Ausschnitt Seite: 1/5 Alex Lussi ist ein geübter Bergsteiger. Er kennt jeden Winkel seiner Höhle. Dunkles Gestein, niedrige Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit: Das Naturklima im Rotzloch ist perfekt, um Edles zu züchten, das unsere Küche ganzjährig bereichert-i RAMONA KODE (TEXT) UND THOMAS MEIER (FOTOS) Ein modriger Geruch steigt in die Nase. Es ist kühl und feucht. Konstant herrschen zwischen 12 und 14 Grad. Immer wieder tropft es von der Decke. Luftfeuchtigkeit: 90 Prozent. Kaum zu glauben, dass bei so einem Klima etwas wachsen und gedeihen kann. Doch in der Höhle des Rotzbergs in Stansstad NW wachsen Pilze. Keine klassischen Champignons, sondern Edelpilze. Diese boomen regelrecht. Wir essen immer mehr von den kleinen Dingern: Gut zwei Zugwaggons voll frischer Pilze verspeist die Schweiz täglich. Gerade jetzt im Herbst haben wir wieder Lust auf währschafte Speisen wie Pilzrisotto oder Spätzle mit Pilzrahmsauce. Nicht nur die herkömmlichen Champignons und die beliebten Steinpilze schaffen es auf die Speisekarte. Auch die Nachfrage nach Exoten wie Shiitake oder Austernpilze hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
Ausschnitt Seite: 2/5 Die Höhlen des Rotzbergs werden seit 1597 industriell genutzt. Auf der 1000 Quadratmeter grossen Fläche wachsen drei Sorten Edelpilze auf zwei Etagen. Wer jetzt aber denkt, die Pilze auf unseren Tellern wurden im Wald gepflückt, irrt. Etwa 70 Prozent der Champignons und 30 Prozent der Edelpilze stammen aus einer Zucht. Zwar einheimisch, aber eben nicht vom Waldboden. Der Grund: Einerseits wachsen einige Sorten hierzulande gar nicht natürlich, andererseits reicht die Zahl der Wildpilze längst nicht mehr aus, um unseren Gluscht zu befriedigen - auch wenn man in den letzten Wochen das Gefühl hatte, unsere Wälder seien mit Steinpilzen übersät. Der heisse und trockene Sommer förderte ihren Wachstum. Wie die Pilzsaison 2018 tatsächlich aussieht, kann Marionna Schlatter von der Schweizerischen Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane aber noch nicht sagen. Weil der Konsument bei jedem Wetter und das ganze Jahr über Pilze möchte, werden sie heute grösstenteils gezüchtet. Dafür sorgen 17 kleinere und grössere Betriebe, die sich im Verband Schweizer Pilzproduzenten vereinen. So auch die Gotthard- Bio-Pilze AG, die in einer Höhle anbaut. Bahnschotter, Käse und jetzt Pilze Doch die Pilzzucht ist eine komplizierte Prozedur. Gewisse Arten lassen sich überhaupt nicht kultivieren, andere entpuppen sich als divenhafte Wesen. Alex Lussi ist Geschäftsführer der Gotthard-Bio-Pilze AG und beschäftigt sich seit 15 Jahren mit den filigranen Dingern. Seine Eltern hatten 1993 mit einer Austernzucht auf ihrem Hof in Oberdorf NW begonnen, die er vor vier Jahren übernahm. Davor lernte Lussi die Pilzzucht ein Jahr lang im Pionierland Holland. Um sich weiterzubilden, reiste er in die USA und erfuhr dort, wie man Pilze in Höhlen züchtet. Zurück in der Schweiz, suchte der 35-Jährige die perfekte Höhle. Und fand sie auf dem Areal der Steinag Rozloch AG, in der früher Bahnschotter abgebaut und Käse zum Reifen gelagert wurde. Jährlich können er und sein Bruder Urs, der kürzlich ins Geschäft eingestiegen ist, rund 120 Tonnen Kräuterseitlinge, Shiitake und graue sowie gelbe Austernpilze ernten. Im Rotzloch herrscht täglich Hochbetrieb, denn Ernte ist hier jeden Tag. Geliefert wird auch das ganze Jahr durch. Wildpilze aus dem Wald gibt es hingegen nur in diesen Wochen. Weil die Nachfrage dann steigt, ist der Herbst auch die wichtigste Zeit für Lussi und die anderen Pilzproduzenten. Das bedeutet viel Planung, denn er und seine Pilze sind nicht sehr flexibel. Pilze benötigen ihre Zeit. Der Shiitake braucht rund 20 Wochen, also fast ein halbes Jahr, bis er geerntet werden kann. Die Abnehmer wollen frische Produkte. Lussi liefert an Gastronomen und Gemüsehändler aus der Region sowie an Coop und Migros. Laut Lussi kann man keine geschmacklichen Unterschiede zwischen wilden und kultivierten Austern feststellen. «Man merkt ihrer Konsistenz nicht an, dass sie in einer Höhle wachsen.» Und der Produzent ist gar überzeugt:
Ausschnitt Seite: 3/5 Gezüchtete Pilze sind besser. «Es ist alles sauber und kontrolliert. Schädlinge gibt es keine», so der Nidwaldner. Er arbeitet mit natürlichen Ressourcen. So kann die Umgebung der Pilze am besten nachgestellt werden. Damit Zuchtpilze wachsen können, brauchen sie einen Nährboden. Dieser besteht bei den Austernpilzen aus Weizenstroh, das direkt von den Feldern ins Lager gelangt. In einem grossen Mixer wird das Substrat zerkleinert, Wasser und Energieträger werden daruntergemischt. Um einen stabilen Säure-Base-Wert zu erhalten, werden Gips und Kalk beigefügt. Die Masse wird fermentiert und pasteurisiert respektive auf 64 Grad erhitzt und wieder abgekühlt. Erst jetzt kommt der eigentliche Pilz ins Spiel. Das Pilzmyzel, die Gesamtheit aller fadenförmigen Zellen eines Pilzes, darf man nicht anfassen. Es würde kaputtgehen, vergleichbar mit dem Blütenstaub. In Laboren werden diese Sporen auf Roggenkörnern angesiedelt und zur Weiterverarbeitung verpackt. Lussi bezieht seine Pilzbrut aus Holland. Einige Sorten wachsen nur im Wald Nachdem er diese der Mixtur beigefügt hat, gibt er dem Pilz Zeit, um mit dem Stroh zu verwachsen. Erst nach drei Wochen kommen die «Pilzpakete» in die Höhle. Dann gehts rassig: Bereits nach einigen Tagen spriessen viele kleine Fruchtkörper wild hervor. «Sie orientieren sich am Licht, das möglichst tagesähnlich sein soll.» Eine Herausforderung im dunklen Stollen. Lussi probiert immer wieder Neues aus. Im Moment werden die gelben Austern von einer blauen Lichterkette angestrahlt. Diese soll das Wachstum fördern. Es scheint zu funktionieren: Die Pilze leuchten in einem kräftigen Gelb. Solche Farben findet man auf dem Waldboden nicht. Dafür bestimme Sorten wie Steinpilze, Eierschwämme und Morcheln - diese kann man nicht züchten. Dafür muss man in den Wald. Diese Pilze sind auf Bäume angewiesen. Ihre Beziehung untereinander kann nicht künstlich nachgestellt werden. Noch nicht. Lussi ist aber überzeugt, dass in einigen Jahren auch diese Sorten im Rotzloch wachsen werden.
Ausschnitt Seite: 4/5 Alex Lussi arbeitet seit 15 Jahren mit Pilzen. Kräuterseitlinge sind gemäss Lussi ein guter Ersatz für die nur saisonal erhältlichen Steinpilze. Blaues Licht ist für das kräftige Gelb der Austern verantwortlich. 4
Ausschnitt Seite: 5/5 120 Tonnen Pilze werden im Rotzloch jährlich geerntet. Der Kräuterseitling ist ein Pilz mediterraner Herkunft. Der Geschmack der Austernpilze liegt zwischen jenem von Champignons und Eierschwämmen.