egovernment und Partizipation



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Transkript:

egovernment und Partizipation Elektronisch erbrachte Dienstleistungen öffentlicher Institutionen und ihr Beteiligungspotenzial Diplomarbeit am Institut für Sozialwissenschaften vorgelegt von: Jan Giesau Parkallee 5 15517 Fürstenwalde Telefon: +49-(0)172-3648004 E-Mail: jan@giesau.com Matrikel-Nummer: 136546 Student im Diplom Studiengang Sozialwissenschaften Gutachter: Prof. Dr. Hartmut Häußermann Fürstenwalde, am 24.09.2003

Inhalt Inhalt 1. Vorwort...4 1.1. Fragestellung... 5 1.2. Aufbau der Arbeit... 5 2. Einführung: Warum egovernment?...7 2.1. Vernetzung... 8 2.2. Neudefinition politischer Aufgaben... 8 2.3. Mediendemokratie... 9 2.4. Wertewandel...10 2.5. Globalisierung...11 2.6. Neue soziale Ungleichheiten...11 2.7. Digitalisierung...12 3. egovernment...13 3.1. Definitionen...13 3.2. Kommunikationsgrade...17 3.3. Akteure und Institutionen...17 3.4. Regulierendes egovernment...18 3.4.1. Infrastruktur schaffen...19 3.4.2. Kompetenz vermitteln und Nutzung fördern...22 3.5. Partizipierendes egovernment...24 3.5.1. Wissensmanagement...25 3.5.2. G2G: elektronische Kooperation in und zwischen öffentlichen Institutionen...26 3.5.3. G2C-C2G: Beziehungen zum Bürger...28 3.5.4. G2B-B2G: Optimierung der staatlichen Wertschöpfungskette...29 3.6. Zusammenfassung: Akteure und Elemente des vollständigen egovernment...31 4. Partizipation...33 4.1. Partizipation und Kommunikation...33 4.2. Exkurs: Prosumententum...34 4.3. Partizipationsformen...37 4.3.1. Indirekte und direkte Beteiligung...37 4.3.2. Formelle und informelle Beteiligung...38 4.3.3. Politische und administrative Beteiligung...38 4.3.4. Input- und outputorientierte Beteiligung...39 4.4. Verfahren...40 4.5. Partizipation und Verwaltungsmodernisierung...42 4.6. Partizipation und Bürgergesellschaft...45 4.7. Rollenzuweisung an den Bürger...47 4.8. Anreize und Hindernisse für Partizipation...49 4.9. Zusammenfassung...52 2

Inhalt 5. egovernment und Partizipation...53 5.1. Demokratie und Internet...53 5.1.1. Exkurs: Demokratietheoretische Grundlagen...56 5.1.2. Konzepte elektronischer Demokratie...58 5.1.3. Demokratie und Medien...60 5.1.4. Digital Divide...63 5.2. Das Partizipationspotenzial des Internet...65 5.2.1. Das Internet als Informationsmedium...66 5.2.2. Das Internet als Interaktions- und Partizipationsmedium...67 5.2.3. Anwendungsbeispiele für Online-Beteiligung...68 5.2.3.1. Informationslotsen und Bürgernetze...68 5.2.3.2. Online Protest...71 5.2.3.3. Kommunale Internetportale...74 5.2.3.4. Citizen Relationship Management...79 5.2.3.5. Elektronisches Wählen...83 5.2.3.6. Partizipation über Beteiligungsplattformen...87 5.3. Zusammenfassung...89 6. Schluss...90 Literatur...6 Abbildungen...99 Abkürzungen...99 3

Vorwort 1. Vorwort Die Idee zu dieser Arbeit entstand bereits 1999, als der erste Internetboom, gemessen an der Kursen der Technologiebörsen, gerade seinen Höhepunkt erreichte. Aufgrund individueller Lebensumstände konnte diese Arbeit erst vier Jahre später erstellt werden, also nach der Konsolidierung der New Economy, die mit der Pleite von boo.com, jenes Online- Modehauses, das in einem halben Jahr 100 Millionen Dollar Wagniskapital verbrauchte, begann. Natürlich gab es Kritik am Internetboom, die vor überzogenen Erwartungen und Technologiegläubigkeit warnte, diese ging jedoch zumeist in der rauschenden Euphorie unter. Aus der Distanz lässt sich etwas objektiver urteilen: Weder die radikale Technikkritik jener, die ihre Texte noch mit mechanischer Schreibmaschine verfassen, noch der grenzenlose Glaube anderer, die primär im Digitalen die Zukunft der Menschheit sehen, können bisher bestätigt werden. Es erweist sich in diesem Fall als Vorteil, das Politik und Verwaltung, allemal in der Bundesrepublik Deutschland, eine gewisse Trägheit haben, was Reformen angeht. Eine schnelle Umsetzung von Trends ist auch gar nicht nötig, im Gegensatz zur Privatwirtschaft verliert der Staat seine Kunden ja nicht. Der Vorwurf der Unmodernität ist zwar schnell erhoben, aber im Falle des Internet-Booms war Abwarten und Beobachten die eindeutig bessere Taktik. Dennoch ist der Einsatz moderner Technologien, insbesondere des Internets in öffentlichen Institutionen nicht mehr aufzuhalten. Inzwischen dürften die meisten der Büroarbeitsplätze mit einem halbwegs modernen Computer ausgestattet sein, deren Vernetzung, insbesondere in räumlich verteilten Institutionen gehört ebenso zum Standard wie die interne Kommunikation über diese Netze. Die Nutzung elektronischer Mittel in öffentlichen Institutionen kann mithin als vorhandene, aber ausbaufähige, Grundlage von egovernment bezeichnet werden. Was vielerorts noch fehlt bzw. noch nicht zufriedenstellend umgesetzt wurde, ist eine Schnittstelle nach außen, zum Bürger, für den sich Politik und Verwaltung oftmals als geschlossene, undurchdringbare Systeme präsentieren. Bürgerorientierung, Akzeptanz, Responsivität und Transparenz, aber auch Effizienz und Effektivität sind die Schlagworte, unter denen Politik- und Verwaltungsmodernisierung vorangetrieben werden. Die neuen technischen Möglichkeiten haben die Erwartungen an Politik und Verwaltung steigen lassen. 4

Vorwort 1.1. Fragestellung In der vorliegenden Arbeit, mit den Schlagworten egovernment und Partizipation überschrieben, wird das durch Technikeinsatz in Politik und Verwaltung entstehende Beteiligungspotenzial untersucht. Von Interesse ist hierfür zunächst, welchen Sinn bzw. welche Notwendigkeit es für egovernment gibt. Neben dem Warum interessiert natürlich vor allem das Was : Was ist egovernment? Welche Struktur und Funktion hat egovernment? Welche Akteure sind an egovernment beteiligt? In welchem Zusammenhang steht egovernment zu anderen Begrifflichkeiten, die mit einem vorangestellten e beginnen? Vergleichbare Fragen können auch für Partizipation gestellt werden: Was ist Partizipation? Welche Partizipationsformen und verfahren gibt es und in welchen Zusammenhang stehen diese zueinander? Welche Funktion hat Partizipation in Politik und Verwaltung? Welche spezifischen Probleme ergeben sich durch Partizipation? Letztlich ergeben sich im Zusammenspiel der einzelnen Konstrukte egovernment und Partizipation spezifische Fragen: Wie verhält sich das Internet als Transportmedium für egovernment zum politisch-demokratischen System oder zu anderen Medien? Worin unterscheidet sich elektronische Demokratie von anderen Formen der Demokratie? Wie sieht elektronische Beteiligung aus oder wie könnte elektronische Beteiligung ausgestaltet sein? 1.2. Aufbau der Arbeit Die Gliederung der Arbeit ist an diese Fragestellungen angepasst. Zunächst soll in einem einführenden Kapitel der gesellschaftliche Wandel skizziert werden, der die Nachfrage nach elektronischen Dienstleistungen verursacht und zur Begründung für egovernment herangezogen wird. Im zweiten Kapitel wird der Begriff des egovernment definiert, strukturiert und alles was unter diesem Begriff zusammengefasst werden kann in eine schematische Darstellung gebracht. Das dritte Kapitel erläutert den Begriff der Partizipation, der für diese Arbeit eine vielleicht etwas gewöhnungsbedürftige Erweiterung erfahren wird. Im vierten Kapitel wird dann die Zusammenführung der Begrifflichkeiten egovernment und 5

Partizipation vollzogen und das konkrete Beteiligungspotenzial in Politik und Verwaltung anhand von Beispielen dargestellt. Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind alle angegebenen Internetverweise (Links) im August bzw. September 2003 überprüft worden und noch erreichbar gewesen. Insofern es sich um konkrete Dokumente handelt, habe ich eine Referenzkopie davon gespeichert. Genug der einleitenden Worte, ich wünsche viel Spaß bei der Lektüre dieser Arbeit und bin über Fragen, Anregungen und Kritik dankbar. Fürstenwalde im September 2003 Jan Giesau 6

Einführung: Warum egovernment? 2. Einführung: Warum egovernment? Gesellschaft ist das umfassendste System menschlichen Zusammenlebens (Luhmann 1997, 78ff). Gesellschaft definiert sich durch soziale Beziehungen, die auf Handlungen mit dem Ziel des rationalen Interessenausgleichs bzw. der rationalen Interessenverbindung beruhen (Weber 1980, 21ff). In diesem Sinne ist Gesellschaft keine statische Erscheinung, sondern unterliegt dynamischen Veränderungsprozessen im kulturellen Wert- und Normensystem, die sich in den Handlungen der Gesellschaftsmitglieder widerspiegeln und so auf das System Gesellschaft zurückwirken. Gesellschaftlicher und technologischer Wandel bedingen sich gegenseitig, jedoch ohne zwingende kausale Abhängigkeit. Historisch betrachtet entsteht eine technische Innovation zwar, bevor es eine Nachfrage des Großteils der Gesellschaft nach ihr gibt, dennoch ist es die Gesellschaft, die sich der Innovationen annimmt und sie für ihren Zweck gebraucht und weiter entwickelt. Dieser Zweck liegt meist jenseits der Intention des Erfinders: Johannes Gutenberg hätte sicher nicht geahnt, dass von seiner Erfindung eine weltweite Wissensrevolution ausgehen könnte und es einmal Druckapparate geben würde, die kleiner sind als seine gedruckt Bibel. Alexander Graham Bell, der Erfinder der Telefons, beschäftigte sich mit der Umwandlung von Schall in elektrische Spannungsschwankungen, um Taubstummen die Kommunikation zu erleichtern. IBM-Gründer Thomas Watson prophezeite 1943 einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer. Ken Olsen, Erfinder des Mikrocomputers konnte sich 1977 keinen Grund vorstellen, warum jemand einen Computer zu Hause haben sollte. Das Internet wurde von Militärstrategen entwickelt um Daten zwischen entfernten Rechnern lediglich zu synchronisieren. Telefon, Computer und Internet werden heute zumeist in einem völlig anderen Kontext gebraucht, als in dem ihnen ursprünglich zugedachten. Das Telefonnetz dient zudem nicht nur der fernmündlichen Kommunikation, sondern auch der Einwahl ins weltweite Datennetz von einem Computer. Diese drei Medien sind aus der westlichen Gesellschaft essentiell geworden, ohne sie wäre heute nicht nur egovernment undenkbar. Die kulturelle Verschiedenheit von Gesellschaften und die dynamischen Veränderungsprozesse führen zu zwei begriffstheoretischen Problemen: Zum Einen ergibt sich immer das 7

Einführung: Warum egovernment? Pars pro toto Problem, dass zur Beschreibung von Gesellschaft ein spezifischer Ausschnitt von Gesellschaft auf das Ganze gemünzt wird. Zum Zweiten kann jeder an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit zu einem anderen Begriff finden und seine Gültigkeit glaubhaft begründen (Pongs 1999, 17). Daher gilt weiterhin, was Niklas Luhmann bereits vor Jahrzehnten sagte: Eine konsistente Gesellschaftstheorie steht noch aus. Aus diesem Grund soll hier lediglich versucht werden, einige wesentliche Kennzeichen der modernen westlichen Gesellschaft zu benennen, welche helfen können, die Wichtigkeit und Notwendigkeit von egovernment zu verstehen und zu begründen. 2.1. Vernetzung Mit der Durchsetzung des Computers als Produktions- und Kommunikationsmittel wurde oder wird, je nachdem ob man diesen Prozess als bereits vollzogen oder noch im Gange betrachtet, dem gesellschaftlichen Wandel eine neue Qualität verliehen, vergleichbar mit der bahnbrechenden Erfindung des Johannes Gutenberg. Ebenso wie die Erfindung des Buchdrucks den Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft einleitete, führt die allmähliche Omnipräsenz des Computers zur Ablösung der Industriegesellschaft durch eine andere Form von Gesellschaft, deren Infrastruktur bewusst aus dem Erzeugen, Übertragen, Verarbeiten und Speichern von Daten besteht. Die marxistische Vorstellung, dass Gesellschaft eine Maschine sei, die ihren Einfluss über Transmissionsriemen in die entlegendsten Winkel ihres räumlichen Einflussgebietes überträgt, ist im Zuge des Übergangs von der mechanischen zur elektronischen Epoche, spätestens mit dem Kollaps des Realsozialismus in Osteuropa, gegen die Vorstellung der Gesellschaft als Netzwerk ausgetauscht worden (Castells 1996). Ein leistungsfähiges, allgegenwärtiges Kommunikationsnetz ergänzt als wissensbasierte Infrastruktur die bestehenden Verkehrs- und Energienetze. 2.2. Neudefinition politischer Aufgaben Wissen und Dienstleistungen sind von zentraler Bedeutung in der heutigen Gesellschaft (Bell 1973), insbesondere in der Beschäftigungsstruktur. Die Verfügung über und die Aneignung von Wissen ist, neben einigen handwerklichen Fertigkeiten, entscheidend geworden für die individuelle Position im Produktionsprozess. Die Wissensabhängigkeit der Dienstleistungsgesellschaft führt nach Helmut Willke (Willke 1997) zu einer Neudefi- 8

Einführung: Warum egovernment? nition von Politik. Der Staat kann die Fülle und die Komplexität der gesellschaftlichen Aufgaben nicht mehr allein bearbeiten und ist gezwungen, seine ehemalige Suprematie mit nichtstaatlichen Akteuren zu teilen, mithin einen Teil seiner Aufgaben zu externalisieren. Durch diesen Souveränitätsverlust wird Politik letztlich auf eine Art Vermittlerrolle (Supervisor) reduziert. Ralf Dahrendorf konstruiert in seinen Essays zur Politik der Freiheit (Dahrendorf 1992) ein drei Säulen-Modell als Grundgerüst für moderne Gesellschaften, bestehend aus politischer Demokratie, freier Marktwirtschaft und Bürgergesellschaft (civil society), wobei erst letztere, aufgrund der Vielfalt von nichtstaatlichen Institutionen, Bürgerinitiativen und der Bereitschaft zur Beteiligung, der Garant für die Stabilität der Freiheit sei. Dahrendorf geht sogar soweit und prognostiziert die Überwindung des Nationalstaates. Elektronisches Regieren und Verwalten findet, wie noch gezeigt werden wird, genau in dem von Dahrendorf beschriebenen Akteursdreieck statt, der Staat als Supervisor kann mit egovernment Realität werden. 2.3. Mediendemokratie Demokratie ist auf den öffentlichen Diskurs angewiesen, dessen Art und Qualität von immenser Bedeutung sind. Der Prozess der demokratischen Meinungs- und Willensbildung wird heute durch Medien nicht nur begleitet, sondern auch initiiert und beeinflusst. Für Medienkritiker wie Neil Postman sind moderne Medien von Banalität und Belanglosigkeit geprägt und unfähig zur Förderung des Willensbildungsprozesses (Postman 1988, 85). Die wachsende Konzentration von wichtigen Verlags- und Sendeanstalten scheint der Meinungsvielfalt zudem eher abträglich zu sein und dem politischen Diskurs mehr zu schaden als zu nützen. Diese Medienkritik übersieht jedoch, dass die Intensivierung des Informationsaustausches zwar einerseits Beschleunigung und Vereinfachung bedeutet, aber auch Komplexität, Vielseitigkeit und Undurchschaubarkeit (Vattimo 1992). Das Medium ist zwar weiterhin die Botschaft, wie Marshall McLuhan einst feststellte, eine Information ist heute jedoch zunächst nur eine Information, die potenziell über jedes vorhandene Medium wiedergegeben werden kann. Der Konkurrenzkampf der Medienanbieter um das Zeitbudget der Nutzer führt zu intensiverer, beschleunigter und paralleler Mediennutzung (Opaschowski 1999). 9

Einführung: Warum egovernment? Postman behauptet mit Rückgriff auf Huxley, wir hätten aufgehört nachzudenken. Bernd Guggenberger polemisiert gar den Verlust der Wirklichkeit in der schönen neuen Online- Welt (Guggenberger 1999). Jedoch ist der Einfluss des mündigen Konsumenten bei der Medienwahl nicht zu unterschätzen, das vielzitierte McLuhan Paradigma verliert bei der heutigen Medienvielfalt an Aussagekraft: Die Botschaft ist nur die Botschaft, welche individuell in einen Wissenskontext eingearbeitet werden muss. Der medial unterstützte demokratische Diskurs erhält mittels des Internet eine zusätzliche Dimension. Der bislang zur Passivität verurteilte Rezipient kann sich endlich aktiv beteiligen. Die Art und Qualität des Diskurses kann von der Masse über ein offenes Medium definiert werden und nicht mehr ausschließlich von Sendern oder Verlagen. 2.4. Wertewandel Die Dienstleistungsgesellschaft hat ein gutes Image: Die Arbeit wird meist gut bezahlt, ist sauber, wohltätig und bietet gute Chancen, dabei zu sein (Häußermann 1995, 10). Eigentlich kein Vergleich zur Industriegesellschaft. Einmal abgesehen davon, dass nur wenig von diesem Idealtypus heute Wirklichkeit ist, hat die tatsächliche Zunahme der white collar workers und young urban professionals zu einem tiefgreifenden Wertewandel in westlichen Gesellschaften geführt. Der Übergang von materialistischen (wirtschaftliche Stabilität, Ordnung, Sicherheit, Familie etc.) zu postmaterialistischen Wertorientierungen (Meinungsfreiheit, Mitsprache, Umweltbewusstsein, Individualität etc.) ist zentrales Element von modernen Gesellschaften geworden (Inglehart 1998). Individueller Erfolg hängt von postmaterialistischen Tugenden wie der Bereitschaft zu Risiken, Offenheit für Veränderungen, Mobilität, Kreativität und Eigeninitiative ab. Vieles ist nicht mehr vorhersehbar oder berechenbar, alles ist im Fluss, unterliegt hohen Veränderungsgeschwindigkeiten, setzt sich aus Episoden und Bruchstücken zusammen, ist auf Kurzfristigkeit und Elastizität angelegt (Beck 1986; Sennett 1998). Der individualisierte und flexible Mensch führt ein wirtschaftlich gesichertes Einzelkämpferdasein, möchte seine Interessen unkompliziert vertreten wissen und wäre sogar bereit, sich zu engagieren, wenn es der individuellen Nutzenmaximierung dient und man ihn nur lassen würde. egoverment ist nicht nur ein Ergebnis dieses Wertewandels, sondern hat durch neue Möglichkeiten der Beteiligung das Potenzial, zum politischen Motor von gesellschaftlichen Veränderungen zu werden. 10

Einführung: Warum egovernment? 2.5. Globalisierung Die ungebremste Wachstumsdynamik und Rücksichtslosigkeit der modernen Gesellschaft lässt die Kluft zwischen Wirklichkeit (Realität) und Möglichkeit (Virtualität) schrumpfen und eröffnet einen exponentiell wachsenden Möglichkeitsreichtum. Anthony Giddens, der 1990 dem hier implizierten Begriff Globalisierung zu nachhaltiger Popularität verhalf (auf deutsch Giddens 1995), skizziert dieses Phänomen als komplexes Zusammenspiel von teilweise recht widersprüchlichen Prozessen, deren Ausgang noch völlig offen ist. Die Radikalisierung des Wandels der Moderne führt nach Giddens zu einer raumzeitlichen Abstandsvergrößerung. Zur Teilnahme an der Gesellschaft sind gemeinsame räumliche oder zeitliche Bedingungen nicht mehr zwingend erforderlich. Jeder Zeitverlust, der durch erzwungene räumliche Nähe entsteht, wird als kontraproduktiv empfunden. Die moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Geschwindigkeit. Mit der Ausweitung von öffentlichen Leistungen und demokratischen Prozessen auf das Internet trägt der Nationalstaat der Globalisierung Rechnung. 2.6. Neue soziale Ungleichheiten Persönliche Autonomie und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten sind als Ergebnis von hohem Wohlstandsniveau, Bildungsexpansion und sozialstaatlichen Sicherungsmaßnahmen allerdings nur für die oberen 70 Prozent der Bevölkerung erfahrbar. Postmaterialistische Werteinstellungen können erst entstehen, wenn die materiellen Bedürfnisse weitgehend befriedigt sind, wofür die Dienstleistungsgesellschaft zwar eine gute Basis bietet, aber keineswegs Garant ist. Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit wird gerade in modernen Gesellschaften immer wieder neu gestellt. Lesen, Schreiben und Rechnen gehörten lange zu den Grundqualifikationen für den Zugang zu Bildung und zu sozialen Positionen und halfen, die individuelle Existenz zu sichern. Auch das, was allgemein als digitale Spaltung beschrieben wird, ist weitgehend nur ein Abbild der traditionellen sozialen Trennlinien der Gesellschaft. Aber: wer keinen Computer bedienen kann oder will, dem wird schon heute der Zugang zu bestimmten Informationen und Positionen verwehrt und er wird auch die Möglichkeiten von egovernment nicht nutzen können. Soziale Ungleichheit erhält in der modernen Gesellschaft eine zusätzliche technische Dimension. Wie gezeigt 11

Einführung: Warum egovernment? werden wird, ist es auch Aufgabe von egovernment, dieser Ungleichheit entgegenzusteuern und wo nötig auszugleichen. 2.7. Digitalisierung Die von Giddens postulierte Erosion von Raum- und Zeitbindungen wurde zwar durch den Ausbau der räumlichen Netze (Verkehrsinfrastruktur) initiiert, jedoch erst der Ausbau der Kommunikationsnetze und die Geschwindigkeit von digitalisierter Datenübertragung lassen gemeinsame räumliche und zeitliche Bedingungen als Grundlage für soziale Kommunikation obsolet werden. An die Stelle der physischen Präsenz tritt die virtuelle - oder Tele-Präsenz. Achim Bühl (Bühl 2000) deutet diese Entwicklungen gar als Vorboten einer virtuellen Gesellschaft, in welcher Produktion, Distribution und Kommunikation weitgehend in virtuellen Räumen stattfindet. Tatsächlich ist es ein wesentliches Merkmal des derzeitigen sozialen Wandels, dass immer mehr Atome (Materie) durch Bits (digitale Zeichen) ersetzt werden (Negroponte 1995). In einer digitalen oder virtuellen Gesellschaft müsste das Leben, welches noch aus Atomen besteht jedoch einen geringeren Anteil haben als das virtuelle Leben, was ziemlich abwegig erscheint. Von Daten wird niemand satt, ohne Elektrizität wüssten die meisten von uns heute nicht einmal mehr die Uhrzeit. In der virtuellen Realität löst die Technik nur einen Teil unserer Probleme, oftmals ist sie selbst das Problem oder wirft Probleme auf, die ohne Technik gar nicht entstanden wären. Die positiven Eigenschaften von computervermittelter Kommunikation (asynchron, aspatial, anonym, acorporal, astigmatic) werden durch den Nachteil der insgesamt beschränkten Möglichkeiten (limited bandwith) konterkariert (Gräf 1997). Virtuelle oder digitale soziale Funktionen verdrängen also nicht ihre realen Pendants, sondern treten gleichberechtigt neben sie. Die digitale Welt ergänzt die analoge Welt (Heintz 2000). 12

egovernment 3. egovernment 3.1. Definitionen Wörtlich übersetzt heißt to govern regieren, aber auch leiten, verwalten und regeln. Das kleine e am Anfang steht für electronic und wird in aller Regel als Determination für Dinge und Tätigkeiten benutzt, um ihren digitalen Charakter zu unterstreichen und sie von ihren analogen Pendants abzuheben. Das vorangestellte e ist fest in der Begriffswelt der digitalen Gesellschaft verankert und wird daher noch einige Male in dieser Arbeit Verwendung finden. egovernment als Schlagwort gab es, bevor sich die wissenschaftliche Forschung ernsthaft des Begriffes annahm. Die begriffliche Bestimmung musste und muss daher a posteriori erfolgen, was zu einer Vielzahl von Definitionen und theoretischen Ansätzen über Wesen und Inhalt von egovernment geführt hat. So wurde egovernment z.b. lange lediglich als ebusiness der öffentlichen Hand gesehen, andere Ansätze gingen von einem Teilbereich der Informatik aus oder definierten es als elektronische Variante des New Public Management (Gisler 2001, 14). Schon dies allein zeigt, dass beim Konzept von egovernment das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren zu berücksichtigen ist und das egovernment Gegenstand interdisziplinärer Forschung sein muss. Demnach beschränkt sich die Erforschung von egovernment auch nicht auf Ökonomie, Informatik oder Verwaltungswissenschaft, sondern beschäftigt mindestens auch Juristen, Erziehungswissenschaftler, Demokratieforscher und Soziologen. Eine einheitliche Definition wird es vermutlich nicht geben, weil die Perspektiven auf egovernment zu unterschiedlich sind. Dennoch kann aus den immer zahlreicher werdenden Aufsätzen, Sammelbänden und inzwischen sogar Monographien ein Überblick gewonnen werden. Seit dem Beginn des ersten Internetbooms 1995 wurde viel über virtuelle Realitäten als Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (Ambs 1997) geschrieben, über elektronische bzw. Cyberdemokratie debattiert (Geser 1996; Hagen 1997) und über das Verhältnis von Telematik und Stadt geforscht (Floeting 1996; Grabow 1999) Die vermut- 13

egovernment lich ersten speziellen Definitionen von egovernment in Deutschland stammen aus dem Jahr 2000, einerseits aus einer Studie der deutschen Revision der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers (PWC) und andererseits aus einem Memorandum der Gesellschaft für Informatik e.v. (GfI) und der Informationstechnischen Gesellschaft (ITG) im Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE), wobei die Vielfalt der Unterzeichner den technischen Hintergrund von GfI, VDE und ITG ausblendet und vielmehr den interdisziplinären Charakter des Forschungsgegenstandes unterstreicht. Die beiden Definitionen im Wortlaut: Electronic Government bezeichnet die digitale Unterstützung von Information, Kommunikation und Transaktion im Bereich der öffentlichen Verwaltung. E-Government bezieht sich dabei sowohl auf den behördlichen Bereich als auch auf die Schnittstellen Verwaltung-Bürger und Verwaltung-Wirtschaft (PriceWaterhouseCoopers 2000) Unter Electronic Government wird [...] die Durchführung von Prozessen der öffentlichen Willensbildung, der Entscheidung und der Leistungserstellung in Politik, Staat und Verwaltung unter sehr intensiver Nutzung der Informationstechnik [verstanden]. Eingeschlossen sind in diese Definition zahlreiche Hilfs- und Managementprozesse, sowie Prozesse der politischen und finanziellen Rechenschaftslegung. (Fachausschuss Verwaltungsinformatik 2000) Die Definition von PWC hebt zwei wesentliche Elemente von egovernment hervor, erstens die Bedeutung der Struktur von Akteursbeziehungen und zweitens, dass es Abstufungen in den Kommunikationsgraden zwischen diesen Akteuren gibt, beides wird später noch genauer betrachtet. Das Memorandum liefert hingegen eine weitaus allgemeinere und offenere Definition von egovernment und beschränkt sich dabei nicht mehr allein auf das elektronische Verwalten, sondern weitet das Konzept auf Politik und den Staat aus. Die Erweiterung des Konzeptes auf den Staat bedeutet, dass, je nach Demokratieform und rechtlicher Konstitution, egovernment auch von jedem einzelnen praktiziert werden kann und sich nicht auf politische und administrative Organe beschränken muss. 14

egovernment Mit den Begriffen digitale Unterstützung und Informationstechnik bieten beide Definitionen eine abstrakte Beschreibung der Mittel zur Umsetzung von egovernment, die bewusst auch heute noch unbekannte technische Trends mit einschließt. Damit sind diese Definitionen offener als jene von Volker Herwig, der egovernment lediglich als Distribution von Leistungen öffentlicher Institutionen über das Internet beschreibt (Herwig 2001). Denn konkretes Mittel zur Realisierung von egovernment sind heute zwar im Wesentlichen Computernetzwerke, jedoch sowohl als offenes Internet als auch als abgeschirmtes Intra- bzw. demilitarisiertes Extranet (http://de.wikipedia.org/wiki/extranet). Diese Netzwerke kommunizieren über fest definierte Schnittstellen zum Datenaustausch (Protokolle, WWW-Formular, Email, spezifische Software), die Daten selbst werden zumeist in relationalen oder objektorientierten Datenbanksystemen verwaltet. Unkompliziert bringen Jansen und Priddat den Forschungsgegenstand auf den Punkt: egovernment ist die Virtualisierung des Staates (Jansen 2001, 91). Unter Virtualisierung kann die eins-zu-eins Übertragung von analogen Prozessen auf digitale Netzwerke verstanden werden, Virtualisierung kann aber auch Neudefinition und Restrukturierung bedeuten, begrifflich gibt es hier keine Vorgaben. Neben einigen weiteren Versuchen (Lucke 2000b; Rohr 2001, 114; Schedler 2001, 35) kommt der m.e. bedeutendste Ansatz zur Definition von egovernment aus der Schweiz: egovernment umfasst als regulierendes egovernment die Gestaltung der Rahmenbedingungen der Informationsgesellschaft und als partizipierendes egovernment die Anwendung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien durch die öffentliche Hand. (Gisler 2001, 16) Es gilt also, zwei Herausforderungen zu bewältigen: Einerseits sollen die neuen Technologien intensiv zur Leistungserstellung genutzt und andererseits die notwendigen Voraussetzungen für egovernment geschaffen, gepflegt und wo nötig überwacht werden. egovernment hat also aus zwei Hauptfunktionen: Partizipation und Regulierung bzw. egovernment und egovernance. Durch diese essenzielle Unterscheidung kann z.b. plausibel erklärt werden, warum die anfängliche Euphorie bezüglich egovernment inzwischen einer nüchternen Machbarkeits- 15

egovernment betrachtung gewichen ist. Die technischen Möglichkeiten für das elektronische Regieren und Verwalten sind zwar vielerorts vorhanden und auch realisierbar, jedoch scheitert die Umsetzung an den total vernachlässigten Rahmenbedingungen, welche vorab noch nicht gegeben waren oder hätten angepasst werden müssen. Die langsam gewachsene Erkenntnis der Wichtigkeit von Infrastrukturmaßnahmen zeigt sich sehr deutlich im Jahrbuch für Telekommunikation (http://www.jtg-online.de), welches schon 1999 mit dem Schwerpunkt Multimedia@Verwaltung erschien, aber erst 2002 ausführlich das Thema Innovation@Infrastructure betrachtete. Für die Strukturierung von egovernment ist Gislers Ansatz sehr hilfreich. Während sich viele Autoren mühsam durch die Begrifflichkeiten der Materie kämpfen, wird hier egovernment schlicht als allumfassender Oberbegriff definiert, dem nahezu alle im Kontext verwendeten Begriffe untergeordnet werden können. Damit kommt nicht nur etwas Licht in den begrifflichen Dschungel rund um egovernment, es wird auch die noch immer weit verbreitete Trennung der verschiedenen Begrifflichkeiten beendet. egovernment Regulierendes egovernment kurz: egovernance Regulierung (durch Markt oder Staat) epolicy staatliche Regulierung Partizipierendes egovernment kurz: egovernment Anwendung von Technologien durch die öffentliche Hand Abbildung 1: egovernment (nach Gisler 2001, 15) Die Notwendigkeit von Regulierung (egovernance) und Partizipation (egovernment) ist unumstritten, nur existierten beide Konzepte bisher lediglich parallel (Lucke 2000a; Lucke 2000b). Die Erkenntnis, das beides zwingend zusammengehört, mag simpel erscheinen, wurde aber erst von Gisler geleistet. Begriffstheoretisch verwirrend ist hingegen, dass bei Gisler der Oberbegriff gleichzeitig auch die Kurzform einer Unterkategorie bezeichnet. Natürlich ist die Unterscheidung in Regulierung und Partizipation nicht trennscharf, viele Anwendungen benötigen sowohl die eine als auch die andere Form von egovernment. Es ist jedoch auch möglich, dass sich Regulierung ohne Partizipation vollzieht und umgekehrt (Lucke 2000a, 3-4). 16

egovernment 3.2. Kommunikationsgrade Die verschiedenen Grade der Kommunikation sind von gewisser Bedeutung für die Betrachtung von Regulierung und Partizipation, daher werden sie diesen vorangestellt. Im Prinzip können drei Abstufungen im Kommunikationsverhalten beschrieben werden: 1. Information, 2. Interaktion und 3. Transaktion. Information > Interaktion > Transaktion Abbildung 2: Kommunikationsgrade (eigene Darstellung) Information bedeutet lediglich eine Einweg-Kommunikation, für Interaktionen bedarf es zumindest zweier Partner, die Transaktion bezeichnet eine Interaktion mit rechtlich bindendem Charakter. Zuweilen wird als 4. Stufe die Transformation bzw. Integration benannt, womit eine digitale Neudefinition und medienbruchlose Zusammenführung von Prozessen gemeint ist (Boller 2001, 56). Als Medienbruch wird i.d.r. die analoge Verarbeitung von digital verfügbaren Daten bezeichnet, also z.b. das Ausdrucken einer Email. Diese vierte Stufe der Transformation ist überflüssig, suggeriert sie doch, dass es sich bei den Kommunikationsgraden um eine evolutionäre Abfolge handelt, was keineswegs der Fall ist (Gisler 2001, 24). Die bisherige Entwicklung von egovernment-lösungen zeigt zwar, das in der Regel zunächst nur Informationen, später Interaktionen und erst zuletzt Transaktionen angeboten werden. Dennoch gilt es, die medienbruchlose Integration auf jeder der drei einzelnen Stufen zu etablieren, wobei von einer Abschaffung der analogen Prozesse auf lange Sicht keine Rede sein kann. Erst wenn die Benutzung elektronischer Medien zu einer sozialen Grundkompetenz wie Lesen, Schreiben und Rechnen geworden ist, kann theoretisch die vollständige Integration vollzogen werden, dann aber auch wiederum auf allen drei Stufen der Kommunikation. Die Parallelität von virtuellen und realen Abläufen bleibt jedoch vorerst unvermeidlich. 3.3. Akteure und Institutionen Wer mit wem? Diese Frage stellt sich für die Kategorisierung von elektronischen Akteursbeziehungen. Mögliche Akteure und Institutionen können grob in vier Gruppen unterteilt werden: Bürger (Citizen), Unternehmen (Business), Regierung und Verwaltung (Govern- 17

egovernment ment) sowie Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) und Non-Profit-Organisationen (NPO). Die Matrix des Beziehungsgeflechtes dieser Akteure umfasst somit 16 Felder: Bürger Unternehmen Regierung/ Verwaltung NGO/ NPO Bürger C2C C2B C2G C2N Unternehmen B2C B2B B2G B2N Regierung/ Verwaltung G2C G2B G2G G2N NGO/ NPO N2C N2B N2G N2N Abbildung 3: Matrix von Akteursbeziehungen (nach Lucke, 2000a) Die Beziehung eines Akteurs zu einem anderen wird in der gängigen Literatur mit dem Schema X2Y dargestellt, wobei die 2 als Kurzform für das englische to steht. Sieben dieser 16 Akteursbeziehungen sind für partizipierendes egovernment relevant, da Regierung und Verwaltung direkt als Akteur agieren. Alle 16 Felder sind für regulierendes egovernment von gewisser Bedeutung. Auch wenn hier die Regierung und Verwaltung nicht als direkter Akteur auftritt, müssen die gesetzlichen Bestimmungen hierfür geregelt sein. Weil NGO/NPO sich in der Regel aus gesellschaftlichen Akteuren (Verbände, Gruppen einzelner Bürger) zusammensetzen, werden diese zumeist unter Citizen subsummiert und nicht separat betrachtet. 3.4. Regulierendes egovernment Der immer schneller fortschreitende, gesellschaftliche Wandel lässt Politik und Verwaltung immer weniger Zeit und Raum für die ökologische, technische, ökonomische und soziale Gestaltung der Umwelt. Gezwungenermaßen muss auf die Kräfte der Selbstregulation vertraut und kann nur in bestimmten Bereichen regulierend eingegriffen werden. Die Funktion des Staates, so Bundesinnenminister Otto Schily 1999 wird sich von der Aufgabe des Entscheiders und Produzenten auf die eines Moderators verschieben müssen: Aktivierender Staat bedeutet, die Selbstregulierungspotenziale der Gesellschaft zu fördern und ihnen den notwendigen Freiraum zu schaffen. (Krempl 1999) Die Debatte um den so genannten aktivierenden Staat stellt allerdings nicht den Rückzug der öffentlichen Hand 18

egovernment in die Passivität dar, sondern bezeichnet vielmehr die Konzentration auf die Kernelemente staatlicher Steuerungsfunktionen. Da der Staat die gesellschaftlichen Entwicklungen allein nicht mehr steuern kann, muss er einen Teil seiner Kompetenzen schlicht abgeben. Hierbei gilt es jedoch, die Balance zwischen regulatorischen Pflichten und selbstregulatorischen Zugeständnissen zu halten, insbesondere hinsichtlich der Qualität (Jansen 2001, 85). Beispielsweise bedarf die soziale Ausgestaltung einer besonderen fürsorglichen Betreuung durch den Staat, während für die ökonomische Umwelt heute weitgehend der Weg der Selbstregulierung gewählt wird. Diese politisch initiierte Staatsmodernisierung kann als New Governance oder Progressive Governance bezeichnet werden. Regulierendes egovernment bzw. egovernance bezeichnet jede Gestaltung der Rahmenbedingungen von egovernment, egal ob privat oder öffentlich, epolicy umfasst nur den staatlichen Teil von regulierendem e- Government. (Gisler 2001, 17-18) Regulierende Politik für das Internet ist also die Beeinflussung jener Rahmenbedingungen, die von besonderer Bedeutung für die Durchsetzung und Verbreitung von egovernment sind. Zu diesen Rahmenbedingungen zählt die Schaffung einer Infrastruktur, die medienbrucharmes Regierungs- und Verwaltungshandeln ermöglicht und in welcher alle Bürger, unabhängig von Ort und Zeit sowie zu erschwinglichen Preisen chancengleichen Zugang zu den angebotenen technologischen Möglichkeiten erhalten. Die zweite große Aufgabe von regulierendem egovernment ist, den Umgang mit den neuen Informations- und Kommunikationsmitteln auf breiter Basis zu unterstützen und als Grundkompetenz zu etablieren. Dazu gehören auch die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie der Nutzung und allgemeinen Akzeptanz elektronischer Medien. Diese beiden Herausforderungen für regulierendes egovernment werden im Folgenden näher erläutert. 3.4.1. Infrastruktur schaffen Die größte regulatorische Herausforderung für egovernance ist die Schaffung einer adäquaten Infrastruktur. Hier gilt die Devise des Think Big : Für den Erfolg von egovernment muss in die Zukunft gedacht werden und es sollten möglichst umfassende Vernetzungen und auch künftige Entwicklungen berücksichtigt werden können. Die Infrastruktur 19

egovernment kann und muss nicht allein von der öffentlichen Hand finanziert werden, es liegt aber bei ihr, selbst aktiv zu werden oder positive Maßnahmen externer Akteure besonders zu fördern. Die Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruktur lassen sich in physische, rechtliche und organisatorische unterscheiden. Zur physischen Infrastruktur zählen vor allem die Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen, der Ausbau und die Pflege der Verarbeitungstechnik und Kommunikationsnetze sowie die Anpassung der räumlichen Gegebenheiten an die geänderte Nutzung, hier insbesondere die Arbeitsplätze von Mitarbeitern und öffentliche Terminals zur Nutzung von egovernment-angeboten. Die rechtliche Infrastruktur betrifft vor allem Fragen der Sicherheit und der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Durchführung von elektronischem Regierungs- und Verwaltungshandeln. So wirft egovernment im Bereich des Datenschutzes viele spezifische Fragen auf, welche den Zugang oder eben die Verweigerung des Zuganges zu bestimmten Informationen betreffen. Diese Fragen sind jedoch in der Regel mit einem gewissen Aufwand lösbar (Dix 2001; Siegenthaler 2001). Durch adäquate Gesetzgebung muss sowohl diesem Sicherheitsbedürfnis aller beteiligten Akteure als auch der formalen Gültigkeit von elektronischen Prozessen Rechnung getragen werden. Dazu gehören vor allem die bereits fortgeschrittenen Maßnahmen zum Einsatz der digitalen Signatur in Europa und Deutschland (Batz 2001; Nöcker 2001; BSI 2002), aber auch unzählige Vorschriften und Richtlinien, die für den Offline-Einsatz konzipiert waren und nun auf Online-Konformität überprüft werden müssen. Die zentralen rechtlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen können hierarchisch folgendermaßen sortiert werden (Boller 2001, 57): Verfügbarkeit (Ausfallsicherheit) Integrität (Vollständigkeit und Genauigkeit der Daten) Authentizität (eindeutige Identifizierung des Absenders und Manipulationsausschluss) Vertraulichkeit (Datenschutz, Geheimhaltung) Nichtabstreitbarkeit 20