Rede Oberbürgermeister Gregor Kathstede anlässlich am 08.09.2012, 13:00 Uhr, Friedenskirche - das gesprochene Wort gilt - Sehr geehrter Herr Dr. Delschen, verehrte Frau Schmidt, lieber Thomas, Herr Imöhl, liebe Gäste, wer eine so lebendige, so erfolgreiche Gegenwart vorweisen kann, wie die Krefelder Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, der hat gut feiern. Ich wünsche deshalb allen Schützlingen, Mitgliedern, Seite 1 von 14
Mitarbeitern, Freunden und Förderern der Lebenshilfe Krefeld einen wunderschönen Feiertag. Die Stadt Krefeld, die ich hier vertreten darf, feiert gern mit, denn ich kann mit einigem Stolz sagen, dass Stadtrat, Verwaltung und Bürgerschaft am Erfolg dieser 50 Jahre Lebenshilfe zu einem guten Stück beteiligt sind. An etlichen der Einrichtungen ist auch der Kreis Viersen erheblich beteiligt. In enger Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Stadt und Kreis wurde ein Sozialwerk geschaffen, das auf einem starken und breiten Fundament steht und sich ständig weiter entwickelt. Im Seite 2 von 14
Namen aller Krefelder Bürger darf ich Ihnen, Herr Dr. Delschen, dem Vorstand der Lebenshilfe und allen, die dem Verein verbunden sind, ganz herzlich zu 50 erfolgreichen Jahren gratulieren. Meine besondere Gratulation gilt denen, die vor 50 Jahren an der Gründung der Lebenshilfe mitgewirkt haben und heute den Jubiläumstag miterleben können. Sie sind nicht nur Zeugen einer glücklich verlaufenen Vereinsgeschichte. Sie haben auch mitgewirkt an einem Gesinnungswandel, der unsere Gesellschaft gründlich ins Positive verändert Seite 3 von 14
und um vieles humaner gemacht hat, als sie je zuvor war. Liebe Gäste, es trifft sich gut: Während wir hier Jubiläum feiern, werden in London bei den paralympischen Spielen die letzten Wettbewerbe veranstaltet. Nie zuvor haben sportliche Wettbewerbe von Behinderten ein so großes Interesse gefunden wie in diesen Tagen. Ergebnisse der Wettbewerbe sind Bestandteil der Hauptnachrichten. Lange Passagen der Londoner Ereignisse werden live im Fernsehen übertragen. Das hat es alles in dieser Ausführlichkeit und in dieser Selbstverständlichkeit zuvor noch nie Seite 4 von 14
gegeben. Bürgerinitiativen wie die Krefelder Lebenshilfe haben einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, die Bewusstseinsveränderung in der Gesellschaft herbeizuführen, die das alles möglich gemacht hat. Ich will hier an diesem hellen und frohen Tag nur mit diesem einen Satz an das düstere Kapitel des dritten Reiches erinnern, um die grundsätzliche Wende zu kennzeichnen, die während der vergangenen 50 Jahre im Verhältnis der Gesellschaft zu ihren behinderten Mitbürgern gelungen ist. Ich glaube, heutzutage kann sich kaum noch einer Seite 5 von 14
vorstellen, was die Gründung der Lebenshilfe seinerzeit bedeutete. Es war eine Art Coming Out, das Reinhard Olfs und seine Mitstreiter damals wagten, denn es war auch in den 50er und frühen 60er Jahren, fast 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches, noch keinesfalls üblich, sich zu seinen behinderten Kindern öffentlich zu bekennen und für sie einen angemessenen Platz in der Gesellschaft einzufordern. Ich darf in diesem Zusammenhang vor allem an drei Namen erinnern. In den Ratsdamen Margarete Engländer und Lore Cattepoel sowie in dem damaligen Sozialdezernenten Seite 6 von 14
Joachim Elspass fanden Reinhard Olfs und die Gründer der Lebenshilfe die Partner in Politik und Verwaltung, die die neue Dimension und Ausrichtung dieses Themas verstanden und bereit waren, hier ein neues Kapitel in der Sozialgeschichte der Stadt aufzuschlagen und zu gestalten. Wenn ich mit Zeitzeugen spreche, dann vermittelt sich mir der Eindruck, dass längst nicht alle Ratsmitglieder und auch nicht die gesamte Verwaltungsspitze seinerzeit überzeugt davon waren, dass es sinnvoll und möglich sein könnte, über die Einrichtungen für reine Betreuung der geistig Behinderten Seite 7 von 14
hinaus Arbeitsplätze für geistig Behinderte einzurichten. Erst recht abwegig erschien vielen der Gedanke, dass es Wohngemeinschaften für diese Mitbürger geben könnte, die ihnen eine zu großen Teilen selbständige Lebensgestaltung ermöglichen würden. Und ich glaube, dass alle Gründer zusammen sich seinerzeit nicht vorstellen konnten, zu welch einem umfassenden Netzwerk die Lebenshilfe heranwachsen würde. In diesem Zusammenhang hat es sich als sehr sinnvoll erwiesen, dass der damalige Oberbürgermeister und der Sozialdezernent Seite 8 von 14
Elspass seinerzeit die interkommunale Zusammenarbeit mit dem Kreis Viersen herbeigeführt haben. Damit waren die breite Basis und eine starke kommunale Partnerschaft geschaffen, die sich auch beim zuständigen Landschaftsverband und den Düsseldorfer Ministerien mit ihren Plänen bemerkbar machen und bei den Zuschussgebern durchsetzen konnte. Mit den ersten Kindern, die einen Kindergarten besuchten und dann heranwuchsen, wuchs auch das Netzwerk der Schulen, Fahrdienste, heilpädagogischen Zentren und Wohngemeinschaften. Seite 9 von 14
Hier muss auch hervorgehoben werden, dass die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder immer bereit waren, sich in die komplexe Materie der geistigen Behinderung und die der sozialen Gesetzgebung sowie der zuständigen Hierarchien und der Behördenpraxis einzuarbeiten. Das ist wahrhaftig ein weites Feld, und für viele, die hier tätig sind, ist aus dem Ehrenamt eine professionelle Sachkunde geworden, die es den Aktiven ermöglicht, mit Politik und Behörden auf Augenhöhe zu diskutieren. Ebenso wichtig ist aber auch, dass immer neue betroffene Eltern im Kreis dieser ehrenamtlich Tätigen Verständnis für ihre Seite 10 von 14
Sorgen, umfassende Information, tätige Hilfe und wirksame Interessenvertretung finden. Liebe Gäste, eine Aufgabe wie die, die sich die Lebenshilfe gestellt hat, findet nie ihre endgültige Form. Neue Generationen diskutieren ein solches Thema neu. Inklusion ist ein wichtiges Stichwort unserer Tage. Während vor 50 Jahren die gesonderte Betreuung und Förderung der Behinderten in Kindergärten und Schulen als ideal galt, sucht man nun den Weg der Integration, um die Vision vom Platz inmitten der Gesellschaft tatsächlich zu verwirklichen. Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, und wir alle werden durch Seite 11 von 14
Erfahrung lernen müssen, wo hier die Möglichkeiten und die Grenzen zu finden sind. Wichtig ist zunächst, dass wir die Bereitschaft mitbringen, diese Erfahrungen zu machen und dann zu entscheiden. Meine Damen und Herren, die Lebenshilfe ist mit Verein, Stiftung, Mitgliedern, Mitarbeitern und den zahlreichen Einrichtungen eine starke Lobby. Diese Lobby wird nicht nur gebraucht, das große Werk ständig an die aktuellen Erkenntnisse und Aufgaben anzupassen. Sie wird erst recht gebraucht, um das Erreichte zu behaupten und immer wieder zu sichern. In der Zeit großen Wirtschaftswachstums konnte Seite 12 von 14
die Lebenshilfe wachsen. Sie in der Zeit von Rezessionen, Finanzkrisen und demographischem Wandel zu sichern, wird eine besondere Herausforderung sein. Die Lebenshilfe war und ist ein Prüfstein für die Solidarität der Gesellschaft in unserer Stadt und im Nachbarkreis. Diese Prüfung haben Krefeld und der Kreis Viersen im Zusammenspiel privater Initiative und öffentlicher Hand bestanden. Wir alle wollen daran mitwirken, dass wir das erreichte Niveau der Humanität und Solidarität auch in Zukunft erhalten können. Seite 13 von 14
In diesem Sinne wünschen Rat, Verwaltung und Bürgerschaft der Lebenshilfe Krefeld eine gute und erfolgreiche Zukunft und uns allen weiterhin eine gute Zusammenarbeit. Seite 14 von 14