Einführung Kapitel 1 1 Einführung 1.1 Kostendruck im Unternehmen Von Entwicklern, Konstrukteuren und Produktplanern in technischen Entwicklungsprojekten werden Produkte erwartet, die in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht die gestellten Anforderungen erfüllen, besser noch übertreffen. Aufgrund der Ausbildung des Entwicklers/Konstrukteurs und der in seiner Tätigkeit gewonnenen praktischen Erfahrung ist er im Allgemeinen sicher in der Lage, technische Anforderungen zu berücksichtigen und in technische Funktionen umzusetzen. Für die notwendige wirtschaftliche Optimierung der Produkte fehlen aber häufig die Grundkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre und die konkreten Fertigkeiten im Verständnis und im Umgang mit Fragen der Kostenrechnung. Die Tatsache, dass Techniker sich häufig nur ungern mit wirtschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, erschwert diese Situation zusätzlich. Auch wenn der praxiserfahrene Entwickler und Konstrukteur eine wirtschaftliche Entscheidung intuitiv herbeiführen kann, so wird doch von ihm verlangt, dass er diese Festlegung nachprüfbar belegen kann /01/. Die Überlebensfähigkeit am nationalen und internationalen Markt der Produkte eines Unternehmens und damit der Arbeitsplatzsicherung für seine Mitarbeiter hängt also nicht nur von den technischen Innovationen ab, sondern auch von der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte. Neben dem Verkaufspreis für das Produkt ( Price Ex Factory ) sind die Erfolgsfaktoren Entwicklungsgeschwindigkeit ( Time To Market TTM ), Kundenakzeptanz und Produktverwertung ( Recycling ) weitere wichtige Randbedingungen für ein erfolgreiches Produkt. Diese vielfältigen Anforderungen sind von vielen Spezialisten im Unternehmen zu erfüllen, wobei es für ein erfolgreiches Produkt unabdingbar ist, dass dieses Spezialwissen der Mitarbeiter aus den verschiedenen Fachabteilungen: Controlling Materialwirtschaft Marketing Forschung, Vor-Entwicklung Entwicklung Konstruktion Produktionsplanung Produktion Qualitätsmanagement Vertrieb zielgerichtet und effektiv in die Planung, Entstehung, Produktion und Vermarktung einfließt. Alle Faktoren sollen für einen möglichst hohen Gewinn eingesetzt werden, der zunächst einen entsprechenden Umsatz des Produktes voraussetzt. 1
Kapitel 1 Einführung Bild 1.1: Umsatzvolumen eines Produktes mit seinen Nachfolgeprodukten /01/ 2
Einführung Kapitel 1 Wie stellt sich die Umsatzsituation und die daraus folgende Gewinnsituation eines Produktes über dessen Lebenszyklus dar? Das neben stehende Bild 1.1 stellt den mathematischen Zusammenhang zwischen Umsatz und Gewinn aufgetragen über der Zeit dar. Jedes Produkt durchläuft einen Lebenszyklus ( Product-Life-Cycle ) über die einzelnen Phasen: Einführung des Produktes Wachstum mit zunehmenden Verkaufszahlen Marktreife mit stagnierenden Umsatzzahlen Sättigung des Marktes mit Umsatzrückgang Rückgang der Verkaufszahlen bis gegen Null. Aus diesem Kurvenverlauf gewinnt man durch Differentiation den Kurvenverlauf für die Wachstumsveränderung ( Umsatz / Zeit). Auch intuitiv kann man ablesen, dass während der Einführungsphase mit steigendem Umsatz das Wachstum zunimmt. Am Wendepunkt (in der Mitte der Wachstumsphase) der Umsatzkurve wird die Wachstumsänderung negativ, also abnehmend. Der Nulldurchgang der Umsatzveränderung (Stagnation) fällt mit dem Maximum des Umsatzes zusammen. Worauf die Phasen fallenden Umsatzes mit negativer Umsatzveränderung d.h. Schrumpfung folgen. Durch die Differentiation der Kurve der Umsatzveränderung ergibt sich die Kurve für den Gewinn. Die Gewinnkurve zeigt in der Einführungsphase negative Gewinne, d.h. es sind zunächst Investitionen nötig für die Produktentwicklung. Der Gewinn für das Produkt lässt sich in den Phasen Wachstum, Reife und Sättigung abschöpfen, wobei in der Phase Rückgang bereits wieder Verluste eintreten. Dieser Zusammenhang für ein einzelnes Produkt kann also sowohl intuitiv erfasst als auch durch mathematische Behandlung der numerischen Ermittlung zugeführt werden. Es ist sinnvoll, und wird in der Regel auch angewendet, für ein Produkt ein direktes Nachfolgeprodukt ( UpDate ) auf den Markt zu bringen, um dem Umsatzeinbruch entgegenzuwirken und das Gesamt-Umsatzvolumen zu steigern. Der untere Teil von Bild 1.1 zeigt mit der Funktion 1 den Umsatzverlauf für das Pionierprodukt und dazu zeitlich verschoben das erste Nachfolgeprodukt mit Funktion 2 sowie last but not least das zweite Nachfolgeprodukt mit Funktion 3. Überlagert man die einzelnen Marktvolumina (Superposition der Einzelverläufe) der Einzelprodukte, so ergibt sich das gesamte Marktvolumen für ein Lösungsprinzip. Entsprechend lässt sich aus der überlagerten Kurve für das Gesamt-Marktvolumen wieder durch erste bzw. zweite Ableitung die Gesamt-Umsatzveränderung und der Gesamt-Gewinn errechnen. Die Kosten für das Produkt sind aus diesen Kurven nicht direkt abzulesen, ergeben sich allerdings aus der einfachen Formel: Brutto-Gewinn = Umsatz minus Kosten und sind demnach für einen möglichst hohen Gewinn -bei vom Markt bzw. vom Käufer bestimmten Umsatz- zu minimieren. Damit stehen für den Entwickler/Konstrukteur wieder die Kosten im Vordergrund, denn sowohl der Absatz als auch der kalkulierte Gewinn liegen nicht im Einflussbereich von Entwicklern und Konstrukteuren. Der Kostendruck lastet damit auf den Schultern der gesamten Produktentwicklung. 3
Kapitel 1 Einführung 1.2 Der phasenorientierte Konstruktionsprozess Der allgemeine Konstruktionsprozess ist sowohl in der wissenschaftlichen Literatur /06/, /33/, /G39/, /A13/ als auch in der industriellen Praxis prinzipiell in Form von phasenorientierten Teilaufgaben etabliert und anerkannt. Die Grundlage hierfür bildet die Richtline VDI 2222 Konstruktionsmethodik. Die Phaseneinteilung umfasst den gesamten Produktentstehungsprozess PEP /06/ und lautet im Einzelnen: Definieren, Konzipieren, Entwerfen, Ausarbeiten und Fertigen. Bild 1.2: Die Phasen des Konstruktionsprozesses nach VDI 2222 /04/ Dabei kommt der Definitionsphase (Definieren) eine leider oft unterschätzte Wichtigkeit zu, da hier die Produktanforderungen und Spezifikationen des Produktes definiert werden und damit eine erhebliche Kostenfestlegung statt findet. Die Produktentstehung enthält vielfältige Aufgaben, die in der Regel für mehrere Produkte gleichzeitig in einer Linienorganisation (Abteilungsorganisation) nicht durchführbar sind. Daher wendet man hierfür eine Matrixorganisation (Projektorganisation) an, die es erlaubt durch Projekt-Teambildung Sachkompetenz aus den erforderlichen Abteilungen in eine arbeitsfähige organisatorische Einheit zu bringen. Das Projekt-Team benötigt Sachkompetenzen von Mitarbeitern der Abteilungen: Produkt-Management Marketing Materialwirtschaft Einkauf, Disposition 4
Einführung Kapitel 1 Entwicklung Konstruktion Design, Zulieferfirmen Produktionsplanung Produktion Qualitätsmanagement Vertrieb. Der Projektleiter, der oft auch gleichzeitig der Produkt-Manager für das Produkt ist, begleitet das Produkt von der Initialzündung (Idee) bis zum Ende des Lebenszyklus (Produktrücknahme vom Markt). Dieser gesamte Zeitraum umfasst die Abschnitte: Idee oder externer Auftrag Produktplanung und Marketingplan Entwicklung Konstruktion Dokumentation Produktionsplanung Produktion Produktbetreuung ( After-Sales-Activities ). Für den Kick-Off eines neuen Produktes sind zunächst viele Fragestellungen zu klären. Im Endeffekt zielt alles darauf ab, ob mit dem potentiellen neuen Produkt ein Gewinn zu erzielen ist und ob die Produktrealisierung in einem vorbestimmten Rahmen durchführbar ist. Im Einzelnen werden die folgenden Planungen durchgeführt: Absatz-Planung Kosten-Planung Termin-Planung Methoden-Planung Ressourcen-Planung Projekt-Planung und Projekt-Steuerung, Projekt-Dokumentation. Diese Aktivitäten sind in den Unternehmen vom Ablauf, der administrativen Zuständigkeit, der technischen Umsetzung und der terminlichen Gestaltung durch mehrjährige Erfahrung in den einzelnen Unternehmen wohl bekannt und dokumentiert. Die spezifischen Aussagen über Kosten, vor allem über Folgekosten und deren Abschätzung in den frühen Produktphasen, also auch für die Vor-Kalkulation, gestalten sich aber häufig auf Grund fehlender Informationen schwierig. 5
Kapitel 1 Einführung 1.3 Kostenverursacher Konstruktion Die betriebliche Praxis weist der Entwicklung und Konstruktion eine zentrale Rolle bei dem Produktentstehungsprozess zu. Stellt man in einem Diagramm den Einfluss der beteiligten Unternehmensbereiche auf die Herstellungskosten eines Produktes dar, so entfallen hier drei Viertel auf den Bereich Entwicklung/Konstruktion. Bild 1.3: Der Einfluss auf die Herstellkosten aufgeschlüsselt nach Bereichen /04/ Aus dieser Darstellung ist es verständlich, wenn bei einer nötigen Kostenreduzierung zunächst die Entwicklung und Konstruktion in vorderster Linie der Kritik und des Realisierungszwangs steht. Kostenreduzierung im Fertigungsbereich, z.b. durch Rationalisierung greifen nur bei einem Volumen von 6% der Herstellungskosten. Kostenreduzierungen im Konstruktionsbereich, z.b. durch Montagevereinfachungen oder durch Wahl von größeren -aber ausreichenden- Toleranzen haben dagegen eine weitaus größere Wirkungsentfaltung. Aus diesem Grund muss sich die Entwicklung und Konstruktion der Tatsache stellen, dass in frühen Produktentstehungsphasen der Aspekt der Kosten und damit der Erfolg des Produktes in Ihren Händen liegt. Neben der technischen Realisierung und der Technischen Wertigkeit eines Produktes muss ebenso die Wirtschaftliche Wertigkeit in einem ausgewogenen Verhältnis stehen (vgl. Kapitel 8 ). Das Technisch-Wirtschaftliche Konstruieren /59/ ist eine wichtige Voraussetzung für alle weiteren Bemühungen um ein erfolgreiches Produkt. Das gezielte Verbessern von kostenrelevanten Funktionen eines Produktes ist von Beginn an ein wichtiger Ansatzpunkt (vgl. Kapitel 5 und Kapitel 7 ) zur Senkung der Herstellungskosten HK (oft auch als Herstellkosten HK bezeichnet). 6