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Transkript:

Beitrag: BGH zur Pflicht der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen bei ausländischer Gesellschaft Rechtsanwalt Martin Schöbel, Wirtschaftsmediator (CVM), 22.10.2013 Mehr zum Autor: http://www.klerx-legal.com/team_schoebel.html BGH zur Pflicht der Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung bei ausländischer Gesellschaft Der BGH entschied mit Urteil vom 11.06.2013, dass der Umstand, dass sich die Eigenschaft des Organs oder des Beauftragten bei der Tat des 266a StGB auf eine ausländische Gesellschaft bezieht, einer Einordnung als Täter nach 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder 14 Abs. 2 StGB nicht entgegenstehe. Insoweit könne der Vorsitzende einer schweizerischen Aktiengesellschaft durchaus als Täter im Sinne des 266a StGB herangezogen werden. In Hinblick auf die konkrete interne Zuständigkeit des Vorsitzenden sei nicht die Klägerin sondern der Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Zum Sachverhalt: Die Klägerin ist zuständige Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge und macht gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch wegen Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung geltend. Laut Eintragung im Handelsregister des schweizerischen Kantons Tessin war der Beklagte in der Zeit von September 2004 bis September 2008 Vorsitzender der Direktion (presidente della direzione) der nach schweizerischem Recht gegründeten F-AG mit Sitz in der Schweiz. Der Beklagte hat dieses Amt im Februar 2008 niedergelegt. Die Gesellschaft beschäftigte Arbeitnehmer in Deutschland, für die sie Beitragsnachweise bei der Einzugsstelle einreichte. Die Klägerin trug vor, in der Zeit von Februar 2007 bis Januar 2009 seien fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von EUR 33.862,49 nicht gezahlt worden. Mit ihrer Klage machte die Klägerin nun einen Anspruch auf Zahlung dieses Betrages gegen den Beklagten geltend. Das Landgericht hatte der Klage zunächst noch stattgegeben, das Oberlandesgericht Dresden hingegen hat sie abgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Revision hatte Erfolg und führte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Zur Begründung seiner Entscheidung führte der BGH aus, dass das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Klägerin die haftungsrechtliche Verantwortung des Beklagten für das nicht rechtzeitige Abführen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht schlüssig dargelegt habe. Zunächst sei aber das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach 823 Abs. 2 BGB,

266a Abs. 1 StGB dann in Betracht komme, wenn der Beklagte ein vertretungsberechtigtes Organ der F-AG i.s. des 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB war. Grundsätzlich richte sich der aus einer Unterlassung (Vorenthalten von Beiträgen) folgende deliktische Schadensersatzanspruch unabhängig von der Frage, wo zu handeln gewesen wäre gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB, 3 StGB nach deutschem Recht. So kann der Verletzte nach diesen Vorschriften verlangen, dass das Recht des Staates angewendet wird, in dem der Erfolg eingetreten ist. Vorliegend sei der Schaden in Deutschland entstanden. Die Klägerin habe die Wahl des deutschen Rechts dadurch getroffen, indem sie sich zur Begründung ihres Anspruchs auf die Vorschriften des deutschen Rechts berufen habe. Weiterhin sei nach 823 Abs. 2 S. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstoße. 266a StGB sei ein solches Schutzgesetz im Sinne von 823 Abs. 2 BGB. Handelt es sich wie im vom BGH entschiedenen Fall um ein Strafgesetz, so kommt als Schadensersatzpflichtiger in Betracht, wer als Täter oder Teilnehmer gegen die entsprechende Strafvorschrift verstoßen kann. Eine Ersatzpflicht des Beklagten könne in dem vorliegenden Fall nur bestehen, wenn dieser Täter sei. Täter einer Straftat nach 266a StGB können nur der Arbeitgeber und die ihm nach 266a Abs. 5 StGB gleichgestellten Personen sowie die im Sinne von 14 StGB für den Arbeitgeber handelnden Personen sein. Der BGH führte weiter aus: Nach 14 Abs. 1 S. 1 StGB ist, wenn jemand als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs handelt, ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die die Strafbarkeit begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Aber auch ohne eine Organstellung im Sinne des 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB könne der Beklagte Täter im Sinne des 266a StGB sein. So sei nach 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB auf denjenigen, der beauftragt ist, einen Betrieb oder ein Unternehmen ganz oder zum Teil zu leiten, oder der ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs oder Unternehmens obliegen, und der aufgrund dieses Auftrags handelt, ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit begründen, anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebs oder Unternehmens vorliegen. Demnach wäre der Beklagte, so der BGH, jedenfalls dann Täter nach 14 Abs. 2 StGB, wenn ihm eine umfassende Geschäftsführungsmacht übertragen worden wäre und er diese Geschäftsführungsmacht auch ausgeübt hätte. Der Umstand, das sich die - mögliche - Eigenschaft des Beklagten als Organ oder als Beauftragter auf eine ausländische Gesellschaft beziehe, stehe seiner Einordnung als Täter im Sinne des 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, 2 StGB nicht entgegen. Für die Strafbarkeit und damit auch die zivilrechtliche Haftung komme es entscheidend auf das Tätigkeitsbild der betreffenden Person an. Dieses sei im Anwendungsbereich des 14 Abs. 2 StGB nicht abhängig von dem Sitz der Gesellschaft. Auch im Anwendungsbereich des 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB habe das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass sich die Aufgaben der Direktion einer schweizerischen Aktiengesellschaft notwendig von denen eines Vorstands einer deutschen Aktiengesellschaft unterscheiden würden. Ob sie sich hier tatsächlich unterschieden haben, sei nach Auffassung des BGH eine Frage der tatrichterlichen Würdigung. Hierbei habe jedoch das Berufungsgericht die Anforderungen an den Vortrag der Klägerin zu der Tätereigenschaft des Beklagten überspannt. Nach schweizerischem Recht seien die Generalversammlung, der Verwaltungsrat und die

Revisionsstelle nur die "zwingenden Organe" einer Aktiengesellschaft. Daneben wäre die Bildung weiterer "Organe" möglich. So könnten Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse auf die Mitglieder einer Direktion übertragen werden. Vor diesem Hintergrund habe die Klägerin ihrer Darlegungslast genügt, indem sie vorgetragen hat, dass der Beklagte "vertretungsberechtigtes Geschäftsführungsorgan" der F-AG gewesen sei und er mit Veröffentlichung im Handelsregister zum vertretungsberechtigten Direktor bestellt worden wäre. Nach Ansicht der 2. Zivilkammer des BGH habe das Berufungsgericht zu eng auf die Handelsregistereintragung abgestellt und angenommen, diese gebe nur Auskunft über die Vertretungsmacht, nicht aber auch über die Geschäftsführungsbefugnis. Die Übertragung einer unbeschränkten Vertretungsbefugnis an den Vorsitzenden der Direktion ohne gleichzeitige Übertragung einer zumindest weitgehenden Geschäftsführungsbefugnis könnte sich nach schweizerischem Recht als ein Ausnahmefall darstellen, der nach deutschem Zivilprozessrecht vom Beklagten darzulegen und zu beweisen wäre. Bei Bedenken in diesem Zusammenhang hätte hier das Berufungsgericht das schweizerische Recht im Einzelnen nach 293 ZPO feststellen müssen. Dass es über entsprechende eigene Kenntnisse verfüge, habe es nicht dargelegt. Damit habe sich die Klägerin auf den Vortrag beschränken können, dass der Beklagte zum vertretungsberechtigten Geschäftsführungsorgan bestellt worden sei. Selbst wenn das Berufungsgericht Zweifel in Bezug auf die Organstellung des Beklagten gehabt haben sollte, hätte es den Vortrag der Klägerin jedenfalls im Hinblick auf seine mögliche Strafbarkeit als Beauftragter im Sinne des 14 Abs. 2 StGB würdigen müssen so der BGH. Dass die Klägerin keine Einsicht in die schweizerischen Handelsregisterakten genommen hat und deshalb zu dem daraus möglicherweise ersichtlichen Umfang der übertragenen Geschäftsführungsbefugnis nicht vortragen konnte, mache ihren Vortrag entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht unsubstantiiert. Die Klägerin sei nicht gehindert, auch ohne Einsicht in die Handelsregisterakte eine umfassende Übertragung der Geschäftsführungsbefugnis auf den Beklagten zu behaupten. Diese Behauptung sei angesichts der im schweizerischen Handelsregister eingetragenen unbeschränkten Vertretungsbefugnis des Beklagten auch nicht nur "ins Blaue hinein" aufgestellt. Nach Ansicht des BGH läge es nun am Berufungsgericht in der neuen Verhandlung durch Vernehmung der angebotenen Zeugen festzustellen, ob dem Beklagten eine umfassende Geschäftsführungsbefugnis übertragen worden ist oder zumindest eine Geschäftsführungsbefugnis, von der auch die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung umfasst war. Dass sich der Beklagte auf einen Arbeitsvertrag mit der F-AG berufen habe, in dem ihm nur die Aufgabenbereiche Marketing und Vertrieb übertragen worden wären, stünde seiner weitergehenden Geschäftsführungs- oder jedenfalls Überwachungsbefugnis und - pflicht als Vorsitzender der Direktion nicht zwingend entgegen. Zumal die im Handelsregister zuvor erfolgte Eintragung des Beklagten als Vorsitzender der Direktion trotz des Arbeitsvertrages nicht gelöscht oder eingeschränkt worden ist. Ferner stellte der BGH fest, dass auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Eigenschaft des Beklagten als faktisches Organ der F-AG nicht frei von Rechtsfehlern seien. Faktischer Geschäftsführer oder faktischer Vorstand sei nach der von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs in ständiger Rechtsprechung vertretenen Definition derjenige, der die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat. Das Berufungsgericht habe

auch insoweit die Anforderungen an die Darlegung dieser Voraussetzungen durch die Klägerin überspannt. So hat das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin als ungenügend angesehen, weil er eine bloße Aufzählung der von der Rechtsprechung definierten klassischen Merkmale des Kernbereichs einer Geschäftsführung darstelle. Darin sei nach Auffassung des BGH ein Verstoß des Gerichts gegen 286 ZPO zu sehen. Das Berufungsgericht hätte bei einer Gesamtwürdigung nämlich durchaus zu dem Ergebnis kommen können, der Beklagte sei als faktischer Vorstand der F-AG anzusehen und hafte damit wie ein förmlich bestellter Vorstand. Das Berufungsgericht hätte diesem Vortrag der Klägerin nachgehen und die angebotenen Beweise erheben müssen. Hinweis für die Praxis: Mit dem Urteil wendet sich der BGH gegen die Entscheidungen des Landgerichts und Oberlandesgerichts Dresden. Für Außenstehende ist es regelmäßig schwierig, in interne Organisationsstrukturen und Geschäftsverteilungspläne einer (in dem entschiedenen Fall zumal ausländischen) Gesellschaft Einblick zu nehmen und den konkret Verantwortlichen ausfindig zu machen. Daher, so stellt der BGH fest, dürfen an den Umfang der Darlegungslast des beweisbelasteten Außenstehenden auch keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Die Angelegenheit ist an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen worden. Es bleibt mithin abzuwarten, ob die Verteidigungsstrategie des Beklagten, er sei intern für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nicht zuständig gewesen, letztendlich Erfolg haben wird. Stichworte: BGH-Urteil v. 11.06.2013 II ZR 389/12, 823 BGB, 266a, 14 StGB, Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, ausländische Gesellschaft, Geschäftsführung, Darlegungslast, Beweislast Ansprechpartner für Rückfragen: Für Rückfragen steht Ihnen gerne die Ansprechpartner des IWR für den Bereich Recht zur Verfügung: Rechtsanwalt Martin Schöbel KLERX-legal Rechtsanwälte Herzogspitalstr. 11 80331 München Tel. +49 89 1219165-50 email: muenchen@klerx-legal.com URL: http://www.klerx-legal.com

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