Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS Service d enquête sur les accidents des transports publics SEA Servizio d inchiesta sugli infortuni dei trasporti pubblici SII Walter Kobelt Reg. Nr. 08091103 Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über den Personenunfall vom Donnerstag, 11. September 2008 im Bahnhof Pfäffikon (SZ)
Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR 742.161). 0 ALLGEMEINES 0.1 Kurzdarstellung Am Donnerstag, 11. September 2008 um ca. 22.55 Uhr verunglückte in Pfäffikon eine Person beim Aussteigen aus dem anfahrenden Zug IR 793 im Gleis 5. Sie wurde dabei schwer verletzt. Pfäffikon (SZ): Grafik: SBB 0.2 Untersuchung Die Untersuchungsstelle UUS wurde gleichentags um 23.20 Uhr durch die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Da die verunglückte Person schwer verletzt wurde, rückte der Unterzeichner sofort an den Unfallort aus. Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zusammen. 1. FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Der Interregio IR 793 verkehrt fahrplanmässig von Zürich ab 22.12 mit 8 Halten nach Chur mit Ankunft um 23.45 Uhr. Seite 2
1.2 Verlauf der Fahrt Der IR 793 fuhr am 11.09.08 in Zürich mit grösserer Verspätung ab. Die Fahrt von Zürich bis Pfäffikon verlief ohne besondere Ereignisse. Halt in Pfäffikon am normalen Halteort. Der Zug hatte immer noch ca. 15 Minuten Verspätung. Der Lokführer und der Zugchef waren bestrebt, die Verspätung bis Chur zu minimieren, um die Anschlüsse in Chur sicherzustellen. Nach dem Fahrgastwechsel erteilte der Zugchef an der ortsfesten Einrichtung die Abfahrtserlaubnis. Darauf bestieg er den 3. Wagen des Zugs und betätigte die Türschliessung. Nach der Betätigung der Türschliessung steht dieser Befehl bei den Türen für max. 8 Sekunden an. Wenn der Zug während dieser Zeit nicht auf mind. 5 km/h beschleunigt wird, können die Türen wieder geöffnet werden. (Vergl. dazu Diagramm im Anhang 3) Es ist davon auszugehen, dass der Verunfallte nach Erteilen des Schliessbefehls durch den Zugchef den Türöffnungsknopf im 1. Wagen drückte. Da die Türschliessung bereits aufgehoben war sie dauert max. 8 Sekunden und der Zug noch nicht 5 km/h erreicht hatte, öffnete sich die Tür und der Verunfallte stieg aus. Weil der Zug in der Zwischenzeit abfuhr und die Türschliessung wegen des 5 km/h-kriteriums wieder aktiv wa,r wurde der Verunfallte beim Aussteigen behindert. Als er trotzdem ausstieg, kam der Verunfallte zu Fall und verletzte sich beim Aufprallen auf das Perron schwer. Der Zugchef hat trotz Zugbeobachtung während des Einstiegs vom Ereignis nichts bemerkt. Gemäss Angaben des Lokführers beschleunigte er nach der Abfahrerlaubnis und dem Kontrollblick Zug diesen mit maximaler Zugkraft, was bei der relativ geringen Anhängelast eine grosse Beschleunigung ergibt. Beim zweiten Kontrollblick im Rückspiegel stellte der Lokführer fest, dass gemäss seiner Wahrnehmung die zweite Tür des ersten Wagens sich wieder öffnete (Bild 1), eine Person ausstieg und dabei auf dem Perron schwer stürzte. Umgehend leitete er eine Schnellbremsung ein. Der Lokführer konnte nicht mit Sicherheit angeben, ob die Tür, bei welcher der Verunfallte ausstieg, die zweite Tür des ersten Wagens war. Es ist davon auszugehen, dass die verunfallte Person zuerst ausstieg, dann wieder einstieg und danach nochmals ausstieg. 1.3 Personenschäden Bahnpersonal Reisende Drittpersonen Schwer verletzt: 1 1.4 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunternehmens Schäden an Rollmaterial und Infrastruktur der SBB gab es keine. 1.5 Sachschäden Dritter Über entstandene Sachschäden bei Dritten ist nichts bekannt. 1.6 Beteiligte Personen Lokpersonal Lokführer SBB-P, Fahrausweis BAV, Kat D Zugpersonal Zugschef SBB-P Seite 3
Verunfallter Reisender Dritte Dritte waren am Ereignis keine beteiligt. 1.7 Schienenfahrzeuge Eigentümer: SBB P Zugskomposition: Bpm 51; 2 B EW4; A EW4, D Triebfahrzeug: Re 460 114 Zugsgewicht: 305 t Bremsgewicht: Zugreihe / R / 135 Bremsverhältnis: Ausgeschaltete Keine Bremsapparate: 1.8 Strassenfahrzeuge Strassenfahrzeuge waren keine am Ereignis beteiligt. 1.9 Wetter, Schienenzustand Nacht, trocken, Schienenadhäsion normal. 1.10 Bahnsicherungssysteme Der Bahnhof Pfäffikon SZ ist mit einer Sicherungsanlage des Typs ELEKTRA1 (mit gesicherten Rangierfahrstrassen und Zwergsignalen) ausgerüstet. Das Triebfahrzeug ist mit der elektronischen Sicherheitssteuerung und mit der automatischen Zugsicherung mit Magnetfeldsonde sowie mit der Zugbeeinflussung ZUB 121 (SBB/BLS) ausgerüstet. Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert. Sie sind für den Verlauf des Ereignisses nicht relevant. 1.11 Zug- und Rangierfunk Die Funkgespräche sind für den Unfallablauf nicht relevant. 1.12 Fahrdatenschreiber Die Fahrdaten werden elektronisch aufgezeichnet. Sie wurden durch die Verkehrsunternehmung ausgelesen und ausgewertet. Eine Kopie der Fahrdaten ist bei der UUS vorhanden. Die Auswertung der Fahrdaten ergab, dass der Lokführer unmittelbar vor dem Ereignis am Perron ungefähr 54 Sekunden angehalten hat. Nach der Abfahrt beschleunigte er den Zug bis 32 km/h. Nach dem Erkennen der Gefahr leitete der Lf umgehend eine Schnellbremsung ein. Die Fahrstrecke zwischen Abfahrt und dem Nothalt betrug ca. 94 m (Anhang 1). Dies stimmt mit den Aussagen der Beteiligten und der daraus angefertigten Skizze der KAPO (Anhang 2) überein. Seite 4
1.13 Befunde an den Bahnfahrzeugen Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge durch den Untersuchungsleiter vor Ort ergab keine Beanstandungen. 1.14 Medizinische Feststellungen In Bezug auf medizinische Beschwerden der am Unfall beteiligten Personen ist nichts bekannt. 1.15 Feuer Beim Ereignis trat kein Feuer auf. 1.16 Überlebensmöglichkeiten Die Verletzungen der verunfallten Person sind schwer aber nicht lebensgefährlich. 1.17 Besondere Untersuchungen Auf dem Unfallplatz wurde die Funktion der Türen an den betroffenen Wagen kontrolliert. Es wurden keinerlei Unregelmässigkeiten festgestellt; die Türen und die Türschliessung funktionierten einwandfrei. 1.18 Information über Organisation und Verfahren Bei Zug IR 793 handelt es sich um einen regelmässig verkehrenden, im amtlichen Kursbuch aufgeführten Reisezug von Zürich (planmässige Abfahrt um 22.12 Uhr) via Ziegelbrücke nach Chur (planmässige Ankunft um 23.45 Uhr). In Pfäffikon fährt der Zug fahrplanmässig um 22.41 Uhr ab. 2. BEURTEILUNG 2.1 Technisches Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge ergab keine Beanstandungen. Der Türschliessmechanismus und die Türsteuerung der betroffenen Wagen haben einwandfrei funktioniert. Der Schliessbefehl des Zugchefs wird für max. 8 Sekunden gespeichert und die Türen sind dementsprechend für diese Zeit nicht bedienbar. Die automatische Verriegelung, gesteuert durch den Gleitschutz, wird bei Tempo >5 km/h wirksam. Bei der eingesetzten Türschliessart (UIC 13-polig) kann jede Türe ca. 5 bis 8 Sekunden nach der Erteilung des Schliessbefehls durch den Zugchef bis zum Erreichen einer Geschwindigkeit von >5 km/h mit dem normalen Öffnungsknopf wieder geöffnet werden. Seite 5
2.2 Betriebliches Der genaue Zeitpunkt der Betätigung der Türöffnung und die Türe, bei welcher der Verletzte den Zug verlassen hat, konnten nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Gemäss der Wahrnehmung des Lokführers stieg der Verunfallte bei der 2. Türe des ersten Wagens aus. (Diese Aussage ist nicht gesichert.) Das Bahnpersonal hat sich vorschriftsgemäss verhalten. 3. Schlussfolgerungen 3.1 Befunde Die Bahnfahrzeuge waren nicht zu beanstanden. Die Bahnsicherungsanlagen hatten keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen. Die Türen lassen sich ca. 5 bis 8 Sekunden nach Erteilung des Schliessbefehls bis zum Erreichen des Geschwindigkeit > 5 km/h über den normalen Türknopf öffnen. Der Aufenthalt des Zugs in Pfäffikon dauerte ca. 54 Sekunden. 3.2 Ursache Verlassen des Zugs durch die verunfallte Person als der Zug bereits in Fahrt war. Ein Zusammenhang mit der fehlenden Türverriegelung zwischen der Türschliessung durch den Zugchef und Erreichen der automatischen Verriegelung bei der Geschwindigkeit von > 5 km/h kann nicht nachgewiesen werden, ist aber wahrscheinlich. 4. SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN Bei der UIC Türschliessung 13-polig schliesst der Zugchef von seiner Einstiegstüre aus alle Türen der Komposition ausser seiner. Wenn er festgestellt hat, was nicht immer sicher möglich ist, dass alle Türen geschlossen sind, schliesst er seine Eigenen. Da nach max. 8 sec. der Schliessbefehl nicht mehr ansteht, soll der Lf vor dem Beschleunigen einen zusätzlichen Schliessbefehl erteilen und sofort losfahren. Damit kann die Lücke in der Türschliessung geschlossen werden. Die Untersuchungen wurden von Walter Kobelt geführt. Bern, 18.12.2008 Untersuchungsstelle Bahnen und Schiffe W. Kobelt Untersuchungsleiter Verteiler: gemäss SR 742.161 (VUU), Art 25 3 Seite 6
Anhang 1 Seite 7
Anhang 2 (KAPO Schwyz) Seite 8
Türsteuerung UIC 13-polig Zugspersonal Lokführer Zeit Relais UIC Codex 560 3.3.3.2 Max. 8 Sek. Geschwindigkeit des Zuges Gleitschutz G-S Km/h 5 0 Magnetventil Turschliessung Zeitspanne während der Türen geöffnet werden können Türsteuerung UIC 13-polig mögliche Verbesserung : Der Lokführer gibt vor dem Beschleunigen zusätzlich einen Schliessimpuls und beschleunigt sofort Zugspersonal Schliessimpuls des Lokführers Lokführer Zeit Relais UIC Codex 560 3.3.3.2 Max.8 Sek. Max.8 Sek. Geschwindigkeit des Zuges Beschleunigung Gleitschutz G-S Km/h 5 0 Magnetventil Türschliessung Anhang 3 Seite 9
Bild 1: Linke Türe ist wahrscheinliche Ausstiegstüre des Verletzten (Foto KAPO Schwyz) Seite 10