D DGAA GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE Deutschland BADEN-WÜRTTEMBERG Regionen und Orte Ulm 1330-1802 Patriziat 12-1 Die Patrizier der Reichsstadt Ulm : Stadtherren, Gutsbesitzer und Mäzene / Stefan Lang. [Hrsg.: Stadtarchiv Ulm - Haus der Stadtgeschichte]. - Ulm : Süddeutsche Verlagsgesellschaft ; [Ostfildern] : Thorbecke, 2011. - 176 S. : Ill. ; 29 cm. - ISBN 978-3-88294-425-9 : EUR 28.00 [#2494] Vom Ausgang des Hochmittelalters bis zum Ende der alten Reichsstädte im Jahr 1802/03 haben die Patrizier als eine exklusive Führungsschicht die Geschicke der Reichsstadt Ulm bestimmt. Diese hatten dabei nicht nur kommunale Spitzenämter inne, sondern haben auch durch ihren adligen Lebensstil das gesellschaftliche Leben der Stadt bestimmt, genauso wie sie als Kunstsammler und Mäzene und schließlich durch Stiftungen an Kirchen und andere geistliche Institutionen hervorgetreten sind. Darüber hinaus haben Mitglieder des Ulmer Patriziats auf diplomatischen Missionen bei Kaiser und Reichstag oder auch innerhalb des Schwäbischen Kreises gewirkt, genauso wie sie als Militär in fremden Diensten hervortraten. Schließlich war der Wirkungskreis des Ulmer Patriziats keineswegs auf die Reichsstadt selbst beschränkt, vielmehr erwarben die Patrizier auch Landbesitz im Umfeld der Stadt, übten hier die Grundherrschaft aus und traten als Bauherren von Schlössern und Landsitzen hervor. Trotz dieser bedeutenden Leistungen des Ulmer Patriziats hat dieses in der Forschung bisher noch wenig, zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Dies wundert um so mehr, als sich im Stadtarchiv Ulm umfangreiche Bestände aus den Archiven der patrizischen Geschlechter befinden. Durch die finanzielle Förderung der Stiftung Kulturgut des Landes Baden-Württemberg konnte in den Jahren 2004-2006 und nochmals 2009-2011 schließlich eine Inventarisierung und Erschließung einer ganzen Reihe von Patrizierarchiven im Stadtarchiv vorgenommen werden. Als Ergebnis dieser Erschließungsarbeit, an der Stefan Lang beteiligt war, kann nunmehr der vorliegende überaus lesenwerte Band zum Ulmer Patriziat vorgelegt werden.
Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, zunächst einmal die Rolle der Ulmer Patrizier innerhalb der Stadtgeschichte nachzuzeichnen, bevor in einem zweiten Abschnitt die Lebenswelt des Ulmer Patriziats dem Leser vor Augen geführt wird. Der Band widmet sich abschließend Erinnerungsorten an das Ulmer Patriziat, wobei hier neben den Stadthäusern die Schlösser oder besser Landsitze der Ulmer Patrizier vorgestellt werden, genauso wie auch ein Blick auf die Memorialkultur des Ulmer Patriziats in Klöstern und Kirchen geworfen wird. Zudem sind in dem Band eine Reihe von Lebensbildern bedeutender Ulmer Patrizier eingefügt und es werden auch einzelne Landsitze in kurzen Abrissen vorgestellt. Am Beginn des Bandes stellt der Autor zunächst die Frage nach den Ursprüngen des Ulmer Patriziats, die sich nur sehr schwer fassen lassen, wobei es notwendig ist, mangels anderer Quellen die Urkunden in den Blick zu nehmen, die im 13.Jahrhundert in Ulm ausgestellt wurden (S. 13). In mittelalterlichen Urkunden gilt es dabei vor allem die Zeugenreihen jeweils am Ende des Urkundentextes zu beachten, da in ihnen in der Regel die maßgeblichen Persönlichkeiten der städtischen Kommunität aufgeführt werden, die im Rechts- und Verwaltungswesen oder auch auf militärischem Gebiet entsprechende Führungspositionen in Ulm innehatten und schließlich die Durchsetzung des in einer Urkunde verkündeten Rechtsaktes gewährleisten konnten. Hierbei treten erstmals ein Teil derjenigen Familien auf, die bis zum Ende der freien Reichsstadt im Jahr 1802, also einem Zeitraum von über 500 Jahren die Geschicke Ulms maßgeblich mitbestimmen sollten. Für das Jahr 1292 ist schließlich erstmals ein Ulmer Bürgermeister, Ulrich Strölin, bezeugt, womit bereits eines der maßgeblichen Geschlechter und das für das Spätmittelalter maßgebliche Amt genannt sind. Wenn auch die ältere Forschung davon ausgeht, daß im 14. Jahrhundert achtzig bis einhundertdreißig Familien zum Patriziat gehört haben und es keine festgeschriebene Hierarchie innerhalb des Patriziats gab, so bildete sich gleichwohl innerhalb der städtischen Elite seit dem 14. Jahrhundert eine Art Spitzengruppe heraus. Diese - in der Regel etwa zehn Familien - beanspruchte für sich die Führungsämter innerhalb der Stadt, wogegen sich die anderen Familien mit nachgeordneten Funktionen zu begnügen hatten. So waren es im Laufe von gerade einmal zwei Jahrhunderten (1345-1558) zwölf Familien, die das Amt des regierenden Bürgermeisters erfolgreich für sich beanspruchen konnten, wobei weiter darauf hinzuweisen ist, dass allein die Familien Ehinger, Besserer, Krafft und Neithardt in 147 von diesen 200 Jahren die Bürgermeister stellten. Im 15. Jahrhundert sollten die Ehinger sogar mit 41 Jahren fast die Hälfte für sich verbuchen, wogegen die Krafft die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts stark prägten und die Besserer vom ausgehenden 15. Jahrhundert an ihre Stellung deutlich ausbauen konnten (S. 14). Das Amt des Bürgermeisters war schließlich derart exklusiv, daß zwischen 1292 und 1802 ganze achtzehn Familien dieses Amt für sich beanspruchen konnten, davon manche Geschlechter mit gerade einmal einem Vertreter, andere, wie die Familie Schad, konnte dagegen auf siebzehn Bürgermeister aus den eigenen Reihen verweisen.
Neben den städtischen Ämtern war das Ulmer Patriziat auf eine klare Abgrenzung nach unten gegenüber den finanziell potenten Kaufleuten bedacht, denen nur sehr bedingt die Möglichkeit einer Einheirat und des Aufstiegs in das Patriziat gewährt wurde, während man zugleich selbst nach Landbesitz und Anerkennung des ritterschaftlichen Adels strebte. Schließlich kam es auch zu Verbindungen mit dem Patriziat anderer Reichsstädte, im Falle Ulms vor allem mit dem Patriziat von Augsburg und Nürnberg. Mit der gerade, wie auch eingangs, vorgenommenen Charakterisierung des Patriziats sind schon wichtige Kriterien für die Zugehörigkeit zum Patriziat genannt, die bereits in den 1480er Jahren - wenngleich es sich dabei nicht um einen rechtlich verbindlichen Katalog handelt - Felix Fabri, der im ausgehenden 15. Jahrhundert in Ulm wirkende Dominikaner formuliert hatte: Konnubium mit Adelsfamilien, Besitz von adligen Landgütern, Empfang von kaiserlichem und fürstlichem Lehen, Ehrenbezeugungen durch den externen Adel, Ausübung der Jagd, Teilnahme an Turnieren, Abhaltung von Geschlechtertänzen, Führung von adelsgleichen Wappen und Siegeln, Besitz von altem Reichtum, Verkörperung adliger Tugenden, keine Betätigung im Handel und Vorrang bei den führenden Ämtern der Stadt (S. 21). - Alle von Fabri genannten Kriterien treffen weitgehend auch auf das Ulmer Patriziat zu - mit einer Ausnahme: So konnte Lang dokumentieren, daß doch eine ganze Reihe von Ulmer Geschlechtern im Textilhandel engagiert war und über weitgespannte Geschäftsnetze, insbesondere nach Venedig, aber auch zu Verwandten in anderen Reichsstädten verfügte. Nachgezeichnet werden von Lang schließlich auch Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern aber auch den Zünften, wobei es letzteren im Kleinen und Großen Schwörbrief (1345 und 1397) gelang, ihre Position zu Lasten der Geschlechter zu stärken. Überlagert wurden die innerstädtischen Konflikte im 16. Jahrhundert durch die konfessionellen Auseinandersetzungen, wobei sich Ulm der neuen Lehre zuwandte und sich schließlich dem Schmalkaldischen Bund anschloß, ohne daß es aber zu einem vollständigen Bruch mit dem Kaiser kam. So schloß man während des Schmalkaldischen Krieges schon Ende Dezember 1546 einen Separatfrieden mit Kaiser Karl V., der im folgenden massiv zugunsten des Patriziats in die Stadtverfassung eingriff: 1548 wurden die Zünfte verboten und ein neuer Rat mit patrizischer Mehrheit eingesetzt (S. 23). Während des nachfolgenden Fürstenkrieges hielt die Stadt zum Kaiser, als Dank auch für die weitere militärische Unterstützung, erhielten die damals 17 Familien des Ulmer Patriziats am 29. Oktober 1552 vom Kaiser ein kollektives Adelsprivileg (S. 23, 26). Mit Zustimmung des Kaisers fand 1558 schließlich eine neuerliche Revision der Stadtverfassung statt zwar wurden Zünfte wieder zugelassen, gleichwohl wurde durch die Zusammensetzung des Rates die Vorherrschaft der Patrizier weiterhin abgesichert. Deren Zahl stabilisierte sich auf nunmehr knapp 17 bis 19 Familien, nachdem sie ein Jahrhundert zuvor noch etwa 20 bis 30 Familien umfaßt hatte. Das 17. Jahrhundert bedeutete auch für das Patriziat einen erheblichen Aderlaß in Folge der fortgesetzten kriegerischen Auseinandersetzungen und damit einhergehenden Seuchen. So konnte Lang aufzeigen, daß allein im Jahr 1635 acht Ratsherren an der
Pest verstarben. Zugleich kam es unter den Geschlechtern zu einer stärkeren Fluktuation, die nicht zuletzt mit einer verstärkten Mobilität zwischen den Reichsstädten Ulm, Augsburg, Memmingen und Nürnberg zusammenhing. Am Ausgang des 17. Jahrhunderts blieben jedoch Neuzugänge aus anderen Städten aus, so daß sich die Zahl der Patriziergeschlechter auf acht reduzierte. Dies machte bei den etablierten Geschlechtern nur ungern gesehene Neunobilitierungen notwendig, so daß auch Kaufmannsgeschlechter wie die Neubronner - einem ihrer Vertreter, Marx Tobias Neubronner, ist eines der biographischen Portraits gewidmet - ins Patriziat aufsteigen sollten, um noch für knapp hundert Jahre an der Regierung der Reichsstadt mitzuwirken. Lang geht davon aus, daß die Zahl der patrizischen Familienmitglieder nie mehr als 500-600 Menschen ausgemacht hat. Bei einer Einwohnerzahl von 21.000 des frühneuzeitlichen Ulm, waren dies rund 2-3 % der Bevölkerung. Im Mittelpunkt des zweiten Abschnittes stehen Die Lebenswelten des Ulmer Patriziats (S. 34-114). Neben Heirat, Ehe und Familie (S.34-43) steht vor allem die Ausbildung des Ulmer Patriziats im Mittelpunkt der Darstellung. Dabei zeigt Lang die internationale Vernetzung der Ulmer Geschlechter auf, die Kavalierstouren und Studienreisen nicht nur an die bedeutenden deutschen Universitäten wie Altdorf und Tübingen unternahm, sondern auch in Genf, Lyon und Bologna studierten. Gerade hierbei konnten wichtige Kontakte für spätere diplomatische Tätigkeiten im Dienst der eigenen Vaterstadt aber auch im Dienste des Schwäbischen Kreises geknüpft werden. Damit wendet sich der Blick bereits zu den Lebensentwürfen der Patrizier, wobei Lang die verschiedenen städtischen Ämter, aber auch die Tätigkeit als Obervogt oder Pfleger im Landgebiet der Stadt Ulm vorstellt. Schließlich konnten Ulmer Patrizier auch eine militärische Karriere anstreben wie beispielsweise Marx Konrad Besserer, der in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges verschiedene Kommandostellen bei der protestantischen Union innehatte. Insbesondere vor der Reformation nahmen viele Mitglieder der Ulmer Geschlechter auch bedeutende kirchliche Stellen ein, und hierbei stand insbesondere das Amt des Münsterpfarrers hoch im Kurs. So stellt Lang dem Leser Dr. Heinrich Neithardt d.j. (ca. 1430-1500) vor, der ab 1471-1476 sowie wiederum ab 1478 das Amt des Münsterpfarrers innehatte. Zugleich hatte Heinrich Neithardt eine ganze Reihe geistiger Pfründen inne, u.a. war er Propst von Wiesensteig und Bischofszell; er verfügte zudem über Domherrenstellen in Augsburg und Konstanz. Mit Recht konnte Felix Fabri von ihm feststellen denn er hat nicht die Stellung eines Stadtpfarrers oder Kanonikers, sondern nimmt die Stellung eines reichen Bischofs ein, der an seinem Hof fünf Gehilfen und eine zahlreiche Dienerschaft hat (S. 24). - Freilich ließ die Attraktivität des Münsterpfarramtes mit dem Einzug der Reformation erheblich nach, so daß sich nur noch wenige Angehörige des Patriziats in dieser Stellung finden. Ebenfalls behandelt wird die Geselligkeit innerhalb des Patriziats, wobei hierbei dem Leser die Obere Stube als Ort des gesellschaftlichen Verkehrs unter den Geschlechtern vorgestellt wird. Genauso geht der Autor auf Frei-
zeitvergnügen wie Jagden, Turniere, Geschlechtertänze und dergleichen mehr ein. Der dritte Abschnitt behandelt schließlich Erinnerungsorte des Ulmer Patriziats (S. 116-169). Hierbei wird der Leser eingeführt in die Wohnkultur des gehobenen Ulmer Bürgertums und wird auf z.t. heute noch bestehende Häuser in Ulm wie auch auf die Landsitze des Patriziats in der Umgebung Ulms aufmerksam gemacht. Abschließend wird noch die Memorialkultur der Ulmer Oberschicht durch Stiftungen von eigenen Kapellen oder Altären im Münster aber auch in anderen bis zur Reformation bestehenden Klöstern und schließlich in zahlreichen Kapellen und Dorfkirchen im Umfeld der Stadt aufmerksam gemacht. Insbesondere in diesem Kapitel darf man sich an einer reichhaltigen Bebilderung des Bandes erfreuen, der auch dem nichtortskundigen Leser ein umfassendes Bild vergegenwärtigt. Man kann dem Ulmer Stadtarchiv zu diesem Band nur gratulieren und ihn als herzliche Einladung verstehen, wieder einmal nach Ulm zu kommen und sich dort im Münster, in der Altstadt - den jeweils bevorzugten Wohnlagen des Patriziats - auf dessen Spuren zu begeben. Michael Kitzing QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz354304798rez-1.pdf