Leitlinien und Stellungnahmen



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Leitlinien und Stellungnahmen medgen 2010 22:20 25 DOI 10.1007/s11825-010-0210-7 Online publiziert: 5. Februar 2010 Springer Verlag 2010 Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.v. (GfH) Berufsverband Deutscher Humangenetiker e.v. (BVDH) Indikationskriterien und Bewertung der Molekularen Karyotypisierung mittels Mikroarray-Analysen für die genetische Diagnostik konstitutioneller DNA Veränderungen Grundlagen zur Einführung der Abrechnung der Molekularen Karyotypisierung mittels Mikroarray- Analyse in den EBM und die GOÄ Eine Stellungnahme der GfH-Kommission für die Erstellung von Indikationskriterien zur Einführung der Molekularen Karyotypisierung mittels Mikroarrayanalysen in die humangenetische Diagnostik Von der Chromosomenanalyse zur Molekularen Karyotypisierung Paradigmenwechsel in der Genetischen Diagnostik Wie wir alle mit viel Aufmerksamkeit verfolgen, ist die Molekulare Karyotypisierung inzwischen den Forschungsschuhen entwachsen und hat sich zu einer anerkannten Diagnostikmethode gemausert. Die konventionelle Chromosomenanalyse war, ist und bleibt jedoch auch nach der Einführung der chipbasierten Analysen unverzichtbar. Sie wird zur Aufklärung der strukturellen Chromosomenveränderungen neben weiterhin zum Einsatz kommen. Die Molekulare Karyotypisierung eröffnet uns einen bisher unzugänglichen Bereich der Analyse des Genoms. Damit können wir Chromosomenaberrationen mit einer Auflösung von unter 200 kb identifizieren statt wie bisher mit 5-10 Mb. Auch wenn die Molekulare Karyotypisierung kostenintensiver ist als die konventionelle Chromosomenanalyse, liegt ihr maßgeblicher Vorzug darin, dass 20 Medizinische Genetik 1 2010 vor allem bei Patienten mit mentaler Retardierung bzw. Entwicklungsverzögerung und körperlichen Auffälligkeiten häufiger als bisher eine pathogenetisch bedeutsame Diagnose gestellt werden kann. So wird die schrittweise Abklärung von Verdachtsdiagnosen abgekürzt, und stationäre Aufenthalte können vermieden werden. Dies wiederum wird zu erheblichen Einsparungen von Kosten führen. Die frühzeitige und sichere Diagnosestellung ist für die meisten unserer Patienten von besonderem Wert für eine gezielte Frühförderung, für eine verbesserte medizinische Betreuung und die Prävention durch rechtzeitige Intervention z.b. bei drohenden Organschäden. Das Wissen um die Diagnose erleichtert für viele Familien die Akzeptanz der Erkrankung, bedeutet das Ende einer Periode der Unsicherheit und Angst und ermöglicht Kontakte zu Familien in vergleichbarer Situation und zu Selbsthilfegruppen. Um die Einführung in die Gebührenordnungen vorzubereiten, waren GfH- und BVDH-Mitglieder in der Kommission für die Erstellung von Indikationskriterien zur Einführung der Molekularen Karyotypisierung mittels Mikroarrayanalysen in die humangenetische Diagnostik tätig. Ich bedanke mich sehr herzlich bei Hartmut Engels, (GfH, Bonn); Anita Rauch, (GfH, Erlangen); Olaf Rieß, (GfH, Tübingen); Hans Hilger Ropers, (GfH, Berlin), Jürgen Kohlhase (BVDH, Freiburg) und Holger Tönnies (BVDH, Kiel) für ihre aktive und engagierte Arbeit. Von den Kommissionsmitgliedern wurden Indikationskriterien für die Durchführung und die dazu erforderlichen Laborstandards erarbeitet und begründet. Damit wird in naher Zukunft der Routineeinsatz dieser erfolgreichen Technologie in der genetischen Diagnostik möglich sein. Die Vorstände der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH e.v.) und des Berufsverbandes Deutscher Humangenetiker (BVDH e.v.) haben diese diskutiert und verabschiedet. Damit wurde die Arbeit der Kommission erfolgreich beendet, und die Kommission kann nun aufgelöst werden. Evelin Schröck (Dresden)

Einführung zur Molekularen Karyotypisierung mittels Mikroarray-Analyse Zugewinne und Verluste von DNA sind Mutationen und können genetische Erkrankungen durch den Funktionsverlust bzw. -zugewinn der involvierten Gene und regulatorischen Elemente verursachen. Chromosomenaberrationen werden seit mehr als 50 Jahren mit zytogenetischen Methoden (Chromosomenbänderungsanalyse) und seit etwa 25 Jahren zusätzlich mit molekular-zytogenetischen Methoden (FISH-Techniken) untersucht. Die Analyse von Chromosomenstörungen ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil der genetischen Diagnostik. Dabei werden Veränderungen immer nur bei einem Teil der untersuchten Patienten erkannt, da entweder die Auflösung der Chromosomenanalyse mit ca. 5-10 Mb zu gering ist oder bei einer FISH-Analyse gezielt nur ausgewählte Regionen im Genom mit hoher Auflösung getestet werden können. Es fehlte eine Methodik, um genomweit und hochauflösend nach bisher nicht bekannten Deletionen und Duplikationen zu suchen, die einen Phänotyp beim Patienten verursachen können. In den letzten 10 Jahren wurde die Molekulare Karyotypisierung n bis zur diagnostischen Anwendbarkeit entwickelt. Mit dem Einsatz dieser hochauflösenden Technik können nun Deletionen und Duplikationen genomweit mit einer Auflösung von weniger als 200 Kilobasenpaaren (kb) festgestellt werden. Die Auflösung liegt also um mehr als 100fach höher als bei der Chromosomenanalyse. Entsprechend steigt auch die Detektionsrate von konstitutionellen Aberrationen von etwa 5 % bei der konventionellen Chromosomenanalyse um weitere 15% mittels der Molekularen Karyotypisierung mit Mikroarrays. Der Anteil von DNA-Kopienzahlveränderungen kleiner als 500 kb an den klinisch relevanten Mutationen beträgt bei Patienten mit mentaler Retardierung bzw. Entwicklungsverzögerung und körperliche Auffälligkeiten etwa 20% 1. Die Häufigkeit und damit auch die Bedeutung des 1 Friedman et al., Am J Hum Genet, 2006, 79:500 513 22 Medizinische Genetik 1 2010 Leitlinien und Stellungnahmen Nachweises dieser sehr kleinen Veränderungen wird besonders durch mehrere neu beschriebene rekurrente Mikrodeletionsund Mikroduplikationssyndrome illustriert: beispielhaft sind hier das 17q21.31 Deletionssyndrom mit einer minimalen deletierten Region von 478kb (Häufigkeit bei Patienten mit mentaler Retardierung und körperlichen Auffälligkeiten: 0,3%), das 2p15-16.1 Deletionssyndrom mit einer minimalen deletierten Region von 200kb (Häufigkeit bei Patienten mit mentaler Retardierung und körperlichen Auffälligkeiten: 1,2%) 2 sowie das Xp11.22 Duplikationssyndrom mit einer minimalen kritischen Region von 400kb 3. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass das reelle genomweite Auflösungsvermögen der für die Diagnostik einzusetzenden Mikroarrays deshalb unter 200 kb liegen soll. Die Molekulare Karyotypisierung mittels Mikroarray-Analyse stellt insbesondere bei der Diagnostik von nicht bekannten Mikrodeletions- und Mikroduplikationssyndromen eine wirtschaftlich sinnvolle Untersuchungsmethode dar. Anstelle der Durchführung mehrerer Analysen von Kandidatengenen auf Grund von wiederholt negativen Testergebnissen erfolgt eine genomweite Analyse mit der gegenwärtig höchsten Aussicht auf ein positives Testergebnis. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.v. und der Berufsverband Deutscher Humangenetiker e.v. beantragen daher, die Molekulare Karyotypisierung als neue Leistung in den EBM und die GOÄ aufzunehmen. Im Folgenden werden dabei die Voraussetzungen zur Durchführung, die Güte der diagnostischen Aussage, der Nutzen für den Patienten, alternative diagnostische Methoden und die Kosten dargestellt. Indikationskriterien für die postnatale Molekulare Karyotypisierung mittels Mikroarray-Analyse 1. Mentale Retardierung bzw. Entwicklungsverzögerung und körperliche 2 Slavotinek AM Hum Genet 2008, 124:1 17 3 Froyen et al., 2008, Am J Hum Genet, 82: 432 443 Auffälligkeiten (eine größere Organfehlbildung oder drei kleine Fehlbildungen oder Anomalien) ungeklärter Ätiologie (erwartete Detektionsrate liegt über 15%, bei der Chromosomenanalyse etwa 3-5%) 2. Mentale Retardierung ungeklärter Ätiologie (erwartete Detektionsrate liegt bei 15%, bei Chromosomenanalyse etwa 3-5%) 3. Auffälliger Phänotyp mit scheinbar balancierten de novo Chromosomenaberrationen (erwartete Detektionsrate liegt bei 15%) oder unklaren Strukturaberrationen (z.b. Markerchromosomen) zur Identifizierung der involvierten genomischen Regionen 4. Körperliche Auffälligkeiten, die eine Chromosomenstörung als Ursache vermuten lassen. 5. Wird bei einem Patienten ein auffälliger Befund erhoben, kann es für die Validierung erforderlich sein, bei den Eltern eine Molekulare Karyotypisierung durchzuführen. Voraussetzungen für die Durchführung einer Molekularen Karyotypisierung nach den oben genannten Indikationskriterien sind 5 Die genetische Beratung des Patienten und seiner Eltern bzw. der ratsuchenden Personen durch einen Facharzt für Humangenetik 5 Die klinisch-genetische Untersuchung des Patienten durch einen Facharzt für Humangenetik 5 Die Indikationsstellung für die Molekulare Karyotypisierung sowie die Dokumentation zur Nachprüfbarkeit der Indikationsstellung durch einen Facharzt für Humangenetik 5 Die Einverständniserklärung der Eltern zur Analyse ihrer DNA und Chromosomen, falls möglich und nötig nach GenDG 5 Die Durchführung der Molekularen Karyotypisierung mittels Mikroarray- 4 Friedman et al. Clinical Genetics 2007, 72:271 287

Analyse sowie die Validierung, Verifizierung und genetische Interpretation der Ergebnisse durch einen Facharzt für Humangenetik / Fachhumangenetiker (GfH) 5 Die medizinische Interpretation der Analyseergebnisse in Bezug auf den Phänotyp durch einen Facharzt für Humangenetik Indikationskriterien für die pränatale Molekulare Karyotypisierung mittels Mikroarray-Analyse Eine Indikation für die pränatale Molekulare Karyotypisierung besteht nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht. Auch bei einem auffälligen Ultraschallbefund mit dem Verdacht auf eine Chromosomenimbalance ist eine sichere Aussage bisher nur für schon gut bekannte Mikrodeletions- und Mikroduplikationssyndrome möglich, nicht jedoch für genomweit erhobene Befunde ohne pathogenetischen Nachweis zwischen Kopienzahlveränderung und Phänotyp. Es ist zu erwarten, dass sich der Kenntnisstand dazu sehr schnell verbessern wird. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Molekulare Karyotypisierung zukünftig auch pränatal eingesetzt werden wird. Ein erster Schritt dazu ist die Verwendung eines Arrays, mit dem die klinisch verifizierten Mikrodeletionen und -duplikationen erkannt werden können (Targeted Array). Vorteilhaft hierfür ist, dass für die Molekulare Karyotypisierung eine Kultur der kindlichen Zellen nicht unbedingt erforderlich ist und damit Zeit gewonnen werden kann. Weiterhin kann die Auflösung im Vergleich zur konventionellen Chromosomendiagnostik um das bis zu 100fache erhöht werden. Abrechenbarkeit von zusätzlichen Untersuchungen 1. Parallel zur Molekularen Karyotypisierung ist die Abrechnung der Leistungsziffern zum Screening auf DNA-Imbalancen mittels Subtelomeranalyse ausgeschlossen. 2. Die Chromosomenanalyse desselben Patienten zur Feststellung von strukturellen Aberrationen ist in der Leistung nicht eingeschlossen. 3. Die molekulare und molekular-zytogenetische Verifizierung der Ergebnisse des Patienten ist in der Leistung nicht eingeschlossen. 4. Die Analysen zur Bewertung der Ergebnisse oder anderer Verfahren bei den Eltern des Indexpatienten sind in der Leis-

Leitlinien und Stellungnahmen tung nicht eingeschlossen, können aber durchaus erforderlich sein. Anforderungen an das Labor zur Durchführung der Molekularen Karyotypisierung und Interpretation der Ergebnisse 1. Teilnahme an qualitätssichernden Maßnahmen 2. Einsatz eines hochauflösenden gesamtgenomischen Arrays für die postnatale Analyse, dessen effektive Auflösung genomweit die Detektion von Imbalancen kleiner 200 kb erlaubt 3. Durchführung von mindestens 50 diagnostischen Molekularen Karyotypisierungen pro Jahr 4. Bewertung von Deletionen und Duplikationen als bekannte DNA-Kopienzahl-Varianten oder als bisher unbekannte DNA-Kopienzahl-Veränderung z.b. durch Nutzung der aktuellen Datenbanken und Literatur 5. Verifizierung der als klinisch relevant eingeschätzten Testergebnisse beim Indexpatienten mit unabhängigen Methoden muss sichergestellt sein 6. Abklärung auffälliger Ergebnisse beim Indexpatienten durch Untersuchung von Material der Eltern zur Überprüfung der Kausalität 7. Bei kausalen Kopienzahlveränderungen: Untersuchungen der Eltern zur Abklärung eines hohen Wiederholungsrisikos durch zugrunde liegende strukturelle Aberrationen wie z.b. Insertionstranslokationen 8. Erstellung einer humangenetischen Beurteilung Bewertung des klinischen Nutzens 5 Kann eine Diagnosesicherung anders als durch genetische Untersuchungen erfolgen? Nein 5 Wie ist die Belastung alternativer Diagnosemethoden für den Patienten zu bewerten? Alternative Diagnosemethoden stehen nicht zur Verfügung 5 Wie ist die Wirtschaftlichkeit alternativer Diagnosemethoden für den Kostenträger zu bewerten? Entfällt 5 Wird die Art der Behandlung des Krankheitsfalls durch die genetische Diagnostik beeinflusst? Therapie: Ja, aus dem zu erwartenden klinischen Wissenszuwachs bezüglich z. B. rekurrenter Mikrodeletions- und Duplikationssyndrome werden sich langfristig individuelle, diagnosebezogene Betreuungs- und Behandlungskonzepte ergeben, weiter s.u. Prognose: Ja, s.u. Management: Ja, s.u. Die Kenntnis des Genotyps erlaubt auf Grund von Genotyp-Phänotyp- Analysen eine Prognose über die mögliche Ausprägung von Symptomen in Bezug auf bestimmte Organe, Organsysteme und die geistige und körperliche Entwicklung. Darauf aufbauend sind frühzeitige diagnostische Maßnahmen und therapeutische Interventionen möglich, um das Ausmaß der Ausprägung zu begrenzen und die Entwicklung zu fördern. Gleichzeitig wird erreicht, dass zahlreiche unnötige und aufwändige Diagnostikmaßnahmen einschließlich stationärer Aufenthalte vermieden werden. 5 Ggf. weitere Konsequenzen aus der genetischen Diagnostik. Für die Eltern und die Ärzte ergibt sich Klarheit über die eventuelle Krankheitsursache. Es kommt zur Entlastung der Eltern von eigenen Schuldgefühlen. Ein informativer Test ist häufig eine notwendige Entscheidungsgrundlage für die Familienplanung und für eine gezielte pränatale Diagnostik bei weiteren Schwangerschaften. Bewertung der Wirtschaftlichkeit 5 3 % aller Menschen haben eine geistige Behinderung 5 5 Die bisher häufigste Diagnose bei Menschen mit geistiger Behinderung 5 oeleveld oeleveld Roeleveld et al., Dev Med Child C ild C ild eurol, eurol, Neurol, 1997, 39:125 32 sind numerische und grobstrukturelle Chromosomenstörungen, die mit konventioneller Karyotypisierung erkennbar sind 6. 5 Für zwei Drittel der Menschen mit geistiger Behinderung kann die Ursache ohne Einsatz jedoch nicht aufgeklärt werden. Diese Familien suchen zahlreiche Spezialisten auf, um die Ursache der Entwicklungsstörung heraus zu finden. Es werden Serien von diagnostischen Tests ohne Erfolg eingesetzt. Mit werden somit diagnostische Mehrfachuntersuchungen bei fehlender Diagnose vermieden. 5 Die Methodik erlaubt nach unauffälliger Chromosomenanalyse bei weiteren ca. 15% der Menschen mit Entwicklungsverzögerung die Aufklärung der Ursache. Dies entspricht einer Verdopplung der Detektionsrate gegenüber der konventionellen Chromosomenanalyse und einer Steigerung der ätiologischen Aufklärungsrate bei Menschen mit Entwicklungsstörungen um ca. 50%. 5 Die Methodik ersetzt vollständig die Screening- Analyse zur Detektion von DNA-Imbalancen der Subtelomere, jedoch nicht zur Feststellung von Strukturaberrationen. Ethische, rechtliche und soziale Implikationen Die Diagnostik mittels Molekularer Karyotypisierung kann Zufallsbefunde (Paternität, Konsanguinität, Prädisposition für Tumor- und andere Erkrankungen, heterozygoter Überträgerstatus für rezessive Erkrankungen) ergeben, die im Regelfall nicht mitgeteilt werden, wenn sich daraus keine therapeutischen Konsequenzen für den Patienten ergeben. Darüber werden die Ratsuchenden vor der Durchführung im Gespräch 6 Rauch, A et al., Am J Med Genet 2006, 140A:2063 74 24 Medizinische Genetik 1 2010

vom Facharzt für Humangenetik aufgeklärt und können sich für oder gegen die Mitteilung von Zufallsbefunden entscheiden. Die Inhalte der genetischen Beratung werden dokumentiert. Die Einverständniserklärung der Ratsuchenden und der Personen, für die die Analyse durchgeführt werden soll, wird eingeholt. Grenzen der Technologie Die Auflösung ist auf Grund technischer Gegebenheiten nicht über das ganze Genom homogen. Es ist möglich, dass in bestimmten Genomabschnitten der angegebene mittlere Wert der Auflösung nicht erreicht wird. Dadurch bedingt können Deletionen und Duplikationen in diesen Abschnitten nur festgestellt werden, wenn sie größer sind als der Abstand zwischen mehreren benachbarten Messpunkten. Strukturelle balancierte Chromosomenaberrationen und Polyploidien können mit bisher nicht erkannt werden. Zur Abklärung solcher Veränderungen sind die konventionelle Chromosomenanalyse und zum Teil weiterführende Untersuchungen erforderlich. Analytische Verifizierungsverfahren (Ermittlung der Testrichtigkeit) 5 qpcr-analyse, Quantitative Genotypisierung, MLPA oder FISH-Analyse auf Deletionen und Duplikationen beim Indexpatienten 5 qpcr-analyse, Quantitative Genotypisierung, MLPA oder FISH-Analyse auf Deletionen und Duplikationen bei den Eltern des Indexpatienten 5 Molekulare Karyotypisierung mittels Mikroarray-Analyse der Eltern Qualitätssicherung Die Qualitätssicherung erfolgt durch Ringversuche, die von einem unabhängigen Gremium durchgeführt werden. Mitglieder der GfH-Kommission für die Erstellung von Indikationskriterien zur Einführung mittels Mikroarrayanalysen in die humangenetische Diagnostik Sprecherin: Prof. Dr. med. Evelin Schröck, Dresden Mitglieder: Dr. rer. nat. Hartmut Engels, Bonn Prof. Dr. med. Anita Rauch, Zürich Prof. Dr. med. Olaf Rieß, Tübingen Prof. Dr. Hans Hilger Ropers, Berlin BVDH-Delegierte: Prof. Dr. Jürgen Kohlhase, Freiburg Dr. rer. nat. Holger Tönnies, Kiel Die Vorstände der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH e.v.) und des Berufsverbandes Deutscher Humangenetiker (BVDH e.v.) haben diese diskutiert und verabschiedet. Prof. Dr. André Reis (Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e.v.) Dr. Bernt Schulze (Präsident des Berufsverbandes Deutscher Humangenetiker e.v.) Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Evelin Schröck Institut für Klinische Genetik Technische Universität Dresden Fetscherstr. 74 01307 Dresden Tel 0049 (0)351-458 5136 Fax 0049 (0)351-458 6337 evelin.schrock@tu-dresden.de Medizinische Genetik 1 2010 25