Effektivität psychiatrischer Therapien
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- Gert Bretz
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1 Effektivität psychiatrischer Therapien Wie wirksam sind medikamentöse und psychotherapeutische Verfahren? Dr med. Maximilian Huhn Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinikum Rechts der Isar Vortrag Forum Mental Health am
2 Inhalt I. Einführung evidenzbasierte Medizin II. Wirksamkeit medikamentöser und psychotherapeutischer Verfahren III. Fallstricke im Design von Psychopharmaund Psychotherapiestudien IV. Diskussion 2
3 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hintergrund I Psychopharmaka stehen im Kreuzfeuer: Antidepressiva wirken nur bei schwerkranken Patienten Neuroleptika der ersten und zweiten Generation zeigen keine Unterschiede Erhöhte Suizidrate durch Antidepressiva bei Kindern. Psychotherapeutische Verfahren werden kritisiert: zeitaufwendig ineffektiv und teuer 3
4 Evidenzbasierte Medizin 1. Eine Medizin, die ihre Entscheidungen an den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien ( Evidenz ) ausrichtet 2. Erscheint selbstverständlich, ist es aber nicht. Gegenspieler, ironisch: Eminenzbasierte Medizin (bis vor etwa 20 J.) Erfahrungsbasierte Medizin Marketingbasierte Medizin
5 Paternalistisches Modell
6 Hintergrund II In den letzten zwei Dekaden große Fortschritte in der evidenzbasierten Medizin durch standardisierte Verfahren und neue statistische Techniken: Systematische Übersichtsarbeiten Metaanalysen (Daten aus einzelnen Studien werden zusammengefasst) In CENTRAL (Datenbank für randomisiert kontrollierte Studien) finden sich mehr als 4000 Studien allein im Bereich Schizophrenie In der Library of Cochrane finden sich aktuell 576 systematische Übersichtsarbeiten im Bereich Mental health Die Datenlage ist für den praktizierenden Kliniker nur schwer zu überschauen Es ist Zeit die Gesamtheit der psychiatrischen Verfahren auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen 6
7 Reden oder Pillen schlucken? Ist Psychotherapie wirksamer als medikamentöse Therapie? Protokollerstellung a priori Systematische Recherche in 4 Datenbanken (Pubmed, EMBASE, Cochrane Library und PsycInfo) Treffer 61 Metaanalysen zu 21 psychiatrischen Erkrankungen 852 randomsierte kontrollierte Einzelstudien mit Teilnehmern Vergleiche von Medikament mit Placebo Vergleiche von Psychotherapie mit Placebo/Warteliste oder Standardbehandlung Direktvergleiche von Psychotherapie und Pharmakotherapie Vergleich der Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie mit Psychooder Pharmakotherapie alleine Analyse von qualitativen Unterschieden zwischen Pharma- und Psychotherapie 7
8 Statistischer Hintergrund p-wert vs. Effektstärke p-wert: Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines Unterschiedes, zwischen zwei Interventionen an Hand des Signifikanzniveaus (p<0,05). Keine Aussage über die Größe des Effekts. Effektstärke: Aussage über die Größe des Effektunterschiedes zwischen zwei Interventionen 8
9 Messwerte bei psychiatrischen Erkrankungen a) dichotom (z. B. Rückfall, Remission): relatives Risiko, absolutes Risiko, number needed-to-treat b) kontinuierlich (z. B. Skalen): standardisierte Differenz der Mittelwerte Problem in der Psychiatrie: Es werden bei einer Erkrankung verschiedene Skalen verwendet z.b. bei Schizophrenie: PANSS 0-6 Punkte, PANSS 1-7 Punkte, BPRS 18 items, BPRS 24 items 10 Punkte auf der einen Skala haben eine andere Bedeutung als 10 Punkte auf einer anderen Skala z.b. Depression: HAMD-17, HAMD-21, HAMD-24 Lösung: Standardisierung um eine vergleichbare Effektstärke zu bekommen 9
10 Standardisierte Differenz der Mittelwerte (SDM) Standardisierte Differenz der Mittelwerte nach Cohen (Cohen, 1988, Statistical Power Analysis for the Behavioral Sciences) (Mittelwert Gruppe A Mittelwert Gruppe B) gepoolte Standardabweichung Beispiel Körpergewicht nach Ende der Intervention: Medikament: 75kg, Placebogruppe: 70kg, Standardabweichung 10 kg, SDM = (75kg-70kg)/10kg = 0,50 Cohen s rule zur Beurteilung der SDM 0,20=kleine Effektstärke 0,50=mittlere Effektstärke 0,80=große Effektstärke 10
11 Effektstärken internistischer und psychiatrischer Medikamente Standardised difference of means (SDM) General medicine drugs Psychiatric drugs Leucht et al., Br J Psychiatry, Metaanalysen 48 Medikamente für 20 internistische Erkrankungen 16 Medikamente für 8 psychiatrische Erkrankungen Internistische Medikamente: SMD=0.45 Psychiatrische Medikamente: SMD=0.41 Ähnliche Verteilung der Effektstärken für psychiatrische und internistische Medikamente Outcome Raw units Effect size RR systolic (mmhg) RR diastolic (mmhg)
12 Ergebnisse im Überblick 61 Metaanalysen zu 21 psychiatrischen Erkrankungen 31 Pharmakotherapie, 17 Psychotherapie, 7 Direktvergleiche, 12 Kombinationstherapie 852 Einzelstudien mit Teilnehmern Wirksamkeit aller Verfahren: SDM=0.50 (95% CI, ) Psychotherapie: SDM=0.58 (95% CI, ) Pharmakotherapie: SDM=0.40 (95% CI, ) 12
13 Psychotherapie oder Pharmakotherapie gegen Placebo 13
14 Psychotherapie/ Pharmakotherapie vs Placebo I Schizophrenie und affektive Störungen Huhn et al., JAMA Psychiatry
15 Psychotherapie/ Pharmakotherapie vs Placebo II Angststörungen Huhn et al., JAMA Psychiatry
16 Psychotherapie/ Pharmakotherapie vs Placebo III Borderlinestörungen, Abhängigkeit, ADHS Huhn et al., JAMA Psychiatry
17 Psychotherapie/ Pharmakotherapie vs Placebo IV Essstörungen und Schlafstörungen Huhn et al., JAMA Psychiatry
18 Psychotherapie oder Pharmakotherapie gegen Placebo V Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter Huhn et al., unveröffentlichte Daten 18
19 Zusammenfassung Psychotherapie/Pharmakotherapie Generell mittlere Effektstärken Große Effektstärken (SDM > 0,8): Psychotherapie: Zwang, Spezifische Phobie, Anorexie, Bulimie, Binge Eating, Pharmakotherapie: ADHS, Insomnie, Methadonsubstitution, Schizophrenie (Rückfallprophylaxe) Rückfallprophylaxe zeigt größere Effekte als Akuttherapie Tendenz zu größeren Effektstärken in der Psychotherapie als in der Pharmakotherapie Lassen sich die Effekte des indirekten Vergleiches im Direktvergleich Psychotherapie vs. Pharmakotherapie replizieren? 19
20 Direktvergleich Psychotherapie vs. Pharmakotherapie Huhn et al., JAMA Psychiatry
21 Gründe für unterschiedliche Effektstärken in den beiden Therapiemodalitäten Qualität der Metaanalysen Unterschiede in der Fallzahl Studiendesign der Einzelstudien: Kontrollgruppe Verblindung Baseline severity 21
22 Fallzahlen in psychiatrischen Metaanalysen Huhn et al., JAMA Psychiatry
23 Gibt es Unterschiede in der Qualität der Psycho- und Pharmakotherapie Einzelstudien? Huhn et al., JAMA Psychiatry
24 Kritikpunkte Verblindete Rater sind auch bei psychotherapeutischen Studien möglich Wartelisten verhindern die Wirksamkeit des Placeboeffektes Patienten auf der Warteliste denken ich warte auf die wirksame Therapie, deswegen kann es jetzt auf keinen Fall besser werden evtl. Besserung im natürlichen Verlauf wird erschwert 24
25 Subgruppenanalyse der Kontrollgruppen Mittelwert: SDM=0,97 Mittelwert: SDM=0,50 Huhn et al., JAMA Psychiatry
26 Unterscheiden sich die Teilnehmer von Psycho- und Pharmakotherapiestudien in der Krankheitsschwere? Cuijpers et al., 2010 Turner et al., 2010 Huhn et al., JAMA Psychiatry
27 Probleme in der Evaluation psychiatrischer Therapien Effektivität wird oft durch Skalen gemessen, die beeinflussbarer sind als Werte in der somatischen Medizin (z. B. Blutdruckwerte oder Cholesterinspiegel) Studienpatienten unterscheiden sich deutlich vom typischen klinischen Patienten (nicht suizidal, wenig Begleiterkrankungen ) Psychotherapie vom Erfahrungsgrad des Therapeuten abhängig Nebenwirkungen (auch bei Psychotherapie) 27
28 Ist Kombinationstherapie besser als Monotherapie? Huhn et al., JAMA Psychiatry
29 Zusammenfassung Psychiatrische Therapien sind ähnlich wirksam wir internistische Medikamente Sowohl psychotherapeutische als auch medikamentöse Verfahren sind wirksam Methodische Probleme können zu einer Verzerrung von Effektstärken führen (Wartelistenkontrolle, fehlende Verblindung, kleine Fallzahlen...) Psychiatrische Erkrankungen sind schwierig zu behandeln, deswegen sollten alle effektiven Therapieformen verwendet werden Kombinationen von Psychotherapie und Medikamenten erzielen die besten Ergebnisse 29
30 Danksagung Professor Leucht für seine Unterstützung bei der Erstellung der Doktorarbeit Myrto Samara und Bartosz Helfer für die Unterstützung in der Datenextraktion und der statistischen Analyse 30
31 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 31
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