Positionspapier Auswirkungen von Solvency II auf die Kapitalanlagen der deutschen Versicherungsunternehmen Einleitung Mit einem Kapitalanlagebestand von rund 1.250 Milliarden Euro gehören Versicherer zu den größten institutionellen Investoren in Deutschland. Bei der Refinanzierung von Banken nimmt die Assekuranz eine entscheidende Funktion wahr. So fließen ca. 15 % der Kapitalanlagen an Banken zur direkten Refinanzierung in Form von Darlehen und Schuldscheindarlehen. Daneben sind die deutschen Versicherer zu rund 13 % des gesamten Kapitalanlagenbestandes oder rund 140 Milliarden Euro gegenüber Staaten in Form von Darlehen und Anleihen investiert. Solvency II ist in der Versicherungswirtschaft das bedeutendste Regulierungsvorhaben der vergangenen Jahrzehnte. Im Gesamtkontext des Projekts sind trotz aller Fortschritte noch wichtige Fragen offen. Beispielhaft seien hier die Themengebiete Zinsstrukturkurve, Proportionalitätsprinzip oder Berichtswesen genannt. 1 Dabei können schon relativ kleine Veränderungen in der Allokation der Kapitalanlagen aufgrund der absoluten Höhe der angelegten Beträge große Auswirkungen haben. Solvency II wird daher in Abhängigkeit der Ausgestaltung erheblichen Einfluss auf die Bereitschaft und Möglichkeit der Versicherer haben, der Volkswirtschaft Kapital in bisherigem Umfang zur Verfügung zu stellen. In diesem Positionspapier werden einige wesentliche Punkte beleuchtet, welche nach jetzigem Stand von Solvency II negative Auswirkungen auf bestimmte Kapitalanlageklassen der deutschen Versicherer haben könnten. 1 Für weitergehende Informationen sei auf das Positionspapier zu notwendigen Änderungen für das Gelingen von Solvency II vom 21.01.2011 verwiesen, welches auf der Seite www.gdv.de heruntergeladen werden kann. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin Postfach 08 02 64, 10002 Berlin Tel.: +49 30 2020-5440 Fax: +49 30 2020-6440 60, avenue de Cortenbergh B - 1000 Brüssel Tel.: +32 2 28247-30 Fax: +32 2 28247-39 Ansprechpartner: Tim Ockenga Kapitalanlagen E-Mail: t.ockenga@gdv.de www.gdv.de
Kapitalanlagen der deutschen Erstversicherer Die Kapitalanlagen der deutschen Erstversicherer gliedern sich in einen sehr hohen Anteil an Renteninvestments und in nur geringe Beimischungen von risikoreicheren Anlagen auf. Höchste Priorität für die Steuerung der Kapitalanlagen hat die Sicherheit des Bestandes. 3,5% 3,3% 3,3% 3,4% 86,5% Renten Beteiligungen Immobilien Aktien Sonstige 1. Kalibrierung des Spreadrisikos setzt falsche Anreize Die unter Solvency II vorgesehene Kapitalunterlegung des Spreadrisikos konterkariert die Lehren aus der Finanzmarktkrise und setzt stattdessen klare Anreize für die Investition in kurzfristige Anlagen. Eine aus Risikosicht optimale Kapitalanlage sollte nicht nur eine zur Rentabilität angemessene Sicherheit aufweisen, sondern auch in ihrer Laufzeit möglichst auf die Laufzeiten der gegenüberstehenden Verbindlichkeiten abgestimmt sein. Die Verbindlichkeiten eines Versicherungsunternehmens ergeben sich vorwiegend aus zukünftigen Zahlungsverpflichtungen aus den Versicherungsverträgen. Der Vorteil von mit den Verbindlichkeiten abgestimmten Laufzeiten der Kapitalanlagen liegt darin, dass Risiken aus Zinsänderungen am Kapitalmarkt dadurch deutlich reduziert werden. Fallen die durchschnittlichen Laufzeiten von Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten auseinander, wird dies als Durationslücke bezeichnet. Das Schließen der Durationslücke spielt gerade für Lebensversicherer eine große Rolle, da sie typischerweise relativ lang laufende Verbindlichkeiten in ihren Beständen haben, denen nur ein geringes Angebot von langlaufenden Seite 2 / 5
Kapitalanlagen gegenübersteht. Darüber hinaus erhöhen langfristige Investments der Versicherer die Stabilität an den Kapitalmärkten. Die derzeitige Kapitalunterlegung des Spreadrisikos unter Solvency II läuft diesen Bemühungen jedoch zuwider, indem durch die Kapitalunterlegung klare Anreize für eine Investition in kurzfristige Anlagen gesetzt werden. Das Spreadrisiko umfasst die Sensitivität der Werte von Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und Finanzinstrumenten in Bezug auf Veränderungen in der Höhe oder in der Volatilität der Kredit-Spreads über der risikofreien Zinskurve. Dadurch dass der Berechnungsansatz des Spreadrisikos von der modifizierten Duration eines Papiers abhängt, erhöht sich die Kapitalanforderung für festverzinsliche Wertpapiere tendenziell mit steigender Laufzeit. Unter Vernachlässigung der sich durch die im Standardmodell getroffenen Korrelationsannahmen ergebenen Diversifikationseffekte wächst die Kapitalanforderung für einen als Nullkupon-Anleihe ausgestalteten AAA-Pfandbrief von etwa 3 % für einen Titel mit fünfjähriger Laufzeit, über 6 % für zehnjährige Titel, auf ca. 11 % für 20-jährige Titel. Während das Zinsänderungsrisiko speziell Lebensversicherer mit hohen passivseitigen Durationen dazu anhält das Durationsniveau auf ihrer Aktivseite zu erhöhen, setzt das Spreadrisiko gegenteilige Anreize. In der fünften Auswirkungsstudie (QIS5) zu Solvency II ist das Spreadrisiko mit einem durchschnittlichen Anteil von ca. 20 % an der gesamten Solvenzkapital- Anforderung sogar der drittwichtigste Einflussfaktor in der Lebensversicherung geworden. Die tatsächliche Risikosituation wird damit in keiner Weise widergespiegelt. 2. Pfandbriefe - einseitige Konzentration auf Ratings bei der Kapitalunterlegung Die unter Solvency II vorgesehene überhöhte Kapitalunterlegung für unter AAA geratete Pfandbriefe steigert die Abhängigkeit von externen Ratings und berücksichtigt darüber hinaus nicht ausreichend die hohe Sicherheit von Pfandbriefen im Vergleich zu anderen Wertpapieren. Pfandbriefe spielen in der Kapitalanlage der deutschen Versicherer eine bedeutende Rolle. Rund 24 % ihrer gesamten Kapitalanlagen entfielen zum Jahresende 2010 auf diese Anlageart. Die zukünftige aufsichtsrechtliche Behandlung des Pfandbriefs ist daher auch aus Investorensicht bedeutsam. Öffentliche Pfandbriefe wie auch Hypothekenpfandbriefe unterliegen in Solvency II jeweils dem Spreadrisiko. Vorausgesetzt, dass es Seite 3 / 5
sich um Pfandbriefe im Sinne der OGAW-Richtlinie handelt und die Titel über ein AAA Rating verfügen, gelten für Pfandbriefe relativ niedrige Risikofaktoren. Damit wird dem besonders hohen Sicherheitscharakter dieser Papiere Rechnung getragen. In der letzten Auswirkungsstudie betrug beispielsweise die Kapitalanforderung für einen als Nullkupon-Anleihe ausgestalteten Pfandbrief mit einer Laufzeit von 10 Jahren rund 6 % und lag damit ca. 3 Prozentpunkte niedriger als für eine unbesicherte Unternehmensanleihe höchster Bonität. Pfandbriefe mit einem AA Rating und schlechterer Bonität erfahren jedoch die gleiche Behandlung wie andere Schuldtitel, obwohl ihr Sicherheitsniveau aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung objektiv deutlich höher einzustufen ist. Diese Gleichbehandlung mit anderen Schuldtiteln widerspricht der in den Diskussionen inzwischen zu Recht verankerten relativen Privilegierung des Pfandbriefes gegenüber anderen Schultiteln, wie sie sich auch z. B. in Fragen der zukünftigen Gläubigerbeteiligung im Falle von Bankenrestrukturierungen zeigt. Ferner unterwirft sie das langfristige Anlageverhalten institutioneller Investoren den Kriterienänderungen der Ratingagenturen. Daher sollte eine Besserstellung innerhalb des Spreadrisikos nicht auf AAA geratete Pfandbriefe begrenzt werden. Sofern eine Abhängigkeit vom Rating angestrebt wird, sollte diese kongruent mit der Regelung des Konzentrationsrisikos sein und daher zumindest auf AA geratete Pfandbriefe, wenn nicht auf den gesamten Investment Grade Bereich, ausgeweitet werden. Die genaue Ausgestaltung der Besserstellung des Pfandbriefs gegenüber ungedeckten Unternehmensanleihen und anderen Zinstiteln im Solvency II-Standardmodell wird die Fähigkeit und Bereitschaft der Versicherer beeinflussen, auch zukünftig als wichtige Investorengruppe in Pfandbriefe auftreten zu können. 3. Vollständiger Abzug von Bankbeteiligungen von den Eigenmitteln ungerechtfertigt Die Streuung des Anlageuniversums wird im Solvency II-Standardmodell nicht hinreichend gewürdigt. Zwar werden die positiven Diversifikationseffekte von Immobilieninvestments berücksichtigt, aber die positiven Effekte von Investitionen in Aktien und Beteiligungen in Finanz- und Kreditinstitutionen werden durch eine zu hohe Kapitalunterlegung konterkariert. Seite 4 / 5
Das Solvency II-Standardmodell sieht vor, dass der Wert von Beteiligungen an Finanz- und Kreditinstituten vollständig von den Eigenmitteln eines Versicherers abzuziehen ist. Dieses Vorgehen unterstellt, dass keine dieser Beteiligungen werthaltig ist bzw. einen Wert von null hat. Dadurch wird die Risikosituation in einer der am weitesten regulierten Branchen viel zu hoch dargestellt. Der Ansatz berücksichtigt auch in keiner Weise die durch aktuelle Regulierungsvorhaben im Bankensektor, wie beispielsweise Basel III, zukünftig angestrebte verbesserte Risikotragfähigkeit der Kreditinstitute. Darüber hinaus berücksichtigt er auch nicht Unterschiede im Geschäftsmodell der Banken. Bankbeteiligungen sollten daher wie alle anderen Aktien mit ihrem Marktwert angesetzt und einem Stress unterzogen werden. Neben einer angemesseneren Berücksichtigung des mit Beteiligungen einhergehenden Risikos würde auf diese Weise auch ein de-facto Zwang zur Umstrukturierung von Gruppen vermieden. 4. Kapitalunterlegung für Immobilienrisiko nicht sachgerecht Die unter Solvency II vorgesehene Kapitalunterlegung von 25 % orientiert sich am volatilen Gewerbeimmobilienmarkt für den Großraum London und sollte daher nicht auf die wesentlich werthaltigeren Immobilienportfolios europäischer und besonders deutscher Versicherer angewendet werden. In Zeiten volatiler Kapitalmärkte stellen Sachwerte wie Immobilien ein auf Kontinuität angelegtes Investment dar. Deutsche Versicherer haben ca. 3,3 % ihrer Kapitalanlagen in Immobilien investiert. Die positiven Diversifikationseigenschaften werden auch im Solvency II-Standardmodell berücksichtigt. Nichtsdestotrotz werden in den aktuellen Diskussionen die damit verbundenen Risiken deutlich überzeichnet. So orientiert sich die unter Solvency II vorgesehene Kapitalunterlegung von 25 % am volatilen Gewerbeimmobilienmarkt für den Großraum London. Die Immobilienportfolios europäischer Versicherer und deren hohe Werthaltigkeit können damit nicht angemessen abgebildet werden. Gerade für den sehr stabilen deutschen Immobilienmarkt ist eine 25 prozentige Kapitalunterlegung nicht sachgerecht. Daher sollte auch in der Standardformel nach unterschiedlichen Immobilienmärkten unterschieden oder alternativ die Kalibrierung wenigstens an eine durchschnittliche gesamteuropäische Risikosituation angepasst werden. Berlin, den 08.07.2011 Seite 5 / 5