Ziele der Beobachtungspflicht und ihre Verankerung im SGB V

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Transkript:

Ziele der Beobachtungspflicht und ihre Verankerung im SGB V Rechtssymposium Beobachtungspflichten des G-BA Zwischen Gewährleistungsfunktion und Überforderung am 15.11.2018 in Berlin 1

BSG, Urt. v. 6.5.2009, B 6 A 1/08 R, BSGE 103, 106, Rn. 62 Selbstverständlich muss der GBA auch nach Erlass einer Richtlinie zum Ausschluss einer Methode prüfen, ob neuere wissenschaftliche Erkenntnisse etwa aus klinischen Studien gemäß 137c Abs. 2 S. 2 SGB V diese Entscheidung noch rechtfertigen. Ihm obliegt wie jedem Normgeber eine Beobachtungspflicht dahingehend, ob das von ihm verfolgte Ziel der Gewährleistung einer Krankenbehandlung entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse bei Fortgeltung der Ausschluss- Entscheidung noch erreicht wird. Ist das offenkundig nicht mehr der Fall, muss er nachbessern.

Begrifflichkeiten - Beobachtungspflicht: Überprüfung einer bereits erlassenen Norm durch den Normgeber, um deren Rechtswidrigkeit zu erkennen und zu vermeiden - Evaluation - Folgenabschätzung - Produktbeobachtung - Reaktionspflicht (Anpassungspflicht, Korrekturpflicht, Nachbesserungspflicht)

Beobachtungspflichten des Gesetzgebers nach BVerfG Zahlreiche Entscheidungen des BVerfG, etwa aus 2017/2018: - BVerfG, B. v. 12.7.2017, 1 BvR 2222/12, 1106/13 Pflichtmitgliedschaft in IHK, BVerfGE 146, 164, Rn. 84 f. - BVerfG, B. v. 23.5.2018, 1 BvR 97/14, 2392/14, Rn. 81 Koppelung einer Altersrente an die Abgabe des Hofes - BVerfG, Nichtannahmeb. v. 2.7.2018, 1 BvR 612/12, Rn. 41 f. Planergänzung Nachtflugregelung Flughafen Berlin-Brandenburg - BVerfG, Urt. v. 19.9.2018, 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15, Rn. 176 f. - Zensus 2011

BVerfG, B. v. 23.5.2018, 1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14, Rn. 81 Aus dem GG ergibt sich keine allgemeine, den Gesetzgeber treffende Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht, deren Verletzung selbständig im Rahmen einer VB gerügt werden kann. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Hoheitsaktes kommt es allein auf die objektive Verfassungsrechtslage an. Der Gesetzgeber hat keine neben den normierten Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren bestehende Verfahrenspflicht zu erfüllen, die für sich genommen justitiabel wäre. Er schuldet lediglich das verfassungskonforme Ergebnis.

BVerfG, Urteil v. 19.9.2018, 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15, Rn. 176 Kehrseite des Prognosespielraums ist eine mögliche Nachbesserungspflicht. Auch nach dem Erlass einer Regelung muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung beobachten, erlassene Normen überprüfen und ggf. revidieren, falls sich herausstellt, dass die ihnen zugrunde liegenden Annahmen fehlerhaft waren oder nicht mehr zutreffen.

Beobachtungspflichten des GBA aus der VerfO Kap. 1 7 Abs. 4 VerfO: Der GBA soll überprüfen, welche Auswirkungen seine Entscheidungen haben und begründeten Hinweisen nachgehen, dass sie nicht mehr mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse übereinstimmen. vgl. etwa auch Kap. 8 21 Abs. 1 VerfO: Der Unterausschuss überprüft die bestehenden Mindestmengenregelungen in regelmäßigen Abständen auf einen möglichen Änderungsbedarf.

Gesetzliche Beobachtungspflichten des GBA - vereinzelte explizite Regelungen, etwa: - 137f Abs. 2 S. 6 SGB V bei strukturierten Behandlungsprogrammen - 116b Abs. 4 S. 12, 13 SGB V im Bereich der spezialfachärztlichen Versorgung - 136d SGB V Pflicht zur Evaluation und Weiterentwicklung der Qualitätssicherung - aus Aufgabe und Funktion des GBA: BSG, Urt. v. 1.3.2011, B 1 KR 7/10 R, BSGE 107, 261, Rn. 73 ff.; BSG, Urt. v. 13.5.2015, B 6 KA 14/14 R, BSGE 119, 57, Rn. 75

Beobachtungspflicht des GBA - Beobachtungspflicht nicht nur Obliegenheit, sondern Rechtspflicht - Erfüllung der Beobachtungspflichten aus Gesetz und VerfO kann von der Aufsicht eingefordert werden - beobachtet der GBA, verringert er die Gefahr des Rechtswidrigwerdens seiner Normen, behält das Heft des Handelns in der Hand (Möglichkeit der Selbstkorrektur) und erhält sich seinen Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle

Umfang der Beobachtungspflicht - ist umfassend zu verstehen; erstreckt sich auf nachträgliche Erkenntnisse, welche die Aufhebung einer negativen oder die Änderung einer positiven Entscheidung rechtfertigen können - bezieht sich auf Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot - besteht dauerhaft; sie aktualisiert und konkretisiert sich anlassbezogen zu einer weiter und tiefer gehenden Prüfung - Beobachtungspflicht obliegt dem Normsetzer; dieser bleibt verantwortlich, selbst wenn ein Unterausschuss oder das IQWiG beobachtet