Digitalisierung der Hochschullehre. Welche Rolle spielt das Inverted Classroom Model dabei?



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Transkript:

Jürgen Handke Digitalisierung der Hochschullehre. Welche Rolle spielt das Inverted Classroom Model dabei? Das zurzeit zentrale pädagogische Modell der modernen Universität wird zunehmend obsolet. Es entfremdet sich mehr und mehr von den Bedürfnissen der neuen Studentengeneration, die dabei ist, Teil des globalen Wissensmarktes zu werden. 1 1. Patient Hochschullehre Im Buch Patient Hochschullehre wurden die zentralen Probleme der Hochschullehre identifiziert. Neben allgemeinen Problemen wie der nicht systematischen Ausbildung zum Hochschullehrer sowie dem geringen Stellenwert der Lehre im Vergleich zur Forschung sind dies u.a.: 2 das Zielgruppenproblem (auch Adaptivität genannt), das Stundenplanproblem, Quantitäts- und Qualitätssicherung, fehlende Transparenz, schlechte Skalierbarkeit, fehlende Nachhaltigkeit der Lehrmaterialien, Raumprobleme. Zu diesen Problemen gesellen sich weitere Aspekte wie: 3 die veränderte Lebenssituation der Studenten im 21. Jahrhundert, der neue Stellenwert des lebenslangen Lernens/der Weiterbildung, allgemeine Aspekte des gesellschaftlichen Wandels. Mit einer weitreichenden Digitalisierung der Lehre so die Kernaussage des Buches und die zahlreicher bildungspolitischer Akteure lassen sich nicht nur viele der genannten Probleme der Hochschullehre lösen, sondern es kann auch eine dem Lebensalltag der Studierenden Rechnung tragende Lehr- und Lernqualität erreicht werden. 2. Digitalisierung Doch worum geht es bei der Digitalsierung der Lehre? In Handke 4 wurde klargestellt, dass es bei der Digitalisierung der Lehre nicht um die Übertragung flankierender Maßnahmen in digitale Formate geht, also nicht um das Prüfen, Listen führen, Anmelden etc., sondern einzig um die Organisation der Inhaltsvermittlung und Inhaltserschließung und um die zentralen Elemente der Lehre. Leider interpretieren das viele Hochschulen schlicht als die Übertragung traditioneller Bestandteile der Lehre in digitale Formate: Aus einem Foto wird ein digitales Foto, aus einem Text ein digitaler Text, aus einem Vorlesungsfilm ein digitales Video usw. Und statt eine Kreidetafel voll zu schreiben, nutzen wir nun ein interaktives Whiteboard als Schreibfläche. Zwar liegen die Vorteile dieser neuen Formate, z.b. die bessere Verfügbarkeit der neuen digitalen Materialien, auf der Hand, doch für den Lernprozess selbst macht es kaum einen Unterschied, ob wir traditionelle Lehr- und Lernmaterialien nutzen oder rund um die Uhr auf digitale Materialien zugreifen können. Der didaktische Mehrwert dieser Art von Digitalisierung ist nicht erkennbar. 8 Digitalisierung der Hochschullehre Handke

Digitalisierung macht nur dann Sinn, wenn wir uns nicht von den technologischen Möglichkeiten treiben lassen, sondern wenn wir neue Didaktiken entwickeln und dadurch technologische Entwicklungen einfordern. Die zentrale Forderung muss also lauten: Didactics MUST drive technology and not vice versa! (Die Didaktik muss die Technologie bestimmen und nicht umgekehrt). Solange wir bei unseren Digitalisierungsbemühungen aber den Technologen das Feld überlassen, werden digitale Szenarien kaum die eines Frameworks für Inhalte überschreiten, so wie einst das BMBF-Projekt Neue Medien in der Hochschullehre zu Beginn des Jahrtausends Plattformen für Inhalte, aber nicht die gewünschten Inhalte selbst hervorbrachte. 5 Der Fokus darf nicht länger auf dem technisch Machbaren liegen, sondern Ziel muss das didaktisch Wünschenswerte sein. Nicht die zentralen Support-Einrichtungen, wie z.b. sog. E-Learning-Zentren, Hochschulrechenzentren etc. 6 sollten das Heft der Digitalisierung in der Hand halten, sondern die Fachwissenschaften und ihr Personal. Nur so kann es gelingen, dass wir über Support-Strukturen hinauskommen und eine inhaltlich orientierte Digitalsierung unserer Lehre realisieren. Doch mit welchen Verfahren bzw. Digitalisierungsformaten können überhaupt inhaltliche Mehrwerte erzielt werden? 2.1 Digitalisierungsformate In Handke/Schäfer 7 hatten wir begründet, dass im Prinzip nur Videomaterialien und multimediale Elemente (bei denen Video oft ein integraler Bestandteil ist) für die Digitalisierung der zentralen Komponenten der Lehre in Frage kommen. Alle übrigen Elemente (Texte, Grafiken, Animationen, Simulationen und auch die Integration von Social-Media-Umgebungen) sind wichtige und nützliche Additive, im Zentrum allerdings stehen die Vermittlung und die digitale Umsetzung der Inhalte vor dem Hintergrund eines signifikanten inhaltlichen Mehrwertes im Vergleich zu klassischen Medien. Und diesen Mehrwert können nur multimediale Lernumgebungen sowie mit Abstrichen Videomaterialien bieten. Betrachtet man jedoch den Entwicklungsaufwand, scheiden im Normalfall auch multimediale Lernumgebungen aus. 8 Was bleibt, sind Videomaterialien. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Learning is not just Video, war eine der zentralen Aussagen unserer nordamerikanischen Partner im Rahmen der ersten Inverted Classroom Konferenz in Marburg 2012. Diese Aussage kannten offenbar die Entwickler von Massive Open Online Courses (MOOCs) nicht, die der Meinung waren, mit einigen wenigen Videos ganze Online-Kurse erstellen zu können. Bereits nach einer kurzen Phase der Euphorie mussten sie zugeben, ein ziemlich lausiges Produkt zu besitzen (Thrun, November 2013). 9 Es geht also nicht darum, die Lehre um jeden Preis mit Videomaterialien anzureichern oder gar zentrale inhaltliche Elemente einfach nur durch Videos zu ersetzen, sondern es steht die Frage im Zentrum, wie Videomaterialien gestaltet und sinnvoll in die Lehre integriert werden können und mit welchen zusätzlichen Verfahren effizient gelehrt und gelernt werden kann. Handke Digitalisierung der Hochschullehre 9

2.2 Parameter für die Klassifikation von Lehrvideos Folgende fachunabhängige Parameter können zur Klassifikation von Lehrvideos herangezogen werden: die Aufnahmemethode, die Inhaltsvermittlung, der Aufnahmeort, die Spieldauer, die Integration des Sprecherbildes. Von diesen Parametern für die Klassifikation von Lehrvideos werden zwei als zentrale Eckpfeiler vorgeschlagen: der Aufnahmeort (Setting) und die Spieldauer. Inhaltliche Aspekte oder die Unterscheidung in Kameraaufnahme und Screencasts sind weniger hilfreich, da Screencasts in den meisten Videos ohnehin zentraler Bestandteil und somit Teil nahezu aller Lehrvideos sind. Die Integration des Sprecherbildes schließlich ist ein wichtiger Aspekt bei der Erzeugung von Lehrvideos, dient allerdings nicht der Klassifikation von Lehrvideos, sondern beeinflusst Aspekte wie Inhalt und Nutzung und sollte stets im Einzelfall und fachspezifisch entschieden werden. Unter Bezugnahme auf diese Parameter ist eine weitreichende Digitalisierung primär mit Videos zu erreichen, die hauptsächlich im Office-Setting 10 hergestellt werden und je nach thematischer Anforderung im Micro- (bis zu sechs Minuten) oder Macro-Format (bis zu 20 Minuten) realisiert werden. Wie bereits erwähnt, sollte aber eines nie vergessen werden: Learning is not just Video, mit anderen Worten: Unabhängig von der Machart unserer Videos, die sicherlich einen entscheidenden Eckpfeiler unserer digitalisierten Lehre bilden, mit Videos allein geht es nicht! Wir benötigen zusätzliche digitale Elemente zur Inhaltserschließung bzw. zur Sicherstellung der Durchdringung der digitalen Inhalte. Die wichtigsten sind in diesem Zusammenhang: mit den Inhalten verknüpfte elektronische Tests, die vor, während oder auch nach der videogestützten Inhaltsvermittlung eingesetzt werden können 11, mit den digitalen Inhalten verknüpfte Leitfragen und Musterlösungen, zusätzliche soziale Netzwerke für Peerto-Peer Lösungen, die jedoch hauptsächlich bei Online-Kursen zum Tragen kommen. Mit diesen Komponenten lassen sich nun neue Lehrmodelle realisieren, von denen das des Inverted Classroom Model das vielversprechendste ist. 12 2.3 Das Inverted Classroom Mastery Model In seiner mittlerweile preisgekrönten Mastery Variante (Abb. 1) kommen die genannten digitalen Lehr- und Lernkomponenten wie folgt zum Einsatz: Phase I: Multimediale Lernumgebung mit verknüpften Lehrvideos, Leitfragen Mastery Learning durch formative E-Assessments Phase II: Interaktives Practical Sheet für die Präsenzübungsphase (sowie mit videobasierten Musterlösungen für Online-Studierende) Dass sich dieses Modell nicht nur als Reaktion auf den technologischen Fortschritt etabliert hat, sondern einen enormen inhaltlichen und didaktischen Mehrwert nach sich zieht, wird mittlerweile nicht mehr bestritten. 10 Digitalisierung der Hochschullehre Handke

Abb. 1: Das Inverted Classroom Mastery Model (ICMM 13 ) 2.3.1 Aktivitäten und Mastery-Level In Handke 14 wird erstmalig eine noch laufende Langzeitstudie vorgestellt, die über zwei Semester hinweg Lehramtsstudierende des Fachs Englisch an der Philipps-Universität Marburg in insgesamt drei Lehrveranstaltungen begleitet hat und dabei Aussagen über Präsenzbeteiligung, Online-Aktivitäten und den Mastery Level, also den Stand der Vorbereitung vor einer Präsenzphase, erhoben hat. Der erste Teil dieser Studie bezog sich auf das Einführungsmodul Introduction to Linguistics, das aus zwei vollständig invertierten Lehrveranstaltungen besteht. Im Oktober 2013 nahmen 223 Studierende die Lehrveranstaltung auf, 191 (86%) von ihnen konnten im Februar 2014 die abschließende E-Klausur bestehen. 15 Der Mastery-Level lag im Durchschnitt bei 69%, d.h. 69% der 223 Studierenden waren über das gesamte Semester hinweg für die Präsenzphase bestens vorbereitet. Tab. 1 zeigt die Entwicklung von Präsenzteilnahme, Online-Teilnahme und Mastery Level über das gesamte Semester hinweg. #n Prozent Präsenzteilnehmer 140 63 % Online-Teilnehmer 217 98 % Mastery Worksheets 154 69 % Tab.1: Teilnahme und Mastery Level im Modul Introduction to Linguistics (WS 2013/14) Handke Digitalisierung der Hochschullehre 11

Während der Lehrveranstaltungen wurden die Teilnehmer über Student-Response-Systeme mehrfach zu ihrem Studierverhalten befragt. Dabei waren zwei Fragen bzw. ihre Antworten besonders aufschlussreich: Frage 1: Einschätzung des eigenen Lernerfolges: Im Vergleich zu anderen Lehrformaten Option Antwort Gewählt von A lerne ich wesentlich mehr 28 % B lerne ich mehr 29 % C lerne ich genauso viel 36 % D lerne ich weniger 3 % E lerne ich wesentlich weniger 5 % Frage 2: Einschätzung des eigenen Arbeitsaufwandes: Im Vergleich zu anderen Lehrformaten Option Antwort Gewählt von A arbeite ich wesentlich mehr 22 % B arbeite ich mehr 37 % C arbeite ich genauso viel 15 % D arbeite ich weniger 19 % E arbeite ich wesentlich weniger 7 % Kurz zusammengefasst: Im Inverted Classroom Szenario der Variante ICMM lernen die Studierenden nach subjektiver Einschätzung mehr, müssen dafür aber auch eine höhere Arbeitslast in Kauf nehmen. Von diesen 191 Studierenden, die das Modul Introduction to Linguistics im Wintersemester 2013/14 bestehen konnten, setzten dann 184 im Sommersemester 2014 ihr Studium fort. Im Rahmen ihres Curriculums hatten sie nun als Teil eines Vertiefungsmoduls die Pflichtveranstaltung Morphology and Syntax zu absolvieren. Im Gegensatz zum Wintersemester konnten Sie Ihre eigenen Stundenplanzwänge einmal außer Acht lassend zwischen vier verschiedenen Gruppen, die aber inhaltlich gleichermaßen gestaltet waren, wählen. Dabei wurden drei Kleingruppen im traditionellen Lehrformat und eine Großgruppe im ICMM-Format, noch dazu zu einer studierendenunfreundlichen Zeit (Donnerstags von 8 bis 10 Uhr), angeboten. Tab. 2 zeigt nicht nur die studentischen Präferenzen, sondern auch die Abschlussnote im Modul Introduction to Linguistics im WS 2013/14. 16 Wahl Lehrformat #Studierende Durchschnittsnote (WS 13/14) Gruppe A, B oder C Traditionell 78 6.6 Gruppe D ICMM 106 9.2 Tab. 2: Abschlussnoten im WS 2013/14 Dabei fällt nicht nur auf, dass 58% aller Studierenden, also in etwa der Mastery-Level der vorangegangenen Lehrveranstaltung, das ICMM-Format gewählt hatten, sondern dass diese 58% auch einen erheblich besseren Notendurchschnitt in der Abschlussklausur des Wintersemesters 12 Digitalisierung der Hochschullehre Handke

aufzuweisen hatten. Diese Tendenz kann mehrere Ursachen haben: Möglicherweise waren die im Notendurchschnitt schlechteren Studierenden mit den ICMM im WS 2013/14 nicht so gut zurechtgekommen und erhofften sich nun eine bessere Note in einem traditionellen Lehr-/Lernszenario. Im Umkehrschluss kann man aber auch mutmaßen, dass das ICMM die etwas leistungsstärkeren Studierenden begünstigt. Die Ergebnisse der im ICMM-Format durchgeführten Lehrveranstaltung Morphology and Syntax, an der letztendlich 92 Studierende teilnahmen, bestätigen diese Vermutung (Tab. 3). #n Prozent Präsenzteilnehmer 58 63 % Online-Teilnehmer 92 100 % Mastery Worksheets 60 66 % Tab.3: Teilnahme und Mastery Level in Morphology and Syntax (SS 14) Denn sowohl Mastery Level als auch Online- und Präsenzteilnahme lagen in etwa auf dem gleichen Niveau wie ein Semester zuvor. Und die Durchschnittsnote von 9.4 in der abschließenden sehr anspruchsvollen E-Klausur, die alle 92 Teilnehmer bestanden hatten, bestätigte deren hohes Leistungsniveau. 2.3.2 Behaltensleistungen Im Wintersemester 2014/15 wurden die Studierenden der vier Gruppen in ihrem dritten Fachsemester in der zweiten Pflichtlehrveranstaltung des Aufbaumoduls History of English, die nun wieder in einer Großgruppe nach dem ICMM-Format angeboten wurde, zusammengeführt. Dadurch ergab sich die einmalige Chance, das Wissen der nun noch 179 Teilnehmer mit einem eigens dafür erstellten diagnostischen Wissenstest vor Beginn der Lehrveranstaltung zu überprüfen. Dieser freiwillige Test zum Thema Morphology and Syntax wurde als ortsunabhängige E-Klausur ohne Vorbereitung angeboten und enthielt nicht nur reine Wissensfragen, sondern auch Transferfragen, in denen das morphologisch/syntaktische Grundwissen auf linguistische Strukturen angewendet werden musste. Als Anreiz, diesen Test auch zu absolvieren, wurde den Studierenden die Möglichkeit eingeräumt, durch ein gutes Testergebnis auf eine weitere Studienleistung im Kurs History of English verzichten zu können. Tab. 4 zeigt die Ergebnisse dieses freiwilligen diagnostischen Tests, den insgesamt 155 der 179 Teilnehmer des Kurses absolvierten. Wahl Lehrformat #Teilnehmer Bestanden Bestnote Testergebnis Gruppe A, B oder C Traditionell 73 18 9 2.1 GruppeD ICMM 82 63 12 6.6 Tab. 4: Teilnahme und Ergebnisse des diagnostischen Wissenstests im WS 14/15 Da der zugegebenermaßen sehr schwierige Test vier Monate nach Ende des Sommersemesters durchgeführt wurde, spiegelt das Ergebnis die Langzeit-Behaltensleistung wider. Unabhängig von weiteren Variablen wie Präsenzteilnahme, Durchführung von Studienleistungen etc. lässt sich ein deutlicher Notenunterschied festmachen: Die ICMM-Gruppe liegt nicht nur im Durschnitt mehr als Handke Digitalisierung der Hochschullehre 13

vier Notenpunkte vor der traditionellen Gruppe, sondern sie hat auch die besseren Top-Ergebnisse und weniger Durchfaller auszuweisen. 17 Auch wenn die Studie noch nicht beendet ist und somit noch nicht bis ins letzte Detail ausgewertet werden kann, lässt sich doch jetzt schon eines auch ohne statistische Absicherung konstatieren: Das Inverted Classroom Mastery Model scheint nicht nur die leistungsstärkeren Studierenden zu begünstigen, sondern es führt bei aller Vorsicht und in Anbetracht der noch zu berücksichtigenden Parameter offenbar auch zu besseren Lernergebnissen. Ein Notenunterschied von 4 Punkten auf der 15er-Skala sollte aussagekräftig genug sein. 3. Zusammenfassung Dass die Digitalisierung der Hochschullehre unausweichlich ist, wird kaum mehr ernsthaft bestritten. Allerdings sollte es keine Digitalisierung um jeden Preis sein, das Scheitern vieler MOOCs sollte uns stets Warnung genug sein. Nimmt man jedoch die zentralen Thesen Didactics must drive Technology! und Learning is not just Videos! ernst und stellt zusätzlich stets den didaktischen und inhaltlichen Mehrwert digitaler Lehr- und Lernmaterialien ins Zentrum der Digitalisierungsbemühungen, wird eine weitreichende Digitalsierung der Lehre von Erfolg gekrönt sein. Das Inverted Classroom Model in seiner Mastery -Variante und seinen zahlreichen flankierenden Elementen hat sich in diesem Zusammenhang als Best-Practice-Model erwiesen. Anmerkungen 1 Tapscott, Don; Williams, Anthony D. (2010): Innovating the 21st Century University: It s time. In: Educause Band 45, Nummer 1, Louisville, Washington: [o.v.]. 2 Handke, Jürgen (2014a): Patient Hochschullehre. Vorschläge für eine zeitgemäße Lehre im 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum Verlag, S. 66. 3 Vgl. Dräger, Jörg; Ziegele, Frank (Hg.) (2014): Hochschulbildung wird zum Normalfall-Ein gesellschaftlicher Wandel und seine Folgen. CHE Centrum für Hochschulentwicklung ggmbh. Gütersloh: [o.v.], S.13. 4 Handke, Jürgen (2014a): Patient Hochschullehre. Vorschläge für eine zeitgemäße Lehre im 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum Verlag, S. 61. 5 Vgl. Handke, Jürgen; Schäfer, Anna Maria (2012): E-Learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre. Eine Anleitung. München:OldenbourgVerlag, S. 3ff. 6 Vgl. Handke, Jürgen (2014a): Patient Hochschullehre. Vorschläge für eine zeitgemäße Lehre im 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum Verlag, S. 75. 7 Vgl. Handke, Jürgen; Schäfer, Anna Maria (2012): E-Learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre. Eine Anleitung. München: OldenbourgVerlag, S 83ff. 8 Kleimann, Bernd. 2007. elearning 2.0 an deutschen Hochschulen. In: Merkt, Marianne (u.a.) (Hg.): Studieren neu erfinden Hochschule neu denken. GMW: Band 44. Münster: Waxmann Verlag, S. 152. 9 Originalzitat: We <the MOOC producers> were on the front pages of newspapers and magazines, and at the same time, I was realizing, we don t educate people as others wished, or as I wished. We have a lousy product. (Chafkin, Max (2013): Udacity s Sebastian Thrun, Godfather Of Free Online Education, Changes Course.) 10 Vgl. Guo, Philip; Kim, Juho; Rubin, Rob (2014): How Video Production Affects Student Engagement: An Empirical Study of MOOC Videos. 11 Vgl. Handke, Jürgen; Schäfer, Anna Maria (2012): E-Learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre. Eine Anleitung. München: Oldenbourg Verlag, S. 150ff. 14 Digitalisierung der Hochschullehre Handke

12 Schäfer, Anna Maria (2012): Das Inverted Classroom Model. In: Jürgen Handke; Alexander Sperl (Hg.): Das Inverted Classroom Model. Konferenzband zur 1. ICM Fachtagung in Marburg 2012. München: Oldenbourg Verlag. 13 Handke, Jürgen (2013): Beyond a Simple ICM. In: Jürgen Handke; Natalie Kiesler; Leonie Wiemeyer (Hg.): The Inverted Classroom Model. Konferenzband zur 2. ICM Fachtagung in Marburg 2013. Mün-chen: Oldenbourg Verlag, S. 17. 14 Handke, Jürgen. 2014b. The Inverted Classroom Mastery Model A Diary Study. In: Großkurth, Eva; Handke, Jürgen (Hg.): The Inverted Classroom Model, Vol III. Berlin: Walter de Gruyter. 15 Zum Aufbau solcher E-Klausuren siehe Handke, Jürgen; Schäfer, Anna Maria (2012): E-Learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre. Eine Anleitung. München: Oldenbourg Verlag, S. 200ff. 16 Die Notenskala reicht von 0 = ungenügend bis 15 = herausragend; weniger als 5 Notenpunkte = nicht bestanden. 17 Die genaue Interpretation der Ergebnisse erfolgt in einer weiteren Publikation. Bibliographie Chafkin, Max (2013): Udacity s Sebastian Thrun, Godfather Of Free Online Education, Changes Course. http://www.fastcompany.com [16.11.2014] Dräger, Jörg; Ziegele, Frank (Hg.) (2014): Hochschulbildung wird zum Normalfall Ein gesellschaftlicher Wandel und seine Folgen. CHE Centrum für Hochschulentwicklung GmbH. Gütersloh: [o.v.]. Guo, Philip; Kim, Juho; Rubin, Rob (2014): How Video Production Affects Student Engagement: An Empirical Study of MOOC Videos. http://pgbovine.net/publications/edx-mooc-videoproduction-and-engagement_las-2014.pdf [16.11.2014] Handke, Jürgen; Schäfer, Anna Maria (2012): E-Learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre. Eine Anleitung. München: Oldenbourg Verlag. Handke, Jürgen (2013): Beyond a Simple ICM. In: Jürgen Handke; Natalie Kiesler; Leonie Wiemeyer (Hg.): The Inverted Classroom Model. Konferenzband zur 2. ICM Fachtagung in Marburg 2013. München: Oldenbourg Verlag, S. 15-20. Handke, Jürgen (2014a): Patient Hochschullehre. Vorschläge für eine zeitgemäße Lehre im 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum Verlag. Handke, Jürgen. 2014b. The Inverted Classroom Mastery Model A Diary Study. In: Großkurth, Eva; Handke, Jürgen (Hg.): The Inverted Classroom Model, Vol III. Berlin: Walter de Gruyter, S. 15-34. Kleimann, Bernd. 2007. elearning 2.0 an deutschen Hochschulen. In: Merkt, Marianne (u.a.) (Hg.): Studieren neu erfinden Hochschule neu denken. GMW: Band 44. Münster: Waxmann Verlag, S. 151-158. Schäfer, Anna Maria (2012): Das Inverted Classroom Model. In: Jürgen Handke; Alexander Sperl (Hg.): Das Inverted Classroom Model. Konferenzband zur 1. ICM Fachtagung in Marburg 2012. München: Oldenbourg Verlag,S. 3-12. Tapscott, Don; Williams, Anthony D. (2010): Innovating the 21st Century University: It s time. In: Educause Band 45, Nummer 1, Louisville, Washington: [o.v.].https://net.educause.edu/ir/library/ pdf/erm1010.pdf [16.11.2014] Alle Grafiken und Tabellen: Jürgen Handke. Handke Digitalisierung der Hochschullehre 15