Wilfried SchubarthlRichard Stoss (Hrsg.) Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland
Wilfried SchubarthlRichard Stoss (Hrsg.) Rechtsextrernisrnus in der Bundesrepublik Deutschland Eine Bilanz Leske + B udrich, Opladen 2001
Redaktion: Cornelia Schmitz Die Deutsche Bibliothek - CW-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fur die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhliltlich ISBN 978-3-322-97527-0 ISBN 978-3-322-97526-3 (ebook) DOI 10.1007/978-3-322-97526-3 2001 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschlieblich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtitzt. Jede Verwertung auberhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Vedages unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur VervielfaItigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Medienhaus Froitzheim AG, Bonn, Berlin
Inhalt Vorwort der Herausgeber 7 A. Einleitung: Extremismus in vergleichender Perspektive 11 GERO NEUGEBAUER Extremismus - Rechtsextremismus - Linksextremismus: Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen 13 JORGEN R. WINKLER Rechtsextremismus: Gegenstand - Erklarungsansatze - Grundprobleme 38 B. Phanomenologie des Rechtsextremismus 69 ARMIN PFAHL-TRAUGHBER Der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland nach 1945. Zur Entwicklung auf den Handlungsfeldern»Aktion«-»Gewalt«-»Kultur«-»Politik«71 RICHARD STOSS Ideologie und Strategie des Rechtsextremismus WERNER BERGMANN Antisemitismus in Deutschland BERND WAGNER Rechtsextremismus und Jugend CORINNA KLEINERT/JOHANN DE RIJKE Rechtsextreme Orientierungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen BIRGIT ROMMELSPACHER Das Geschlechterverhaltnis im Rechtsextremismus KAI ARZHEIMERIHARALD SCHOEN/JURGEN W. FALTER Rechtsextreme Orientierungen und Wahlverhalten 101 131 155 167 199 220
Inhalt 6 C. Gesellschaft und Politik in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus 247 WILFRIED SCHUBARlH Padagogische Strategien gegen Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Gewalt - Moglichkeiten und Grenzen schulischer und auberschulischer Pravention 249 FRANZ JOSEF KRAFELD Zur Praxis der padagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen 271 CHRISTOPH BUTTERWEGGE Ambivalenzen der politischen Kultur, intermediare Institutionen und Rechtsextremismus 292 HANS-GERD JASCHKE Rechtsstaat und Rechtsextremismus 314 Auswahlbibliografie 333 Die Autoren 355
Vorwort der Herausgeber Extremismus und Gewalt - ganz gleich, ob von links oder rechts - sind mit dem Leben in einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar. Eine wehrhafte Demokratie muss deshalb ihre demokratischen Grundprinzipien und Grundrechte verteidigen und extremistischen Erscheinungen und Bestrebungen konsequent entgegenwirken. Die Geschichte der Bundesrepublik hat gezeigt, dass eine demokratische Gesellschaft dazu urn so besser in der Lage ist, je mehr sie solche Erscheinungen als ernsthafte Herausforderung fur die Demokratie begreift. In den letzten Jahren, insbesondere seit der Wiedervereinigung Deutschlands, ist es vor allem der Rechtsextremismus, der die Demokratie herausfordert. Fremdenfeindliche Ubergriffe, Aufmarsche neonazistischer Organisationen, dominantes Auftreten rechtsextremer Jugendcliquen, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien oder die Verbreitung von Rassismus im Internet sind nur einige der Facetten, in denen Rechtsextremismus in Erscheinung tritt. Immer wieder gerat deshalb das Thema in den Blickpunkt der Offentlichkeit. Beginnend mit der breiten Debatte uber Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Gewalt zu Anfang der 90er Jahre - vor allem als Reaktion auf die massive Gewalt gegenuber Asylbewerbern bzw. Auslandern in Hoyerswerda (1991), Rostock-Lichtenhagen, MolIn (1992) und Solingen (1993) - wurde der Rechtsextremismus in den Folgejahren zu einem der zentralen Themen der offentlichen Diskussion im wiedervereinigten Deutschland. Begleitet wurden die offentlichen Debatten von einer intensiven wissenschaftlichen Beschaftigung mit dem Thema sowie der Suche nach wirksamen Gegenstrategien. Eine erste Bestandsaufnahme legte die Bundeszentrale fur politische Bildung bereits im Jahre 1993 mit dem von Hans-Uwe Otto/Roland Merten herausgegebenen Band»Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland. Jugend im gesellschaftlichen Umbruch«vor. Anknupfend an diesen Band will der vorliegende die damalige Bestandsaufnahme fortschreiben und eine aktuelle Bilanz des Forschungs- und Diskussionsstands zum Thema»Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland«vornehmen. Der Band stellt in kompakter Form und verstandlicher Sprache wesentliche Aspekte des Themas zusammenfassend dar. Er ist in drei Teilbereiche gegliedert, denen jeweils mehrere Beitrage zugeordnet sind: Extremismus in vergleichender Perspektive (A), Phanomenologie des Rechtsextremismus (B), Gesellschaft und Politik in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus (C). 1m Teil A werden zunachst das Forschungsfeld und seine Umgebung kritisch beleuchtet. GERO NEUGEBAUER behandelt die Extremismusproblematik insgesamt, wobei er sich vor allem auf begriffliche, methodische und konzeptionelle Aspekte sowie auf die Forschungslandschaft konzentriert. Sein Fazit lautet, dass sich der Extremismusansatz in den Sozialwissenschaften nicht durchsetzen konnte, well er der Komplexitat der Verhaltnisse nicht gerecht wurde. Dies gelte im Prinzip auch fur den Bereich des Linksextremismus. Auf diesem Gebiet mangele es zwar nicht an
Vorwort der Herausgeber 8 Untersuchungen, sie lieben sich jedoch nicht unter einen einheitlichen, alle Forschungen verklammemden Oberbegriff subsumieren und folgten zumeist auch nicht dem Extremismuskonzept. Allein hinsichtlich des Rechtsextremismus konne von einem eigenstandigen Forschungsfeld gesprochen werden. Aber auch hier spiele das Extremismuskonzept eine periphere Rolle. JORGEN R. WINKLER bilanziert anschliebend den Entwicklungsstand der Rechtsextremismusforschung. Er vermisst eine konsensuale Wissenschaftssprache, verweist auf die»inkonsistente und unprazise Verwendung«des Begriffs»Rechtsextremismus«und setzt sich kritisch mit den Erklarungsangeboten auseinander. AbschlieBend resiimiert Winkler einige theoretische, begriffliche und empirische Grundprobleme der Forschung. Der Bereich B»Phanomenologie des Rechtsextremismus«umfasst sieben Beitrage, die unterschiedlichen Facetten des Rechtsextremismus gewidmet sind. Zunachst beschreibt ARMIN PFAHL-TRAUGHBER die Entwicklung des organisierten Rechtsextremismus nach 1945 entlang der Handlungsfelder»Aktion«,»Gewalt«,»Kultur«und»Politik«. Seine differenzierte Analyse miindet in eine Abschatzung des gegenwartigen Gefahrdungspotenzials. Der demokratische Verfassungsstaat sei bislang zu keiner Zeit existenziell infrage gestellt gewesen. Allerdings ergaben sich aus der Militanz des Neonazismus durchaus Gefahren fur die Demokratie. Das erhebliche Sympathisantenumfeld konne sich unter veranderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durchaus zu einer emsthaften Bedrohung der verfassungsmabigen Ordnung entwickeln. RICHARD STOSS analysiert die Ideologie und die Strategien des Rechtsextremismus. Dessen langfristiges Ziel bestehe darin, die staatliche Ordnung in einen volkischen N ationalismus umzuwandeln, mithin einen Systemwechsel herbeizufiihren. Urn eine Massenbasis fur dieses Anliegen zu erreichen, worden massive Bedrohungsszenarien entwickelt und die bestehenden Institutionen, Strukturen und Fiihrungsgruppen als schwach, unfahig und korrupt denunziert. In der Folge wiirde sich in der BevOlkerung - so die Erwartungen des Rechtsextremismus - das Bediirfnis nach einer»autoritar-volksgemeinschaftlichen Problemlosung«ausbreiten. Da der Antisemitismus einen wesentlichen Bestandteil des rechtsextremen Denkens und Handelns darstellt, zeichnet WERNER BERGMANN in seinem Beitrag die Entwicklung des Antisemitismus in beiden Teilen Deutschlands von 1945 bis heute nacho Dabei beriicksichtigt er sowohl empirische Befunde als auch theoretische Erklarungsmodelle. BERND WAGNER befasst sich mit den Besonderheiten des jugendlichen Rechtsextremismus - vor allem in den neuen Bundeslandem. Dabei misst er den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen grobe Bedeutung bei, die zu einer»wachsenden Normalitiit rechtsextremer Einstellungen«gefiihrt hatten. Und er analysiert die Hintergriinde, Erscheinungsformen und die Bedeutung der zunehmenden Gewalt(-bereitschaft) der rechtsextremen Cliquen, Gruppen und Szenen. Uber rechtsextreme Orientierungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen informiert der Beitrag von CORINNA KLEINERT und JOHANN DE RUKE. Anhand reprasentativer Jugendstudien werden das AusmaB verschiedener rechtsextremer Einstellungen (z. B. Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus) dargestellt und Determinanten fur ihr Entstehen herausgearbeitet. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die aufgezeigten Entwicklungstrends sowie der Ost-West-Vergleich und der Vergleich mit der Erwachsenenpopulation. Der Frage des Geschlechterverhaltnisses im Rechtsextremismus geht BIRGIT ROMMELSPACHER in ihrem Beitrag nacho Dabei wird deutlich, dass geschlechtsspezifische Formen von Rechtsextremismus
9 Vorwort der Herausgeber und auch unterschiedliche Motive fur Rechtsextremismus bei Frauen und Mannem existieren. Zugleich werden typische Frauenbilder bei Rechtsextremen rekonstruiert. KAI ARZHEIMER, liarald SCHOEN und JORGEN W. FALTER gehen der Frage nach, ob die Wahl rechtsextremer Parteien eher durch rechtsextreme Einstellungen (also durch die Ubereinstimmung der Wahler mit den Zielen der Parteien) oder eher durch Protesthaltungen begfrnstigt wird. Die Autoren gelangen zu dem Ergebnis, dass beide Faktoren jeweils ftir sich genommen die Bereitschaft zur Wahl einer rechtsextremen Partei begfrnstigen. Aber erst das Zusammenwirken beider Faktoren lasse die» Wahrscheinlichkeit der Rechtswahl auf dramatische Werte anwachsen«. Der dritte und abschliebende Teil des Bandes»Gesellschaft und Politik in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus«umfasst vier Beitrage. WILFRIED SCHU BARTH gibt einen Uberblick tiber padagogische Strategien gegen Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Gewalt. In diesem Beitrag wird die padagogische Arbeit als wichtiger Teil gesamtgesellschaftlicher Strategien gegen Rechtsextremismus herausgearbeitet; zugleich werden Moglichkeiten und Grenzen konkreter schulischer und au Berschulischer Pravention aufgezeigt. Daran ankntipfend beschreibt der Beitrag von FRANZ JOSEF KRAFELD die Praxis der pactagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen, wobei auf konkrete Schwierigkeiten und Probleme, aber auch auf die Chancen und Perspektiven dieser Arbeit eingegangen wird. Bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus sind jedoch alle gesellschaftlichen Institutionen gefragt. CHRISTOPH BUTTERWEGGE beschaftigt sich deshalb in seinem Beitrag mit dem Zusammenhang von politischer Kultur, intermediaren Institutionen und Rechtsextremismus. Widersprtichliche Verhaltensweisen von Institutionen werden aufgezeigt, zugleich aber auch Perspektiven und Handlungsmoglichkeiten der Institutionen zur Starkung der demokratischen Kultur entwickelt. 1m letzten Beitrag setzt sich HANS-GERD JASCHKE mit der staatlichen Repression gegen Rechtsextremismus auseinander. Der TItel seines Beitrags (»Rechtsstaat und Rechtsextremismus«) verweist auf ein Spannungsverhaltnis, das immer wieder Anlass zu heftigen politischen Kontroversen gibt (gegenwartig im Zusammenhang mit dem angestrebten NPD-Verbot und der Diskussion urn eine Einschrankung der Demonstrationsfreiheit): Die auf das Konzept der»streitbaren Demokratie«gegrtindete, unverzichtbare Repression gegen extremistische Bestrebungen lauft stets Gefahr, die demokratischen Grundrechte auszuhohlen. Der Band wird durch eine Auswahlbibliografie zum Rechtsextremismus abgerundet. Da wir in der vorhandenen Literatur keine befriedigende Zusammenstellung von Veroffentlichungen gefunden haben, die alle Aspekte des Rechtsextremismus berticksichtigt, haben wir uns fur eine umfassende, breit gefacherte ZusammensteHung entschieden. Was fur alle Auswahlbibliografien gilt, trifft auch auf die hier vorgelegte zu: Sie beruht auf einem notwendigerweise begrenzten Kenntnisstand und ist nicht frei von subjektiven Bewertungen. Greifswald und Berlin im November 2000 Wilfried Schubarth Richard SWss