Wissenswert. Charles Darwin zum 200. Geburtstag (2): Der Weg zu einer stimmigen Evolutionstheorie. Von Dagmar Röhrlich



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Transkript:

Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann Wissenswert Charles Darwin zum 200. Geburtstag (2): Der Weg zu einer stimmigen Evolutionstheorie Von Dagmar Röhrlich Dienstag, 10.02.2009, 08.30 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Sabine Weithöner Marian Funk Jochen Nix 09-013 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

Seite 2 Sprecherin: Einige Punkte, verbunden mit Linien, mit Verzweigungen: das Prinzip von der gemeinsame Abstammung aller Lebewesen. Eine kleine Skizze von Darwins Hand gilt heute als die Keimzelle seiner Theorie. Zitator engl.: I think... Ich denke Sprecherin: Diese zwei Wörter hatte Charles Darwin über diese Skizze geschrieben. Musik, kurz freistehend, danach unterm Text Mitte Juni 1858. Wie an jedem Tag macht sich Charles Darwin für seinen Spaziergang bereit. Ein Mann mit festen Gewohnheiten, er wirkt gelassen. Innerlich aber ist er aufgewühlt. Sein zwei Jahre alter Sohn Charles ist schwer an Scharlach erkrankt, und seine 15jährige Tochter Etty leidet an Diphtherie. Aber das ist nicht der einzige Grund, dass ihn seine Magenschmerzen heute noch stärker plagen als sonst. Seit 22 Jahren lebt er mit einem Geheimnis: dem, dass die heutigen Arten nicht gottgeschaffen sind. Bislang hat er mit kaum jemandem darüber gesprochen nun aber zwingen ihn äußere Umstände dazu, an die Öffentlichkeit zu treten. Viel zu früh, wie er findet.

Seite 3 Musik, kurz freistehend, danach weg

Seite 4 O-Ton 2, Kutschera Er hat erst Medizin studiert, weil er naturwissenschaftliche Interessen hatte. Da man damals aber noch keine Narkosen kannte und Menschen ohne Betäubung operiert hat, die haben dann geschrieen vor Schmerz, bis sie in Ohnmacht gefallen sind, das war der Grund, warum Charles Darwin nach dem vierten Semester sein Medizinstudium aufgegeben hat. Und dann gab es nur die Möglichkeit Jurist zu werden das wollte er keinesfalls oder Theologe zu werden. <Stimme oben!> Sprecherin: Ulrich Kutschera ist Evolutionsbiologe an der Universität Kassel. Die Theologie, die sein Vater für Charles auswählte, bot Vorteile: Als Landpfarrer hätte er sich dem Käfersammeln widmen können, und das war neben der Jagd seine große Leidenschaft seit Kindertagen. Aber die Begeisterung für die Naturwissenschaft ging viel tiefer. O-Ton 3, Kutschera Charles Darwin hat während seines Theologie Studiums in Cambridge sämtliche Lehrveranstaltungen zur Botanik, zur Zoologie und zur Geologie absolviert. Er war also ein vollständig ausgebildeter, mit akademischen Abschluss versehener Geologe, Biologe und Theologe. Und das war ein Schlüssel zu seinem großen Erfolg. Sprecherin: Noch galt die biblische Schöpfungsgeschichte als unantastbar. Eine Art war eine Art, wie Gott sie erschaffen hatte. Der Mensch war die Krone der Schöpfung. Aber ein Überdenken des Glaubens an die Unveränderlichkeit der Schöpfung hatte bereits begonnen. 1809 hatte der französische Naturforscher Jean- Baptiste de Lamarck geschrieben, dass sich die Lebewesen langsam aus Urformen heraus entwickeln.

Seite 5 Musik, kurz freistehend, danach unterm Text Das wichtigste Ereignis meines Lebens. So bezeichnete Charles Darwin seine Fahrt mit der Beagle, mit der er 1831 zu einer fünfjährigen Weltreise aufbricht. Unter anderem besucht er die Galapagos-Inseln. Chatham ist die erste, die er betritt. Ein schwarzer, trostloser Haufen zerklüfteter Lava inmitten der Brandung. Gestrüpp überzieht karges, sonnenverbranntes Land. Eine Insel wie ein Backofen...... urteilt Darwin in seinem Tagebuch. Was für ein Ort! Die Luft ist dumpf und drückend, die Pflanzen stinken. Aber dann faszinieren ihn die Inseln, die vulkanische Urgewalt, die sie geformt hat. Und die seltsamen Lebewesen dort: Die Vögel kennen den Menschen nicht, sie halten uns für ebenso unschuldig wie ihre Landsleute, die riesigen Schildkröten. Einen Habicht schubst er mit seinem Gewehrlauf um. Unbedarft hüpfen Vögel von Busch zu Busch, erschrecken noch nicht einmal vor den Steinen, die die Männer der Beagle nach ihnen werfen. Mr. King tötete einen Vogel mit seinem Hut. Musik, kurz freistehend, danach weg

Seite 6 Sprecherin: So fanden die berühmten Galapagos-Finken Eingang in Darwins Tagebuch: als Anekdote über den Seekadetten Philip King. Er sammelte sie paarweise, wie immer, wie Noah für die Arche. Aber dass diese Vögel einmal zum Symbol für seine Arbeit werden würden, ahnte Darwin nicht. O-Ton 4, Leinfelder Als er nach Galapagos gekommen ist, hat er sich nicht sofort über die Finken gewundert und gesagt, da steckt doch irgendetwas dahinter, sondern diese Ideen, die kamen in dem Fall sehr, sehr viel später und nicht mal unbedingt durch ihn. Sprecherin: Reinhold Leinfelder, er ist der Leiter des Museums für Naturkunde in Berlin. Darwin verkannte die Galapagos-Finken als Amseln, Grasmücken oder Zaunkönige und er hielt es nicht für nötig, bei allen Exemplaren zu verzeichnen, auf welcher Insel er sie erlegt hatte. O-Ton 5, Leinfelder Er wollte möglichst viel Neues gern kennen lernen, und er hat natürlich wie es einem Wissenschaftler so geht viel Neues gesehen, er hat erst mal nicht gewusst, was er davon halten soll. Sprecherin: Nur die Spottdrosseln der Galapagos-Inseln fielen ihm auf. Deshalb achtete er sorgfältig darauf, dass er sie nach Inseln getrennt beschriftete. Die Meeresleguane der Galapagos-Inseln waren ihm gleichgültig: In den Museen jener Tage wurden sie Südamerika zugeordnet. Den Schildkröten schenkte er

Seite 7 Beachtung, wenn sie küchenfertig zubereitet waren. Bei einem Abendessen erklärt der Vizegouverneur von Galapagos, dass jede Insel ihre eigene Schildkrötenart haben soll. Darwin war kaum interessiert: Seefahrer sollten die Riesenreptilien von Mauritius mitgebracht und ausgesetzt haben. Warum sich also hier um Leguane und Schildkröten kümmern? Stattdessen hatte Darwin Gefallen an einem Geologiebuch gefunden die Prinzipien der Geologie von Charles Lyell.

Seite 8 O-Ton 6, Kutschera Dieses Buch enthält das sogenannte Aktualismus-Prinzip. Was heißt das? Das bedeutet populär ausgedrückt, Lyell argumentiert: Die Gegenwart ist der Schlüssel zur Vergangenheit. <Stimme oben!> Sprecherin: Die Erde habe sich seit der Schöpfung langsam und stetig verändert, so Lyell; Berge wurden hochgehoben und wieder abgetragen. O-Ton 7, Kutschera Geologische Prozesse, die haben in der Vergangenheit genauso funktioniert, nach den gleichen Naturgesetzen wie heute. Sprecherin: Der Gedanke, dass sich die Erdoberfläche ständig neu formt, faszinierte Darwin dass kleine Veränderungen über lange Zeitspannen hinweg große Auswirkungen haben können Und auf seiner Reise hatte er überall Indizien dafür gesehen, dass Lyell recht hatte. In Korallen-Inseln zum Beispiel. Gibt es womöglich eine Parallele zwischen Geologie und Biologie? Musik, kurz freistehend, danach unterm Text Ich habe Exemplare der Spottdrosseln von vier der größeren Inseln, und jede Gruppe kommt ausschließlich auf ihrer eigenen Insel vor.

Seite 9 Darwins Quartier an Bord der Beagle liegt achtern hinter dem Steuerrad und ist rund neun Quadratmeter groß. Darin stehen der große Kartentisch, drei Stühle, ein Bücherregal und eine große Kommode. Außerdem geht ein Mast hindurch. Er darf einen Quadratmeter Kartentisch benutzen, ein Stück Kabine, die Kommode und das Bücherregal. Für seine Hängematte bleibt nur der Platz über dem Kartentisch, knapp unter dem Oberlicht. Viel Platz hat er nicht, um seinen Gedanken nachzugehen. Wenn ich mich recht erinnere, ist die Tatsache, dass die Spanier von der Körperform, der Gestalt des Panzers und der allgemeinen Größe her sofort bestimmen können, auf welcher Insel eine beliebige Schildkröte gefangen wurde. Vor neun Monaten hat die Beagle die Galapagos-Inseln verlassen. Sie sind auf dem Heimweg. Es arbeitet in Darwin. In seinem Kopf haben sich bestimmte Denkmuster festgesetzt. Wenn ich mir diese Inseln ansehe, die in Sichtweite von einander liegen und von nichts als einem spärlichen Bestand an Tieren in Besitz genommen wurden, bewohnt von diesen Spottdrosseln, die sich nur leicht unterscheiden und die denselben Platz in der Natur einnehmen, muss ich vermuten, dass es sich im Varietäten handelt. Varietäten sind Abwandlungen einer Art. Das wäre kein Widerspruch zur Schöpfung. Die gottgegebenen Arten blieben als deren Ursprung ja erhalten. Aber was wäre, wenn es sich um mehr handelte? Wenn ein Sturm ein paar

Seite 10 Spottdrosseln über tausend Kilometern hinweg aus Südamerika nach Galapagos getragen hätte? Und wenn sie sich dort fortentwickelt hätten. Auf jeder Insel in eine eigene Richtung... Gäbe es auch nur den Anflug einer Begründung für diese Bemerkungen, wäre es die Zoologie der Archipele wert, dass man sie untersucht. Denn solche Tatsachen untergraben die Auffassung von der Stabilität der Arten. Musik, kurz freistehend, danach weg Sprecherin: Das ist es. Eine kurze Notiz. Sie markiert den Anfang einer anderen, noch viel längeren geistigen Reise Darwins; einer Reise hin zur Veröffentlichung seines Hauptwerkes über Die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese. Den größten Teil dieser geistigen Reise legte er in England zurück zuerst in London, dann auf seinem Landsitz in Down House, einer kleinen Ortschaft im Süden Londons. Reinhold Leinfelder, der Leiter des Berliner Museums für Naturkunde. O-Ton 8, Leinfelder Er hat erst einmal nur Beobachtungen gemacht und hat sich über die Vielfalt des Lebendigen gewundert und gefreut all das, was er gesehen hat und hat dann aber eben und das macht ihn durchaus zum Revolutionär seiner Zeit gesagt, kann es nicht sein, dass das alles irgendwie zusammengehört. Aber diese Schlüsse hat er erst viel später in der Konsequenz gezogen. Er ist also mit diesem Datenschatz nach Hause gekommen, mit den Notizen, die er dazu gehabt hat, und er hat dann angefangen Hypothesen zu bilden, die er aber weiter getestet hat, so wie eben Wissenschaft funktioniert. <Stimme oben!>

Seite 11 Sprecherin: Es war eine Sisyphus-Arbeit, bei der er aber auch Anregung von anderen bekam. Was Darwin von seiner Reise an Fossilien, Tieren und Pflanzen nach hause schickte, stieß bei seinen Kollegen auf ungeheuer großes Interesse. Prof. Ulrich Kutschera.

Seite 12 O-Ton 9, Kutschera Charles Darwin hat auf seiner Weltreise eine unermessliche Zahl an Präparaten mit nach Europa gebracht, darunter auch Finkenvögel aus den Galapagos Inseln, die er geschossen hat. Sprecherin: Am 4. Januar 1837 schenkte Darwin seine Sammlung ausgestopfter Vögel von den Galapagosinseln der Londoner Zoologischen Gesellschaft. Der Vogelkundler John Gould war begeistert über diese Reihe von Bodenfinken, die eine so eigenartige Gestalt aufweisen, dass er sie als völlig neue Gruppe mit 14 Arten betrachte. Die Zeitungen berichteten darüber und Charles Darwin besuchte John Gould. Was Gould ihm eröffnete: Bei den vermeintlichen Amseln, Zaunkönigen oder Grasmücken handelt es sich um Finken, die nur auf den Galapagos-Inseln vorkommen. Seinerzeit war Darwin auch auf ein Buch von Thomas Robert Malthus über die Bevölkerungsökonomie gestoßen. O-Ton 10, Kutschera In diesem Buch steht geschrieben, das ist lange vor Darwin publiziert worden dass sich die Menschen auf der Erde derart vermehren werden, dass es in ferner Zukunft einmal zu großen Hungersnöten kommen wird, weil nämlich die Menschen ein höheres Fortpflanzungspotenzial besitzen als man Nahrungsmittel produzieren kann. Und das war eigentlich das Schlüsselerlebnis: das Lesen eines Werkes eines ganz fachfremden Kollegen. Daraus hatte Charles Darwin dann schlagartig kombiniert: Die Lebewesen produzieren mehr Nachkommen als die Umwelt tragen kann, die Ressourcen das heißt Nahrungsmittel, Brutplätze usw. sind begrenzt es kommt also zu einem Daseinswettbewerb, struggle for existence. Sprecherin: Nun war alles beisammen. Darwin erkannte: Neue Arten entstehen, indem sie sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Sie passen sich an, weil sich die Individuen einer Art leicht voneinander unterscheiden und wer in der jeweiligen Umwelt besser zurechtkommt, wer die knappen Ressourcen am

Seite 13 besten nutzt, der hat die besten Chancen auf genügend Nachkommen. Um seine Ideen zu untermauern, forschte Darwin intensiv auf unterschiedlichsten Gebieten. Er beschäftigte sich mit Rankenfußkrebsen und mit der Taubenzucht. O-Ton 11, Kutschera Er hat ungefähr 20 Jahre lang seine Ideen gesammelt. Er hat es aber nicht gewagt, seine Theorie, eigentlich ein System von Theorien, zu publizieren, weil er wusste, dass das mit dem biblischen Schöpfungsglauben in Konflikt stehen wird. Und er war ein menschenscheuer, kränklicher, schüchterner Mann. O-Ton 12, Leinfelder Sicherlich deshalb hat es etwas lange gedauert, weil er sich durchaus auch der gesellschaftlichen Relevanz dieser Theorie bewusst war, auch da war er sehr vorsichtig. Er war ein Wissenschaftler, der sich durchaus auch ethische Überlegungen geleistet hat. Sprecherin Auch auf jenem Spaziergang im Juni 1858, als er sich zum Publizieren seiner Gedanken gezwungen sah. Musik, kurz freistehend, danach unterm Text Darwin hat einen Brief von Alfred Russel Wallace erhalten, in dem ein Manuskript steckt. Darin hat Wallace seine in Indonesien entwickelten Ideen von der Entwicklung der Arten niedergeschrieben. Wallace brachte seine Theorie in nur wenigen Tagen zu Papier, und sie gleicht der Darwinschen wie ein Ei dem anderen. Was soll er nun tun? Seine kranken Kinder beschäftigen ihn viel zu

Seite 14 sehr, als dass er eine Entscheidung treffen will. Also schickt er das Manuskript an seinen Freund, den Geologen Charles Lyell. Im Begleitschreiben erklärt er: Er hätte eine bessere Zusammenfassung nicht machen können! Seine Begriffe stehen sogar bei mir als Kapitelüberschriften. Er schreibt nicht, dass ich publizieren sollte, aber ich werde natürlich sofort schreiben und es irgendeinem Fachblatt anbieten.

Seite 15 Darwins Freunde finden eine Lösung. Sie beschließen, die Abhandlung von Wallace gleichzeitig mit den sehr viel genauer ausgearbeiteten Überlegungen von Darwin zu veröffentlichen. Sie werden am 1. Juli 1858 in der Linnean Society of London vorgestellt mit mäßigem Erfolg. Aber ein Jahr später, vor genau 150 Jahren, veröffentlichte Charles Darwin sein Buch über die Entstehung der Arten. Seitdem gilt: Nichts macht Sinn in der Biologie, außer im Lichte der Evolutionstheorie von Charles Darwin und seinen Nachfolgern. Musik, kurz freistehend, danach weg