Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 13. Juli 2014 Predigt über Römer 12,17-21 von Prälat Ulrich Mack Schriftlesung: Lukas 6,27-31+36 -- Römer 12,17-21: 17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35):»Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«20 Vielmehr,»wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«(sprüche 25,21-22). 21 Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem. Liebe Gemeinde, so seh n Sieger aus! - so klingt s beim Fußball. Das gibt was heute Abend! Argentinien gegen Deutschland. Ob der argentinische Papst und der alte deutsche Papst zusammen nicht public viewing, aber vaticanic viewing machen? Es sei eher unwahrscheinlich, so die Pressemeldung. Aber viele Millionen Menschen werden heute Abend dabei sein und sehen: So seh n Sieger aus, wer immer es wird. Wobei wir bei Paulus wären. Nein, ihm geht es hier im Bibeltext nicht ums Endspiel, sondern ums Alltagsspiel des Lebens. Nicht um Weltmeisterschaft, sondern wie wir unser Leben meistern. Nicht um Tore, die wir anderen reinknallen, sondern darum, dass wir nicht als verknallte Toren uns beim Abpfiff wundern, wie viele Fouls es in der Spielzeit unseres Lebens gab. Paulus sagt es weniger fußballerisch, aber praxisnäher: Lass dich nicht vom Bösen besiegen (Luther übersetzt hier überwinden, aber wörtlich heißt es: siegen, griechisch: nika die Sportmarke Nike hat das im Namen aber jetzt keine Schleichwerbung, sondern Werbung des Paulus:) Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem. 1
Wenn das so einfach wäre! Wobei eines ja auffällt: Paulus schlägt hier einen Ton ganz nüchterner Realität an. Er beschönigt nichts. Das Böse ist da. Wir leben nicht in einer heilen Welt, sondern in einer Welt voller Gegensätze und Spannungen. Es gibt nicht nur Licht, sondern auch Schatten. Nicht nur Frieden, sondern Streit. Nicht nur Gutes, sondern auch Böses. Die Welt ist voll davon. Raketen zwischen Israel und Palästina, Spannungen in der Ukraine, Leid im Irak, in Nigeria, in vielen Ländern. Und bei uns? Die Zeitungen berichten es: Korruption, Betrug, sexueller Missbrauch. Eine Erzieherin im Kindergarten wunderte sich, wie aggressiv schon Zwei- oder Dreijährige aufeinander losgehen können mit Kratzen und Beißen, wenn sie sich angegriffen fühlen. Und wir Erwachsenen? Klar: Wir wollen das Gute. Hier wird jetzt niemand sein, der von sich sagt: Ich will ausdrücklich das Böse. Aber auf einmal ergibt ein Wort das andere, und aus einem Wortfunken entzündet sich ein Streit. Seelische Verletzungen nisten sich im Gedächtnis ein. Und wo ist dann das Böse? Bei den anderen natürlich, denkt man schnell und weiß doch, dass das nicht so einfach ist. Es steckt ja auch in uns selber trotz allem Bemühen ums Gute. Paulus kennt das Dilemma. Ein paar Kapitel vor dem Bibeltext für heute schreibt er: Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich (Römer 7,18f). Paulus erklärt es so: Das Böse ist in der Welt. Es steckt auch in uns. Er nennt es die Sünde, die in mir wirkt. Die Frage ist für Paulus nicht, ob das Böse da ist. Sondern er fragt: Wie gehen wir damit um? Wie können wir das Böse besiegen? Mit Gutem antwortet Paulus. Besiege das Böse mit Gutem. Ein paar Sätze vor unserem Abschnitt beschreibt Paulus, wie das Gute ganz praktisch aussieht. Zum Beispiel: Eure Liebe soll ehrlich sein. Prahlt nicht mit eurer Klugheit. Seid gastfreundlich. Weint mit den Weinenden. 2
Hier im Römerbrief-Kapitel 12 sieht Paulus zuerst auf die Beziehungen im persönlichen Umkreis: in der Familie, am Ort, in der Gemeinde. Aber dann weitet sich der Blick zu allen Menschen. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Da merken wir: Paulus ist Realist. Er ist kein Träumer, kein Schwärmer. Er weiß aus eigener Erfahrung: Es wird nicht gelingen, immer mit allen Menschen Frieden zu haben. Das Böse ist noch in der Welt. Darum schreibt Paulus sofort nach dem Bibeltext für heute von der staatlichen Obrigkeit. Denn manchmal, das weiß der Apostel, manchmal ist es nötig, das Böse auch mit staatlicher Gewalt einzudämmen etwa wenn es um Terror geht oder um kriminelle Machenschaften. Darum braucht ein Staat eine Polizei, Soldaten auch, dazu eine verantwortliche Justiz und besonnene Politiker. Und er braucht uns, die Menschen, die immer wieder danach sehen, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit die Oberhand behalten. Aber den befreienden Ton nüchterner Realität hören wir mit. Soviel an euch liegt, habt mit allen Menschen Frieden. Es wird nicht immer gelingen. Paulus hat das selbst erlebt. Immer wieder landete er im heftigen Streit mit anderen. Manchmal muss Wahrheit auch widerständig sein. Es geht Paulus nicht um eine unechte Harmonietünche. Sondern um echten Frieden. Aber wenn der Friede nicht möglich ist? Wenn mich jemand beleidigt? Ungerecht behandelt? Räche ich mich dann? Werde ich zornig? Sinne ich auf Vergeltung und meine Gerechtigkeit? Wie du mir, so ich dir!? Paulus antwortet mit einer Steilvorlage, mit einer wichtigen Flanke: Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes. Da hoffe ich, dass Sie das Befreiende spüren, das Aufatmende in dem, was Paulus schreibt: rächt euch nicht selbst. Ihr seid davon befreit, dass ihr euch selber rächen müsst! Rein aus menschlichen Empfindungen heraus würden wir gern manchmal zurückschlagen, wenn uns jemand schlägt. Wir würden, wenn jemand Böses gegen uns sagt, gern Böses zurückgeben in Worten oder Gedanken. Wer will schon so etwas auf sich sitzen lassen? Aber Paulus antwortet: Lass es nicht auf dir sitzen, gib es aber auch nicht zurück, sondern: lass es auf Gott sitzen: Gib es ihm. Es ist seine Sache. Mein ist die Rache, 3
spricht der Herr. Überlasse ihm also das Ungelöste. Übergib ihm die Beleidigung, übergib ihm das Ungerechte beim Erben oder die Sorge, wie das verletzende Wort wieder ein heilsames wird. Wenn wir meinen, wir selbst müssten alles zurechtbringen und vergelten, dann nehmen wir das Gott weg. Dann nehmen wir ihm ein Stück seines Raumes weg. Es ist seine Sache, zu richten. Und am Ende wird er das auch tun. Vor Gott, darauf können wir vertrauen, vor Gott bleibt nichts Verbogenes verborgen, nichts Ungerechtes ungerächt, nichts Verdecktes unentdeckt. Und das zu wissen und zu glauben, das kann uns als Christen gelassen machen. Wir müssen uns nicht selbst rächen. Das macht uns gelassen und innerlich stark. Denn wir haben eine große innere Stärke bekommen, und zwar in der Verbindung zu Christus. Wie mit einem großen Aufatmen und Jubeln schreibt Paulus: Nun haben wir Frieden mit Gott. Dieser Friede, der von Christus her kommt, ist wie eine große Kraft. Eine Kraft, die uns sagt: Gott liebt dich. Er nimmt dich an trotz allem. Und du bekommst so die Kraft, andere Menschen anzunehmen - trotz allem. Die Kraft zum Frieden ist da. Wir müssen sie nicht machen. Gott hat sie in die Welt gegeben. Da merken wir: Wir können die Verse in Römer 12 für heute nur lesen und verstehen, wenn wir sie von Jesus Christus her verstehen. Hier, wo es ums Überwinden und Besiegen des Bösen geht, hier stehen wir nicht allein auf der weiten Flur unseres Lebens. Sondern da ist Christus neben uns. Er ist es, der die Mauer des Bösen überwunden hat. Er ist es, der, als alles Böse sich gegen ihn austobte, bat: Vater, vergib ihnen. Er ist es, der den Ring der Vergeltung sprengte. Er ist es, der mit uns und der ganzen Welt Frieden gemacht hat durch seinen Tod am Kreuz. Und nun ist es an uns, dass wir Christus in uns wirken lassen. So kann und so soll es gelingen, das Böse immer wieder neu zu besiegen in den kleinen und großen Fehlpässen oder Fouls des Lebens. Mit Christus leben als Christen in der Welt das ist nun auch etwas sehr Aktives. Der Bibeltext sagt ja nicht: Nun fresst das Unrecht in euch rein und schluckt alles und duldet alles. Nein, im Gegenteil. Mit der Kraft, die von Christus kommt, können und sollen wir in nun in unserer Welt aktiv sein. Vor den Sätzen, die Sie schriftlich haben, stehen in Römer 12 handfeste Beispiele, wie Mauern des Bösen zu überwinden sind: Achtet euch gegenseitig für wertvoll, seid ehrlich. Und hier nimmt Paulus auf, was Jesus in der Bergpredigt gesagt hat -: segnet, die euch verfolgen. Zu einer solchen Souveränität ermutigt uns Paulus. Er erinnert nebenbei an ein altes Ritual aus Ägypten. Da konnte jemand, der was Böses tat und an anderen schuldig 4
wurde, folgendes tun: Er nahm glühende Kohlen aus dem Feuer, legte sie in eine Schale, setzte sich diese auf den Kopf und ging so reumütig zu dem geschädigten Mitmenschen: Bitte vergib mir. Das Böse brennt mir auf dem Kopf, und ich will es mit dir löschen. Paulus sagt mit diesem Bild: Eröffne du deinem Mitmenschen die Möglichkeit, dass er mit Reue zu dir kommt. Das gelingt, wenn du aufs Zurückschlagen verzichtest, wenn du die Kraft hast, deinen Feind zu lieben und ihn zu segnen. Dann sammelst du schon Kohlen auf sein Haupt. Du eröffnest ihm den Weg aus dem Bösen. Manchmal sind es nur kleine Schritte. Aber wichtige. Zur Zeit bewegt uns wieder der Konflikt im Nahen Osten. Mit dem Tod von israelischen und palästinensischen Jugendlichen hat es vor ein paar Tagen begonnen. Nun fliegen Raketen. Bomben zerstören Häuser und Menschenleben. Aber da sandte nun der deutsche Propst an der Jerusalemer Erlöserkirche, Wolfgang Schmidt, folgende Nachricht: Angehörige, so schreibt er, Angehörige der getöteten jüdischen und arabischen Jugendlichen sprachen sich bei einem Telefonat gegenseitig ihre Anteilnahme aus und verabredeten einen Beileidsbesuch der drei jüdischen Familien bei der Familie des arabischen Opfers. Beten wir darum, dass solche Gesten des Verstehens sich nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen Bahn brechen. Dass Frieden wird. Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Unterbrecht die Spirale der vergiftenden Worte. Segnet dagegen. Und weint mit den Weinenden. Ich fand etwas interessant nach dem Fußballspiel gegen Brasilien am letzten Dienstag: Da rissen nach dem Schlusspfiff die deutschen Spieler nicht sofort ihre Arme hoch und jubelten. Sondern sie gingen erstmal in aller Ruhe auf die weinenden Brasilianer zu und versuchten, sie zu trösten. So seh n Sieger aus. Wie werden sie heute Abend aussehen, die Sieger? Schaun wir mal. Für Paulus sind Sieger jedenfalls solche, die sich nicht vom Bösen besiegen lassen, sondern die das Böse mit Gutem überwinden. Und das im Vertrauen auf Christus. Mit ihm leben fröhlich, liebevoll, mutig, versöhnungsbereit: so seh n Sieger aus. Amen 5