Die Eingliederung von Menschen mit Körperbehinderungen in das Arbeitsleben



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Transkript:

Thomas Ueberall Die Eingliederung von Menschen mit Körperbehinderungen in das Arbeitsleben Erste Staatsexamensarbeit 2001 föpäd. net www.foepaed.net

Hinweise zum Urheber- und Nutzungsrecht Das Urheberrecht am vorliegenden Texten liegt allein beim Autor bzw. bei der Autorin. Der Nutzer bzw. die Nutzerin dürfen die vorliegende Veröffentlichung für den privaten Gebrauch nutzen. Dies schließt eine wissenschaftliche Recherche ein. Für das Zitieren sind die entsprechenden Regelungen zu beachten (sieh unten). Der Nutzer bzw. die Nutzerin des vorliegenden Textes erkennen das Urheberrecht des Autoren bzw. der Autorin an. Vervielfältigung und Verbreitung der vorliegenden Veröffentlichungen bedarf der Genehmigung des Autors bzw. der Autorin. Hinweise zum Zitieren von Online-Dokumenten Die Veröffentlichungen auf den Seiten von föpäd.net sind ebenso wie Texte in Druckmedien zitierfähig. In der Quellenangabe müssen folgende Informationen enthalten sein: Name der Autorin bzw. des Autors, Titel (und eventuell Untertitel) Internet-Adresse (URL), Abrufdatum. Beim Zitieren von Texten, die auf den Seiten von föpäd.net veröffentlicht sind, geben Sie bitte die Internet-Adresse (URL) der pdf-datei des von Ihnen zitierten Dokuments an. Quellenangabe für diese Veröffentlichung: Ueberall, Thomas: Die Eingliederung von Menschen mit Körperbehinderungen in das Arbeitsleben. Online im Internet: URL: http://www.foepaed.net/volltexte/ueberall/eingl-arb.pdf.

INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG... 7 1. ZUR BEDEUTUNG VON ARBEIT UND BERUF... 9 1.1. GEDANKEN ZUM BERUFSANFANG... 9 1.2. ARBEIT UND BERUF ALS TEIL MENSCHLICHEN LEBENS... 10 1.2.1. Begriffliche Überlegungen und Funktionen von Arbeit... 10 1.2.2. Arbeit als materielle Existenzsicherung... 11 1.3. ARBEIT UND BEHINDERUNG... 12 1.3.1. Integration durch Rehabilitation... 12 1.3.2. Der Stellenwert von Arbeit für behinderte Menschen... 14 1.3.3. Erwartungen Behinderter an ihre Arbeit... 15 1.4. ALTERNATIVEN ZUR BERUFLICHEN ARBEIT... 16 1.4.1. Arbeitslosigkeit und ihre Auswirkungen... 16 1.4.2. Eigenarbeit, Laienarbeit, Muße... 17 1.4.3. Ehrenamtliche Arbeit... 18 1.4.4. Bewertung... 18 2. DIE BESCHÄFTIGUNGSSITUATION SCHWERBEHINDERTER MENSCHEN... 20 2.1. SCHWERBEHINDERUNG - GRUNDLAGEN UND PERSONENKREIS... 20 2.2. SCHWERBEHINDERTE UND DER ARBEITSMARKT... 21 2.2.1. Die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter... 21 2.2.2. Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt... 22 2.2.3. Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung Schwerbehinderter... 22 2.2.4. Individuelle Faktoren bei der beruflichen Eingliederung... 23 2.2.5. Kritik an den beruflichen Ausbildungsmaßnahmen für Behinderte... 25 2.2.6. Beschäftigungsstrukturen für Schwerbehinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt... 25 2.2.7. Auswirkungen auf die Werkstätten für Behinderte... 26

3. GESETZLICHE GRUNDLAGEN DER BERUFLICHEN EINGLIEDERUNG... 29 3.1. DAS SCHWERBEHINDERTENGESETZ... 29 3.1.1. Grundlagen des Schwerbehindertengesetzes... 29 3.1.2. Die Aufgaben der Hauptfürsorgestelle und der Bundesanstalt für Arbeit... 30 3.1.3. Die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber und ihre bisherigen Wirkungen... 31 3.1.4. Gesetzesänderung und deren Bewertung... 31 3.2. DAS DRITTE BUCH SOZIALGESETZBUCH... 33 3.2.1. Leistungen an Arbeitnehmer... 33 3.2.2. Leistungen an Arbeitgeber... 34 3.2.3. Leistungen an Träger... 35 3.3. DAS REHABILITATIONSANGLEICHUNGSGESETZ... 35 3.4. DAS BUNDESSOZIALHILFEGESETZ... 37 3.5. DAS BERUFSBILDUNGSGESETZ UND DIE HANDWERKSORDNUNG... 38 4. BERUFSVORBEREITUNG... 40 4.1. BEHINDERUNG UND BERUFSWAHL... 40 4.1.1. Die Situation von jungen Menschen mit Körperbehinderungen bei Verlassen der Schule... 40 4.1.2. Das Zusammenwirken von Schule und Berufsberatung... 41 4.2. BERUFSVORBEREITUNG IN DER SCHULE... 43 4.2.1. Berufsvorbereitung im Unterricht, Arbeitsplatzerkundungen und Betriebspraktika... 43 4.2.2. Berufsvorbereitung durch die Berufsberatung des Arbeitsamtes... 45 4.3. BERUFSVORBEREITUNG NACH BEENDIGUNG DER REGULÄREN SCHUZEIT... 48 4.3.1. Das Berufsvorbereitungs- und das Berufsgrundbildungsjahr... 48 4.3.2. Förderlehrgänge und der Arbeitstrainingsbereich der WfB... 49 4.3.3. Bewertung... 52

5. BERUFSAUSBILDUNG... 53 5.1. DIE BERUFSBILDUNGSWERKE... 53 5.1.1. Allgemeine Grundlagen... 53 5.1.2. Aufnahme und Ausbildung... 54 5.1.3. Wohnen, Freizeit und begleitende Reha-Fachdienste... 55 5.1.4. Der Übergang auf den Arbeitsmarkt... 55 5.2. DIE BERUFSFÖRDERUNGSWERKE... 56 5.2.1. Allgemeine Grundlagen... 56 5.2.2. Aufnahme und Ausbildung... 57 5.2.3. Begleitende Reha-Fachdienste... 58 5.3. DIE BETRIEBLICHE AUSBILDUNG NACH DEM DUALEN SYSTEM... 58 5.3.1. Behinderung und betriebliche Ausbildung... 58 5.3.2. Merkmale der betrieblichen Ausbildung... 59 5.4. DIE BERUFSAUSBILDUNG IN ÜBERBETRIEBLICHEN EINRICHTUNGEN... 60 5.5. DIE SCHULISCHE BERUFSAUSBILDUNG... 61 5.6. BEHINDERUNG UND STUDIUM... 61 6. SPEZIFISCHE ARBEITSMÖGLICHKEITEN UND BEGLEITENDE UNTERSTÜTZUNGSMASSNAHMEN... 63 6.1. DIE WERKSTATT FÜR BEHINDERTE... 63 6.1.1. Wichtige gesetzliche Grundlagen der WfB - das Schwerbehindertengesetz und die Werkstättenverordnung... 63 6.1.2. Die Struktur der WfB... 66 6.2. TAGESFÖRDERSTÄTTEN... 68 6.2.1. Grundlagen und Struktur... 68 6.2.2. Förderschwerpunkte... 69 6.2.3. Bewertung und Möglichkeiten der Weiterentwicklung... 69 6.3. INTEGRATIONSPROJEKTE... 71 6.3.1. Entstehungshintergrund... 71 6.3.2. Gesetzliche Grundlagen... 71 6.3.3. Merkmale und Perspektiven... 72

6.3.4. Verbesserungsmöglichkeiten... 73 6.4. INTEGRATIONSFACHDIENSTE... 74 6.4.1. Geförderter Personenkreis... 74 6.4.2. Schwerpunkte der Tätigkeit... 75 6.4.3. Weitere wichtige Regelungen... 76 6.5. ARBEITSASSISTENZ... 78 ZUSAMMENFASSUNG... 80 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS... 82 QUELLENVERZEICHNIS... 83

EINLEITUNG 50 000 neue Arbeitsplätze für Schwerbehinderte bis zum Jahresende 2002 - dieses Ziel hat sich die Bundesregierung mit dem veränderten Schwerbehindertengesetz gestellt, welches am 01.10.2000 in Kraft getreten ist. Unterstützt wird sie dabei von der Bundesanstalt für Arbeit, der EU, den Hauptfürsorgestellen, den Arbeitgeberverbänden, den Gewerkschaften und den Sozialverbänden. Gleichzeitig wurde zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes eine große Kampagne gestartet, die die Öffentlichkeit in den Medien (z.b. im Internet unter www.jobs-fuer-schwerbehinderte.de), mittels Plakaten oder Broschüren über das neue Gesetz und die beabsichtigte Zielsetzung informieren soll. Mit diesem Vorhaben wird eine Problematik deutlich, die heute für viele Menschen, egal ob behindert oder nicht behindert, von großer Bedeutung ist - das Finden eines Arbeitsplatzes. Bestehen hierbei bereits bei vielen nicht behinderten Menschen Schwierigkeiten, so trifft dies für Menschen mit Behinderungen noch verstärkt zu, wovon auch die Notwendigkeit der erwähnten Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung Schwerbehinderter zeugt. Besitzt dies jedoch auch eine Bedeutung für die Schule? Müssen sich auch die Lehrer mit dieser Thematik beschäftigen? Recht schnell lassen sich diese Fragen eigentlich mit "ja" beantworten. Der Wechsel von der Schule ins Berufsleben vollzieht sich nicht als abruptes Ereignis, bei dem beide Bereiche nicht miteinander in Beziehung stehen, sondern es ist ein längerer Prozess, der bereits in der Schulzeit sorgsam vorbereitet werden muss. Nach vielen Jahren des Schulbesuchs stehen die Schüler nun vor einem bedeutenden Einschnitt in ihrem bisherigen Leben. Doch neben den üblichen Überlegungen zu Berufswahl, Art der Ausbildung, Verfassen von Bewerbungen usw., kommen bei behinderten Jugendlichen noch weitere Aspekte hinzu: Welche beruflichen Möglichkeiten stehen aufgrund der Behinderung zur Verfügung? Lässt sich der Traumberuf realisieren? Welche Anforderungen stellen die verschiedenen Ausbildungsangebote? Können vorhandene Einschränkungen für die Ausübung des Berufs durch begleitende Hilfsmaßnahmen gemindert oder ausgeglichen werden? Diese Überlegungen, die bereits während des Schulbesuchs zu treffen sind, ließen sich noch fortsetzen. Doch selbst wenn eine Ausbildung aufgenommen und erfolgreich absolviert werden konnte, besteht danach eine große Hürde im Finden einer festen Anstellung. Besonders Stellengesuche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bleiben trotz vorhandener Qualifikationen der Behinderten, politischen Bekenntnissen von Regierung, Parteien oder Organisationen sowie gesetzlichen Regelungen häufig ohne Erfolg. Für viele Menschen mit Körperbehinderungen bleibt somit oftmals nur als einziger Ausweg die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte (WfB), wobei die dortige Tätigkeit aber nicht immer den tatsächlichen Leistungsmöglichkeiten der jeweiligen Personen entspricht und sich für sie ein Gefühl der Unterforderung einstellen kann. Andererseits sind aber Beruf und Arbeit auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Vor allem Menschen mit sehr schweren und mehrfachen Behinderungen haben meist keine Aussicht auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Aber selbst die Werkstatt für Behinderte bleibt ihnen oftmals verschlossen. Wie soll ihr weiterer Lebensverlauf nach Beendigung des Schulbesuchs aussehen? Endet die Förderung mit dem Verlassen der Schule oder gibt es auch für sie entsprechende Arbeits- und Be- 7

schäftigungsangebote? Ist denn aber der Besitz eines Arbeitsplatzes für Behinderte wirklich so wichtig? Mit Hilfe dieser Gedanken zu Beginn meiner Arbeit sollen einige wichtige Gesichtspunkte bei der Eingliederung von Menschen mit Körperbehinderungen in das Arbeitsleben angesprochen werden, auf die ich im weiteren Verlauf noch ausführlicher eingehen werde. Zur Behandlung dieses Themas möchte ich die Arbeit in sechs größere Abschnitte gliedern und dabei folgende Aspekte bearbeiten: - Der erste Teil umfasst Überlegungen zum Stellenwert von Arbeit und Beruf in unserer Gesellschaft und betrachtet die Bedeutung dieses Bereiches sowohl für nicht behinderte als auch für behinderte Menschen. Gleichzeitig sollen aber auch mögliche Alternativen zur Erwerbsarbeit thematisiert werden. - Im zweiten Abschnitt werde ich näher auf die derzeitige Beschäftigungssituation Schwerbehinderter eingehen und dabei auch strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Aufgrund dieser Erkenntnisse sollen Folgen dieser Entwicklungen auf die Chancen von Schwerbehinderten einen Arbeitsplatz zu erhalten und entsprechende Auswirkungen auf die Werkstatt für Behinderte (WfB) abgeleitet werden. - Der dritte Abschnitt beinhaltet wichtige gesetzliche Grundlagen, die die berufliche Eingliederung ermöglichen sollen und gibt Auskunft über die Finanzierung und die Formen der Trägerschaft dieser Leistungen. - Die Berufsvorbereitung steht im Mittelpunkt des sich daran anschließenden vierten Teils. Da bei sollen, neben besonderen Gesichtspunkten der Berufswahl, sowohl Aspekte der schulischen Berufsvorbereitung im Unterricht oder über Praktika als auch vorbereitende Maßnahmen, die das Arbeitsamt vermittelt (z.b. Berufsvorbereitungsjahr, Förderlehrgänge oder der Arbeitstrainingsbereich der WfB), vorgestellt werden. - Mit den Möglichkeiten zur Ausbildung von körperbehinderten Jugendlichen möchte ich mich im fünften Abschnitt dieser Arbeit beschäftigen und hierbei z.b. auf die Ausbildung in Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken, die betriebliche Ausbildung oder das Studium eingehen. - Abschließend stelle ich im sechsten Teil spezielle Arbeitsmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen vor. Neben der Arbeit in der Werkstatt für Behinderte wird auch die Möglichkeit der Tätigkeit für Körperbehinderte in sogenannten teilgeschützten Einrichtungen (Integrationsprojekten) thematisiert. Ebenso sollen auch Chancen für Menschen mit sehr schweren Behinderungen auf eine Arbeitstätigkeit vorgestellt werden. Ein wichtiger Aspekt hierbei sind auch begleitende Unterstützungsmaßnahmen, die die behinderten Beschäftigten in Anspruch nehmen können, um ihnen die Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. 8

1. ZUR BEDEUTUNG VON ARBEIT UND BERUF 1.1. GEDANKEN ZUM BERUFSANFANG Im Leben der Menschen in unserer Gesellschaft spielen Arbeit und Beruf eine große Rolle. Mit dieser Bedeutung wird jeder von uns im Laufe seines Lebens zu verschiedenen Zeiten auf positive, aber häufig auch auf negative Weise konfrontiert. Schon jüngere Kinder äußern sich auf ihre Art zu ihren Berufswünschen und orientieren sich damit an den Erwachsenen. Sie wachsen mit der beruflichen Tätigkeit ihrer Eltern auf und erfahren sie mit zunehmenden Alter immer bewusster. Der Tagesablauf der Kinder wird zu einem großen Teil durch den Tagesablauf der Eltern bestimmt, welcher sich wiederum aus den Erfordernissen der beruflichen Tätigkeit herleitet. Besondere Rhythmen und Gegebenheiten, aber auch größere Einschnitte, die den gewohnten Tagesablauf verändern, sind dabei zusätzliche Aspekte. Hierbei sind z.b. Wochenende, Urlaub, Schichtarbeit, Überstunden, berufliche Reisen und Fortbildungen, Wechsel des Arbeitsplatzes oder die Arbeitslosigkeit der Eltern als wohl größter Einschnitt zu nennen. Die Schule als wichtiger Lernort der Kinder hat eine bedeutende Funktion zur Vergabe von Zugangschancen zu bestimmten Berufen, welches schon bei den verschiedenen Schularten deutlich wird, deren Struktur und die zu erwerbenden Abschlüsse für die Schüler auch gleichzeitig unterschiedliche Berufswahlmöglichkeiten darstellen. Gleichermaßen besitzt der Lernort Schule auch eine wichtige Bedeutung hinsichtlich der Berufsvorbereitung der Schüler, welches z.b. Aspekte bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz (Bewerbungsschreiben, Eignungstests, Vorstellungsgespräch), aber auch Einblicke in das Berufs- und Arbeitsleben, über Betriebserkundungen und Praktika umfasst (vgl. 4.1. und 4.2.1.). Der erworbene Schulabschluss bedingt den Zugang zu den verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten und bildet eine wichtige Grundlage für die weitere berufliche Zukunft. Die Art der Berufsausbildung ist somit eine Fortsetzung des Prozesses, für den die Weichen schon in der Schule gelegt werden. Die betriebliche Ausbildung, das Lernen an einer Fachschule oder das Fachhochschul- bzw. Hochschulstudium bedeuten aber nicht nur die Weiterführung der in der Schule gelegten Grundlagen, sondern sie stellen den Beginn für einen neuen Zeitabschnitt dar, der über mehrere Jahrzehnte das Leben der Menschen begleiten wird. Darüber hinaus bildet der erworbene Abschluss der Berufsausbildung eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben und ist wiederum gleichzeitig die Basis für bestimmte Aspekte, die mit dem erlernten Beruf eng im Zusammenhang stehen und die weitere berufliche Zukunft betreffen. Hier sind z.b. Aspekte wie Art der Tätigkeiten, die mit dieser Berufsausbildung ausübbar sind, berufliche Weiterqualifizierung und beruflicher Aufstieg (Karriere) oder aber auch die Verdienstmöglichkeiten zu nennen. Dem Thema "Beruf" kommt also bereits in den ersten 20 bis 25 Lebensjahren eines Menschen ein großer Stellenwert zu. Dabei stellen die hier getroffenen Überlegungen eigentlich nur den Idealfall dar. Auftretende Schwierigkeiten und Einschränkungen, wie ein fehlender Schul- oder Ausbildungsabschluss, Probleme beim Finden einer Ausbildungsstätte bzw. eines Arbeitsplatzes, der Abbruch der Ausbildung oder eine Behinderung, womit ich mich in dieser Arbeit eingehender beschäftigen werde, können die beschriebenen Verläufe so hürdenreich gestalten, dass sie für die Betroffenen sehr frustrierend wirken und ihre Zukunft weit weniger hoffnungsvoll erscheinen lassen. 9

1.2. ARBEIT UND BERUF ALS TEIL DES MENSCHLICHEN LEBENS Nachdem ich zunächst den Einfluss von Arbeit und Beruf vor allem hinsichtlich des Berufsvorbereitungsprozesses in Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter einführend darstellen wollte, möchte ich im folgenden Kapitel stärker deren Bedeutung für den berufstätigen Menschen selbst herausarbeiten. 1.2.1. Begriffliche Überlegungen und Funktionen von Arbeit Zunächst seien einige begriffliche Überlegungen vorangestellt. Stadler (1989, S. 251) versucht die beiden Begriffe "Beruf" und "Arbeit" folgendermaßen zu definieren. Unter Beruf versteht er "ein Bündel von Tätigkeiten (...), die ein Mensch innerhalb eines Sozialverbandes als Aufgabe erfüllt; mit ihm werden Rechte und Pflichten verbunden. Die Berufsausübung dient der Sicherung des Lebensunterhalts." Weitere Merkmale von Beruf sind außerdem der Erwerb spezifischer Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Vorhandensein von Personen zur theoretischen und praktischen Vermittlung von Berufskenntnissen. Im Gegensatz dazu sieht er Arbeit als "jede Tätigkeit (...), deren erster Zweck in der E- xistenzsicherung von Menschen besteht." Arbeit bleibt "äußerlich (...) und gilt als bloße Verrichtung zum Erwerb materieller Güter" (ebd.). Arbeit als reine materielle Existenzsicherung zu betrachten, ist meiner Meinung nach etwas zu einseitig. Sicherlich kommt dem genannten Aspekt eine wichtige Rolle zu, doch zunächst ist zu bedenken, dass Arbeit nicht nur die berufliche Tätigkeit beinhaltet, sondern Arbeit beeinflusst unser gesamtes Leben, sie ist ein grundlegender Bestandteil. Die Arbeit im Garten, Heimwerken, das Engagement in der Kirche, Vereinen und Gruppen, viele Arbeiten im Haushalt, Hobbys usw. sind Tätigkeiten, die nicht unmittelbar der eigenen menschlichen Existenzsicherung dienen und im beruflichen Kontext der jeweiligen Personen stehen, aber sich zweifellos als "Arbeit" bezeichnen lassen. Ich denke, dass die folgenden Überlegungen von Jahoda (1986, zitiert nach Krueger 1993, S. 12) dies noch verdeutlichen. Sie ist der Meinung, es werden "in der Umgangssprache wie auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur Arbeit und Erwerbstätigkeit oft als gleichbedeutend verwendet." Krueger (1993, S. 12) ergänzt: "Zudem gilt Arbeit wesentlich als Lohnarbeit. (...) Man spricht von Arbeit, meint aber den Arbeitsplatz." Entsprechend differenzierter versucht Schubert (1996, S. 511) Arbeit zu charakterisieren. Arbeit hat demnach folgende Funktionen: " materielle Existenzsicherung, Tagesstrukturierung, Bestimmung von Status und sozialer Identität, Vermittlung von Lebenssinn und '-freude', Erweiterung des sozialen Horizonts sowie Gelegenheit zur Selbstverwirklichung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit." 10

1.2.2. Arbeit als materielle Existenzsicherung Obwohl diese aufgeführten Aspekte den Begriff "Arbeit" umfassender darstellen und auf verschiedene andere Bereiche von Arbeit eingehen, ist festzustellen: Arbeit als Sicherung der menschlichen Existenz mit Hilfe der beruflichen Tätigkeit - diese Bedeutung von Arbeit ist für mich die Ursache für den hohen Stellenwert, den Arbeit und Beruf immer noch besitzen. Trotz zahlreicher Überlegungen, die teilweise schon vor vielen Jahren getroffen wurden (vgl. 1.4.), ist eine Alternative für die überwältigende Mehrzahl der Bevölkerung nicht absehbar. Im Gegenteil, je mehr über Sparmaßnahmen in allen Bereichen, das langsame Zurückziehen des Sozialstaates und das Beschränken staatlicher Leistungen zur Absicherung minimaler Lebensbedürfnisse debattiert wird, ist in anderer Richtung eine zunehmende Bedeutung der Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung der Bevölkerung (Beispiele: unterschiedliche Leistungen von Krankenversicherungen, Gesundheitsvorsorge, Beteiligung an kurativen und rehabilitativen Maßnahmen; private Altersvorsorge als Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung; Übernahme der Pflegeversicherungsbeiträge durch die Arbeitnehmer) zu beobachten. Da diese Erfordernisse alle finanzieller Art sind, stellt sich die Frage, auf welche Weise die Menschen diese Mittel aufbringen sollen, wenn sie sie nicht durch ihre berufliche Tätigkeit Hinsichtlich erwerben der Forderung können. nach einer privaten Altersvorsorge wird auch deutlich, dass die Zahlungen von Lohn und Gehalt nicht nur der Sicherung aktueller Notwendigkeiten und der Erfüllung von persönlichen Wünschen dienen, sondern darüber hinaus auch für die Lebensperiode nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben von steigender Bedeutung sind, da das Verhältnis zwischen berufstätiger Bevölkerung und der Anzahl der Rentner aufgrund von steigender Lebenserwartung und zurückgehender Kinderzahl sich immer mehr auseinander bewegt. Beispielsweise erhöht sich nach der 7. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wahrscheinlich die Zahl der 70-79jährigen Menschen in den alten Bundesländern von 4,14 Millionen (1990) auf 6,68 Millionen (2030) bzw. in den neuen Bundesländern von 0,92 Millionen (1990) auf 1,59 Millionen (2030). Im Gegensatz dazu sinkt die Zahl der Angehörigen der jüngeren Generation, d.h. der Kinder und der sich im erwerbsfähigen Alter befindlichen Menschen. Gab es im Jahre 1990 in den alten Bundesländern noch 10,39 Millionen Kinder im Alter von 0-15 Jahren, so werden es im Jahre 2030 vermutlich nur noch 7,77 Millionen sein. Bezüglich der neuen Bundesländer sinkt die Anzahl der Kinder dieses Altersbereiches von 3,29 Millionen im Jahre 1990 auf 1,66 Millionen im Jahre 2030 (vgl. Rothgang 1997, S. 334 / 335). Die eigene private Altersvorsorge wird also stark an Bedeutung zunehmen und damit gleichzeitig das Interesse an qualifizierten, "finanzstarken" Berufen, die es erlauben, entsprechende Rücklagen zu bilden, da von staatlicher Seite nur noch eine Grundsicherung (Leistungen aus Pflegeversicherung und gesetzlicher Rentenversicherung) in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten ist. Weitere Bereiche, die für den Aspekt "Arbeit als materielle Existenzsicherung" eine Bedeutung aufweisen, sind z.b. der Wandel der Familienstrukturen oder der Konsumdruck innerhalb der Gesellschaft. Die Zunahme von Lebenspartnerschaften, Ein-Eltern- Familien, Scheidungen, Ein-Personen-Haushalten führt auch zur wachsenden Bedeutung des Einkommens und der beruflichen Tätigkeit zur Absicherung des eigenen Lebensunterhalts bzw. der nächsten Angehörigen, da ein größerer familiärer und finanzieller Rückhalt nicht mehr gegeben ist. Gleichsam werden hiermit erneut die Auswirkungen auf das Rentenalter erkennbar. Das Schwinden der Familienstrukturen, wo die jüngere Generation sich um ihre Eltern im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit kümmert, zeigt wie- 11

derum die Bedeutung der eigenen finanziellen Vorsorge, um sich für auftretende Erfordernisse (z.b. Pflegebedürftigkeit, Heimplatz im Altenheim) abzusichern und somit auch den Stellenwert von beruflicher Arbeit. Doch die Menschen haben nun nicht die Absicht, in ständiger Askese zu leben, nur um für das Rentenalter finanzielle Vorsorge treffen zu können. Auf der einen Seite sind auch schon während des erwerbsfähigen Alters viele Verpflichtungen vorhanden, die mit dem Aufbringen von finanziellen Mitteln verbunden sind (z.b. Wohnkosten, Versicherungen und Steuern, Nahrung, Mobilität, Beruf sowie die Sicherung des Lebensunterhalts und der schulischen Ausbildung der Kinder). Andererseits werden durch die Medien, die Werbung, soziale Gruppierungen und andere Einflüsse bei den Menschen Konsumbedürfnisse geweckt (z.b. Mode, Technik, Auto, Einrichtungsgegenstände, Reisen und Freizeit), die zwar nicht unmittelbar zur Sicherung der eigenen menschlichen Existenz erforderlich sind, aber den Einsatz zusätzlicher Geldmittel erfordern und damit die Bedeutung des finanziellen Aspekts der beruflichen Arbeit weiter erhöhen. Die anderen Funktionen von Arbeit, die Schubert angeführt hatte (vgl. 1.2.1.), treten meiner Meinung nach leider zu oft in den Hintergrund, da anhand der getroffenen Überlegungen ersichtlich wurde, dass Arbeit zu einem großen Teil mit beruflicher Tätigkeit und finanziellen Notwendigkeiten in Verbindung gebracht wird. Allenfalls die Aspekte "Status und soziale Identität" und "Selbstverwirklichung" scheinen von ähnlicher Bedeutung zu sein, doch dies gilt wiederum vor allem auch für die berufliche Arbeit und den genannten Aspekten haftet meiner Ansicht nach in diesem Zusammenhang eher ein negatives Bild an. Bestimmten Berufen werden Wertungen hinsichtlich ihres Stellenwertes und Ansehens in der Gesellschaft zugeordnet, so dass eine qualitative Abstufung des Arbeitsplatzes und des Berufes entsteht, womit eine Tätigkeit mehr wert als die andere erscheint. Gerade im Hinblick auf die Beschäftigung behinderter Menschen scheint dies nachdenkenswert. So wichtig und bedeutsam auch die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die Möglichkeit der Verwirklichung individueller Interessen im Beruf oder die zielstrebige Durchsetzung der persönlichen Lebensplanung hierbei auch sein kann, vielleicht liegt häufig zu viel Betonung auf "selbst" und soziale Aspekte, die mit der eigenen Tätigkeit im Zusammenhang stehen, treten in den Hintergrund. 1.3. ARBEIT UND BEHINDERUNG 1.3.1. Integration durch Rehabilitation Die Integration behinderter Menschen in das Arbeitsleben mit Hilfe von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation stellt einen wichtigen Bereich innerhalb der Bemühungen um Integration Behinderter in die Gesellschaft und der Normalisierung ihrer Lebensumstände dar. Zu bedenken ist, dass Rehabilitation nicht nur den beruflichen Aspekt beinhaltet, sondern "Rehabilitation umfasst dabei die Gesamtheit aller Maßnahmen medizinischer, schulisch-pädagogischer, beruflicher und sozialer Art, die erforderlich sind, um für den Behinderten die bestmöglichen körperlichen, seelischen und sozialen Bedingungen zu schaffen. Diese sollen ihn befähigen, aus eigener Kraft einen möglichst normalen Platz in der Gesellschaft zu behalten oder wiederzuerlangen" (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 1994, S. 233). Hier möchte ich aber anmerken, dass im letzten Satz dieser Definition der Anschein erweckt wird, als wenn die behinderte Person bereits in der Gesellschaft integriert ist bzw. 12

war. Davon kann bei einem großen Teil der Behinderten in unserem Land aber nun wahrlich nicht die Rede sein! Diesem Aspekt wird die Bundesanstalt für Arbeit (im Folgenden BAFA genannt; 1997, S. 224) in ihrer Darstellung der Bedeutung der beruflichen Rehabilitation meiner Ansicht nach besser gerecht: "Die berufliche Rehabilitation behinderter junger Menschen hat vor allem die berufliche Integration, die dauerhafte Eingliederung in Arbeit und Beruf, zum Ziel. Dies ist zugleich wesentlicher Bestandteil der sozialen und gesellschaftlichen Integration." Nachdem die Ermöglichung des Schulbesuchs für alle behinderten Kinder einen wichtigen Schritt hin zur Integration und Normalisierung bereitete und in der Gegenwart sogar bereits vielfältigste Beispiele für eine Integration der Kinder auch an allgemeinen Schulen zu verzeichnen sind, bedeutet für mich das Verlassen der Schule und der Beginn eines neuen Lebensabschnittes für den weiteren Lebensverlauf der behinderten Menschen eine entscheidende Stufe in der Fortsetzung des Integrations- und Normalisierungsprozesses. Die Schule ist ja nicht nur eine Institution, die der reinen Wissensvermittlung dient, sondern sie ist gleichzeitig auch ein Ort des Zusammenseins von Gleichaltrigen und Erwachsenen, von Behinderten und Nicht-Behinderten, der Ort, der den Schülern vielfältige Aspekte der Erweiterung des persönlichen Horizonts nahe bringt, der die Herausbildung von Selbstständigkeit und von Fähigkeiten zur Lebensbewältigung fördert sowie auch eine Art Rhythmisierung und Strukturierung des täglichen Lebens darstellt. Und diese Aspekte besitzen gerade bei Menschen mit Behinderungen eine wichtige Bedeutung, auch in deren späteren Leben. Je größer die behinderungsspezifischen Einschränkungen und der notwendige Hilfebedarf sind (z.b. bei Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen), desto größer ist auch die Erfordernis für eine Hilfe bei der Strukturierung des alltäglichen und zukünftigen Lebens. Die Personen, die sich zur Leistung dieser Hilfe entscheiden (egal ob auf privater oder professioneller Ebene), sollten sich der großen Verantwortung bei dieser Tätigkeit bewusst sein, die nicht zum Nachteil der Betroffenen geschehen darf. Die Integration in das Arbeitsleben mit ihren umfangreichen Schritten hinsichtlich der Vorbereitung und Durchführung, die ich im späteren Verlauf dieser Arbeit noch ausführlicher darstellen werde (vgl. 4., 5., 6.), bietet eine große Chance, die in der Schule begonnenen Förderungsmaßnahmen, die erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse der Schüler, die Möglichkeiten an sozialen Kontakten usw. zu erhalten und zu erweitern. Doch gleichzeitig sind hier aber auch kritische Überlegungen zu treffen. Möglicherweise tragen diese Bestrebungen dazu bei, die vorherrschende (Über-) Bewertung von Arbeit als berufliche Tätigkeit zur materiellen Existenzsicherung weiter zu festigen, da diese gesellschaftliche Sichtweise auch den behinderten Menschen als fertiger Orientierungsmaßstab vermittelt wird. Damit werden auch Arbeitsmöglichkeiten und Lebensführung der behinderten Menschen beeinflusst, da deren Durchführung an gewisse Voraussetzungen und Normen gebunden ist. Sie betreffen auch die Leistungsmöglichkeiten der Behinderten und aufgrund dessen kann ihnen somit der Zugang zu bestimmten Tätigkeiten, aber auch hinsichtlich einer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung einerseits ermöglicht, andererseits jedoch verwehrt werden. Die Integrationsbemühungen verlaufen auf diesem Bereich meiner Meinung nach zu einseitig, nämlich nach den Maßstäben der Nicht-Behinderten, so dass ein wechselseitiger Austausch zu beider Seiten Vorteil noch zu wenig stattfindet. Somit bleiben alternative Formen der Lebensgestaltung, auch hinsichtlich der Bedeutung des Faktors "Arbeit", nicht nur für die Behinderten, sondern für die gesamte Gesell- 13

schaft nur eine Randerscheinung und Chancen zu deren Akzeptanz oder größeren Verbreitung werden auf grund des gesamt-gesellschaftlichen Drucks vergeben (vgl. 1.2.2. und 1.4.). 1.3.2. Der Stellenwert von Arbeit für behinderte Menschen Zunächst lässt sich hierzu feststellen, dass Arbeit für Behinderte, meines Erachtens nach, häufig eine noch größere Bedeutung als für nicht behinderte Menschen aufweist. Vor allem werden vielfältigere Aspekte von Arbeit deutlich, die auf die behinderten Menschen einen großen Einfluss bewirken. Gerade die leider zu oft im Hintergrund stehenden Funktionen von Arbeit (vgl. 1.2.1.), wie z.b. "Tagesstrukturierung", "Vermittlung von Lebenssinn und -freude", "Erweiterung des sozialen Horizonts" oder aber auch "Weiterentwicklung der Persönlichkeit" können für behinderte Beschäftigte bewusst oder unbewusst ein großer Anreiz zur Ausübung einer Tätigkeit sein. Hierbei sind besonders auch die individuellen Lebensumstände zu berücksichtigen. Gerade für Menschen, die in einer anregungsarmen Umgebung leben (Pflegeheime), nur über wenig Sozialkontakte verfügen oder aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Selbstständigkeit stark eingeschränkt und auf umfangreichere Unterstützung angewiesen sind, bedeuten Arbeitsund Beschäftigungsangebote eine wichtige Möglichkeit zur persönlichen Lebensgestaltung. Wie ich selbst in einem Pflegeheim erleben konnte (viele Bewohner des Wohnbereichs sind körperbehindert und arbeiten in einer Werkstatt für Behinderte), kann es dann sogar durchaus vorkommen, dass Feiertage oder Urlaub nicht immer als positiv angesehen werden, da bei fehlenden Angeboten oder anderen Strukturierungsmöglichkeiten, der veränderte Tagesablauf nicht selten zu Langeweile oder zu Erscheinungen wie Frust und Gereiztheit führt und der baldige Arbeitsbeginn wieder herbeigesehnt wird. Die Gestaltung eines individuellen Tagesablaufs mit Hilfe der Arbeit kann für die Behinderten eine Selbstbestätigung und die Ermöglichung eines vergleichbaren Lebensverlaufs mit nicht behinderten Beschäftigten darstellen. Einen wichtigen Stellenwert können auch vor- und nachbereitende Ereignisse und Tätigkeiten erhalten, die teilweise zwar auch sonst vorkommen, aber durch die Verbindung mit der Arbeit einen deutlichen Wertzuwachs erhalten. Hier lassen sich z.b. Aspekte wie besondere Aufstehzeit, die Morgentoilette, das Frühstück oder die Fahrt zur Arbeitsstelle mit dem Fahrdienst oder öffentlichen Verkehrsmitteln nennen, die der Vorbereitung der eigentlichen Tätigkeit dienen. Ebenso gilt dies für die Rückfahrt, für eventuelle Maßnahmen, die die Körperpflege aufgrund der beruflichen Tätigkeit betreffen und natürlich für den Begriff "Feierabend". All dies wird somit mit Bedeutung gefüllt und trägt zur Förderung des eigenen Selbstwertgefühls bei. Ähnlicher Bedeutung kommt der sozialen Komponente von Arbeit zu. Die gemeinsame Tätigkeit mit behinderten und nicht behinderten Kollegen, das Entstehen von Freundschaften, möglicherweise sogar auch Partnerschaften zwischen den Kollegen, das Gestalten von Feierlichkeiten und Festen, Ausflüge und andere Veranstaltungen (dies bezieht sich vor allem auf die geschützte Beschäftigung in Werkstätten für Behinderte) tragen zur Erweiterung der sozialen Kontaktmöglichkeiten bei. Der Erfahrungsbereich der Menschen, der oftmals aufgrund ihrer Behinderung stark eingeschränkt ist, kann mit Hilfe der eigentlichen Arbeitstätigkeit, parallel verlaufenden Lernangeboten, aber auch mit Freizeitaspekten, die mit der Arbeitsstelle im Zusammenhang stehen, erweitert werden. Die damit mögliche Anknüpfung an begonnene Lernprozesse bzw. deren Fortsetzung durch den Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten erlaubt so, dass eine weiterfüh- 14

rende Förderung für die behinderten Menschen gesichert ist und nicht das Verlassen der Schule in dieser Hinsicht auch das Ende jeglicher Förderung und Entwicklungsmaßnahmen bedeutet (vgl. auch Bordel / Butzke 1989, S. 25 / 26 und Schubert 1996, S. 511 / 512). Trotz allem, eines bleibt sowohl bei behinderten Menschen als auch bei Nicht- Behinderten gleich (vgl. Schubert 1996, S. 511): "Die materielle Existenzsicherung durch die eigenen Arbeitsleistungen wird von vielen behinderten Menschen als höchstes Ziel angesehen. In der Höhe des erhaltenen Lohns drückt sich für die behinderten Menschen auch ein Stück gesellschaftliche Anerkennung für ihr Bemühen aus." Zu fragen bleibt dabei allerdings, ob angesichts des in einer Werkstatt für Behinderte zu erhaltenen Durchschnittslohns von 250 DM (vgl. Stadler 1998, S. 186), die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Tätigkeit teilweise nicht doch zu wünschen übrig lässt und inwieweit damit überhaupt eine eigenständige materielle Existenzsicherung ermöglicht werden kann. 1.3.3. Erwartungen Behinderter an ihre Arbeit Behinderte Menschen erwarten von ihrer Arbeit, dass die Tätigkeit ihnen Entwicklungsmöglichkeiten bietet, wobei allerdings die Möglichkeit eines Wechsels auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, trotz Anstrengungen ihrerseits zur Weiterqualifizierung, recht pessimistisch bewertet wird. Außerdem sollten die Arbeitgeber mit der entsprechenden Gestaltung des Arbeitsablaufes sowie dem Einsatz notwendiger Hilfen und Anpassungen für den Arbeitsplatz ihre individuellen Bedürfnisse berücksichtigen. Damit möchten die Behinderten aber nicht eine besondere Behandlung für sich beanspruchen, sondern mit einer optimalen Arbeitsplatzgestaltung soll es für sie möglich sein, gleichwertige Leistungen wie ihre nicht behinderten Kollegen zu erbringen und somit ihre Einstellung mit entsprechenden Leistungen zu bestätigen (vgl. Zink / Diery 1996, S. 485 / 486). Hinsichtlich der Beschäftigung von körperbehinderten Menschen in einer Werkstatt für Behinderte (WfB) sind besonders folgende Aspekte für diesen Personenkreis von Bedeutung, obwohl sie sich meiner Ansicht nach genauso auf andere Arbeitsorte übertragen lassen. Da in einer WfB sehr viele geistig behinderte Menschen beschäftigt sind, bestehen vonseiten der Körperbehinderten häufig Vorbehalte gegen diesen Arbeitsort, da sie befürchten, dass ihre kognitiven Möglichkeiten nicht richtig eingeschätzt werden. Deshalb interessieren sie sich vor allem für anspruchsvolle Tätigkeiten, die auch von Nicht-Behinderten durchgeführt werden. Daneben sind für sie aber auch die Anerkennung der eigenen Person und die gemeinsame Arbeit mit anderen körperbehinderten Mitarbeitern sehr wichtig. Weiterhin erwarten sie Mitspracherecht in persönlichen Angelegenheiten, entsprechende pflegerische und krankengymnastische Versorgung, vollen rechtlichen Status bei Arbeitnehmerschutzbestimmungen und eine Entlohnung, die zur Absicherung der eigenen Existenz beiträgt (vgl. Seyl 1996, S. 541). Anhand dieser Aspekte wird deutlich, dass hier eine klare und durchaus realistische Erwartungshaltung der behinderten Mitarbeiter an ihre Tätigkeit und das Arbeitsplatzumfeld vorliegt. Trotz dieser eigentlich selbstverständlich anmutenden Überlegungen ist die Umsetzung in der Praxis aber immer noch nicht zufriedenstellend. Wie oft werden behinderte Menschen nicht eingestellt, da an ihrem Leistungsvermögen gezweifelt wird oder spezielle Arbeitsplatzanpassungen notwendig sind, die zu aufwendig oder zu teuer 15

erscheinen, ihnen aber die entsprechende Leistungsfähigkeit ermöglichen würden? Und wenn der Behinderte dann doch eine Anstellung gefunden hat, bleibt die Frage, ob diese Tätigkeit auch seinen Vorstellungen und Fähigkeiten entspricht oder nicht eher aus Mangel an anderen Möglichkeiten gewählt wurde. Auch die Stellung selbst weniger schwer behinderter Menschen als gleichberechtigte Personen, die nicht bevormundet werden müssen (Art der persönlichen Ansprache, Vertrauen in das Können der Menschen, individuelle Lebensgestaltung), ist weder auf dem Gebiet der Arbeit noch im allgemeinen Verständnis der Gesellschaft, schon in einem ausreichenden Maße Wirklichkeit. Somit wird deutlich, dass es bis zur breiten Verwirklichung von eigentlich ganz selbstverständlichen Erwartungen behinderter Menschen, z.b. hinsichtlich einer beruflichen Tätigkeit, noch viel Zeit und gesellschaftlicher Anstrengungen bedarf. 1.4. ALTERNATIVEN ZUR BERUFLICHEN ARBEIT 1.4.1. Arbeitslosigkeit und ihre Auswirkungen Der Besitz eines Arbeitsplatzes bedeutet besonders in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit für viele Menschen ein großes Gut. Aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung der beruflichen Arbeit (vgl. 1.2.) wiegt ein Verlust des Arbeitsplatzes bzw. die vergebliche Suche nach einem Arbeitsplatz um so schwerer. Arbeitslosigkeit stellt einen tiefen Einschnitt in den individuellen Lebensverlauf dar. Beim Auftreten der Arbeitslosigkeit wird deutlich, dass neben dem Aspekt der materiellen Existenzsicherung auch weitere Funktionen von Arbeit hervortreten, deren Stellenwert sonst eher im Hintergrund liegt (Lebenssinn, soziale Aspekte, Tagesstrukturierung; vgl. 1.2.1.) und nun dem Betroffenen aber bewusst werden. Im Einzelnen sind hierbei beispielsweise folgende Faktoren und Folgen von Arbeitslosigkeit anzuführen (Esser 1989, S. 139 / 140): " - ungewohnte Ängste, Erfahrungen der Nutzlosigkeit und Überflüssigkeit - Selbstunsicherheit, Langeweile, Inaktivität - Bedrohung der sozialen Identität (...) - Geldknappheit und wachsende Verschuldung - niedriges soziales Ansehen (...) - depressive Verstimmungen als ungewohnte Alltagserscheinung - schließlich Appetitlosigkeit, Mattigkeit oder auch - Ruhelosigkeit und plötzliche Neigungen zu destruktiven Aggressionen." Die Folgen der Arbeitslosigkeit sind nicht nur bei nicht behinderten Menschen erkennbar. In gleichem Maße wie durch die Veränderungen und Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes nicht behinderte Beschäftigte mit dem Problem der Arbeitslosigkeit konfrontiert wurden, so sind auch behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt trotz verschiedener gesellschaftlich-politischer Bemühungen davon betroffen (vgl. 2.2.). Noch schwieriger sieht die Situation für Behinderte mit sehr schweren und mehrfachen Behinderungen aus, da neben der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vielfach auch die "Ausweichmöglichkeit" WfB für sie verschlossen bleibt. Die Schwierigkeiten, die für nicht behinderte und behinderte Menschen im Hinblick der Möglichkeit der Verrichtung von berufsbezogener Arbeit vorhanden sind, führen schon seit vielen Jahren zu Überlegungen, welche Alternativen und veränderten Sichtweisen hierfür bestehen. 16

1.4.2. Eigenarbeit, Laienarbeit, Muße Bereits 1982 befasste sich Antor mit der sogenannten "Eigenarbeit", die der Selbstversorgung dient, persönlich als sinnvoll erfahren wird und die individuelle Weiterentwicklung fördert. Eine Entlohnung mit Geld ist allerdings nicht vorgesehen. Der Mangel an beruflicher Arbeit soll somit zu einer Chance für einen Wandel werden. Dies bezieht sich aber nicht nur auf Arbeiten, die im persönlichen Umfeld zu erledigen sind, sondern auch die berufliche Arbeit soll "humanisiert" werden, d.h. Aspekte der Eigenarbeit sollen auch auf diesen Bereich übertragen werden und somit die berufliche Tätigkeit für die Beschäftigten verbessern. Hierfür sind z.b. Faktoren, wie Abbau von gesundheitsgefährdenden Belastungen und somit die Vermeidung berufsbedingter Krankheiten oder Behinderungen sowie Veränderungen in der Länge (Teilzeitarbeit, Frührente, Job- Sharing) bzw. der Lage der Arbeitszeit (gleitende Arbeitszeit) zu nennen. Für Menschen mit Behinderungen werden folgende Möglichkeiten abgeleitet. Die stärkere Berücksichtigung ihrer spezifischen Bedürfnisse schon bei der Berufsausbildung und in den Arbeitsbedingungen könnte den beruflichen Einstieg für diese Personen erleichtern. Ebenso sollten in den Werkstätten für Behinderte entsprechend der individuellen Fähigkeiten vielfältige Arbeitsplatzangebote geschaffen und die WfB auch für Menschen mit sehr schweren Behinderungen stärker geöffnet werden. Weiterhin wäre es erforderlich, auch eine veränderte Sichtweise hinsichtlich des Stellenwerts der beruflichen Rehabilitation Behinderter zu entwickeln, die auch weitere Bereiche wie Gesundheit, Freizeit, persönliche Entwicklung oder soziale Umwelt in einem größeren Maße mit einschließt (vgl. Antor 1982, S. 39-53). Neben den Veränderungen im Bereich der beruflichen Arbeit sind aber noch weitere Überlegungen vorhanden. Eigenarbeit bedeutet nach Antor nicht nur die Tätigkeit für die eigene Person, sondern kann über die sogenannte "Laienarbeit" auch gesellschaftlich nützlich sein. Besonders die Arbeit in Selbsthilfegruppen spielt hierbei eine große Rolle und stellt auch für behinderte Menschen eine wichtige Perspektive dar. Im Zusammenschluss von Menschen, die sich in der gleichen Lage befinden, wird es somit möglich, sowohl Hilfen und Möglichkeiten zur Bewältigung der persönlichen Situation zu erwerben als auch durch die gemeinsame Tätigkeit die Absicht des Wirkens einem größeren Umfeld, z.b. über Öffentlichkeitsarbeit, zu vermitteln und sie damit für den jeweiligen Hintergrund der Selbsthilfegruppe zu sensibilisieren. Eine weitere Alternative, die sich vor allem an schwerstbehinderte Menschen richtet, beschreibt Krueger (1993, S. 15 / 16) als "Muße" Damit ist aber nicht bloßes Nichtstun gemeint, sondern das "Schaffen soll unter Bedingungen der Muße stattfinden, d.h. es gelingt, wenn freie Zeit, Bequemlichkeit und Untätigkeit gewährt werden, aber auch die angemessene Gelegenheit, etwas zu tun" (ebd., S. 15). Mit diesen Überlegungen könnte auch eine WfB schwerstbehinderten Menschen die Möglichkeit bieten, ohne den Druck einer zu erbringenden Arbeitsleistung, entsprechend ihrer Fähigkeiten eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, auch wenn sie nicht den allgemein üblichen Vorstellungen von Arbeit entspricht. Sieht der Behinderte dagegen diese Tätigkeit für sich als bedeutsam an, so dürfte man dem Ziel einer Alternative zur herkömmlichen Erwerbsarbeit und einer Veränderung des Arbeitsbegriffs ein Stück näher gekommen sein. So schreibt auch Bleidick (1989, S. 174): "Für schwerstbehinderte Erwachsene sind nicht die Aspekte der Produktion, sondern die Teilhabe an den Arbeitsvorgängen und deren Erleben, in die therapeutische und pflegerische Erfordernisse voll zu integrieren sind, von ausschlaggebender Bedeutung." 17

1.4.3. Ehrenamtliche Arbeit Eine weitere Möglichkeit stellt für mich die "ehrenamtliche Arbeit" dar, die auch keine berufliche Erwerbstätigkeit beinhaltet. Viele Bürger, die entweder keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen (können) oder nebenberuflich für diese Arbeit ihre Freizeit einsetzen, engagieren sich in verschiedenen Vereinen, Gruppen oder Organisationen unterschiedlichster Richtungen (Umweltschutz, Kirche, Sozialwesen, Sport usw.). Gerade für Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, könnten hier neue Chancen entstehen. Durch das Knüpfen von Kontakten bei dieser Tätigkeit lassen sich vielleicht auch Perspektiven für eine nachfolgende berufliche Beschäftigung in diesem Bereich entwickeln. Doch ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitslosigkeit bei vielen Betroffenen mit Sorgen und Problemen, auch psychischer Art, verbunden ist und oft nicht gerade zur Entwicklung neuer Energien beiträgt. Vor allem aber finanzielle Aspekte, die hierbei von wachsender Bedeutung sind und bei dieser Tätigkeit nicht berücksichtigt werden können, stehen einer Beschäftigung auf diesem Gebiet im Weg, da der Betroffene sich fragen wird, warum er denn hier tätig sein soll, wenn er nichts dabei verdient. Für mich steht hiermit besonders der gesellschaftliche Stellenwert von ehrenamtlicher Arbeit und anderen unentgeltlichen Beschäftigungsformen zur Diskussion, welchen ich in der heutigen Zeit als zu gering einschätzen möchte. Gelegentlich wird man zwar darauf aufmerksam, da einige dieser engagierten Mitbürger für ihr Wirken ausgezeichnet werden und somit auch eine Art Anerkennung für ihre Tätigkeit, nicht nur von gleichgesinnten oder beteiligten Personen, sondern auch vonseiten Außenstehender erhalten. Sonst stehen diese Tätigkeiten aber meiner Ansicht nach zu sehr im Hintergrund und werden zu wenig gewürdigt. Aufgrund des geringen öffentlichen Interesses braucht man sich über Klagen hinsichtlich einer mangelnden Bereitschaft in der Bevölkerung zur Ausübung dieser Arbeiten nicht zu wundern. 1.4.4. Bewertung Obwohl einige Überlegungen teilweise schon verwirklicht wurden (Veränderungen von Arbeitszeitregelungen, Laienarbeit mittels Selbsthilfegruppen [auch von Behinderten], langsame Öffnung von Werkstätten für Behinderte auch für Schwerstbehinderte), steht meines Erachtens einer größeren Umsetzung vor allem der Gegensatz von fehlender Entlohnung mit Geld und finanziellen Bedürfnissen und Erfordernissen im Weg. So fragt sich nämlich auch Stadler (1989, S. 256) "wie der seine Existenz sichern soll, der sein Bedürfnis nach Arbeitstätigkeit nur durch Eigenarbeit befriedigen kann". Gleichsam erscheint mir wichtig zu bedenken, dass eine Durchsetzung von alternativen Arbeitsmöglichkeiten meiner Ansicht nach heute nicht mehr nur auf einzelnen Ebenen möglich ist, sondern dieses Vorhaben ließe sich nur mit einem gesamtgesellschaftlichen Wandel, vor allem auch im Hinblick auf die finanzielle Bewertung von Arbeit verwirklichen. Es müssten klare Anreize und Regelungen geschaffen werden, die sowohl den Stellenwert und die Anerkennung dieser Tätigkeiten erhöhen als auch den finanziellen Aspekt verstärkt in den Hintergrund treten lassen, um so wirkliche Alternativen zu einer erwerbsmäßigen Arbeit zu bieten und den Beschäftigten trotzdem eine abgesicherte Lebensführung zu ermöglichen. Doch gerade in einer Zeit der Globalisierung, wo Strukturen immer stärker weltweit miteinander verflochten sind, ist ein Alleingang nur schwer möglich. Schnell werden wohl finanzielle Aspekte (notwendige Sparmaßnahmen des Staates) oder wirtschaftliche Gesichtspunkte (ungleiche Wirtschaftsbedingungen; Drohung der Verlagerung der Produk- 18

tion in Länder mit geringeren Kosten) dagegen aufgeführt werden. Hier sind also vor allem gleiche Regelungen innerhalb einer größeren Anzahl von Ländern erforderlich. Aufgrund der Komplexität der Rahmenbedingungen und der derzeitigen Unlösbarkeit des finanziellen Aspekts erscheint mir eine tiefgreifende Veränderung zur Durchsetzung alternativer Arbeitsmöglichkeiten, die sowohl nicht behinderten als auch behinderten Menschen nützen würden, für die nächste Zukunft nicht absehbar. 19

2. DIE BESCHÄFTIGUNGSSITUATION SCHWERBEHINDER- TER MENSCHEN Zur Darstellung dieses Sachverhalts ist es erforderlich, bereits in diesem Kapitel auf einige Bestimmungen des "Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft" (Schwerbehindertengesetz-SchwbG) bzw. des "Dritten Buches des Sozialgesetzbuches" (SGB III) näher einzugehen, da sie für verschiedene Aspekte der Beschäftigungssituation Schwerbehinderter von großer Bedeutung sind. Ein umfassenderer Überblick bezüglich des SchwbG und des SGB III ist im Kapitel 3 Gesetzliche Grundlagen" nachzulesen (vgl. 3.1. und 3.2.). 2.1. SCHWERBEHINDERUNG - GRUNDLAGEN UND PERSONENKREIS Im 3 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG; vgl. 3.1.), welches 1974 verabschiedet wurde, wird auch der Begriff "Behinderung" definiert und verstanden als "die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht" (BAFA 1997, S. 77 / 78). Die Dauer dieser Beeinträchtigung muss länger als sechs Monate betragen, die Regelwidrigkeit bezieht sich auf die Abweichung vom Lebensalter, wobei kritisch anzumerken ist, dass durch die Verwendung des Begriffes "regelwidrig" auch wieder eine starke Orientierung an einer gesellschaftlichen Norm deutlich wird (vgl. 1.3.). Eine weitere gesetzliche Definition von "Behinderung" ist im 19 des 1998 neu entstandenen SGB III, welches die Arbeitsförderung einschließlich der beruflichen Rehabilitation umfasst, zu finden. Diese Definition beschreibt meines Erachtens gut die reale Situation, in der sich Behinderte hinsichtlich einer beruflichen Eingliederung befinden und vermeidet zusätzliche, überflüssige Stigmatisierungen. Im 19 SGB III heißt es (BAFA 1998, S. 38): "Abs. 1: 'Behinderte sind körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigte Personen, deren Aussichten, beruflich eingegliedert zu werden oder zu bleiben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur beruflichen Eingliederung benötigen.' Abs. 2: 'Den Behinderten stehen die Personen gleich, denen eine Behinderung mit den oben genannten Folgen droht.' " Im Schwerbehindertengesetz wird zur Darstellung der Auswirkungen der "Funktionsbeeinträchtigung" der "Grad der Behinderung" (GdB) verwendet, der von 20 bis 100 GdB in Zehnerschritten gestuft ist (vgl. BAFA 1997, S. 78). Daraufhin werden nach 1 SchwbG die Personen als schwerbehindert bezeichnet, die einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 aufweisen. Eine Behinderung ist u.a. dann gegeben, wenn mindestens ein Grad der Behinderung von 20 vorliegt (vgl. Wolfin / Schmidt 1993, S. 29). Kritisch wird aber vor allem gesehen, dass diem Schwerbehinderteneigenschaft nur in Verbindung mit dem Erwerbsleben besteht und sich ihre rechtliche Bestimmung auf das Schwerbehindertengesetz beschränkt, so dass auch nur den Personen der volle Leistungsanspruch zugestanden wird, die die Bedingungen des Schwerbehindertengesetzes erfüllen (vgl. Anders 1996, S. 550). 20