgebung nachhaltig beeinflussen. Brot für die Welt und die beteiligten Organisationen werden den Prozess auch künftig kritisch beobachten. Weitere Informationen: http://www.brot-fuer-die-welt.de/weltweitaktiv/index_12340_deu_html.php 5