Sprachlernexperimente 1 Was können Tiere lernen? Armin W. Buch 29. April 2014
Isolierung einzelner Eigenschaften menschlicher Sprache Wenn sie auf allgemeine kognitive Fähigkeiten zurückgehen, sollten unsere Verwandten (oder andere) diese Fähigkeiten auch haben Denn wenn sie einen evolutionären Vorteil bedeuten, sollten sie immer wieder auftreten Diese Fähigkeiten lassen sich experimentell testen, indem man Tiere eine reduzierte Sprache lernen lässt
(Auswahl) Kulturelle, nicht genetische Weitergabe Deixis: sprachliches Zeigen (Pronomen, Anapher) 1 Produktivität: Kodierung neuer, entfernter, hypothetischer oder kontrafaktischer Sachverhalte Duality of patterning nicht-kompositionelle (beliebige, s. Saussure), diskrete Bildung von Wörtern aus Phonemen kompositionelle Bildung von Sätzen aus Wörtern Rekursion (zweifelhaft; s.a. Coolidge & al. (2011)) / kontextfreie Grammatik 1 s.a. Pronomen in Gestensprachen
Einschub: Kontextfreie Grammatik Phrasenstruktur: Wörter bilden größere Einheiten Diese Einheiten werden weiter kombiniert, ungeachtet ihrer internen Struktur D.h. alle Grammatikregeln sind lokal Sie sind rewrite rules von der Form X Y* Größtenteils ausreichend für menschliche Sprache Nicht unbedingt eine kognitiv adäquate Abstraktion menschlicher Sprachverarbeitung
Gruppenarbeit Nachäffen (Tennie & al. 2010, Tennie & al. 2012) Zeigen: Affen (Tomasello, 2008), Füchse (Link 1, Link 2) Rekursion: Affen (Fitch & Hauser, 2004), Stare (van Heijningen & al. (2009), Kommentar 1, Kommentar 2) Graupapagei Alex (Ausgangspunkt: Wikipedia-Eintrag) Leitfrage: Welche Charakteristika menschlicher Sprache, die in anderen Kommunikationssystemen nicht vorkommen, können Tiere benutzen/erlernen? Kulturelle Transmission Deixis Produktivität kontext-freie Grammatik
Ergebnisse Zeichenketten können gelernt werden Zeichen-Bedeutung-Zuordnungen können gelernt werden ( Signalspiele) Zeigen (gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus) kann (manchmal) nach Zuchtauswahl verstanden werden Können eventuell weitere Grundlagen von Sprache angezüchtet werden? Zeigen plus verbale Aufforderung ermöglicht eine minimale kompositionelle Semantik Schimpansen können einfache Propositionen nachbauen, aber nichts einbetten Rekursion bleibt strittig, sowohl beim Menschen als auch bei ; sie ist aber gar nicht nötig
Weitere Forschung Tiere lernen nicht so sprechen wie Menschen, und kein Mensch wird eine Tier- Sprache so lernen, dass er in diese übersetzen könnte (bis zum Beweis des Gegenteils) Verbleibt nur ein gradueller Unterschied, oder ein kategorischer? Wenn Letzteres, ist er extrem sprachspezifisch. Welchen evolutionären Vorteil hat er dann? Wenn die Lücke zum Menschen nicht überbrücken, dann muss sie von der anderen Seite her angegangen werden Menschliche Probanden in Kommunikationssituationen, die sich in ihrer äußeren Form von Sprache (bzw. der jeweiligen Muttersprache) möglichst unterscheiden
Sprachlernexperimente mit Menschen Scott-Philips & Kirby (2010) Language evolution in the laboratory beschreibt das allgemeine Iterated-Learning-Modell Probanden sind zuerst Lerner, dann Lehrer für die nächste Gruppen Hausaufgabe: verschiedene solche Studien Scott-Philips & al. (2009) Selten & Warglien (2007) Kirby & al. (2008) Roberts & Galantucci (2012) Verhoef & al. (2011)
Literatur I Frederick L. Coolidge, Karenleigh A. Overmann, and Thomas Wynn. Recursion: what is it, who has it, and how did it evolve? Wiley Interdisciplinary Reviews: Cognitive Science, 2(5):547 554, 2011. W Tecumseh Fitch and Marc D Hauser. Computational constraints on syntactic processing in a nonhuman primate. Science, 303(5656):377 380, 2004. Simon Kirby, Hannah Cornish, and Kenny Smith. Cumulative cultural evolution in the laboratory: An experimental approach to the origins of structure in human language. Proceedings of the National Academy of Sciences, 105(31):10681 10686, 2008. Gareth Roberts and Bruno Galantucci. The emergence of duality of patterning: Insights from the laboratory. Language and Cognition, 4(4):297 318, 2012. Thomas C. Scott-Phillips and Simon Kirby. Language evolution in the laboratory. Trends in Cognitive Sciences, 14(9):411 417, 2010. Thomas C. Scott-Phillips, Simon Kirby, and Graham R.S. Ritchie. Signalling signalhood and the emergence of communication. Cognition, 113(2):226 233, 2009. Reinhard Selten and Massimo Warglien. The emergence of simple languages in an experimental coordination game. Proceedings of the National Academy of Sciences, 104(18):7361 7366, 2007. Claudio Tennie, Josep Call, and Michael Tomasello. Untrained chimpanzees (Pan troglodytes schweinfurthii) fail to imitate novel actions. PloS one, 7(8):e41548, 2012.
Literatur II Claudio Tennie, Kathrin Greve, Heinz Gretscher, and Josep Call. Two-year-old children copy more reliably and more often than nonhuman great apes in multiple observational learning tasks. Primates, 51(4):337 351, 2010. Michael Tomasello. Why don t apes point? In Gerhard Jäger, R. Eckardt, and T. Veenstra, editors, Variation, Selection, Development, pages 375 394. Mouton de Gruyter, 2008. Caroline A. A. van Heijningen, Jos de Visser, Willem Zuidema, and Carel ten Cate. Simple rules can explain discrimination of putative recursive syntactic structures by a songbird species. Proceedings of the National Academy of Sciences, 106(48):20538 20543, 2009. Tessa Verhoef, Simon Kirby, and Carol Padden. Cultural emergence of combinatorial structure in an artificial whistled language. In L. Carlson, C. Hoelscher, and T.F. Shipley, editors, Expanding the space of cognitive science: proceedings of the 33rd Annual Conference of the Cognitive Science Society, pages 483 488, 2011.