Egon Fabian (Hg.) Psychotherapie der Angst



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Egon Fabian (Hg.) Psychotherapie der Angst

Therapie & Beratung

Egon Fabian (Hg.) Psychotherapie der Angst Theoretische Modelle und Behandlungskonzepte Mit Beiträgen von Ursula Brück, Egon Fabian, Marie Therese Kaufmann, Gertraud Reitz, Renate Splete, Astrid Thome, Bettina Weber, Ulrike Winkelmann und Anita Witte Psychosozial-Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Originalausgabe 2013 Psychosozial-Verlag Walltorstr. 10, D-35390 Gießen Fon: 06 41-96 99 78-18; Fax: 06 41-96 99 78-19 E-Mail: info@psychosozial-verlag.de www.psychosozial-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung: Paul Klee:»Angstausbruch III«, 1939 Umschlaggestaltung & Satz: Hanspeter Ludwig, Wetzlar www.imaginary-world.de Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC C083411 ISBN 978-3-8379-2299-8

Inhalt Einleitung 7 Egon Fabian Zur Bedeutung der Angst für die Psychotherapie der Frühstörungen 13 Egon Fabian Keine Angst vor der Angst 25 Gruppendynamische Aspekte der Angst Ulrike Winkelmann, Anita Witte & Bettina Weber Angst und Aggression 37 Kulturelle Wurzeln und therapeutische Implikationen Egon Fabian Angst und Aggression in Träumen 59 Eine gruppentherapeutische Prozessanalyse anhand von Traumberichten einer Borderline-Patientin Renate Splete Defizitäre Angst, Aggression und Dissoziale Persönlichkeitsstörung 77 Egon Fabian & Astrid Thome Defizitäre Angst und die Arzt-Patient-Beziehung 97 Egon Fabian 5

Inhalt Angst und Entwicklungsprozesse in der analytischen Gruppenpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen 105 Ursula Brück & Marie-Therese Kaufmann Die therapeutische Arbeit mit Angst und Aggression in der analytischen Tanztherapie 123 Gertraud Reitz (unter Mitarbeit von Thomas Rosky) Angst und Depression aus tiefenpsychologischer Sicht 133 Egon Fabian 6

Einleitung Das Buch stellt mit neun Beiträgen einige wichtige Aspekte der analytischen Theorie und Therapie der Angst dar. Die meisten Beiträge basieren auf Vorträgen, die im Rahmen einer Vortragsreihe mit dem Titel»Angst und Aggression«im Lehr- und Forschungsinstitut der Deutschen Akademie für Psychoanalyse (DAP) in München im Jahr 2009 gehalten wurden. Ein Leitgedanke des Sammelbandes ist das therapeutisch relevante Verständnis der existenziellen Angst als Folge der Verlassenheit in den frühen Lebenserfahrungen des Patienten. Nicht nur einzelne traumatisierende Beziehungen, sondern die gesamte Gruppendynamik der Umgebung in den ersten Lebensjahren ist entscheidend für das spätere»schicksal«der Angst in ihren intra- und interpersonellen Aspekten. Die Angst kann destruktiven Charakter zeigen, d.h. das Leben verhindern und die Persönlichkeitsentwicklung hemmen; wenn sie beim Kind massiv unterdrückt oder sogar mit Gewalt, Hohn oder Liebesentzug bestraft wurde, bleibt ihre Entwicklung defizitär. Im Falle einer empathischen und lehrfähigen Umgebung bzw. einer kindgerechten Erziehung, die offen ist für die Angst des Kindes, wird sich die Angst konstruktiv als wichtiges Wahrnehmungsorgan zu einem»motor«des Lebens und zu einem bedeutenden Faktor in zwischenmenschlichen Kontakten und Beziehungen entwickeln. In seinem Beitrag»Zur Bedeutung der Angst für die Psychotherapie der Frühstörungen«betont Fabian die Verbindung zwischen Frühstörungen und den subtilen, juristisch nicht»fassbaren«traumatisierungen des Kindes. Doch frühe Traumatisierungen, argumentiert der Autor, kommen fast nie von einem 7

Egon Fabian Täter, sondern stellen destruktive Dynamiken dar, in denen andere Personen oder Untergruppen aktiv oder passiv beteiligt sind. Kurze Fallvignetten illustrieren den Gruppenkontext solcher Traumatisierungen. Im therapeutischen Prozess muss regelmäßig die existenzielle Angst gesucht und beachtet werden, die aus diesen frühen Traumatisierungen resultiert; sie muss im therapeutischen Setting»contained«werden. Für solche Patienten kann die Gruppentherapie von wesentlicher therapeutischer Wirksamkeit sein, weil sie ein effizientes Netzwerk für das Verständnis und das Mittragen der Angst darstellt. Da die Angst ein im ursprünglichen Sinne des Begriffes psycho-somatisches Phänomen ist, plädiert der Autor für den Einsatz einer kombinierten verbalen Gruppentherapie mit einer expressiven und einer körperlichen Therapie als Therapie der Wahl für frühtraumatisierte Patienten. Die Autorinnen Winkelmann, Witte und Weber begründen in ihrer Arbeit»Keine Angst vor der Angst. Gruppendynamische Aspekte der Angst«die menschliche Angst durch die»geworfenheit«des Menschen (Heidegger) und seine»physiologische Frühgeburt«(Portmann). Sie definieren die Bedingungen von Angst- und Lernfähigkeit von Mutter und Familie, die für die Geborgenheit des Säuglings und Kleinkindes notwendig sind, damit sich eine konstruktive Angst entwickeln kann, d. h. eine Angst, die für die Bewältigung der Umwelt und die Entwicklung der eigenen Identität unerlässlich ist. Die Autorinnen betonen, dass Angst keine»sinnlose Störung«ist, sondern einen»besonderen Vorzug des Menschen«darstellt, der letztlich zu seiner existenziellen Freiheit führen kann. Demgegenüber wird destruktive Angst beschrieben als handlungsverbietende, lähmende bzw. defizitäre Angst, als Vermeidung der Angst vor der Angst. Beide können sich in emotionaler Einsamkeit oder Verflachung von Beziehungen äußern. Nach Jaspers kann der»prozess des Wirklichwerdens«durch die Erfahrung der existenziellen Angst nur im interpersonellen Raum stattfinden, in der Kommunikation zweier Menschen. Einige historische Aspekte der Angst werden beleuchtet, die in unserer Zeit, einer Zeit, die arm ist an existenziellen Grenzsituationen, oft einen transgenerationalen Charakter zeigen kann. Angst und Aggression hängen besonders bei Borderline-Störungen eng zusammen; mit dieser Verbindung beschäftigen sich drei Beiträge. In seinem Artikel»Angst und Aggression. Kulturelle Wurzeln und therapeutische Implikationen«unterstreicht Fabian die Bedeutung des Ödipus- 8

Einleitung komplexes als zentrale Achse der Psychoanalyse seit Freud. Doch die in der Ödipus-Legende enthaltene Aggression zwischen Sohn und Vater lässt die Angst zu einer sekundären Erscheinung werden. Die Psychoanalyse, so der Autor, hat die Angst ödipalisiert. Anhand von Fallvignetten wird aufgezeigt, wie sich die in der früheren Entwicklung nicht verstandene bzw. nicht getragene Angst später als Aggressionen ausdrückt. Dafür werden vier Hauptgründe genannt, die insbesondere auf die patriarchalische Tradition in unserer Kultur zurückzuführen sind, die die defizitäre Angst begünstigen. Diese Annahme wird unterstützt durch Heldenmythen aus verschiedenen Kulturen. Einige Implikationen für die Psychotherapie werden aufgeführt, vor allem die therapeutische Arbeit an der existenziellen Angst, auch wenn sie unterschwellig bleibt und durch Aggression ausgedrückt wird. Der Autor plädiert für die Gruppentherapie als Therapie der Wahl bei solchen Patienten, aufgrund ihrer besonderen Möglichkeiten des Kontaktes und ihrer Vielfalt von Übertragungen. Splete zeigt in ihrem Artikel»Angst und Aggression in Träumen. Eine gruppentherapeutische Prozessanalyse anhand von Traumberichten einer Patientin«theoretische Entwicklungen und Zusammenhänge von Traumverständnis, Unbewusstem und Affekten aus analytischer und dynamisch-psychiatrischer Sicht auf. Die Autorin verweist auf die Bedeutung von Träumen in der analytischen Gruppenpsychotherapie, die Übertragungsebenen, ihre diagnostische Relevanz und die Brückenfunktion, die Traumberichte in Bezug auf das Hier und Jetzt des Gruppenprozesses haben, wobei den Affekten und der Affektregulation ein besonderer Stellenwert zukommt. Exemplarisch werden über einen längeren Zeitraum Traumberichte einer Borderline-Patientin dargestellt. Es wird dabei deutlich, wie äußere Geschehnisse tiefere Grundkonflikte aufflackern lassen. Über die Externalisierung der damit verbundenen Angst- und Aggressionsgefühle in die Träume und die therapeutische Bearbeitung im Sinne von Containing und Transformation kommt es zu affektgeladenen Erinnerungen. Der Wandlungsprozess der Patientin lässt sich anhand der Träume nachvollziehen. Zunächst allein gelassenes Opfer, dann verbündet mit anderen Opfern, gefolgt von Täterschaft als Ausdruck für ein erstarkendes Ich, kommt die Patientin zunehmend in die Lage, ein als bedrohlich erlebtes Mutterintrojekt als ich-fremd abzugrenzen. Fabian und Thome beschreiben in ihrem Beitrag»Defizitäre Angst, Aggres- 9

Egon Fabian sion und Dissoziale Persönlichkeitsstörung«die defizitäre Form der Angst, die nicht gespürte Angst, die in der Fachliteratur kaum Beachtung findet. Defizitäre Angst wird durch die traditionelle Einstellung zur Angst im patriarchalischen Wertesystem stark begünstigt. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie besonders im Falle von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Psychosen oft als Aggression und Hass ausagiert wird. Diesen Mechanismus halten die Autoren für wesentlich für die Entstehung der Antisozialen Persönlichkeitsstörungen. Sie zeigen anhand von Fallvignetten, wie unterdrückende Primärgruppendynamik, kulturelle Einflüsse und psychodynamische Auslösermomente in die Abwehr existenzieller Angst konvergieren und als destruktives Ausagieren psychopathologische und soziale Bedeutung erlangen können. Die defizitäre Angst ist auch das Thema des nächsten Beitrags von Fabian,»Die defizitäre Angst und die Arzt-Patient-Beziehung«. Hier argumentiert der Autor dass die Information des Arztes kein objektiver Prozess ist, sondern als in die Beziehung zwischen dem Arzt und seinem Patienten eingebettet verstanden werden soll. Diese Beziehung beinhaltet ihrerseits unbewusste Übertragungs- und Gegenübertragungsaspekte, deren Existenz und Bedeutung den meisten Ärzten nicht bekannt ist. Die traditionelle medizinische Ausbildung ist der ausschließlichen Vermittlung von»objektivem«wissen gewidmet und ignoriert weitgehend die emotionale und die unbewusste Welt des Patienten und des Arztes. Auf diese Weise werden Ärzte mit defizitärer Angst gleichsam»selektiert«, die dazu neigen, ihre eigenen, nicht gespürten defizitären Ängst ihren Patienten zu delegieren. Die letzten drei Beiträge beschäftigen sich mit einigen Aspekten der therapeutischen Arbeit mit der Angst: in der Behandlung von Angst-Patienten, der Gruppentherapie mit Kindern und Jugendlichen bzw. in den non-verbalen, expressiven und körperlichen Therapien. Die gemeinsamen Züge der Depression und Angst sowohl in ihrer Ätiologie als auch in ihren therapeutischen Implikationen werden aufgezeigt. Brück und Kaufmann beschreiben in ihrem Artikel»Zum Umgang mit Angst in der analytischen Gruppenpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen«, wie Kinder und Jugendliche heute oft bereits an den sozialen Anforderungen normaler Alltagssituationen scheitern. Die Unfähigkeit, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen, Frustrationstoleranz und Aufmerksamkeit zu entwickeln und Verantwortung in der Gemeinschaft zu übernehmen, ist 10

Einleitung immer auch Ausdruck von Angst. Bezugnehmend auf aktuelle und frühere Erkenntnisse der psychoanalytischen Forschung und der Bindungstheorie ist Angst, wenn sie überflutend erlebt, nicht gespürt und abgewehrt oder ausagiert werden muss, eine Folge früher traumatischer oder Mangelerfahrungen. Auf dem Hintergrund eines gruppendynamischen Verständnisses von Angst und Aggression illustrieren die Autorinnen durch zwei Fallbeispiele die gruppendynamischen Prozesse und therapeutischen Entwicklungen einer Kinder- und einer Jugendlichengruppe mit den verschiedenen Ausprägungen von defizitärer und destruktiver Angst. Die Therapiegruppe übernimmt dabei Funktionen der Angstregulation, bietet dem destruktiven Ausagieren Halt und Grenzen und ermöglicht so Ablösungsschritte, eine nachholende Struktur- und Identitätsentwicklung und ein Erleben von Zugehörigkeit und eigener Kreativität. Die Bedeutung des Körpers im Rahmen der tiefenpsychologischen Angst- Therapie im weiteren Sinne und der Psychoanalytischen Tanztherapie im Besonderen ist das Thema der Arbeit von Reitz,»Die therapeutische Arbeit mit Angst und Aggression in der analytischen Tanztherapie«. Nach einem kurzen geschichtlichen Vorspann beschreibt die Autorin Setting, Ablauf und Indikation der Psychoanalytischen Tanztherapie mit besonderer Berücksichtigung der spezifischen Möglichkeiten der Bearbeitung von Angst und Aggression in der Tanztherapiegruppe, illustriert durch eine Fallvignette. Die Arbeit schließt mit einigen Kommentaren von Patienten zu ihren eigenen Erlebnissen im Rahmen der beschriebenen Tanztherapie. Im Beitrag»Angst und Depression aus tiefenpsychologischer Sicht«(Fabian) werden die Parallelen zwischen Angst und Depression aufgezeigt. Es gibt keine Depression ohne Angst und auch keine pathologische Angst ohne eine depressive Komponente. Beide sind häufige Begleiter menschlichen Daseins, wenn sie vorübergehend sind und ihre Intensität nicht wesentlich mit dem alltäglichen Leben kollidiert. Auch ihre psychosomatischen und hirnphysiologischen Korrelate sind weitgehend identisch. Der Autor führt die psychodynamischen und gruppendynamischen Konstellationen in Familien auf, in denen bei den Kindern Angst und Depression entstehen. Einige Mechanismen werden beleuchtet, die von Depression und Angst in den Suizid führen können. Schließlich plädiert der Autor für eine tiefenpsychologische Behandlung beider Zustände, die ihre existezielle Dimension berücksichtigt, ihrer Psychogenese gerecht wird und die mit ihnen regelmäßig einhergehende 11

Egon Fabian Einsamkeit im Visier hat. Entsprechend wird der Gruppentherapie ein zentraler Platz im therapeutischen Setting eingeräumt, wobei dem körperlichen Aspekt und der Arbeit mit den vorhandenen Ressourcen des Patienten große Bedeutung beigemessen wird. Wir möchten an dieser Stelle der Leitung des Lehr- und Forschungsinstitutes der Deutschen Akademie für Psychoanalyse in München, Prof. Dr. Ilse Burbiel und Dr. Rolf Schmidts, unseren Dank ausdrücken für die Erlaubnis, die Vorträge in Buchform zu publizieren. Wir danken dem Pinel-Verlag (Artikel 1, 3, 4, 6, 7), dem Schattauer-Verlag (Artikel 5) und der Redaktion der Deutschen Angst-Zeitschrift (Artikel 9) für die freundlichen Abdruckgenehmigungen. Einige der Beiträge wurden überarbeitet. Egon Fabian Die Autorinnen und Autoren: Dr. E. Fabian, Dr. G. Reitz, R. Splete, A. Thome und U. Winkelmann sind LehranalytikerInnen, A. Witte ist Analytikerin. U. Brück und T. Kaufmann sind Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen. B. Weber ist Rechtsanwältin. 12