1. Wortlaut der Motion. Antrag

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Transkript:

aéê=déãéáåçéê~í= pí~çíâ~åòäéái=o~íü~ìëi=psmo=qüìå= qéäéñçå=mpp=oor=uo=nti=c~ñ=mpp=oor=uo=mo= jçíáçå=kêk=j=olommv= pí~çíê~íëëáíòìåö=îçã=ork=gìåá=ommv= = = jçíáçå=äéíêéññéåç=báåñωüêéå=çéê=jéüêïéêí~äëåü éñìåö=áå=çéê=pí~çí=qüìå= cê~âíáçåéå=dci=ìåç=pm=îçã=rk=j êò=ommvx=_é~åíïçêíìåö= 1. Wortlaut der Motion Antrag «Der Gemeinderat wird beauftragt, eine verbindliche Rechtsgrundlage zu schaffen, die es der Stadt erlaubt, die Abschöpfung des Planungsmehrwertes vorzunehmen. Die Abschöpfung soll in der Bandbreite von 30 % bis 50 % des Planungsmehrwertes liegen und in bar geleistet werden. Begründung Ein Grundstück kann durch Erhöhung der Ausnützungsziffer oder durch spezielle Ausnahmebewilligungen einen Wertzuwachs erhalten. Dieser verleiht der Gemeinde das Recht, der Grundeigentümerschaft eine öffentliche Abgabe in Form einer Mehrwertabschöpfung aufzuerlegen (Art. 142 BauG). Die Gemeinde soll eine höhere Ausnützung oder eine spezielle Ausnahmebewilligung nur erlauben, wenn die Grundeigentümerschaft eine öffentliche Abgabe zusichert. Damit alle Grundeigentümerschaften gleich behandelt werden, soll eine verbindliche Rechtsgrundlage zur Mehrwertabschöpfung ausgearbeitet werden, die den Abschöpfungssatz, die Zahlungsfristen, die Verwendung der Abgabe für die Erschliessung der abgeschöpften Parzellen und öffentlichen Zwecke wie das Erstellen oder Aufwerten von Spielplätzen, öffentlichen Grünanlagen zur Naherholung in deren Umgebung sowie weitere Eckwerte festlegt. In Zeiten, wo in Thun das Sparen ausgereizt ist, kann mit Mehreinnahmen eine Entlastung geschaffen werden. Gerade für öffentliche Anlagen und Infrastrukturen bleibt da wenig Geld übrig.» 2. Stellungnahme des Gemeinderates 2.1 Motionsfähigkeit Der Gemeinderat beurteilt den Vorstoss aus rechtlicher Sicht als motionsfähig, mit der Einschränkung, dass die Gemeinde nicht befugt ist, grundeigentümerverbindliche Vorschriften über den Ausgleich von Planungsmehrwerten zu schaffen, und dass der «abgeschöpfte» Planungsmehrwert für bestimmte öffentliche Zwecke zu verwenden ist (vgl. Art. 142 BauG). 2.2 Bisherige Praxis des Gemeinderates Mit der Beantwortung einer Interpellation 1993 legte der Gemeinderat fest, dass die Frage der Mehrwertabgeltung in jedem Fall situationsbezogen geprüft und die Praxis nicht mittels Richtlinien definiert werden sollen. Dieser Entscheid führte dazu, dass sich zur Frage des Mehrwertausgleichs bei Planungsgewinnen bis heute eine Praxis herausbildetete, die wie folgt umschrieben werden kann: Der vereinbarte Mehrwertausgleich wird vor Beginn der Planung (in der Regel vor der Planauflage) in einem Planungsvertrag festgehalten resp. anschliessend in einem Infrastrukturvertrag oder separaten Vertrag konkret geregelt. 04.06.2009 (PLA) Q:Stadtrat\Berichte/M 02-09 Mehrwertabschöpfung.doc Seite 1/2

pq^aqo^q=slk=qerk= páíòìåö=îçã=orkmskommv========jçíáçå=j=olommv= jéüêïéêí~äëåü éñìåö= Der Mehrwertausgleich besteht meistens aus baulichen oder betrieblichen Leistungen, die in der Regel einem Wert zwischen 30 und 40 % des angenommenen Mehrwertes entsprechen. Der Mehrwertausgleich wird nur bei speziellen Planungen mit Umzonungen vereinbart, nicht aber bei einer Gesamtrevision der baurechtlichen Grundordnung. Begründete Ausnahmen vom Mehrwertausgleich sind möglich (z.b. als Wirtschaftsförderungsbeitrag oder bei im öffentlichen Interesse liegenden Planungen). 2.3 Absicht des Gemeinderates zur künftigen Praxis Zur Beurteilung der rechtlichen Ausgangslage und des Handlungsspielraums der Gemeinden im Kanton liess der Gemeinderat einen externen Expertenbericht verfassen (vgl. beigelegten Bericht von Rudolf Muggli, Büro AD!VOCATE, Bern, vom 6. April/13. Mai 2009). Wie R. Muggli (Kap. 2.3) ist auch der Gemeinderat der Auffassung, dass es entgegen dem Wortlaut der Motion keiner kommunalrechtlichen Gesetzesgrundlage für den Abschluss von Verträgen zum Mehrwertausgleich bedarf und dazu Art. 142 des kantonalen Baugesetzes genügt. Handlungsspielraum ist vorhanden. Mit Ausnahme von Biel praktizieren die grösseren Gemeinden den Mehrwertausgleich; Biel bildet die im Bericht begründete Ausnahme (vgl. Fussnote 9 S. 8 unten). Augrund der Erfahrungen aus der bisherigen Praxis sowie der Vor- und Nachteile der denkbaren Modelle beabsichtigt der Gemeinderat, die künftige Praxis mit einer gemeinderätlichen Verordnung zu regeln. Dieses Modell erhöht die Transparenz und Rechtssicherheit, gewährleistet den für die Verhandlungen nötigen Spielraum und vermeidet Rechtsungleichheiten. Die gemäss Motionstext geforderte reine Ausgleichsleistung «in bar» lehnt der Gemeinderat nebst rechtlichen Gründen (vgl. 2.1) ab, da oftmals andere Lösungen situationsgerechter sein können und die Zweckbindung besser erfüllen, wie ein Beitrag zum Bau und Betrieb von Anlagen, welche die Infrastruktur am betreffenden Standort optimieren (Verkehr, Kindergarten, Park-/Grünanlagen). Antrag Gestützt auf diese Ausführungen beantragt der Gemeinderat dem Stadtrat die Umwandlung der Motion in ein Postulat. Thun, 28. Mai 2009 Für den Gemeinderat der Stadt Thun Der Stadtpräsident Hans-Ueli von Allmen Der Vizestadtschreiber Remo Berlinger Beilage Bericht AD!VOCATE vom 6. April 2009/14. Mai 2009 04.06.2009 (PLA) Q:Stadtrat\Berichte/M 02-09 Mehrwertabschöpfung.doc Seite 2/2

Stadt Thun: Der Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Grundstücksmehrwerten Rudolf Muggli, Fürsprecher 1. Ausgangslage... 2 2. Grundlagen zum Mehrwertausgleich im Kanton Bern... 2 2.1 Rechtsgrundlagen... 2 2.2. Begründung für die Mehrwertabschöpfung... 3 2.3. Fazit: Gegenstand der Motion... 4 3. Handlungsspielräume der bernischen Gemeinden... 4 3.1 Grundsatzfragen... 4 3.2 Soll eine vertragliche Mehrwertabschöpfung angestrebt werden?... 5 3.3. Wann soll abgeschöpft werden?... 5 3.4 Wie soll abgeschöpft werden?... 6 3.5 Wie viel soll abgeschöpft werden?... 6 3.6 Soll der Ertrag für bestimmte Zwecke gebunden werden?... 6 3.7 Soll die Praxis in einem Gemeindereglement bzw. in Richtlinien geregelt werden?.. 7 3.8 Welches Organ soll die Spielregeln erlassen?... 7 4. Vergleich mit anderen bernischen Städten... 8 5. Übersicht... 10 Bern, 6. April 2009/14. Mai 2009

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 2 1. Ausgangslage Dem Gemeinderat liegt eine Motion der Fraktionen SP und GFL vom 5. März 2009 vor, die die Schaffung einer verbindlichen Rechtsgrundlage für die Abschöpfung von Planungsmehrwerten in einer Bandbreite von 30 bis 50 % des massgeblichen Mehrwertes verlangt. 2. Grundlagen zum Mehrwertausgleich im Kanton Bern 2.1 Rechtsgrundlagen Das Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG) verlangt in seinem Artikel 5 Abs. 1 von den Kantonen eine (gesetzliche) Regelung für einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen nach diesem Gesetz entstehen. In der ganzen Schweiz erfolgt die Entschädigung von planungsbedingten Nachteilen durch die materielle Enteignung, wie sie in einer langjährigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung umschrieben worden ist. Eine materielle Enteignung liegt stark vereinfacht gesagt dann vor, wenn mit planerischen Massnahmen eine bestehende Überbauungschance definitiv entzogen wird. Die planungsbedingten Vorteile werden nur in den Kantonen BS und NE durch eine Mehrwertabschöpfung (also eine besondere Steuer) erfasst. Im Kanton Bern sind entsprechende Vorschläge 1984 vom Volk und seither jeweils vom Grossen Rat verworfen worden. In allen anderen Kantonen beschränkt sich die Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 RPG also auf die traditionelle Grundstücksgewinnsteuer. Diese genügt aber den Anforderungen des RPG nicht, solange sie einen bedeutenden Besitzesdauerabzug zulässt, also gerade die grössten Mehrwerte, wie sie bei der Neueinzonung von Landwirtschaftsland entstehen, nur in geringem Ausmasse erfasst 1. Dieser Umstand ist gemeint, wenn (vereinfachend) gesagt wird, die Kantone hätten den Auftrag des Raumplanungsgesetzes bei der Mehrwertabschöpfung nicht umgesetzt. Der Kanton Bern geht indessen über die Grundstücksgewinnsteuer hinaus: Er erlaubt den Gemeinden in Art. 142 BauG, mit bestimmten Grundeigentümern vertraglich zu vereinbaren, dass sie einen angemessenen Anteil des Pla- 1 Siehe dazu Peter Locher, Die Probleme mit dem Mehrwertausgleich - gibt es neue Erkenntnisse? VLP-Schriftenfolge Nr. 57, Bern 1992

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 3 nungsmehrwertes für bestimmte öffentliche Zwecke zur Verfügung stellen 2. Ausgeschlossen ist also, diese Leistungen einfach ohne Zweckbindung in die Gemeindekasse fliessen zu lassen 3. Der Grosse Rat hat die aktuelle Regelung in der jüngsten Baugesetzrevision erneut bestätigt und insbesondere Streichungsanträge verworfen 4. Das Steuergesetz regelt die Koordination solcher vertraglicher Mehrwertabschöpfungen mit der Grundstücksgewinnsteuer. Die Gemeinden müssen sich im Wesentlichen vertragliche Mehrwertabschöpfungen an ihren Anteil an der Grundstücksgewinnsteuer anrechnen lassen. 2.2. Begründung für die Mehrwertabschöpfung Als Begründung für die Mehrwertabschöpfung wird in der Regel angeführt, dass es nicht angehe, nur die Nachteile einer Nutzungsplanung über die materielle Enteignung auszugleichen, die Vorteile aber nur im oft sehr beschränkten Rahmen der Grundstücksgewinnsteuer 5. Dies auch deshalb, weil mit der Einzonung eine Erschliessungs- und Infrastrukturausstattungspflicht des Gemeinwesens verbunden sei, ein wesentlicher Teil des Baulandwertes also auf Leistungen des Gemeinwesens zurückgehe. Hinzu kommt, dass die Infrastrukturlasten des Gemeinwesens mit steigenden Ansprüchen zunehmen, ohne dass die Steuerbelastung entsprechend erhöht werden könnte. Es erscheint deshalb nahe liegend, die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer über die Grundstücksbesteuerung hinaus einen zusätzlichen Teil dieser Lasten tragen zu lassen, wenn sie in besonders hohem Masse von Planungsmassnahmen profitieren. Weiter gründet die Mehrwertabschöpfung auf dem Gleichbehandlungsgebot: Mit der Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet durch die neuere 2 Siehe dazu die Arbeitshilfe des AGR Infrastrukturverträge und dergleichen, Bern 1991. Ferner Zaugg Aldo, Kommentar BauG (2. Auflage), Art. 142 Rz. 2 3 Gesetzliches Erfordernis der Zweckbindung: Zaugg Aldo, Kommentar BauG (2. Auflage), Art. 142 Rz. 2. 4 Siehe dazu das Tagblatt des Grossen Rates vom 19. November 2008. 5 Näheres dazu findet sich bei Aemisegger/Kuttler/Moor/Ruch: Kommentar zum RPG, Art. 5 Rz. 9 ff.

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 4 Raumplanung 6 werden enorme (Vermögens)Ungleichheiten geschaffen, die einen angemessenen Ausgleich nahe legen. Diesen Begründungen wird etwa entgegengehalten, es handle sich um fiktive Mehrwerte. Diese Kritik erscheint jedoch nicht haltbar: Wirtschaftlich gesehen bedeutet die Zuweisung eines Grundstücks zur Bauzone eine bedeutende Wertsteigerung, was sich anhand der auf dem Markt bezahlten Preise belegen lässt. Niemand wird behaupten, Bauland löse auf dem Markt den gleichen Betrag wie Nichtbauland. Eine andere Frage ist, wann dieser Mehrwert realisiert wird und damit verbunden, wann er besteuert ( abgeschöpft ) werden darf. 2.3. Fazit: Gegenstand der Motion Aus diesen Rechtsgrundlagen folgt, dass sich die Motion SP/GFL nur auf die Erfassung von planerischen Mehrwerten auf vertraglichem Wege bezieht. Entgegen dem Wortlaut der Motion bedarf es keiner kommunalrechtlichen Gesetzesgrundlage. Art. 142 BauG genügt also für den Abschluss von Verträgen. Bisherige Verträge der Stadt Thun haben also eine genügende Rechtsgrundlage. Der Handlungsspielraum der Stadt Thun bezieht sich also nur auf die Frage, ob und wie von Art. 142 BauG Gebrauch gemacht werden soll. 3. Handlungsspielräume der bernischen Gemeinden 3.1 Grundsatzfragen Bei der Anwendung von Art. 142 BauG stellen sich die folgenden Grundsatzfragen: a. Soll eine vertragliche Mehrwertabschöpfung angestrebt werden? b. Wann soll abgeschöpft werden nur bei Neueinzonungen oder auch bei Um- und Aufzonungen und weiteren mehrwertbegründende Massnahmen? c. Wie soll abgeschöpft werden: nur in Geld oder auch in Form von Realleistungen? 6 Die erste Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet der Schweiz geht auf das Gewässerschutzgesetz 1972 zurück. Vorher konnte im Grundsatz überall gebaut werden.

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 5 d. Wie viel soll abgeschöpft werden: Prozentsatz des ermittelten Mehrwerts, Freigrenze? e. Soll der Ertrag für bestimmte Zwecke gebunden werden und an welche? f. Soll die Praxis in einem Gemeindereglement bzw. in Richtlinien geregelt werden und dadurch transparent gemacht werden? g. Welches Organ soll die Spielregeln erlassen? 3.2 Soll eine vertragliche Mehrwertabschöpfung angestrebt werden? Diese Frage dürfte sich in Thun nicht mehr stellen, weil in der Praxis bereits mehrfach Infrastrukturverträge mit Mehrwertabschöpfungselementen abgeschlossen worden sind. 3.3. Wann soll abgeschöpft werden? Seit Neueinzonungen seltener geworden sind und dafür im Sinne der Siedlungsentwicklung nach innen Areale umstrukturiert sowie neu beplant werden 7, erscheint klar, dass eine Beschränkung der Mehrwertabschöpfung auf Neueinzonungen zu eng wäre. Es können bespielsweise auch grosse Mehrwerte durch Umzonung von Industriearealen oder durch Aufzonung für die Verdichtung geschaffen werden. Nur in ländlichen Gemeinden mit wenig Verdichtungs- und Umstrukturierungspotenzial genügt eine Beschränkung auf Einzonungen dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Aber auch die weiteren möglichen Gegenstände der vertraglichen Mehrwertabschöpfung, wie etwa die Ausstattung einer grösseren Fläche mit besonderen Infrastrukturanlagen wie z.b. einer öv-erschliessung sollten nicht von vornherein ausgeschlossen werden 8. Zu denken hier ist insbesondere an die Abdeckung besonderer Bedürfnisse beispielsweise eines Einkaufszentrums. Solche Leistungen der öffentlichen Hand begründen in aller Regel einen Grundstücksmehrwert. 7 Beispiele: in Thun: Selve-Areal, in Bern: Von-Roll-Areal, Schlachthof-Areal, Areal der KVA, in Biel: Renfer-Areal 8 Zaugg Aldo, Kommentar BauG (2. Auflage), Art. 142 Rz. 2 Bst. c

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 6 3.4 Wie soll abgeschöpft werden? Die gesetzliche Zweckbindung der Erträge nach Art. 142 BauG legt nahe, nicht bloss an Geld zu denken, sondern auch an Realleistungen wie z.b. Landabtretungen, Übernahme bestimmter Bauleistungen für kommunale Infrastrukturen, periodische Beiträge an öv-erschliessungen usw. Es entspricht dies auch der Praxis in den meisten bernischen Gemeinden. 3.5 Wie viel soll abgeschöpft werden? Die bernischen Gemeinden scheinen eine Bandbreite von 20 bis 50 % zu praktizieren. Die Stadt Bern beispielsweise will den Wohnungsbau fördern und schöpft darum in Wohnzonen nur 20 % ab, in Arbeitszonen sind es dagegen 40 %. So können Förderziele eingebaut werden, ohne dass das Gleichbehandlungsgebot verletzt wird. Häufig ist auch der Einbau eine Freigrenze. Dies erscheint sachgerecht, wenn damit minimale Mehrwerte ausgenommen werden. Weniger zweckmässig erscheint die Ausnahme von kleinen Flächen von der Mehrwertabschöpfung - auch die Neueinzonung einer Einfamilienhausparzelle von vielleicht 300 m 2 Grundfläche schafft beträchtliche Mehrwerte. 3.6 Soll der Ertrag für bestimmte Zwecke gebunden werden? Art. 142 BauG verlangt eine solche Zweckbindung. Sie ist also nicht fakultativ, obwohl sich nicht alle bernischen Gemeinden danach richten. Oft praktiziert wird beispielsweise bei Geldleistungen die Einlage in eine Spezialfinanzierung, deren Verwendung für Infrastrukturaufgaben mit Gemeindereglement dem Gemeinderat zugewiesen werden kann. Der Verwendungszweck der Spezialfinanzierung kann alle Ausgaben umfassen, die der Erschliessung und Ausstattung der Bauzonen dienen. Das ist natürlich ein weites Feld. Eine Zweckbindung schränkt in diesem Fall den finanzpolitischen Spielraum also kaum ein. Die Zweckbindung erleichtert den Grundeigentümern natürlich die Unterzeichnung eines Infrastrukturvertrages, weil sie so sehen, dass sie auch wieder von den Investitionen profitieren. Sie haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass der Ertrag in ihrem Quartier oder gar im Umfeld ihres Grundstücks investiert wird.

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 7 3.7 Soll die Praxis in einem Gemeindereglement bzw. in Richtlinien geregelt werden? Für ein Reglement oder doch zumindest gemeinderätliche Richtlinien spricht die Transparenz. Jeder und jede kann sehen, wie die Gemeinde mit dem Thema umgeht. Rechtsungleichheiten eine häufig erhobene Kritik lassen sich so eher vermeiden als bei der bisher in Thun verfolgten Linie des Entscheids von Fall zu Fall. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass ein Vertrag in jedem Falle unabhängig vom Inhalt des Reglements oder der Richtlinien noch ausgehandelt werden muss. Das Reglement oder die Richtlinien können also keinen Grundeigentümer auf bestimmte Leistungen verpflichten deren Zustimmung bleibt in jedem Falle vorbehalten. Darum macht es auch keinen Sinn, bei den Forderungen zu übertreiben oder dem Gemeinderat bei den Verhandlungen jede Flexibilität zu nehmen. 3.8 Welches Organ soll die Spielregeln erlassen? Am häufigsten scheinen im Kanton Bern gemeinderätliche Richtlinien zu sein. Der Gemeinderat gibt sich also selbst vor, wie er mit den Grundeigentümern verhandelt. Für solche Richtlinien braucht er keine besondere Rechtsgrundlage in der Gemeindeordnung. Seine Kompetenz ergibt sich meist aus seiner Exekutivfunktion. Eine Alternative stellt die Verankerung des Grundsatzes in einem Gemeindereglement (z.b. dem Baureglement) dar. Die Regelung der Details sollte dann dem Gemeinderat überlassen werden (gemeinderätliche Verordnung). Art. 29 Abs. 7 des Baureglements der Stadt Thun sieht einen solchen Grundsatz vor, allerdings nur für Zonen mit Planungspflicht, was eine nicht leicht verständliche Einschränkung darstellt. Mehrwerte werden zwar häufig, aber nicht immer in ZPPs geschaffen. Denkbar ist natürlich auch der Erlass eines vollständigen Reglements durch den Stadtrat unter Vorbehalt des fakultativen Referendums. Der Stadtrat würde dann selbst sämtliche Spielregeln festsetzen. Dabei sollte er wie erwähnt darauf achten, dem Gemeinderat Verhandlungsspielräume offen zu lassen. Ein Gemeindereglement ist nur dann nötig, wenn eine Spezialfinanzierung geschaffen werden soll, deren Verwendung an den Gemeinderat delegiert wird (Änderung der Finanzkompetenzordnung).

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 8 4. Vergleich mit anderen bernischen Städten Ein summarischer Vergleich mit Bern, Biel, Köniz, Burgdorf und Steffisburg zeigt, dass nur die Stadt Biel 9 generell auf einen vertraglichen Mehrwertausgleich verzichtet. Die anderen Städte kennen Vertragslösungen wie auch zahlreiche kleinere Gemeinden im Kanton Bern. Diese Vertragslösungen unterscheiden sich hauptsächlich in den erfassten Mehrwerten (nur Einzonung, oder auch andere planerische Vorteile), in der Rechtsgrundlage (Gemeindereglement oder nur Richtlinien, d.h. eine Verordnung des Gemeinderates), im Abschöpfungssatz sowie in der Schaffung einer Spezialfinanzierung. Stadt Praxis Reglement? Satz Spezialfinanzierung Bern ja, bei Ein- und Aufzonungen Richtlinien in Vorbereitung W: 20, ESP: 25, A: 40 nein Biel nein keine keine nein Thun ja GBR 29 (nur für ZPP) variabel nein Köniz ja nein (Richtlinien geplant) variabel nein Burgdorf ja, nur bei Einzonungen GBR 13 Richtlinien geplant 20-40% nein ja Steffisburg Gemeindereglement (1995) 30-40% ja Burgdorf kennt beispielsweise eine Regelung in Art. 13 des Gemeindebaureglements, die Eckwerte aufstellt und dem Gemeinderat für die Vertragsverhandlungen viel Spielraum belässt. Die vorgesehenen Richtlinien fehlen indessen noch. Versucht man, die Praxis der 6 Städte etwas vereinfachend in einer Typologie zu ordnen, so ergibt sich folgendes Bild: 9 Die Stadt Biel ist insofern ein Sonderfall, als kaum mehr Neueinzonungen möglich sind und die durch Umnutzung von Industriearealen geschaffenen Planungsmehrwerte meist schon mit der letzten Ortsplanungsrevision realisiert wurden.

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 9 Modell Biel Modell Thun Modell Bern Modell Steffisburg Mehrwertabschöpfung nach BauG 142? nein ja ja ja Reglement? nein (immerhin: GBR 29 für ZPP) Richtlinie des Gemeinderates eigenes Gemeinde- Reglement Spezialfinanzierung? nein ja ja Abschöpfungssätze von Fall zu Fall Richtlinie des Gemeinderates Praxis Diese Modelle haben alle ihre Vor- und Nachteile. So nimmt die Regelungsintensität und damit die Rechtssicherheit von links nach rechts zu, dafür nehmen aber auch die Verhandlungsspielräume des Gemeinderates ab. Zu bedenken gilt es ja, dass die Verträge nicht verfügt werden können, sondern mit den betroffenen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern auszuhandeln sind. Verhandlungsspielräume begünstigen dabei erfahrungsgemäss das Zustandekommen von einvernehmlichen Lösungen. Dies lässt sich in folgender Tabelle veranschaulichen: Modell Thun Modell Bern Modell Steffisburg Flexibilität für die Vertragsverhandlungen hoch mittel mittel Transparenz und Rechtssicherheit gering gut gut Zweckbindung nach BauG 142 nein ja ja Spezialfinanzierung mit Delegation der Ausgabenkompetenz an den Gemeinderat nein nein ja

Umgang mit dem Ausgleich von planungsbedingten Mehrwerten Seite 10 5. Übersicht Die wesentlichen Handlungsspielräume im Bereich von Art. 142 BauG können zusammenfassend wie folgt dargestellt werden: ohne Regelung, von "Fall zu Fall" Ausgleich von Planungsmehrwerten nach Art. 5 RPG Ja gemeinderätliche Richtlinien (= Verordnung des Gemeinderates) Grundsatz in Gemeindereglement (z.b. GBR), Ausführungsvorschriften des Gemeinderates Themenliste: a. Definition der erheblichen Planungsmehrwerte b. Zweckbindung c. Berechnung des Mehrwertes in verschiedenen Fällen d. Abschöpfungssatz e. Freigrenze f. Form der Leistung vertragliche "Mehrwertabschöpfung" (Art. 142 BauG) Gemeindereglement, das die Themen umfassend regelt g. Fälligkeit h. Sicherstellung i. Verhältnis zur Grundstücksgewinnsteuer usw. Nein gesetzliche "Mehrwertabschöpfung" Grundstücksgewinnsteuer gesetzliche Minderwertentschädigung Materielle Enteignung (Art. 26 BV, Art. 5 RPG)