Prosuming als Motor von Innovationen im Feld der Nachhaltigkeit. Theoretische Konzepte und empirische Befunde



Ähnliche Dokumente
Varieties of Prosuming - konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde

Menschen und Natur verbinden

Prosuming 2.0. Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink. IÖW/VÖW-Jahrestagung Berlin, 08./09. März 2012

Kulturelle Evolution 12

Staatssekretär Dr. Günther Horzetzky

agitat Werkzeuge kann man brauchen und missbrauchen - vom Einsatz von NLP in der Führung

Psychologie im Arbeitsschutz

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

AGROPLUS Buchhaltung. Daten-Server und Sicherheitskopie. Version vom b

Qualität und Verlässlichkeit Das verstehen die Deutschen unter Geschäftsmoral!

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Bürgerhilfe Florstadt

Glaube an die Existenz von Regeln für Vergleiche und Kenntnis der Regeln

Ist Fernsehen schädlich für die eigene Meinung oder fördert es unabhängig zu denken?

Industrie 4.0 Entwicklung und Stand der Diskussion

Würfelt man dabei je genau 10 - mal eine 1, 2, 3, 4, 5 und 6, so beträgt die Anzahl. der verschiedenen Reihenfolgen, in denen man dies tun kann, 60!.

BÜRGERBETEILIGUNG ALS ZENTRALER ERFOLGSFAKTOR

Gut vernetzt mit pflege.net der Homepage des Netzwerks

Situa?onsbeschreibung aus Sicht einer Gemeinde

Bernadette Büsgen HR-Consulting

»d!conomy«die nächste Stufe der Digitalisierung

Anleitung über den Umgang mit Schildern

Allensbach: Das Elterngeld im Urteil der jungen Eltern

aáé=^êäéáíëïéäí=îçå=ãçêöéå qáééëi=qêéåçë=ìåç=qéåçéåòéå

RUNDE TISCHE /World Cafe. Themen

Aspekte zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit von. Sportboothäfen im Zeichen des demografischen Wandels

Herausforderungen 2013 der Marketingentscheider in B2B Unternehmen

Personalentwicklung im Berliner Mittelstand. Darstellung der Studienergebnisse Berlin,

Wir machen neue Politik für Baden-Württemberg

Repräsentative Umfrage zur Beratungsqualität im deutschen Einzelhandel (Auszug)

Neue Medien in der Erwachsenenbildung

Warum Prozessschutz Was heißt das? Definitionen Ziele Begründungen. von. Dr. Georg Verbücheln

Was sind Jahres- und Zielvereinbarungsgespräche?

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

Selbsttest Prozessmanagement

Mobile Intranet in Unternehmen

Statuten in leichter Sprache

Tipps für die praktische Durchführung von Referaten Prof. Dr. Ellen Aschermann

Die Wirtschaftskrise aus Sicht der Kinder

Pädagogik. Melanie Schewtschenko. Eingewöhnung und Übergang in die Kinderkrippe. Warum ist die Beteiligung der Eltern so wichtig?

100 Mikrokredite und Abschluss der Pilotphase. Ruedi Winkler, Präsident Verein GO! Ziel selbstständig

Vertriebspartner. Wer hat sie nicht gerne.

Strom in unserem Alltag

Neue Arbeitswelten Bürokultur der Zukunft

Hinweise in Leichter Sprache zum Vertrag über das Betreute Wohnen

Dritte Generation Ostdeutschland Perspektiven zu Arbeit und Leben Zukunft Heimat Traumpalast Mittelherwigsdorf am 28.

Leitartikel Weltnachrichten 2 / 2016

Sei dabei und schau nicht nur zu! -Freiwillige an die Schulen

Ihre Fragen unsere Antworten rund um die Fusion der Sparkassen Wesel und Dinslaken-Voerde-Hünxe. Mehrwert der Fusion. Das Wichtigste vorab:

Arbeitshilfe "Tipps für Gespräche mit Vorgesetzten und KollegInnen" Was gilt für mich?

Um Ihre Ziele durchzusetzen! Um Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen! Um in Begegnungen mit anderen Ihre Selbstachtung zu wahren!

Betriebliche Gestaltungsfelder

IT-SICHERHEIT IM UNTERNEHMEN Mehr Sicherheit für Ihre Entscheidung

Die Wertschöpfung bleibt in der Region

Einladung. Mittwoch, 18. März 2015, Uhr Competence Center RHEINTAL Millennium Park 4, Lustenau. Industrie 4.0

mehrmals mehrmals mehrmals alle seltener nie mindestens **) in der im Monat im Jahr 1 bis 2 alle 1 bis 2 Woche Jahre Jahre % % % % % % %

Die richtigen Partner finden, Ressourcen finden und zusammenführen

Perspektive Großkonzern - Organisationen im Umbruch -

Erfolg beginnt im Kopf

Microsoft (Dynamics) CRM 2020: Wie verändern sich Markt, Eco-System und Anwendungsszenarien nach Cloud & Co?

Eva Douma: Die Vorteile und Nachteile der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit

Und der Schluß vom Beschluß: Beschlossen und verkündet hört sich an wie aus einer Gerichtsserie. Was soll das alles?

Auftrag zum Fondswechsel

Alte Hasen oder altes Eisen? Biografische Aspekte für ein erfolgreiches Älterwerden in diskontinuierlicher Beschäftigung

FORSCHUNGSTELEGRAMM November 2015 (Nr. 12/15)

Gutes Leben was ist das?

Informationsblatt Induktionsbeweis

Management Summary. Was macht Führung zukunftsfähig? Stuttgart, den 21. April 2016

Machtmissbrauch. am Arbeitsplatz

Die wichtigsten Werkzeuge, um UNTERNEHMENSKULTUR BEWUSST zu gestalten.

Senioren ans Netz. schreiben kurze Texte. Lektion 9 in Themen aktuell 2, nach Übung 7

Deutschland-Check Nr. 35

Insiderwissen Hintergrund

OECD Programme for International Student Assessment PISA Lösungen der Beispielaufgaben aus dem Mathematiktest. Deutschland

Manuel Schmalz. Abteilungsleiter Vertragsmanagement. Düsseldorf,

Motivieren und beeinflussen. Steeep Workshop September 2015 Martin Musil matrix Partnerschaft für Training Coaching Mediation

Projektmanagement in der Spieleentwicklung

Branchenkultur Assekuranz: Der unsichtbare Motor des Erfolges?

Der echte Erfolg am Telefon

Seit über. Jahren WIR SIND KARTZFEHN. Leitlinien zur Führung und Zusammenarbeit

Konzeption & Umsetzung eines länderübergreifenden IKZM - Prozesses

Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.v. Fünf-Punkte-Plan Lebenslanges Lernen Eine Initiative der Fachgruppe Aus- und Weiterbildung

Mit dem Tool Stundenverwaltung von Hanno Kniebel erhalten Sie die Möglichkeit zur effizienten Verwaltung von Montagezeiten Ihrer Mitarbeiter.

Welches Übersetzungsbüro passt zu mir?

B: bei mir war es ja die X, die hat schon lange probiert mich dahin zu kriegen, aber es hat eine Weile gedauert.

Prognose Prophezeiung Vision

Elternzeit Was ist das?

Erstellung des integrierten kommunalen Klimaschutzkonzeptes. für die Samtgemeinde Sottrum

Bewertung des Blattes

Also heißt es einmal mehr, immer eine eigene Meinungen bilden, nicht beeinflussen lassen, niemals von anderen irgend eine Meinung aufdrängen lassen.

Trainingsplan 16-wöchiger Trainingsplan für einen Triathlon (Volkstriathlon), Einsteiger

SWOT Analyse zur Unterstützung des Projektmonitorings

Länger gesund und selbstständig im Alter aber wie?

Stand 15. Oktober Fragen und Antworten

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Volksbank BraWo Führungsgrundsätze

Grundlagen der Theoretischen Informatik, SoSe 2008

Transkript:

Prosuming als Motor von Innovationen im Feld der Nachhaltigkeit. Theoretische Konzepte und empirische Befunde Birgit Blättel-Mink Loccum, 03. Juli 2015 Goethe-Universität Frankfurt Fachbereich Gesellschaftswissenschaften Institut für Soziologie

Struktur des Vortrags 1. Prosuming Innovation Nachhaltigkeit: Vorbemerkungen 2. Variationen von Prosuming 3. Prosuming und Energieversorgung 4. Nutzergetriebene Energiegenossenschaften als soziale Innovation 5. Diffusion von Innovation 6. Schluss

Vorbemerkungen Wenn Menschen an Entscheidungsfindungsprozessen beteiligt werden, sind sie eher bereit, die Entscheidung sowie deren (auch nicht intendierte) Folgen mitzutragen! Dies gilt für die Industrie z.b. Innovationen im Produktionsprozess Dies gilt für die Politik z.b. Stadtplanung, Energieversorgung Dies gilt im Feld der Nachhaltigkeit z.b. Müllentsorgung 3

Vorbemerkungen Unternehmen setzen im Zusammenhang mit Innovationsprozessen zunehmend auf sogenannte lead user und deren Lösungskreativität. Idealerweise sind lead user Meinungsmacher in einem spezifischen Feld, d.h. ihr Handeln wird von einer definierten Gruppe an Personen nachgeahmt z.b. VIPs, Vorgesetzte (sie verfügen über soziales und symbolisches Kapital) Beispiel: Solarpanels / Energieeinspeisungsgesetz 4

Vorbemerkungen Generell öffnen Unternehmen ihre Türen im Zusammenhang mit Innovationen gegenüber Konsument/innen und Nutzer/innen um neben Bedürfnisinformationen (Marktforschung) auch Lösungsinformationen zu erhalten. z.b. Spielehersteller z.b. Energieversorgungsunternehmen z.b. Mobilitätsanbieter 5

Vorbemerkungen Immer häufiger werden Konsument/innen und Nutzer/innen selbst zu Innovator/innen siehe dezentrale Energieversorgung siehe Solidarische Landwirtschaft siehe Kleidertauschringe - Soziale Innovationen 6

Globale Herausforderungen Wirtschafts- und Finanzkrise Ökologische Krise Gerechtigkeitskrise Krise der Reproduktionsarbeit Vielfachkrise (vgl. Demirovic und Maihofer)

Nationale und regionale Herausforderungen Demographischer Wandel (Fertilitätsraten, Lebensdauer, Wanderungsbewegungen) Strukturwandel des ländlichen Raumes Urbanisierungsprozesse Kulturelle Vielfalt

Fragestellung In welcher Weise stellt die neue Rolle von Konsument/innen der aktive Kunde / Prosuming - eine partizipative Brücke zu nachhaltigem Konsum dar? 9

Der aktive Kunde / die aktive Kundin Der aktive Kunde als Akteur gesellschaftlichen Wandels Der aktive Kunde als emanzipierte Produktivkraft (Gartner/Riessman 1978) Der aktive Kunde als Eigenarbeiter (Gershuny 1981) Der aktive Kunde als Prosument (Toffler 1980) Der aktive Kunde als Konsumarbeiter (Joerges 1981) Der aktive Kunde als unbezahlte Arbeitskraft im Prozess der McDonaldisierung (Ritzer 1995) 10

Der aktive Kunde / die aktive Kundin als Prosument Alvin W. Toffler 1980 Die Entkopplung von Produktion und Konsumtion konstitutiv für die Industriegesellschaft wird in der Dienstleistungsgesellschaft zurück genommen. D.h. der Konsument / die Konsumentin beteiligt sich am Produktionsprozess (z.b. Selbstbedienung), oder wird selbst zum Produzenten / zur Produzentin (z.b. Do It Yourself). Die Produktion zum Eigenverbrauch wird nicht mehr nur reines Freizeitvergnügen sein und wahrscheinlich größere ökonomische Bedeutung erlangen. Und da sie unsere Energie und Zeit immer mehr beanspruchen wird, prägt auch sie allmählich unser Leben und den sozialen Charakter. (Toffler 1980: 386) Nicht mehr Besitz, sondern die Tätigkeit der Menschen wird in der Prosumentenethik einen hohen Stellenwert haben. (ebd.) 11

Varieties of Prosuming (Hanekop/Tasch/Wittke 2001) 12

Varieties of Prosuming 13 Der arbeitende Kunde/ die arbeitende Kundin (Voß/Rieder 2005) 1. Tätigkeit: der Kunde als explizite Arbeitskraft Gezielt betrieblich eingesetzt für produzierende Aufgaben Erwartung entsprechender Leistungen, Qualifikationen und Loyalitäten 2. Ökonomie: der Kunde als systematische Wertquelle Systematisches Element der betrieblichen Wertschöpfungskette Zwang zur Erwirtschaftung von Profit und zu ökonomischem Verhalten 3. Alltagsorganisation: der Kunde als informeller Mitarbeiter Teil der Betriebsorganisation, aktive Selbstintegration in den Ablauf Veränderung der gesamten Lebensführung

Varieties of Prosuming Die interaktive Wertschöpfung (Reichwald/Piller 2006) Interaktive Wertschöpfung findet statt, wenn ein Unternehmen (oder eine andere Institution) eine Aufgabe, die bislang intern durch die Mitarbeiter bearbeitet wurde, an ein undefiniertes, großes Netzwerk von Kunden und Nutzern in Form eines offenen Aufrufs zur Mitwirkung vergibt. (Piller/Reichwald/Ihl 2007) Interaktive Wertschöpfung ergänzt die beiden klassischen Koordinationsformen (Hierarchie und Markt) durch einen dritten Weg: die Selbstselektion und Selbstorganisation von Aufgaben durch (hoch) spezialisierte Akteure, deren Motivation vor allem die (eigene) Nutzung der kooperativ geschaffenen Leistungen ist... (Piller/Reichwald/Ihl 2007) 14

Varieties of Prosuming Crowdsourcing (Howe 2006) Wortneuschöpfung aus Crowd und Outsourcing Crowdsourcing is the act of taking a job traditionally performed by a designated agent (usually an employee) and outsourcing it to an undefined, generally large group of people in the form of an open call. (Howe 2007) Von Crowdsourcing im hier verstandenen Sinne ist dann zu sprechen, wenn Unternehmen zur Herstellung oder Nutzung eines Produktes bis dahin intern erledigte Aufgaben in Form eines offenen Aufrufes über das Internet auslagern. (Kleemann/Voß/Rieder 2008) 15

Varieties of Prosuming Lead User (Eric von Hippel 1986) Gewöhnliche Nutzer/innen eines Produktes (oder Service oder Prozess) sind an eine Art der Nutzung des Produktes gewöhnt und haben wenig bis keine Vorstellungskraft für Anwendungsmöglichkeiten oder zusätzliche Features außerhalb ihres Erfahrungsschatzes. Sie sind wenig innovativ. Lead User sind Nutzer/innen eines (neuen) Produktes (oder Dienstleistung oder Prozesses), die aktuell Bedürfnisse haben, die zukünftig weit verbreitet sein werden, die unzufrieden mit dem aktuellen Angebot sind und die einen besonders großen subjektiven Nutzen (Interesse) davon haben, dass ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Wichtig: Auch Non-Lead-Usern kommt eine zentrale Rolle im Innovationsprozess zu! 16 Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink

Varieties of Prosuming User innovation User communities Von Hippel et al. stellen die provokante These auf, dass sich der Innovationsprozess langfristig vom Unternehmen lösen werde: We conclude that innovation by individual users and also open collaborative innovation increasingly compete with and may displace producer innovation in many parts of the economy (Baldwin/von Hippel 2009: 1). So prognostiziert er aufgrund der aktiven Einbeziehung der Nutzer/innen nicht nur eine Demokratisierung des Innovationsprozesses, sondern auch positive Auswirkungen auf das Gemeinwohl, da der bewusste Verzicht auf soziale Exklusion und Monopolisierung praktiziert werde und dies für alle Beteiligten Wohlfahrtsgewinne bedeute. 17

Neue (nachhaltige) Rollen für Konsument/innen Co-Innovator/innen z.b. lead user integration Prosumer / user communities z.b. Energiegenossenschaften neuen Typs Mitglieder produzieren nicht nur gemeinschaftlich Energie, sondern nutzen sie auch gemeinschaftlich als Verbraucher/innen Das entspricht einer sozialen Innovation!

(Neue) nachhaltige Rollen für Konsument/innen Energieversorgung Der klassische Kunde - Strom aus der Steckdose Der arbeitende Kunde Smart Metering Der Kunde als Co-Innovator/ Lead user Passivhaus / Living Labs Transition Towns Kund/innen als Erzeuger von Energie Prosuming I user integration - Energieeinspeisungsgesetz user communities dezentrale Energieerzeugung in Genossenschaften Soziale Innovation: Kund/innen als Erzeuger und Nutzer von (nachhaltiger) Energie Prosuming II

Begriffsverständnis soziale Innovationen "Soziale Innovationen sind neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken und die deshalb wert sind nachgeahmt und institutionalisiert zu werden." (Zapf 1989: 177; ähnliche Definitionen finden sich bei Gillwald 2000: 7, Mulgan et al. 2007:9 und Moulaert et al. 2005: 1976).

Begriffsverständnis soziale Innovationen Eine soziale Innovation ist eine von bestimmten Akteuren bzw. Akteurskonstellationen ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukonfiguration sozialer Praktiken in bestimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten, mit dem Ziel, Probleme oder Bedürfnisse besser zu lösen bzw. zu befriedigen, als dies auf der Grundlage etablierter Praktiken möglich ist. (Howaldt/Schwarz 2010: 89) Es handelt sich dann und insoweit um eine soziale Innovation, wenn sie marktvermittelt oder non- bzw. without-profit sozial akzeptiert wird und breit in die Gesellschaft bzw. bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche diffundiert, dabei kontextabhängig transformiert und schließlich als neue soziale Praxis institutionalisiert bzw. zur Routine wird. (Howaldt/Schwarz 2010: 89/90)

Theoretisches Modell von Rammert (2010): Die Innovationen der Gesellschaft Relationen zeitliche Dimension: die Relation zwischen Alt und Neu sachliche Dimension: die Relation zwischen gleichartig und neuartig soziale Dimension: die Relation zwischen Normal und Abweichend Das Neue als das in der Gesellschaft zunächst Anormale wird zu einer Innovation, wenn es von immer mehr sozialen Akteuren oder einer relevanten sozialen Gruppe als neue Normalität mit anderen Regeln angeboten, bekämpft oder anerkannt wird, die sich zeitlich als zukunftsweisend und richtungsverändernd, sachlich als folgenreich andersartig und überlegen und sozial als bessere Problemlösung oder als Fortschritt in einer bestimmten Hinsicht erweist und so als wertvoll erfahren werden kann (Rammert 2010: 34)

Motivation - Exodus? Innerhalb kapitalistischer Gesellschaften etablieren sich nicht-kapitalistische Lebensformen, deren Träger/innen sich aufgrund ähnlich gelagerter Kritiken und Motivlagen zusammenschließen und strategisch das Ziel verfolgen, für sich und ihr Kollektiv eine Veränderung herbeizuführen. Anthropologischer Exodus (Hardt und Negri 2002, S. 227): Lebensformen, die derartig strukturiert sind, dass sie mit der hegemonialen Lebensform nicht überein zu bringen sind. Diese Annahme impliziert, dass in gegenwärtigen westlichen, kapitalistischen Industriegesellschaften Praktiken 'des Anderen' bereits vorhanden sind und gelebt werden. Mit dem Begriff des Exodus wird eine Bewegung der Flucht, eines Ab- und Auszugs bezeichnet, welcher intentional vollzogen wird und der tiefgreifende Auswirkungen sowohl für das Kollektiv der Fliehenden als auch für die Gesellschaft hat, aus der sie ausbrechen (Loick 2014, S. 61).

Diffusion von (technischer) Innovation Everett M. Rogers (1962) Ausbreitung einer Innovation in einem sozialen System unter Berücksichtigung der sozialen Interaktionen zwischen Individuen. Rogers geht davon aus, dass Innovationen eher diffundieren, wenn sie einen großen relativen Vorteil gegenüber anderen Produkten haben, sie kompatibel mit bestehenden Werten, Erfahrungen aus der Vergangenheit und Bedürfnissen sind, man sie vor dem Kauf ausprobieren kann, die Effekte der Innovation auch für andere sichtbar und ihr Funktionsprinzip und ihr Gebrauch einfach sind.

Diffusion von (technischer) Innovation Die Diffusion stellt nach Rogers eine Marktreaktionsfunktion mit einer unabhängigen Variable, der Zeit, dar. Ihr liegt die Differenzierung einer Population nach dem Grad bzw. der Schnelligkeit der Übernahme bzw. Durchsetzung von subjektiv wahrgenommenen Neuheiten (Produkte, Verfahren, Informationen, Ideen etc.) zugrunde. Als klassisches Erfolgskriterium einer Innovation gilt die Zahl der Anwender/innen pro Zeiteinheit (adoption rate). Rogers unterscheidet folgende Akteure im Innovationsprozess: Innovatoren frühe Adoptoren (early adopters) frühe Mehrheit (early majority) späte Mehrheit (late majority) Nachzügler (laggards)

Diffusion von (sozialer) Innovation Gabriel Tarde (2009), der sich Ende des 19. Jahrhunderts aus soziologischer Sicht mit dem Thema Diffusion von Innovationen beschäftigt hat (vgl. hierzu sehr aktuell Howaldt/Kopp/Schwarz 2014), analysiert Prozesse der Nachahmung (Imitation) als konstitutive Bedingung für gesellschaftlichen Wandel bzw. Entwicklung. Zu den Faktoren, welche die Imitation von Neuerungen beeinflussen, gehören die Kompatibilität mit den bestehenden Strukturen, Normen und Werten und die imitativen Fähigkeiten der treibenden Kräfte der Imitation. Dabei können Imitationen sowohl im Sinne einer schöpferischen Zerstörung wirken als auch im Sinne des friedlichen Nebeneinander von Neuerungen.

Schluss Was bedeutet dies für die soziale Innovation gemeinschaftlich produzierter und genutzter Energie, für die neue Rolle von Konsument/innen? - Wer sind die Innovator/innen Bildungsbürgertum? - Warum beteiligen sie sich an dieser Innovation? Reaktion auf Vielfachkrise? Exodus? - Wie kann der Diffusionsprozess aussehen? - Rolle der Politik - Infrastrukturerfordernisse - Reaktion der konventionellen Energieerzeuger? - Imitation? - Welche Diffusionsbarrieren?

Diffusionsbarrieren im Falle Solidarischer Landwirtschaft Aber sagen wir so, das Allerschwerste sind erstmal wir selber! Also die Menschen selber, diese kopernikanische Revolution im Kopf zu machen. Also die Leute: du musst ja erstmal raus kommen aus der Idee, für Produkte zu zahlen, sondern du zahlst hier für die Landwirtschaft, für die Tätigkeit an sich und du teilst dir die komplette Ernte auf. Du übernimmst Verantwortung. Diesen Schritt erstmal zu machen, das ist die Herausforderung. (Initiator) - Revolutionäre Veränderung des Denkens notwendig - Fehlender Bekanntheitsgrad - Gleichzeitigkeit von Angst und Neugier - Probleme auf organisationaler Ebene

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit b.blaettel-mink@soz.uni-frankfurt.de http://www.fb03.uni-frankfurt.de/soziologie/blaettel-mink