Funktionale Oberflächen dynamisch temperiert

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Transkript:

Titelthema Aufsatz Kunststoffe, Werkzeug-/Formenbau, Produktionstechnik Funktionale Oberflächen dynamisch temperiert Kostengünstige Erzeugung funktionaler Oberflächen im Kunststoff durch hochdynamisch temperierte Werkzeuge I. Brexeler, N. Küls In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten und vom Projektträger Forschungszentrum Karlsruhe (PTKA) betreuten Projekt SkForm Spritzgießprozesse zur kostengünstigen Erzeugung funktionaler Komponenten hoher Formtreue durch neue Werkzeugbeheizungen wurden auf den Ebenen Prozess, Werkzeug, Maschine und Anlage innovative Lösungen erarbeitet. Ein Konsortium bestehend aus Werkstoffhersteller, Werkzeugbauer, Temperiergerätehersteller, Spritzgießmaschinenhersteller, Hochschule und Institut forschte gemeinsam an der Entwicklung und dem ersten Einsatz von zukunftweisenden Lösungen. Die weiterführende Ver - wertung der dynamischen Hochleistungstemperierung im Werkzeug wird nachfolgend dargestellt. Dynamic mould temperature of functional surfaces Cost efficient production of functional plastic surfaces through the dynamic mould temperature control The SkForm project sponsored by the Federal Ministry for Education and Research (BMBF) and promoted by the lead-partner Research Center Karlsruhe (PTKA) developed innovative solutions on the plains of the process, tooling, machine and plant. SkForm stands for Dipl.-Ing. Ingo Brexeler, Nico Küls Gesellschaft Wärme Kältetechnik mbh Friedrich-Ebert-Str. 306, D-58566 Kierspe Tel. +49 (0)2359 / 66 50, Fax +49 (0)2359 / 66 51 56 E-Mail: brexeler@.com Internet: www..com Danksagung Dipl. Ing. Ingo Brexeler ist Geschäftsführer Entwicklung und Produktion bei der Gesellschaft Wärme Kältetechnik mbh und zeigt sich in hohem Maße zufrieden mit den Ergebnissen im Entwicklungsprojekt SkForm. Besonderer Dank gilt dem Projektträger Forschungszentrum Karlsruhe, Bereich Produktion und Fertigungstechnologien (PTKA-PFT), hier im Speziellen Dr.-Ing. Paul Armbruster, für das Engagement in der Koordination und Unterstützung in diesem Projekt. Info Das Verbundprojekt SkForm wird mit Mitteln des Bundes - ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Rahmenkonzepts Forschung für die Produktion von morgen gefördert und vom Projektträger Forschungszentrum Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. injection molding processes for economic production of functional components with high dimensional stability through a new mould temperature control. A consortium consisting of a material manufacturer, a tool making manufacturer, a temperature control producer, an injection moulding manufacturer and a university searched together on this development. In the following text the dynamic mould temperature control will be explained. 1 Einleitung Das Erzeugen funktionaler Oberflächen im Spritzgießprozess hat in aller Regel zum Ziel, die Wirtschaftlichkeit und Qualität zu erhöhen, die Zykluszeiten zu verkürzen sowie eine möglichst hohe Abbildungsgenauigkeit des Formteils zu er - reichen. Dies ist speziell bei Spritzgießprozessen zur hoch - präzisen Herstellung von Komponenten mit hohen Aspektverhältnissen zum Beispiel bei großflächigen, dünnwandigen Teilen besonders schwierig. Generell gilt: je größer das Aspektverhältnis ist, also das Verhältnis aus der Tiefe oder Höhe einer Struktur zu ihrer kleinsten, lateralen Ausdehnung, und je kleiner die absolute Größe der Struktur, desto schwieriger ist somit die Fertigung. Im geförderten Projekt geht es konkret darum, dass Strukturen mit sehr feinen Oberflächen durch eine äußerst rasche Temperierung der Werkzeuge und mit Beschichtungen, die eine gute Ent - formung ermöglichen, wesentlich verbessert werden (Bild 1). 2 Neue Möglichkeiten in der Kunststoffverarbeitung Kernpunkt des gemeinschaftlichen Projekts sind die im Werkzeug integrierten Formeinsätze mit Hochleistungskeramik (CPH) und kavitätsnaher Kühlung. Sie temperieren dynamisch und besonders effizient im Gesamtwerkzeug jede einzelne Werkzeugkavität. Aufgrund dieser neuentwickelten Werkzeugtemperierung werden die technischen Möglichkeiten in der Kunststoffverarbeitung deutlich erweitert und für vorhandene Anwendungen wirtschaftlichere Produktionsbedingungen ermöglicht. Nachfolgend werden die Anwendungsfelder der Hoch Dynamischen Werkzeugformnest - temperierung (HDWT) an Beispielen erläutert. Ausschlaggebend für eine effiziente Nutzung der Werkzeugtemperierung ist die thermische Auslegung des Werkzeugs auf die zu erwartenden thermischen Anforderungen während des Spritzgießprozesses. Gegenüber der konven - tionellen Werkzeugtemperierung, bei der im Wesentlichen die 830

BMBF Produktionsforschung Bild 1. Projektpartner innerhalb des Entwicklungsprojekts SkForm Werkzeugtemperatur mittels Wasser- oder Öltemperiergeräten auf einem konstanten Niveau während des Spritzgießzyklusses über Temperierkanäle im Werkzeug gehalten werden soll, wird bei der Hoch Dynamischen Werkzeugformnesttemperierung (HDWT) die Werkzeugwandtemperatur während des Spritzgießzyklusses nach Soll-Vorgaben aus dem Prozess verändert. So ist es zum Beispiel möglich, die Werkzeugwandtemperatur kurz vor dem Einspritzen der Schmelze auf das Niveau der Glas- beziehungsweise Schmelztemperatur zu erhöhen und nach dem Füllvorgang auf Entformungstemperatur mit einem kühleren Medium gezielt abzukühlen (Bild 2). Ideale Anwendungen sind optische Bauteile aus Polycarbonat mit funktionalen Oberflächen. Hierzu konnte bereits auf der Messe Fakuma 2008 als Ergebnis des Forschungsprojekts eine entspiegelte Scheibe aus Polycarbonat gezeigt werden, die auf einer 800-kN-Spritzgießmaschine von KraussMaffei in einem von den Firmen Krallmann und gebauten 2-fach-Werkzeug gespritzt wurde (Bild 3). Die HDWT bietet zwei wesentliche Vorteile für den Spritzgießprozess. Aufgrund der hohen Werkzeugwandtemperatur während des Füllvorgangs des Werkzeuges lässt sich die Abformgenauigkeit der funktionalen Oberflächen auf ein Bild 2. Mithilfe der dynamischen Formnesttemperierung lässt sich die Randschichterstarrung bei der Formfüllung unterdrücken 831

BMBF Produktionsforschung Bild 3. Die Abbildung von Nanostrukturen im Werkzeug erlaubt die Entspiegelung von optischen Bauteilen bereits im Spritzgießprozess Maximum erhöhen. Zudem wird der fortschreitende Quellfluss während der Formfüllung nicht durch eine sich rasch abkühlende Schmelzefront behindert. Somit kann das Werkzeug unter wesentlich geringeren Spritzdrücken gefüllt werden. Damit verringern sich die Spannungen während der Füllphase in das Werkstück, was zu einem geringeren Verzug des Bauteils nach einer gleichmäßigen Abkühlung führt. Diese Eigenschaften waren schon seit längerem bekannt, konnten aber bisher nur durch sogenannte variotherme Temperier - verfahren mittels Flüssigtemperierung dargestellt werden. Aufgrund der hohen Trägheit der Temperaturwechsel im Gesamtwerkzeug ist dieses Verfahren wegen des hohen Energieaufwands und der verlängerten Zykluszeiten allerdings nicht wirtschaftlich. Größtenteils ohne Zykluszeitverlängerung und nur mit einem Bruchteil der benötigten Energie gegenüber vario - thermen Prozessen lässt sich die Werkzeugwandtemperatur durch die Hoch Dynamische Werkzeugformnesttemperierung (HDWT) verändern. Denn bei diesem Verfahren werden möglichst nur die formbildenden Werkzeugwände thermisch beeinflusst und das Stammwerkzeug auf einem möglichst konstanten Temperaturniveau gehalten. Die somit anzu - steuernden thermischen Massen sind dann relativ gering und der Energie- und Zeitaufwand für den notwendigen Temperaturwechsel vergleichsweise klein (Bild 4). Erst die thermische Entkopplung zwischen Stammwerkzeug und Formnest ermöglicht einen schnellen Temperatur - wechsel im Werkzeug. Aufheizrampen und Abkühlzeiten von bis zu 25 Kelvin/Sekunde sind hierbei technisch möglich. Die maximale Temperatur der Formeinsätze wird je nach Anlassbeständigkeit der Werkzeugstähle und der geforderten Temperaturwechsel auf 400 C begrenzt (Bikd 5 und Bild 6). Durch die hohe Integration der Werkzeugtemperierung im Gesamtsystem erreicht der Verarbeiter den größtmöglichen Nutzen sowie einen ganzheitlichen Einfluss auf die Formteilqualität und Wirtschaftlichkeit. Die HDWT ist durch das von der entwickelte integrat evolution ein hochintegriertes Anlagensystem. Die dynamischen Werkzeugformnester und die Stammform werden als ein Werkzeug- und Maschinen - system mit diesem Temperiersystem (integrat evolution) geregelt. Alle Funktionen wie Heizen, Kühlen und Standby werden an die individuellen Prozessparameter des Spritzgießzyklusses angepasst und stabil geregelt. Für die schnelle und zuverlässige Datenübertragung zur Spritzgießmaschine sorgt eine neuentwickelte Ethernet-Echtzeit-Schnittstelle, der sogenannte Varanbus (Bild 7). Die Kombination einer optimierten, exakt an die Prozess - anforderungen ausgerichteten Temperierung mit innovativer Maschinen- und Werkzeugtechnik erlaubt zukünftig die ökonomische Fertigung hochwertiger Kunststoffprodukte, die Bild 4. Aufbau der Hochleistungswerkzeugeinsätze für die dynamische Formnesttemperierung 832

BMBF Produktionsforschung Bild 5. Zur Realisierung schneller zyklischer Temperaturwechsel wird im Werkzeug ein Formeinsatz mit integriertem keramischen Heizelement und kavitätsnah angeordneten Temperierkanälen eingebaut zurzeit noch gar nicht oder nur recht unwirtschaftlich produziert werden können. Als typisches Beispiel hierfür kann das Spritzgießen dickwandiger optischer Bauteile gelten, die spannungsfrei mit höchster Oberflächenqualität hergestellt werden müssen. Sowohl die Qualitätsanforderungen mit besonders geringen Toleranzen als auch die langen Kühlzeiten stellen eine hohe technische Herausforderung dar. Bereits in der Vergangenheit ist deshalb beim Spritzprägen dickwandiger Linsen die HDWT zum Einsatz gekommen (Bild 8). 3 Dynamische Temperierung für anspruchsvolle Oberflächen Die gleiche Technik kommt zur Anwendung, um das sichtbare Auftreten lokaler Bindenähte gezielt zu vermeiden. Diese entstehen bei der herkömmlichen Temperaturführung dadurch, dass die Schmelze entlang des Fließweges an der in Relation zur Schmelzetemperatur deutlich kälteren Werkzeugwand in der Randschicht einfriert. Aufgrund dessen können sich die beiden Schmelzefronten am Ende ihrer Fließwege nicht miteinander verbinden, ohne eine deutlich sichtbare Nahtstelle zu hinterlassen. Diese stellt bei transparenten Bauteilen und Sichtteilen mit lackierten, galvanisierten oder hochglänzenden Oberflächen einen nicht akzeptablen Qualitätsmangel dar. Als Alternative zur unwirtschaftlichen Erhöhung der gesamten Werkzeugwandtemperatur wird diese nur zyklisch vor dem Einspritzen im Bereich der Bindnaht angehoben. Dies lässt sich über den Einbau entsprechend ausgeführter Formeinsätze in Verbindung mit der speziellen Regeltechnik realisieren (Bild 9). 4 Dynamische Temperierung schafft neue Perspektiven Die mithilfe intensiver Forschungsarbeiten erzielten Fortschritte haben die dynamische Formnesttemperierung in den Fokus der Entwickler innovativer Kunststoffanwendungen gerückt. So wurde bereits zur letzten Kunststoffmesse K 2007 in Düsseldorf ein Verfahren gezeigt, bei welchem eine bislang sehr aufwendige und kostenintensive Funktionalität in den Spritzgießprozess integriert wurde. Die kratzfeste Beschicht - ung von hochglänzenden Oberflächen und transparenten Abdeckungen wird klassischer Weise in einem separaten Arbeitsschritt in einer hochreinen, dem Spritzgießprozess nachgeschalteten Umgebung vorgenommen. Beim Coverform -Verfahren fällt dieser Arbeitsschritt weg. Nach dem Bild 6. Fertigungszelle zur Produktion optischer Teile inklusive dynamisch temperiertem Präzisionswerkzeug mit Hochleitungskeramik (CPH) Bild 7. Einfache Parametrierung und Anpassung des Temperiersystems an den Prozess 833

Titelthema Aufsatz Bild 8. Die dynamische Formnesttemperierung ist eine der Voraussetzungen, um Fokussierlinsen für Frontscheinwerfer mit LED-Technik in großen Stückzahlen wirtschaftlich im Spritzgießverfahren herstellen zu können Bayer Material Science, Automotive Lighting Spritzen des Formteils öffnet das Werkzeug um einen kleinen Spalt, über welchen der Lack über das Formteil geflutet wird. Im Werkzeug integrierte Heizzonen mit keramischen Hochleistungsheizungen sorgen für eine sekundenschnelle formstabile Aushärtung der Lackschicht, die ihre endgültige Härte auf dem Entnahmeband über dort installierte UV-Strahler erhält (Bild 10). Mögliche Anwendungen sind Displays von Mobiltelefonen sowie alle berührungs- und kratzempfindlichen Bauteile, die aufgrund ihrer Funktion eine konstant hohe Oberflächengüte mit langer Lebensdauer erfordern. Das Temperierkonzept ist auch hier ein untrennbar integrierter Bestandteil der hoch- komplexen Produktionszelle, die in enger Partnerschaft namhafter Unternehmen der Branche entwickelt wurde (Bild 11). 5 Temperierparameter in die Prozessüberwachung integriert Voraussetzung für eine wirtschaftliche Fertigung ist nicht nur die entsprechende Auslegung der Anlagenkomponenten. Zudem muss während der Produktion jederzeit sichergestellt sein, dass alle wichtigen Prozessparameter in engen Grenzen konstant gehalten werden. Für die Werkzeugtemperierung bedeutet dies neben der Überwachung der Vorlauf- und Rück- Bild 9. Um sichbare Bindenähte zu verhindern, wird im Werkzeug ein Formeinsatz mit integriertem keramischen Heizelement und kavitätsnah angeordneten Temperierkanälen eingebaut 834

Titelthema Aufsatz Bild 10. Die Thermografien zeigen die den zyklischen Temperaturkurven entsprechenden Temperaturprofile eines Formeinsatzes mit dynamischer Temperaturführung lauftemperaturen auch die Überwachung und bei unzulässigen Abweichungen automatische Nachregelung der Durchflussmenge. Die Mehrzahl der am Markt verfügbaren Regelsysteme lassen in diesem Punkt eine entscheidende Prozesslücke offen. Zwar wird bei vielen Systemen der Ist-Wert erfasst und teilweise auch mit dem Soll-Wert verglichen, eine Regelung erfolgt jedoch nicht. Speziell die im Spritzguss weit verbreiteten Wasserorgeln hinterlassen in dieser Hinsicht eine grobe Prozesslücke, die nur von modernen Mehrkreissystemen mit ihren vielfältigen Regelfunktionen geschlossen wird. Aktuelle Versionen kombinieren dabei nicht nur verschiedene Temperierverfahren, sondern sind auch mit Farb- GTT displays ausgestattet, die wichtige Prozessdaten in grafischer Form übersichtlich darstellen. Als Touchscreen ausführt, ist der direkte Zugriff auf die Daten möglich vorausgesetzt, der Bediener verfügt über die hinterlegte Zugriffsberechtigung (Bild 12). 6 Zusammenfassung und Ausblick Mit der Hoch Dynamischen Werkzeugformnesttemperierung (HDWT) ist ein neues, wirtschaftlich und technisch interessantes Prozessfenster für die Kunststoffverarbeitung entstanden. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielseitig Bild 11. In der Coverform -Produktionszelle mit integriertem Temperiersystem zur dynamischen Temperaturführung wird das Formteil bereits im Werkzeug mit einem kratzfesten Lack beschichtet Krauss Maffei 835

Titelthema Aufsatz Bild 12. Das Mehrkreistemperiersystem integrat 40 evolution verfügt über drei individuelle Heiz- und Kühlkreise, fünf separate Regelkreise für die automatische Wassermengenregelung sowie eine Regeleinheit für die dynamische Formnesttemperierung und reichen von der Abbildungsgenauigkeit von Oberflächenstrukturen, über die Reduzierung von Bauteilspannungen bis zur Herstellung komplexer Bauteile aus Verbundwerkstoffen mit unterschiedlichen thermischen Verarbeitungstemperaturen. Durch die jetzt im Werkzeug realisierbaren thermischen Geschwindigkeiten ist ein Abgleich mit der Schmelzeregelung, der Plastifiziereinheit der Spritzgießmaschine und der Werkzeugwandtemperatur möglich. Aufbauend auf dem jetzt erreichten Entwicklungsstand ist der Produktionsstandort Deutschland in diesem Punkt für den internationalen Wettbewerb bestens gerüstet.? 836 Ansprechpartner für weitere Informationen Dipl.-Ing. Ingo Brexeler (Kontaktdaten siehe vorne) Dr. Paul Armbruster Forschungszentrum Karlsruhe GmbH Projektträger Forschungszentrum Karlsruhe (PTKA) Bereich Produktion und Fertigungstechnologien Hermann-von-Helmholtz-Platz 1 D-76344 Eggenstein-Leopoldshafen Tel. +49 (0)7247 / 82 62 09, Fax +49 (0)7247 / 82 54 56 E-Mail: paul.armbruster@ptka.fzk.de Internet: www.produktionsforschung.de