Mentale Gesundheit im Dialog ADHS im Erwachsenenalter - Auswirkungen auf Beruf und Lebensgestaltung Samstag, 6. Oktober 2018 Tagungsort Lebens.Resort Ottenschlag Xundheitsstraße 1, 3631 Ottenschlag www.lebensresort.at Wissenschaftliche Leitung Prim. Dr. Christiane Handl Weitere Vortragende Ao. Univ.-Prof. Dr. Henriette Walter Dr. med. univ. et scient. med. Thomas Vanicek Prim. Priv.-Doz. Dr. Alexandra Schosser, PhD Dr. med. univ. Christiane Richter www.facebook.com/lebensresort
ADHS in der Allgemeinpraxis Ao. Univ.-Prof. Dr. Henriette Walter Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Leitende Oberärztin an der Medizinischen Universität Wien/AKH, Mitglied der Wiener Ärztekammer Sowohl in der Kindheit, wie auch im Leben von Erwachsenen ist ADHS heute zunehmend mehr Thema geworden. Oft als Bipolare Störung fehldiagnostiziert, kommen Patienten mit Vorwissen aus dem Internet und wollen die entsprechende Medikation. In diesem Vortrag soll dargestellt werden, was Ärzte für Allgemeinmedizin diagnostisch wie auch beratend unternehmen können. Auch das Abklären von Komorbiditäten und der Ausschluss anderer Erkrankungen mittels Differentialdiagnosen kann von PA geleistet werden. Danach empfiehlt sich die Überweisung zu Facharzt oder zu Institution, die Abklärung und Ambulanz anbietet. Im Vorfeld die Beratung, die Überweisung und die entsprechende Nachbetreuung kann ohne weiteres vom praktischen Arzt übernommen werden. 2
ADHS: Neurobiologie, Ätiologie, Diagnostik und Differentialdiagnostik, medikamentöse Therapie Dr. med. univ. et scient. med. Thomas Vanicek Assistenzarzt, wissenschaftlicher Mitarbeiter Medizinische Universität Wien, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Die Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neuronale Entwicklungsstörung, welche bereits im Kindesalter auftritt und mit einer Prävalenz von 5-10% unter Schulkindern zu den häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankungen zählt. Epidemiologische Studien konnten zeigen, dass die Prävalenzraten für ADHS im Erwachsenenalter mit etwa 2,5 bis 5% liegen und sich somit, wider vergangener Annahmen, in mehr als der Hälfte der Fälle nicht auswächst. ADHS kann somit lebenslang zu funktionellen Beeinträchtigungen in den verschiedensten Lebensbereichen - sowohl in der Schule oder am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit und im familiären Bereich - für Betroffene führen, welche insgesamt eine große sozioökonomische Belastung darstellen. Innerhalb der letzten Jahrzehnte konnten Fortschritte im Bereich der Genforschung sowie neuronalen Bildgebung äthiopathogenetische Ursachen der ADHS näher aufklären. Zwillings-, Adoption- und molekulargenetische Studien weisen auf eine im Vergleich zu anderen psychiatrischen Erkrankungen erhöhte durchschnittliche Vererbbarkeit von 75 % hin. Die Bildgebung mit Positronenemissionstomographie und Magnetresonanztomographie konnte Veränderungen auf molekularer, struktureller und funktioneller Ebene nachweisen, welche Dysbalancen in Neurotransmittersystemen und Veränderungen in fronto-striatalen und fronto-parietalen Hirnkreisläufen aufzeigen. Ein monokausaler Mechanismus bei der Entstehung der Störung wird durch die wissenschaftliche Datenlage nicht unterstützt. Es ist vielmehr von multifaktoriellen Gen-Umwelt-Interaktionen auszugehen. Die Kernsymptomatik besteht aus einem Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität sowie Impulsivität. Oftmals leiden Patienten zusätzlich einer emotionalen Dysregulation mit Affektlabilität und Hyperarousal, eine erniedrigte Frustrationstoleranz, ein verringerter Selbstwert sowie eine Biorhythmusstörungen. An der Krankheitslast maßgeblich beteiligt sind dabei psychiatrische Komorbiditäten, welche mit etwa 80% beim Großteil der Patienten im Erwachsenenalter auftreten und oftmals ausschlaggebend für die Vorstellung an einer medizinischen oder psychiatrischen Einrichtung sind. Im Gegensatz zu der seit der Kindheit bestehenden und meist als charakterimmanent angesehenen ADHS-Symptome werden psychiatrische Komorbiditäten im Erwachsenenalter besser wahrgenommen. 3
Die aktuelle Forschungslage suggeriert für ADHS-Patienten ein etwa verdoppeltes Risiko an einer affektiven Störung zu erkranken, ein dreifach erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen und ein etwa doppeltes Risiko für Angsterkrankungen. Im klinischen Alltag sollte deswegen auf psychiatrische Komorbiditäten ein besonderes Ausgenmerk gelegt werden. Nach einem Aufklärungsgespräch über die Diagnose ADHS und der Einschätzung der individuell unterschiedlichen Situation sollten ein multimodales Therapiekonzept thematisiert werden, um die komplexe Symptomatik möglichst suffizient behandeln zu können. Dies beinhaltet eine psychopharmakologische Therapie sowie psychotherapeutische als auch psychoedukative Maßnahmen. Als Therapie mit der höchsten Effektstärke, stellen Stimulanzien gegenwärtig den Goldstandard in der Behandlung von ADHS dar. Die Einbeziehung von ADHS in den klinischen Alltag ist von entscheidender Bedeutung, um Patienten adäquat nach ihrem Störungsbild behandeln zu können. 4
ADHS in der ambulanten psychiatrischen Rehabilitation Prävalenz und therapeutische Implikationen Prim. Priv.-Doz. Dr. Alexandra Schosser, PhD Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie), Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Supervisorin, Ärztliche Leiterin BBRZ Med Wien ADHS wird gerade im Erwachsenenalter häufig nicht erkannt oder diagnostiziert und betrifft etwa 3% bis 6% der Bevölkerung. Mörstedt et al. (2016) berichten eine Prävalent von 1-5% in der deutschen Normalbevölkerung, die beruflich und privat unter starken Beeinträchtigungen leiden. Die hohe Co-Morbiditätsrate umfasst die Störungsbilder Depression, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und Suchtproblematik. Miesch und Deister (2018) fanden eine ADHS-12-Monats- Prävalenz von 59% bei stationären psychiatrischen Patienten. Aufgrund der erhöhten Prävalenz im stationären Setting empfehlen sie eine systematische Diagnose von ADHS. Dunlop et al. (2018) fanden das Vollbild einer ADHS bei 12,5% einer Stichprobe mit Major Depressive Disorder (MDD) und Überschneidungen in der Symptomatik, weshalb eine differential-diagnostische Abklärung bei positivem Screening empfohlen wird. Die aktuelle Studie untersucht die Prävalenz von ADHS-Symptomen bei Rehabilitanden mittels Screening (ASRS-V1.1). Ein weiterer Fokus sind die Zusammenhänge mit soziodemographischen Daten und Symptombelastung (BDI und BSI-18). Insgesamt scoren 40% aller Rehabilitanden positiv im ASRS-V1.1, wobei bei positivem Screening die Wahrscheinlichkeit für ein falsch positives Ergebnis höher ist als für ein richtig positives Ergebnis. Ein Zusammenhang zwischen Depression und positivem ADHS-Screening wird aufgrund der überlappenden Symptome auch bei Rehabilitanden der ambulanten Rehabilitationsmaßnahme deutlich.. 5
ADHS und Komorbiditäten in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Praxis - Fallvignetten Dr. med. univ. Christiane Richter Psychotherapeutin (KIP, Schematherapie, IRRT), Fachärztin für Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin (Zusatzfach: Geriatrie) in Wien Eine kurze Wiederholung der Grundsymptome sowie einiger deutlicher Hinweise auf die Erkrankung sollen helfen, ADHS in der Praxis auch in Kombination mit anderen Störungen besser zu erkennen. Tatsache ist, dass die ärztliche Praxis nur sehr selten wegen eines ADHS-Verdachts aufgesucht wird. Komorbiditäten sind bei ADHS die Regel und nicht die Ausnahme, daher wird hier besonders darauf eingegangen. Sechs Fallvignetten sollen die typischen, aber auch versteckte Symptome von ADHS verdeutlichen und die Bandbreite dieser Erkrankung zeigen. Abschließend werden nochmals wichtige nichtmedikamentöse Coaching- und Behandlungsstrategien erläutert. Satz- und Druckfehler vorbehalten. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit bezieht sich jede personenbezogene Formulierung ausdrücklich auf Frauen und Männer. 6
Notizen 7