Reicht Erfahrung aus, um die Wirksamkeit einer Therapie zu beurteilen?

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Transkript:

Auf den ersten Blick scheint es einfach, eine wirksame Therapie auszuwählen: Der Patient fragt andere Patienten nach ihren Erfahrungen mit der Therapie. Hört der Patient mehr positive als negative Kommentare, dann kann die Therapie nur gut sein. Beim Therapeut ist der Weg ähnlich. Einige (ältere) Therapien gelten als bewährt und werden in der Ausbildung unterrichtet. Neuere Therapien werden durch Abfrage der Meinungen von Kollegen bewertet und dann als gut oder schlecht befunden. Natürlich werden von vielen Therapeuten auch die theoretischen Grundlagen der Therapie in die Auswahl einbezogen. Reicht die Erfahrung aus, um die Wirksamkeit einer Therapie zu beurteilen? Oder übersehen wir Faktoren, die eigentlich für die Genesung/Verbesserung des Gesundheitszustandes zuständig sind?

Der Natürliche Verlauf einer Erkrankung Viele Erkrankungen sind selbst-limitierend. Das heißt die Erkrankung bessert sich von alleine. Die körpereigene Selbstheilung bringt den Leidenden wieder zur Gesundheit. Um die Wirkung einer Behandlung aufzuzeigen, muss dieser Faktor in der Untersuchung kontrolliert werden. Das geschieht am besten durch die Verwendung einer Kontrollgruppe in einer Studie. Die Regression zur Mitte Die Regression zur Mitte ist ein statistisches Phänomen, dass auftritt, wenn Messwiederholungen beim gleichen Individuum gemacht werden. Es tritt auf, weil die beobachteten Werte mit einem Zufallsfehler behaftet sind. Zufallsfehler sind nichtsystematische Variationen der beobachteten Werte um das wahre Mittel (Durchschnitt) herum (z.b. zufällige Messfehler oder zufällige Fluktuationen innerhalb des Individuums).(Barnett et al. 2005) Regression zur Mitte lässt normale Schwankungen in Daten die mit Messwiederholungen gewonnen wurden so aussehen, als ob ein realer Behandlungseffekt stattgefunden hätte.rzm tritt auf, wenn nach ungewöhnlich großen oder kleinen Messungen der nächste Wert näher am Mittelwert liegt. RZM ist ein wichtiger Faktor in der Erklärung des Placeboeffekts. (Senn 2011) Scheinbare Erfolge einer Therapieform in klinischen Studien lassen sich jedoch des öfteren zum Großteil auf RZM zurückführen.(senn 2011, Hrobjartsson et al. 2010) Der Placeboeffekt Eine inerte Behandlung, die so verabreicht wird, als ob es eine richtige Behandlung wäre. (Ernst 2007) Übersichtsarbeiten kommen zum Schluss, dass der Placeboeffekt bei objektiven Erkrankungen keinen Effekt hat. Bei subjektiven Beschwerden (Schmerz, Übelkeit, Steifigkeit) kann ein Placebo eine (variable) Wirkung zeigen.jedoch ist noch nicht ganz klar, ob diese subjektiven Effekte durch andere Faktoren (z.b. voreingenommene Berichterstattung der Studien) entstehen und der Placeboeffekt weiter gegen Null tendiert.(hrobjartsson et al. 2010)

Der Hawthorne-Effekt Der Hawthorne-Effekt: Ändern Studienteilnehmer aufgrund der Studienteilnahme ihr natürliches Verhalten, kann das insbesondere in der Kontrollgruppe zu einer Überschätzung von Behandlungseffekten führen.(kleist 2006) Parallelbehandlungen Des Weiteren kann es dazu kommen, dass bei längerer Therapiedauer und bestehenden Beschwerden die Patienten heimlich zu weiteren Therapiemaßnahmen greifen. Dadurch kommt es zu einer Verzerrungen der Ergebnisse. (Ernst 2009) Soziale Erwünschtheit Der Begriff kommt aus der Psychologie. Bei der sozialen Erwünschtheit machen Patienten unter Umständen unwahre Aussagen über ihr Befinden, da sie denken, dass nur bestimmte Antworten erwünscht sind. (Klesges et al. 2004) Denkbar ist zum Beispiel, dass der Patienten gegenüber dem empathischen und wohlwollenden Therapeuten falsche Aussagen tätigt, um ihm zu gefallen.(ernst 2009) Therapeut-Patient-Beziehung Eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Klient kann die Wirkung einer Behandlung erhöhen. In einer Studie von Kaptchuk et al. wurde gezeigt, dass durch empathisches Auftreten die Wirkung einer Behandlung erhöhen kann.(kaptchuk et al. 2008) Spezifischer Behandlungseffekt Der spezifische Behandlungseffekt stellt das eigentlich Wirksame einer Therapie dar. Dieser Effekt kann natürlich zum Gesamteffekt einer Therapie beitragen. Jedoch ist es durchaus denkbar, dass selbst bei der völligen Abwesenheit eines spezifischen Effekts, aufgrund der Vielzahl der weiteren Faktoren, ein positiver, scheinbarer Therapieeffekt entstehen kann.

Fazit => Wenn man die Wirksamkeit einer Therapie nur nach der Erfahrung beurteilt, dann kann man nicht sicher sein, dass diese Therapie auch wirklich hilft! Einige Menschen behaupten dass, es letzlich belanglos ist, was hilft. Hauptsache dem Patient werde geholfen. Und : Dazu Professor Edzard Ernst: Wer heilt hat recht! Für den Patienten ist dies letztlich belanglos, wird häufig behauptet. Für ihn zählt nur die Tatsache, dass seine Beschwerden gebessert sind. Ich meine, auch diese Annahme ist letztlich nicht richtig. Eine wirksame und gut applizierte Therapie basiert auf spezifischen Therapie-Effekten und auf Kontext-Effekten. Anders ausgedrückt heißt das, ein Therapeut betrügt seine Patienten um einen wichtigen Teil des scheinbaren Therapie-Effekts, wenn er statt einer echten eine Schein-Therapie verabreicht und so nur Kontext nicht aber spezifische Effekte wirksam werden. Mein Fazit lautet, dass der Satz Wer heilt, hat recht eine Plattitüde und ein Schein-Argument darstellt, das dem Fortschritt im Weg steht. In Wirklichkeit hat nur derjenige Recht, der die jeweils bestmögliche Therapie verabreicht und das ist nun einmal eine Therapie, die sowohl spezifische als auch Kontext-Effekte maximiert. (Ernst 2009)

Und: Wer denkt zu heilen, hat noch lange nicht recht! Vorübergehende Verbesserungen beweisen keine langfristige Heilung. Eine klinisch relevante Verbesserung kann man aus der Patientenperspektive mit PROMs bestimmen, wird allerdings quasi nie gemacht. Heilung und Verbesserung sind ohne konkrete Messung eine Worthülse (Mintken et al. 2018, Kyte et al. 2015). Die menschliche Wahrnehmung ist fehlerhaft und kann dazu führen, dass Patienten unzutreffende Beurteilungen ihrer Symptome dem Therapeuten wiedergeben.die hauptsächlichen Gründe dafür sind psychologische Faktoren, die sich auf das Verständnis, die Erinnerung, die Beurteilung und den Ausdruck des Patienten beziehen. Der Therapeut sollte nicht den Fehler machen und die Bewertung des Patienten überzuinterpretieren und daraus falsche Behandlungsentscheidung treffen.(redelmeyer et al. 2011) Wenn sich Patienten mit persistierenden Beschwerden kurzzeitig verbessern, sagt das nichts über langfristige und nachhaltige Effekte aus (Axén & Leboeuf-Yde et al. 2017), die für dieses Klientel entscheidend sind (Lewis & O`Sullivan 2018). Viele Akutpatienten genesen auch ohne Therapie.(APA 2017). Eine Verbesserung solcher Patienten in der Praxis - egal durch welche Therapie - beweist nichts und Therapien, die kurzzeitig helfen, können langfristig schaden. (Hargrove 2015) Selbst wenn eine bestimmte Therapie funktioniert, rechtfertig das noch lange nicht ihren Einsatz. Andere Therapie können effektiver (mehr bringen) und effizient sein (weniger kosten, den Patienten oder das Gesundheitssystem, Bove et al. 2017) bzw. ein besseres Nebenwirkungsprofil aufweisen. Wenn jemand eine Placebo-Therapie rechtfertig ( schade ja nichts ), dann blockiert er damit evtl. den Weg zu einer besseren Therapie und schadet genau dadurch. (Beedi et al. 2017) Wenn wir das Management von Patienten verbessern wollen, dann müssen wir wissen, warum Therapien überhaupt wirken und welche potenziellen Nebenwirkungen sie aufweisen. Wir müssen die spezifischen und unspezifischen Wirkmechanismen dahinter kennen, um unsere Behandlung zu optimieren. Deshalb ist es überhaupt nicht egal, warum Dinge funktionieren. Fortschritt geht nur mit mehr Verständnis.(Hargrove 2015)