GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE. Deutschland BADEN-WÜRTTEMBERG. Regionen und Orte. Ulm 1330-1802. Patriziat



Ähnliche Dokumente
Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Allensbach: Das Elterngeld im Urteil der jungen Eltern

Grußwort Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Produktpiraterie

Gutes Leben was ist das?

Deutliche Mehrheit der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Welches Übersetzungsbüro passt zu mir?

Avenue Oldtimer Liebhaber- und Sammlerfahrzeuge. Ihre Leidenschaft, gut versichert

Qualität und Verlässlichkeit Das verstehen die Deutschen unter Geschäftsmoral!

Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele

Was ist das Budget für Arbeit?

Statuten in leichter Sprache

Statistische Auswertung:

Bedeutung der Bestände

II. Zum Jugendbegleiter-Programm

Lehrer: Einschreibemethoden

Outlook. sysplus.ch outlook - mail-grundlagen Seite 1/8. Mail-Grundlagen. Posteingang

Wir machen neue Politik für Baden-Württemberg

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

Verband der TÜV e. V. STUDIE ZUM IMAGE DER MPU

predigt am , zu römer 16,25-27

Darum geht es in diesem Heft

Selbstständig als Immobilienmakler interna

Zwischenablage (Bilder, Texte,...)

Gelassenheit gewinnen 30 Bilder für ein starkes Selbst

Festigkeit von FDM-3D-Druckteilen

1: 9. Hamburger Gründerpreis - Kategorie Existenzgründer :00 Uhr

Anleitung über den Umgang mit Schildern

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

Das sogenannte Beamen ist auch in EEP möglich ohne das Zusatzprogramm Beamer. Zwar etwas umständlicher aber es funktioniert

Aussage: Das Seminar ist hilfreich für meine berufliche Entwicklung

Würfelt man dabei je genau 10 - mal eine 1, 2, 3, 4, 5 und 6, so beträgt die Anzahl. der verschiedenen Reihenfolgen, in denen man dies tun kann, 60!.

Ein Vorwort, das Sie lesen müssen!

IT-SICHERHEIT IM UNTERNEHMEN Mehr Sicherheit für Ihre Entscheidung

de Mauriacs Gesicht bar jeder Regung blieb, war Gauguin, der selbstverständlich noch nie in einem englischen Speisewagen gesessen war, davon

Mustervortrag zum Foliensatz Rente ab 67 stoppen Soziale Alternativen durchsetzen!

Entsprechenserklärung der EUROKAI GmbH & Co. KGaA gemäß dem Deutschen Corporate Governance Kodex

A Lösungen zu Einführungsaufgaben zu QueueTraffic

Markus 13, Wie ist es, wenn die Welt aufhört? Und wenn die neue Welt von Gott anfängt.

AGROPLUS Buchhaltung. Daten-Server und Sicherheitskopie. Version vom b

Hautkrebsscreening. 49 Prozent meinen, Hautkrebs sei kein Thema, das sie besorgt. Thema Hautkrebs. Ist Hautkrebs für Sie ein Thema, das Sie besorgt?

Urheberrecht in der Schule Was Lehrer, Eltern, Schüler, Medienzentren und Schulbehörden vom Urheberrecht wissen sollten

1. Einführung Erstellung einer Teillieferung Erstellung einer Teilrechnung 6

Wichtiges Thema: Ihre private Rente und der viel zu wenig beachtete - Rentenfaktor

Verjährungsfalle Gewährleistungsbürgschaft. -Unterschiedliche Verjährungsfristen für Mängelansprüche und Ansprüche aus der Gewährleistungsbürgschaft

Evangelisieren warum eigentlich?

3.13. Landessynode (ordentliche) Tagung der 15. Westfälischen Landessynode vom 14. bis 17. November Pfarrdienstrecht

DNotI. Fax - Abfrage. GrEStG 1 Abs. 3 Anteilsvereinigung bei Treuhandverhältnissen. I. Sachverhalt:

Südbaden-Cup. Ausstieg Champions

allensbacher berichte

Wichtige Forderungen für ein Bundes-Teilhabe-Gesetz von der Bundesvereinigung Lebenshilfe. in Leichter Sprache

Häufig gestellte Fragen zum Thema Migration

Sehbehindertentag 6. Juni. Kontraste. helfen schwachen Augen

Alle gehören dazu. Vorwort

DAS PARETO PRINZIP DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

Gesprächsführung für Sicherheitsbeauftragte Gesetzliche Unfallversicherung

ENTWURF. Neue Fassung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages

1 topologisches Sortieren

Online-Befragung internationaler Doktorand_innen an der Universität zu Köln - Zusammenfassung der Ergebnisse -

Sonderrundschreiben. Arbeitshilfe zu den Pflichtangaben in Immobilienanzeigen bei alten Energieausweisen

Elternzeit Was ist das?

I N F O R M A T I O N

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

D.E.O. Die Erwachsene Organisation. Lösungen für eine synergetische Arbeitswelt

Newsletter Immobilienrecht Nr. 10 September 2012

Auf den Schlussspurt kommt es an!

Kulturelle Evolution 12

L10N-Manager 3. Netzwerktreffen der Hochschulübersetzer/i nnen Mannheim 10. Mai 2016

Familienrecht Vorlesung 6. Familienrecht

mehrmals mehrmals mehrmals alle seltener nie mindestens **) in der im Monat im Jahr 1 bis 2 alle 1 bis 2 Woche Jahre Jahre % % % % % % %

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Projektmanagement in der Spieleentwicklung

Bundesverband Flachglas Großhandel Isolierglasherstellung Veredlung e.v. U g -Werte-Tabellen nach DIN EN 673. Flachglasbranche.

Mobile Intranet in Unternehmen

Das Werk einschließlich aller seiner Texte ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts

1. Weniger Steuern zahlen

Strom in unserem Alltag

Berufungsentscheidung

Anleitung zum neuen Überaumbuchungssystem der Hochschule für Musik und Tanz Köln

WLAN Konfiguration. Michael Bukreus Seite 1

lernen Sie uns kennen...

Weiterbildungen 2014/15

Mathematik. UND/ODER Verknüpfung. Ungleichungen. Betrag. Intervall. Umgebung

Reizdarmsyndrom lindern

Dann zahlt die Regierung einen Teil der Kosten oder alle Kosten für den Dolmetscher.

Hinweise in Leichter Sprache zum Vertrag über das Betreute Wohnen

Dr. Hans-Ulrich Rülke. Der nächste Schritt für unser Land Das Kurz-Wahlprogramm in Leichter Sprache

Pädagogik. Melanie Schewtschenko. Eingewöhnung und Übergang in die Kinderkrippe. Warum ist die Beteiligung der Eltern so wichtig?

Test: Sind Sie ein Unternehmertyp?

Krippenspiel für das Jahr 2058

DOWNLOAD. Wortfeld Recht. Fachausdrücke des Alltags verstehen und anwenden. Jens Eggert. Downloadauszug aus dem Originaltitel:

HOTEL BÄREN. Familie Sauter Beobachtungen & Problembereiche. Interview mit Stefan Sauter (Miteigentümer)

Schön, dass ich jetzt gut

Was tust du auf Suchmaschinen im Internet?

Lernaufgabe Industriekauffrau/Industriekaufmann Angebot und Auftrag: Arbeitsblatt I Auftragsbeschreibung

Befristung Inkrafttreten des TzBfG BeschFG Abs. 1; TzBfG 14 Abs. 2 Satz 1 und 2

Beschluss für ein neues Teilhaberecht Einfache Sprache, Großdruck

Primzahlen und RSA-Verschlüsselung

Transkript:

D DGAA GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE Deutschland BADEN-WÜRTTEMBERG Regionen und Orte Ulm 1330-1802 Patriziat 12-1 Die Patrizier der Reichsstadt Ulm : Stadtherren, Gutsbesitzer und Mäzene / Stefan Lang. [Hrsg.: Stadtarchiv Ulm - Haus der Stadtgeschichte]. - Ulm : Süddeutsche Verlagsgesellschaft ; [Ostfildern] : Thorbecke, 2011. - 176 S. : Ill. ; 29 cm. - ISBN 978-3-88294-425-9 : EUR 28.00 [#2494] Vom Ausgang des Hochmittelalters bis zum Ende der alten Reichsstädte im Jahr 1802/03 haben die Patrizier als eine exklusive Führungsschicht die Geschicke der Reichsstadt Ulm bestimmt. Diese hatten dabei nicht nur kommunale Spitzenämter inne, sondern haben auch durch ihren adligen Lebensstil das gesellschaftliche Leben der Stadt bestimmt, genauso wie sie als Kunstsammler und Mäzene und schließlich durch Stiftungen an Kirchen und andere geistliche Institutionen hervorgetreten sind. Darüber hinaus haben Mitglieder des Ulmer Patriziats auf diplomatischen Missionen bei Kaiser und Reichstag oder auch innerhalb des Schwäbischen Kreises gewirkt, genauso wie sie als Militär in fremden Diensten hervortraten. Schließlich war der Wirkungskreis des Ulmer Patriziats keineswegs auf die Reichsstadt selbst beschränkt, vielmehr erwarben die Patrizier auch Landbesitz im Umfeld der Stadt, übten hier die Grundherrschaft aus und traten als Bauherren von Schlössern und Landsitzen hervor. Trotz dieser bedeutenden Leistungen des Ulmer Patriziats hat dieses in der Forschung bisher noch wenig, zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Dies wundert um so mehr, als sich im Stadtarchiv Ulm umfangreiche Bestände aus den Archiven der patrizischen Geschlechter befinden. Durch die finanzielle Förderung der Stiftung Kulturgut des Landes Baden-Württemberg konnte in den Jahren 2004-2006 und nochmals 2009-2011 schließlich eine Inventarisierung und Erschließung einer ganzen Reihe von Patrizierarchiven im Stadtarchiv vorgenommen werden. Als Ergebnis dieser Erschließungsarbeit, an der Stefan Lang beteiligt war, kann nunmehr der vorliegende überaus lesenwerte Band zum Ulmer Patriziat vorgelegt werden.

Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, zunächst einmal die Rolle der Ulmer Patrizier innerhalb der Stadtgeschichte nachzuzeichnen, bevor in einem zweiten Abschnitt die Lebenswelt des Ulmer Patriziats dem Leser vor Augen geführt wird. Der Band widmet sich abschließend Erinnerungsorten an das Ulmer Patriziat, wobei hier neben den Stadthäusern die Schlösser oder besser Landsitze der Ulmer Patrizier vorgestellt werden, genauso wie auch ein Blick auf die Memorialkultur des Ulmer Patriziats in Klöstern und Kirchen geworfen wird. Zudem sind in dem Band eine Reihe von Lebensbildern bedeutender Ulmer Patrizier eingefügt und es werden auch einzelne Landsitze in kurzen Abrissen vorgestellt. Am Beginn des Bandes stellt der Autor zunächst die Frage nach den Ursprüngen des Ulmer Patriziats, die sich nur sehr schwer fassen lassen, wobei es notwendig ist, mangels anderer Quellen die Urkunden in den Blick zu nehmen, die im 13.Jahrhundert in Ulm ausgestellt wurden (S. 13). In mittelalterlichen Urkunden gilt es dabei vor allem die Zeugenreihen jeweils am Ende des Urkundentextes zu beachten, da in ihnen in der Regel die maßgeblichen Persönlichkeiten der städtischen Kommunität aufgeführt werden, die im Rechts- und Verwaltungswesen oder auch auf militärischem Gebiet entsprechende Führungspositionen in Ulm innehatten und schließlich die Durchsetzung des in einer Urkunde verkündeten Rechtsaktes gewährleisten konnten. Hierbei treten erstmals ein Teil derjenigen Familien auf, die bis zum Ende der freien Reichsstadt im Jahr 1802, also einem Zeitraum von über 500 Jahren die Geschicke Ulms maßgeblich mitbestimmen sollten. Für das Jahr 1292 ist schließlich erstmals ein Ulmer Bürgermeister, Ulrich Strölin, bezeugt, womit bereits eines der maßgeblichen Geschlechter und das für das Spätmittelalter maßgebliche Amt genannt sind. Wenn auch die ältere Forschung davon ausgeht, daß im 14. Jahrhundert achtzig bis einhundertdreißig Familien zum Patriziat gehört haben und es keine festgeschriebene Hierarchie innerhalb des Patriziats gab, so bildete sich gleichwohl innerhalb der städtischen Elite seit dem 14. Jahrhundert eine Art Spitzengruppe heraus. Diese - in der Regel etwa zehn Familien - beanspruchte für sich die Führungsämter innerhalb der Stadt, wogegen sich die anderen Familien mit nachgeordneten Funktionen zu begnügen hatten. So waren es im Laufe von gerade einmal zwei Jahrhunderten (1345-1558) zwölf Familien, die das Amt des regierenden Bürgermeisters erfolgreich für sich beanspruchen konnten, wobei weiter darauf hinzuweisen ist, dass allein die Familien Ehinger, Besserer, Krafft und Neithardt in 147 von diesen 200 Jahren die Bürgermeister stellten. Im 15. Jahrhundert sollten die Ehinger sogar mit 41 Jahren fast die Hälfte für sich verbuchen, wogegen die Krafft die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts stark prägten und die Besserer vom ausgehenden 15. Jahrhundert an ihre Stellung deutlich ausbauen konnten (S. 14). Das Amt des Bürgermeisters war schließlich derart exklusiv, daß zwischen 1292 und 1802 ganze achtzehn Familien dieses Amt für sich beanspruchen konnten, davon manche Geschlechter mit gerade einmal einem Vertreter, andere, wie die Familie Schad, konnte dagegen auf siebzehn Bürgermeister aus den eigenen Reihen verweisen.

Neben den städtischen Ämtern war das Ulmer Patriziat auf eine klare Abgrenzung nach unten gegenüber den finanziell potenten Kaufleuten bedacht, denen nur sehr bedingt die Möglichkeit einer Einheirat und des Aufstiegs in das Patriziat gewährt wurde, während man zugleich selbst nach Landbesitz und Anerkennung des ritterschaftlichen Adels strebte. Schließlich kam es auch zu Verbindungen mit dem Patriziat anderer Reichsstädte, im Falle Ulms vor allem mit dem Patriziat von Augsburg und Nürnberg. Mit der gerade, wie auch eingangs, vorgenommenen Charakterisierung des Patriziats sind schon wichtige Kriterien für die Zugehörigkeit zum Patriziat genannt, die bereits in den 1480er Jahren - wenngleich es sich dabei nicht um einen rechtlich verbindlichen Katalog handelt - Felix Fabri, der im ausgehenden 15. Jahrhundert in Ulm wirkende Dominikaner formuliert hatte: Konnubium mit Adelsfamilien, Besitz von adligen Landgütern, Empfang von kaiserlichem und fürstlichem Lehen, Ehrenbezeugungen durch den externen Adel, Ausübung der Jagd, Teilnahme an Turnieren, Abhaltung von Geschlechtertänzen, Führung von adelsgleichen Wappen und Siegeln, Besitz von altem Reichtum, Verkörperung adliger Tugenden, keine Betätigung im Handel und Vorrang bei den führenden Ämtern der Stadt (S. 21). - Alle von Fabri genannten Kriterien treffen weitgehend auch auf das Ulmer Patriziat zu - mit einer Ausnahme: So konnte Lang dokumentieren, daß doch eine ganze Reihe von Ulmer Geschlechtern im Textilhandel engagiert war und über weitgespannte Geschäftsnetze, insbesondere nach Venedig, aber auch zu Verwandten in anderen Reichsstädten verfügte. Nachgezeichnet werden von Lang schließlich auch Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern aber auch den Zünften, wobei es letzteren im Kleinen und Großen Schwörbrief (1345 und 1397) gelang, ihre Position zu Lasten der Geschlechter zu stärken. Überlagert wurden die innerstädtischen Konflikte im 16. Jahrhundert durch die konfessionellen Auseinandersetzungen, wobei sich Ulm der neuen Lehre zuwandte und sich schließlich dem Schmalkaldischen Bund anschloß, ohne daß es aber zu einem vollständigen Bruch mit dem Kaiser kam. So schloß man während des Schmalkaldischen Krieges schon Ende Dezember 1546 einen Separatfrieden mit Kaiser Karl V., der im folgenden massiv zugunsten des Patriziats in die Stadtverfassung eingriff: 1548 wurden die Zünfte verboten und ein neuer Rat mit patrizischer Mehrheit eingesetzt (S. 23). Während des nachfolgenden Fürstenkrieges hielt die Stadt zum Kaiser, als Dank auch für die weitere militärische Unterstützung, erhielten die damals 17 Familien des Ulmer Patriziats am 29. Oktober 1552 vom Kaiser ein kollektives Adelsprivileg (S. 23, 26). Mit Zustimmung des Kaisers fand 1558 schließlich eine neuerliche Revision der Stadtverfassung statt zwar wurden Zünfte wieder zugelassen, gleichwohl wurde durch die Zusammensetzung des Rates die Vorherrschaft der Patrizier weiterhin abgesichert. Deren Zahl stabilisierte sich auf nunmehr knapp 17 bis 19 Familien, nachdem sie ein Jahrhundert zuvor noch etwa 20 bis 30 Familien umfaßt hatte. Das 17. Jahrhundert bedeutete auch für das Patriziat einen erheblichen Aderlaß in Folge der fortgesetzten kriegerischen Auseinandersetzungen und damit einhergehenden Seuchen. So konnte Lang aufzeigen, daß allein im Jahr 1635 acht Ratsherren an der

Pest verstarben. Zugleich kam es unter den Geschlechtern zu einer stärkeren Fluktuation, die nicht zuletzt mit einer verstärkten Mobilität zwischen den Reichsstädten Ulm, Augsburg, Memmingen und Nürnberg zusammenhing. Am Ausgang des 17. Jahrhunderts blieben jedoch Neuzugänge aus anderen Städten aus, so daß sich die Zahl der Patriziergeschlechter auf acht reduzierte. Dies machte bei den etablierten Geschlechtern nur ungern gesehene Neunobilitierungen notwendig, so daß auch Kaufmannsgeschlechter wie die Neubronner - einem ihrer Vertreter, Marx Tobias Neubronner, ist eines der biographischen Portraits gewidmet - ins Patriziat aufsteigen sollten, um noch für knapp hundert Jahre an der Regierung der Reichsstadt mitzuwirken. Lang geht davon aus, daß die Zahl der patrizischen Familienmitglieder nie mehr als 500-600 Menschen ausgemacht hat. Bei einer Einwohnerzahl von 21.000 des frühneuzeitlichen Ulm, waren dies rund 2-3 % der Bevölkerung. Im Mittelpunkt des zweiten Abschnittes stehen Die Lebenswelten des Ulmer Patriziats (S. 34-114). Neben Heirat, Ehe und Familie (S.34-43) steht vor allem die Ausbildung des Ulmer Patriziats im Mittelpunkt der Darstellung. Dabei zeigt Lang die internationale Vernetzung der Ulmer Geschlechter auf, die Kavalierstouren und Studienreisen nicht nur an die bedeutenden deutschen Universitäten wie Altdorf und Tübingen unternahm, sondern auch in Genf, Lyon und Bologna studierten. Gerade hierbei konnten wichtige Kontakte für spätere diplomatische Tätigkeiten im Dienst der eigenen Vaterstadt aber auch im Dienste des Schwäbischen Kreises geknüpft werden. Damit wendet sich der Blick bereits zu den Lebensentwürfen der Patrizier, wobei Lang die verschiedenen städtischen Ämter, aber auch die Tätigkeit als Obervogt oder Pfleger im Landgebiet der Stadt Ulm vorstellt. Schließlich konnten Ulmer Patrizier auch eine militärische Karriere anstreben wie beispielsweise Marx Konrad Besserer, der in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges verschiedene Kommandostellen bei der protestantischen Union innehatte. Insbesondere vor der Reformation nahmen viele Mitglieder der Ulmer Geschlechter auch bedeutende kirchliche Stellen ein, und hierbei stand insbesondere das Amt des Münsterpfarrers hoch im Kurs. So stellt Lang dem Leser Dr. Heinrich Neithardt d.j. (ca. 1430-1500) vor, der ab 1471-1476 sowie wiederum ab 1478 das Amt des Münsterpfarrers innehatte. Zugleich hatte Heinrich Neithardt eine ganze Reihe geistiger Pfründen inne, u.a. war er Propst von Wiesensteig und Bischofszell; er verfügte zudem über Domherrenstellen in Augsburg und Konstanz. Mit Recht konnte Felix Fabri von ihm feststellen denn er hat nicht die Stellung eines Stadtpfarrers oder Kanonikers, sondern nimmt die Stellung eines reichen Bischofs ein, der an seinem Hof fünf Gehilfen und eine zahlreiche Dienerschaft hat (S. 24). - Freilich ließ die Attraktivität des Münsterpfarramtes mit dem Einzug der Reformation erheblich nach, so daß sich nur noch wenige Angehörige des Patriziats in dieser Stellung finden. Ebenfalls behandelt wird die Geselligkeit innerhalb des Patriziats, wobei hierbei dem Leser die Obere Stube als Ort des gesellschaftlichen Verkehrs unter den Geschlechtern vorgestellt wird. Genauso geht der Autor auf Frei-

zeitvergnügen wie Jagden, Turniere, Geschlechtertänze und dergleichen mehr ein. Der dritte Abschnitt behandelt schließlich Erinnerungsorte des Ulmer Patriziats (S. 116-169). Hierbei wird der Leser eingeführt in die Wohnkultur des gehobenen Ulmer Bürgertums und wird auf z.t. heute noch bestehende Häuser in Ulm wie auch auf die Landsitze des Patriziats in der Umgebung Ulms aufmerksam gemacht. Abschließend wird noch die Memorialkultur der Ulmer Oberschicht durch Stiftungen von eigenen Kapellen oder Altären im Münster aber auch in anderen bis zur Reformation bestehenden Klöstern und schließlich in zahlreichen Kapellen und Dorfkirchen im Umfeld der Stadt aufmerksam gemacht. Insbesondere in diesem Kapitel darf man sich an einer reichhaltigen Bebilderung des Bandes erfreuen, der auch dem nichtortskundigen Leser ein umfassendes Bild vergegenwärtigt. Man kann dem Ulmer Stadtarchiv zu diesem Band nur gratulieren und ihn als herzliche Einladung verstehen, wieder einmal nach Ulm zu kommen und sich dort im Münster, in der Altstadt - den jeweils bevorzugten Wohnlagen des Patriziats - auf dessen Spuren zu begeben. Michael Kitzing QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz354304798rez-1.pdf