Kirchgemeinde Basel West Stephanus / Johanneskirche, am 19. August 2012 Jürg Scheibler Predigttext: Matthäus 13, 44-45 Von Schätzen und Perlen Liebe Brüder und Schwestern. Wie soll man sich das eigentlich vorstellen, dieses Gottesreich, dieses Reich der Himmel, von dem Jesus im Matthäusevangelium spricht? Wie soll das eigentlich sein, wenn Gott plötzlich ganz nahe und spürbar bei den Menschen ist, so quasi bei und mit ihnen wohnt? In der Bibel finden sich ganz verschiedene Bilder für das kommende Gottesreich. Und die Tatsache, dass es so viele verschiedene Bilder dafür gibt, zeigt es schon: Wir Menschen können uns dieser Gotteswirklichkeit nur teilweise nähern, geschweige denn sie mit unserem Verstand oder unserer Sprache ganz erfassen. Jedes Bild, das vom Gottesreich spricht, enthält in sich etwas Tiefes und Wahres. Und doch ist es nicht alles. Gottes Wirklichkeit ist doch immer ganz anders und noch viel mehr als das, was wir in unseren Bildern oder Vergleichen ausdrücken können. Das 13. Kapitel des Matthäusevangeliums, aus dem auch die beiden Gleichnisse stammen, die wir heute gehört haben, versammelt gleich mehrere Bilder, die vom Reich der Himmel sprechen. Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn, das wächst und gross wird wie ein Baum. Oder es ist wie ein Brotteig, den man mit etwas Sauerteig vermengt, und plötzlich ist der ganze Teig durchsäuert. Und eben: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der im Acker vergraben war; den fand einer und vergrub ihn wieder. Und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker. Weiter: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte. Als er aber eine besonders kostbare Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie. Auch hier: zwei Bilder, die von Gottes Wirklichkeit sprechen. Zwar weisen sie auf den ersten Blick grosse Ähnlichkeiten auf, aber sie unterscheiden sich dann auch wieder ganz entscheidend in einigen Punkten. Die wohl 1
augenfälligste Gemeinsamkeit ist: Wenn Gott in unsere Welt kommt, wenn das Himmelreich auf die Erde kommt, dann ist das etwas ganz Kostbares, etwas ganz Aussergewöhnliches, etwas ganz Seltenes. Deshalb wird das Himmelreich, diese kommende Gotteswirklichkeit, mit einem verborgenen Schatz verglichen und mit einem Menschen, der eine ganz seltene, kostbare Perle sucht und sie dann endlich findet. Das Reich Gottes ist nicht etwas Alltägliches; es ist nicht so einfach zu erwerben wie die vielen Massenprodukte, die sich in den Regalen unserer Supermärkte befinden. Auf der Suche nach Gott und nach seinem Reich können wir nicht einfach so tun, als wären wir im Supermarkt unterwegs und bedienen uns nach Lust und Laune der verschiedenen Dinge, die da ausgestellt sind. Eine Büchse Thon, ein paar Früchte, eine Flasche Wein und noch etwas Weichspüler. Und dann auch noch etwas Gott. Was gerade so auf dem Einkaufszettel steht. Dahingegen macht sich das Gottesreich viel rarer. Es ist viel kostbarer und einzigartiger. Es ist keine Massenware. Ein Hauch von Abendteuer und Zauberhaftem ist in ihm, wie beim verborgenen Schatz im Acker und beim Kaufmann, der nach einer wunderbaren Perle sucht. Das Gottesreich ist so einzigartig und wertvoll, dass es alles andere durch seinen Glanz und seine Grösse verwandelt. Der trockene Acker wird zum teuren Land und die eine Perle lässt alle anderen Perlen in den Hintergrund treten. Beide Bilder sprechen davon. Und doch unterscheiden sie sich. Zuerst einmal darin, dass das Reich Gottes nicht mit dem Schatz und der Perle verglichen wird (das würde man auf den ersten Blick tun, denn Schätze und Perlen gehören ja eigentlich zusammen), sondern einmal ist es der Schatz einmal ist es erstaunlicherweise der Händler, der mit dem Gottesreich verglichen wird. Der Schatz im Acker fügt sich ein in einen ganz alten, biblischen Bezug. Das Wort, das hier im griechischen Text für den Acker gebraucht wird, ist dasselbe Wort, das wir schon ganz früh in der biblischen Urgeschichte finden nämlich da, wo Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden. Die vorher so fruchtbare Erde (hier verwendet der biblische Urtext ein anderes Wort) verwandelt sich in einen Acker, der Disteln und Dornen trägt (Gen. 3, 18). Es ist das trockene Feld, das wir Menschen, wir Nachkommen von Adam und Eva, im Schweisse unseres Angesichts bebauen müssen. Nichts ist uns geschenkt in dieser Welt. Und in diesem vertrockneten, verfluchten Feld, soll sich nun plötzlich ein unglaublicher Schatz befinden. 2
Und dieser Schatz macht aus dem vertrockneten Acker plötzlich eine ganz wertvolle Erde. Das Reich Gottes ist nicht irgendein Schlaraffenland weit weg von uns, auf das man die Menschen vertrösten könnte. Es ist hier, mitten im trockenen Acker unseres Lebensalltags. Da ist es versteckt als unglaublich wertvoller Schatz. Das ist wirklich nicht etwas Alltägliches! Und es stimmt: Auch die Perle ist ja etwas ganz Spezielles. Auch eine Perle hat viel Wert. Aber diese Perle ist in unserem Gleichnis nicht das Gottesreich. Die Perle ist etwas Anderes: Im Zusammenhang des Matthäusevangeliums können wir diese Perle als ein Bild unseres Lebens verstehen, das in den Augen Gottes so unglaublich wertvoll ist. Einige Kapitel zuvor sagt Jesus: "Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft Eure Perlen nicht vor die Säue!" (Mt 7,6). "Eure" Perlen das sind "Eure" Leben! Tragt Sorge zu diesem unendlich wertvollen Geschenk des Lebens. Jetzt aber wird in unserem Perlengleichnis das Reich Gottes verglichen mit einem Menschen, der die schönste Perle sucht und alles gibt, um sie zu besitzen. So tut es auch Gott mit unserem Leben. Dazu ist Christus gekommen. Zu suchen, zu retten, zu erwerben, was es an Wertvollerem nicht geben kann. Unser Leben die schönste Perle. Und wenn er diese schönste, diese beste Perle gefunden und erworben hat, dann ist sein Reich wirklich da. Wenn alles Leben, das Leben an sich, gefunden und gerettet ist. Wir verstehen, was diese beiden Bilder uns sagen wollen. Wir kennen sie seit unserer Kindheit. Wir oft haben wir es durchgespielt: Plötzlich stösst man ganz unerwartet auf den verborgenen Schatz. Und plötzlich wird man endlich gefunden und erkannt als diese eine, wundervolle Perle. So etwas Unglaubliches ist einem noch nie geschehen. So etwas Einzigartiges. Darauf hat man schon sein ganzes Leben lang gewartet. Darauf hat man schon immer gehofft. Darauf hat man sich schon immer gefreut! Es ist fast wie im Märchen. So ist es, wenn Gott im Leben der Menschen gegenwärtig und wirklich wird. Das ist nichts Billiges, nichts Triviales. Das ist etwas Einzigartiges und unvergleichlich Schönes, etwas, das alles verwandelt und wertvoll macht, etwas, das bewahrt und erkauft, etwas lang Ersehntes und die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. So wie ihn nur Kinder träumen können. Manchmal haben wir eher die Tendenz, Gott und seine Wirklichkeit so zu behandeln als sei er vergleichbar einer dieser ständig verfügbaren Waren im Supermarktregal, wo wir uns bedienen können, wenn es uns gerade 3
passt und wo wir enttäuscht oder sogar wütend sind, wenn die Ware im Regal mal fehlt. Und dann sagen wir zu Gott: "Jetzt hätte ich Dich gerade gebraucht, aber da warst Du nicht da! Was fällt Dir eigentlich ein!" Und dann wird Gott zu etwas Alltäglichem, beinahe Trivialem. Und das, was er wirklich für uns tun will, tritt in den Hintergrund. Und gerade da kann uns dieses Bild des verborgenen Schatzes und der seltenen Perle helfen. Denn es sagt uns, dass Gott nicht einfach immer so leicht verfügbar ist. Sondern dass es diese seltenen, vielleicht einzigartigen und wertvollen Momente gibt, wo man auf ihn stösst oder von ihm gefunden und berührt wird, kurz, wo man etwas von Gottes unglaublich wertvoller und reicher Gegenwart begreift und verwandelt wird durch sie. Wo man merkt, was Gott wirklich für einen tun will: nämlich unser Leben reich machen, es retten und erkaufen. Aber auch das ist noch lange nicht alles! Auch das ist nur ein kleines Stückchen vom Ganzen. Auch dieses, unser eigenes Erleben, bildet nur einen kleinen Teil des grossen Bildes des Gottesreiches ab. Denn das Gottesreich ist das Wahrwerden des Grossen, das sich bei uns im Kleinen abspielt. Das Gottesreich verwandelt den ganzen trockenen Acker der Welt in eine wertvolle und fruchtbare Erde. Und das Gottesreich findet in dieser ganzen todbringenden Wirklichkeit die beste, grösste und wertvollste Perle des Lebens, erwirbt und rettet sie. Ja, das Reich Gottes übersteigt alles, was wir bis jetzt an Schönem und Lebensbringendem erlebt haben. Es übersteigt das alles noch um ein Vielfaches. Würden wir jetzt auf diesen Schatz treffen, wir würden wirklich gleich alles verkaufen wollen. Wir würden vor dem Schatz stehen und ganz automatisch sagen: Das ist es jetzt! Jetzt brauche ich nicht mehr zu suchen! Jetzt spielt alles andere keine Rolle mehr; ist nur noch Haschen nach Wind. Alles, was sonst noch glitzert und glänzt im Leben. Und das Gleichnis sagt: Jetzt könnt Ihr noch nicht so verrückt sein wie der Ackerkäufer, ganz einfach, weil Ihr den wirklichen Schatz des Gottesreiches noch nicht gefunden habt. Und ebenso ist die wirklich grosse und unendlich schöne Perle des Lebens noch nicht auf den Märkten dieser Wirklichkeit gefunden und erworben worden. Seid aber getrost, denn in Eurem Herzen habt ihr das Gleichnis schon verstanden. Und dort, in eurem Herzen, wartet der Schatz darauf, von Euch entdeckt zu werden, und Eure Lebensperle wartet darauf, von Gott gefunden zu werden. Ja, Gott kommt! So wie er in Christus in die trockenen Felder Eurer Herzen gekommen ist und in sie den Schatz seiner Gegenwart gelegt hat, so kommt er auch in diese Welt als unvergleichlicher Schatz. Sein Reich war- 4
tet auf diese Welt. Ist im Verborgenen bereits ganz da. Wartet nur darauf, dass die Menschen es entdecken, so quasi über es stolpern. Und so wie er in Christus die schönsten Lebensperlen gesucht und gefunden hat, so sucht Gott in jedem Menschen und in der ganzen Welt das, was an bestem und schönstem Leben zu finden ist. Und das kauft er, erwirbt er, hält es in Händen, behält es für sich, rettet es davor, dass es Schaden nehme. Können wir diesem Gottes-Schatz näher kommen? Und können wir uns von Gott finden lassen? Ja, wir können es bis zu einem gewissen Grad jedenfalls. Auch wenn wir weiterhin im trockenen Acker dieser Welt leben und arbeiten müssen. Auch wenn wir vor lauter anderen falschen Zuchtperlen in dieser Welt die wirklich wertvolle Perle unseres Lebens manchmal schier zu vergessen scheinen. Wir können es. Denn diese Bilder sprechen wirklich ins Tiefste unseres Herzens und sagen uns: Ja, im Acker deines Lebens ist ein Gottesschatz vergraben. Gib die Hoffnung nicht auf, dass Du auf ihn stossen wirst. Ja, Dein Leben ist der wahre und einzige Wertgegenstand, der in Gottes Augen zählt. Dein Leben ist die wahre und einzige Perle, an der Gott interessiert ist. Was Du so an sonstigem Reichtum und Ruhm und Leistungen erbringen kannst, ist für Gott letztlich sekundär. In Christus hat er diese deine Lebensperle gekauft. Ja, wir können diesem Gottesschatz näher kommen. Wir können uns bewusst werden, dass Gott uns erworben hat. Wir müssen eigentlich nur eines tun. Dem Glauben und dem Vertrauen genügend Raum geben, dass dieser Schatz wirklich in uns wohnt und dass unser Leben in den Augen Gottes wirklich so wertvoll ist, wie die grösste und schönste Perle. Liebe Brüder und Schwestern. Auf diesem Weg des Glaubens und Vertrauens wünsche ich uns allen Gottes Segen und die Gabe seines belebenden Geistes. Amen. 5