Geburtseinleitung mit Cytotec, grober Behandlungsfehler bei Zustand nach Sectio und Aufklärungspflichten.



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Transkript:

Geburtseinleitung mit Cytotec, grober Behandlungsfehler bei Zustand nach Sectio und Aufklärungspflichten. 1. Das Präparat Cytotec enthält den Arzneistoff Misoprostol, ein synthetisch hergestelltes Derviat des körpereigenen Botenstoffes Prostaglandin E1. Nach den Leitlinien der Fachgesellschaften ist die Verabreichung dieses wehenfördernden Mittels bei Zustand nach Sectio absolut kontraindiziert. Dennoch wird es in der Geburtshilfe breitflächig verabreicht. Das Risiko einer Uterusruptur unter der Therapie mit Cytotec ist erhöht. Allerdings variieren die Resorptionsgeschwindigkeiten und pharmakokinetischen Profile je nach Applikationsart erheblich. Dies hat zur Folge, dass z. B. nach vaginaler Anwendung die Wirkdauer von Misoprostol (Cytotec) auf den Uterus ca. 4 Stunden beträgt und somit etwa doppelt so lange anhält wie nach oraler Anwendung. Das geburtshilfliche Problem besteht darin, dass die Wehen schlagartig einsetzen können und nicht so steuerbar sind wie z. B. bei Wehenmittel, die über den Tropf verabreicht werden und damit steuerbar sind. Dies hat zur Folge oder kann zur Folge haben, dass eine hyperaktive Wehentätigkeit eintritt, die den Uterus übermäßig belastet. Insbesondere bei Zustand nach Kaiserschnitt kann die alte Sectio-Narbe reißen und führt dann zu einem geburtshilflichen Notfall. Dies kann dazu führen, dass bei nicht rechtzeitig und notfallmäßig durchgeführter sofortiger Sectio Mutter und Kind Schaden nehmen, insbesondere das Kind in eine schädigungswirksame Sauerstoffmangelsituation gerät. Über diese Folgen der Wehenmittelgabe insbesondere mit Cytotec wird in aller Regel nicht aufgeklärt. Es ist kaum vorstellbar, dass mit diesem Risiko einer Geburtseinleitung durch die Mutter zugestimmt wird. 2. In mehreren der von uns bearbeiteten Fällen spielte das Wehenmittel Cytotec eine prozessentscheidende Rolle. Beispielhaft wird hier das Verfahren beim Landgericht Bonn, 9 O 266/11 benannt. Durch Urteil vom 28.01.2013 wurden die Beklagten verurteilt an den Kläger Schadensersatz zu leisten. In diesem Fall hatte die Mutter bereits 2004 ein Kind durch Kaiserschnitt entbunden. Im Rahmen ihrer zweiten Schwangerschaft wurde sie in der 42. SW mit unregelmäßiger Wehentätigkeit stationär aufgenommen. Der Oberarzt ordnete die Geburtseinleitung mit dem Medikament Cytotec an. Die Patientin wurde im Rahmen einer von ihr unterzeichneten Einverständniserklärung über die fehlende Zulassung für diesen Zweck, nicht aber über besondere Risiken nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt belehrt. Sie erhielt das Medikament Cytotec um 09:20 Uhr und erneut

um 15:00 Uhr. Bei der vaginalen Untersuchung kam es zum Blasensprung. Dabei ging grünliches Fruchtwasser ab. Ab 22:00 Uhr ergaben sich erstmals Auffälligkeiten im CTG, nämlich ein kontinuierlicher Herztonabfall. Im weiteren Verlauf gab es kurzzeitige Erholungen, um 22:11 Uhr waren Herztöne nur sporadisch zu registrieren. Um 22:12 Uhr entschloss man sich zum Kaiserschnitt. Die Operation gestaltete sich durch vorhandene Verwachsungen der Blase schwierig. Um 22:40 Uhr wurde der Kläger in außerordentlich schlechtem Zustand entbunden. Bei dem Kläger wurde nach der Geburt ein schwerer Hirnschaden festgestellt. Wir haben behauptet, dass die Geburtseinleitung durch Cytotec kontraindiziert gewesen sei. Die terminale Bradykardie hätte früher diagnostiziert, die erforderliche Not-Sectio früher durchgeführt und der Pädiater früher benachrichtigt werden müssen. Die Gegenseite hat sich im Wesentlich darauf berufen, dass die Wirkdauer des Medikamentes mit einer relativ geringen Abbauzeit nicht mehr schädigungswirksam gewesen sein kann und wir im Übrigen nicht bewiesen hätte, dass die Gabe von Cytotec tatsächlich den Schaden verursacht hat. Das Gericht hat Sachverständigengutachten eingeholt und ausgeführt: Nach dem Ergebnis des sowohl in der chronologischen Darstellung des Sachverhalts als auch in der sorgfältig abwägenden Bewertung des Behandlungsverlaufs außerordentlich gut verständlich und nachvollziehbaren Gutachtens des Sachverständigen sind dem Beklagten bei der Geburt des Klägers mehrere Behandlungsfehler unterlaufen. Danach hätte die Geburt des Klägers auf Grund des im Jahre 2004 vorangegangenen Kaiserschnittes nicht mittels des Medikaments Cytotec eingeleitet werden dürfen. Nach den einschlägigen Leitlinien ist ein vorangegangener Kaiserschnitt eine absolute Kontraindikation und entspricht daher nicht den Regeln der ärztlichen Kunst. Dass es sich nicht um eine zulässige Therapieoption handelt, zeigt sich auch darin, dass diese besondere Risikolage (Plazentalösung oder Uterusruptur durch Überstimulation) auch auf dem von der Beklagten verwendeten Einverständnisformular nicht erwähnt wird. Die Indikation zum notfallmäßigen Kaiserschnitt wurde zu spät, nämlich erst um 22:12 Uhr statt um 22:07 Uhr gestellt. Bei dieser Beurteilung vernachlässigt der Sachverständige keineswegs den bis 22:02 Uhr unauffälligen CTG-Verlauf. Er bezieht jedoch ebenfalls den mehrfachen Abgang grünlichen Fruchtwassers in die Bewertung ein und gelangt in gut nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass der Geburtsverlauf als nicht so unproblematisch angesehen werden durfte, dass man nach einem kontinuierlichen Herztonabfall über einen Zeitraum von drei Minuten

(22:02 Uhr bis 22:05 Uhr) noch Zeit auf Spekulationen über einen technischen Defekt des CTG-Gerätes verwenden durfte. Dies gilt erst recht, wenn ein Ultraschallgerät nicht umgehend zur Verfügung stand, wie die Beklagten in ihrer Stellungnahme zum schriftlichen Gutachten geltend machen. Nach der Indikationsstellung um 22:12 Uhr dauerte es zu lange, bis der Kaiserschnitt um 22:40 Uhr abgeschlossen war. Nach den einschlägigen Leitlinien ist vom Entschluss bis zur Entbindung eine Zeitspanne (sogenannte E-E-Zeit) von höchstens 20 Minuten anzustreben. Die tatsächliche Zeitspanne von 28 Minuten kann in vollem Umfang nicht mit der komplikationsbedingten Dauer der eigentlichen Operation (10 Minuten) gerechtfertigt oder entschuldigt werden. Zwar bestehen keine beweiskräftigen Anhaltspunkte dafür, dass die Operationsdauer als solche zu beanstanden ist. Festzuhalten ist aber, dass zwischen der Bereitschaft des OP- Personals einschließlich der Beklagten zu 2) und des Anästhesisten, um 22:20 Uhr und dem Beginn der Intubation um 22:28 Uhr acht Minuten gewartet wurde, ohne dass dies angesichts des Umstandes, dass es bei einem notfallmäßigen Kaiserschnitt um jede Minute geht, zufriedenstellend erklärt werden kann. Ob der um 22:15 Uhr benachrichtigte Beklagte zu 3) tatsächlich erst um 22:38 Uhr erschienen ist, was der Sachverständige nicht unterstellt, sondern der von den Beklagten zu verantwortenden Dokumentation entnommen hat, oder ob insofern eine Zeitdifferenz zwischen CTG und Operationssaaluhr vorlag, wie der Beklagte zu 3) vier Jahre später festgestellt haben will, nachdem er sich diese Feststellungen im schriftlichen Gutachten nicht erklären konnte, kann dahinstehen. Die Kammer hat keine Bedenken, den Feststellungen des Sachverständigen zu folgen. Der Sachverständige ist der Kammer aus einer Vielzahl von Verfahren als sehr kompetenter und gründlicher Sachverständiger bekannt. Seine Sorgfalt kommt sowohl im schriftlichen Gutachten als auch in der gründlichen Auseinandersetzung mit den Fragen des Gerichts und der Parteien im Rahmen der mündlichen Erläuterungen zum Ausdruck. Seine Beurteilung beruht nachvollziehbar auf einer abwägenden Berücksichtigung aller relevanten Umstände. Sie überzeugt. Bei den aufgezählten Fehlern handelt es aus rechtlicher Sicht in jedem einzelnen Punkt und erst recht in der Zusammenschau um grobe Behandlungsfehler in dem Sinne, dass das Vorgehen, wie die Ausführungen des Sachverständigen zeigen, aus medizinischer Sicht nicht mehr verständlich ist und Ärzten schlechterdings nicht unterlaufen darf. Den Beklagten zu 3) trifft der Vorwurf der kontraindizierten Anordnung der Verwendung von Cytotec. Die Beklagte zu 2) muss sich entgegenhalten lassen, ab 22:20 Uhr zu lange auf den Beklagten zu 3) gewartet zu haben. (Die protokollierte Äußerung des Sachverständigen, die Beklagte zu 2) habe sich völlig korrekt verhalten, bezieht sich dem Zusammenhang nach ausschließlich auf den Entschluss zum eigenverantwortlichen Operationsbeginn, nicht auf die

vorangegangene Wartezeit.) Die Beklagte zu 1) muss sich sämtliche Fehler gemäß 278 BGB zurechnen lassen. Die haftungsbegründende Ursächlichkeit der groben Behandlungsfehler der Beklagten für den schweren Hirnschaden als primären Gesundheitsschaden des Klägers wird vermutet, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststeht, dass die Fehler geeignet waren, den Hirnschaden herbeizuführen und dass seine vollständige Vermeidung bei einem Vorgehen lege artis nicht ausgeschlossen und nicht gänzlich unwahrscheinlich gewesen wäre. Eine Ursächlichkeit der Cytotec- Medikation für den tragischen Verlauf hat der Sachverständige auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dieser Verlauf erst nach Ablauf der pharmakologischen Wirkungsdauer der letzten Cytotec-Dosis begann, wegen des damit verbundenen Eingriffs in den natürlichen Ablauf überzeugend als mögliche Ursache der hyperfrequenten Wehentätigkeit, des Herztonabfalls und damit letztlich des Hirnschadens bezeichnet. Die behandlungsfehlerhafte Verzögerung des Kaiserschnittes (zusammen 13 Minuten) hat der Sachverständige wegen der damit verbundenen deutlichen Risikosteigerung als wahrscheinliche Ursache für die entstandene Schwere des Schadens identifiziert. Davon, dass es gänzlich unwahrscheinlich sei, dass die Behandlungsfehler den Hirnschaden hervorgerufen haben, kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Eine mögliche Mitursächlichkeit der Rotavireninfektion, die beklagtenseits eher spekulativ in den Raum gestellt als behauptet wird, schließt den haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang nicht aus. Zur Frage der haftungsbegründenden Kausalität ist nicht, wie beklagtenseits bereits in der Stellungnahme zum schriftlichen Gutachten verlangt, ein neuropädiatrisches Ergänzungsgutachten einzuholen. Die Frage nach den Folgen der festgestellten Behandlungsfehler war als Frage 3 Gegenstand des Beweisbeschlusses vom 24.02.2014 und auch Gegenstand des in Erledigung dieses eingeholten Sachverständigengutachtens. Insofern ist die Kammer dem Beweisantrag der Beklagten durchaus nachgegangen. Die Auswahl der Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl stehen allerdings im Ermessen des Gerichts ( 404 Abs. 1 ZPO). Die Kammer hat sich entschieden, den hochqualifizierten Direktor einer Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu beauftragen, weil abzusehen gewesen ist, dass in diesem Fachbereich der Schwerpunkt des Gutachtens liegen würde. Diese Auswahl ist beklagtenseits nicht beanstandet worden. Das erstattete Gutachten ist wegen dessen Spezialisierung auf dem Gebiet einer Geburtshilfe hinsichtlich der den Bereich der Neuropädiatrie berührenden Kausalitätsfragen nicht für ungenügend zu erachten, so das die Anordnung einer neuen Begutachtung derselben Beweisfrage durch einen anderen Sachverständigen nach 412 ZPO nicht geboten ist. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit, dass Behandlungsfehler der vorliegenden Art zu einer Hirnschädigung führen, bereits den Regeln der ärztlichen Kunst immanent sind, auf die Prof. Dr. die Feststellung der

Behandlungsfehler gestützt hat. Nicht zuletzt dieses Risiko ist der Grund dafür, dass Cytotec bei vorangegangenem Kaiserschnitt als absolut kontraindiziert angesehen wird und dass es bei der Durchführung eines notfallmäßigen Kaiserschnitts um jede Minute geht. Die insoweit in Rede stehenden medizinischen Zusammenhänge berühren auch den Fachbereich der Geburtshilfe, so dass auch von geburtshelferlicher Seite kompetente Beurteilungen möglich sind. Der Sachverständige hat sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch in seinen mündlichen Erläuterungen stets deutlich gemacht, welche Fragen er der Beurteilung eines Neuropädiaters vorbehalten würde. Dies betrifft insbesondere die Frage der vollständigen oder teilweisen Vermeidbarkeit des Hirnschadens durch frühere Hinzuziehung eines Pädiaters und die Frage nach Einzelheiten der zu prognostizierenden Pflegebedürftigkeit. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer keinen Anlass, an der Zuverlässigkeit der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges zwischen den Behandlungsfehlern und der Hirnschädigung zu zweifeln, die der Sachverständige auch als Geburtshelfer abzugeben in der Lage gewesen ist. Die Beurteilung des Sachverständigen ist eine in jeder Hinsicht tragfähige Grundlage für die Feststellung, dass ein solcher Ursachenzusammenhang nicht gänzlich unwahrscheinlich und erst recht nicht auszuschließen ist. Damit steht neben den Voraussetzungen der Beweislastumkehr wegen grober Behandlungsfehler zugleich fest, dass der damit den Beklagten obliegende Beweis des Gegenteils durch Sachverständigengutachten gescheitert ist. Zum Ausgleich der auf Grund der Behandlungsfehler eingetretenen und absehbaren immateriellen Schäden des Klägers ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000,00 erforderlich und ausreichend. Der Schmerzensgeldbemessung liegt die klägerseits vorgetragene Diagnose (spastische, beinbetonte Cerebralparese, cerebrale Myelinserungsverzögerung und globale Hirnvolumenminderung mit der Folge einer globalen, erheblichen psychomotorischen Einwicklungsverzögerung) zugrunde. Sie wird beklagtenseits mit Nichtwissen bestritten, wird aber durch die vorgelegten pädiatrischen Arztberichte zweifelsfrei belegt und ist sogar aus der geburtshelferlichen Sicht des Sachverständigen offensichtlich objektivierbar. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden. Die zunächst von der Gegenseite eingelegte Berufung ist zurückgenommen worden. 3. Andere Fallkonstellationen mit Geburtseinleitung und späterer operativer Entbindung sind auch bezüglich der Aufklärung relevant. Häufig kommt es vor, dass eine Geburt eingeleitet wird durch Applikation von Minprostin, Prostaglandinen oder Cytotec und

dann eine hyperaktive Wehentätigkeit eintritt, die aufgrund der schnellen Abfolge der Wehen zu einer Sauerstoffmangelsituation des ungeborenen Kindes führt, die sich wiederum in Herztonabfällen optisch auf dem CTG-Streifen zeigt. Je nach dem kindlichen Höhenstand wird dann, z. B. wenn das Köpfchen mindestens in Beckenmitte steht, die vaginaloperative Entbindung durch Vakuumextraktion oder Zangenextraktion indiziert. Hier wird häufig verkannt, dass gerade die Geburtseinleitung als Solche, die zur hyperaktiven Wehentätigkeit führte letztlich die Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung durch Vakuum- oder Forcepsentbindung bedingt hat. Selbst wenn zum konkreten Zeitpunkt aus der Sicht ex ante die Schwangerschaftsbeendigung erforderlich und indiziert war darf nicht vergessen werden, dass genau diese Indikation gerade auf die insofern nicht weiter bezüglich dieser Risiken aufgeklärten Gabe von Wehenmitteln beruht. Ganz abgesehen davon muss natürlich auch zu einem Zeitpunkt, in dem die Mutter noch einverständnisfähig ist mit ihr besprochen werden, dass auch eine vaginaloperative Entbindung bei nicht auf Beckenboden stehendem kindlichen Köpfchen, welches auch ausrotiert sein muss, Risiken beinhaltet, die bei der Sectio nicht gegeben sind. Es bedarf also der Aufklärung über die relative Indikation zur Sectio, wenn sich im weiteren Verlauf eben diese Möglichkeit einer vaginaloperativen Entbindungsnotwendigkeit abzeichnet. Häufig wird von der Gegenseite eingewandt, es bestehe keine absolute Indikation für eine Sectio in der konkreten Situation. Darauf kommt es aber nicht an. Es reicht eine relative Sectio-Indikation, die schon dann vorliegt, wenn sich erkennbar der Geburtsverlauf auf ein Problem hin entwickelt. Dies kann z. B. auch bei sich verändernden CTG-Aufzeichnungen in Richtung von suspekt bis pathologisch sein. Hier muss auch rechtzeitig vorher das Problem der möglicherweise erforderlichen Schwangerschaftsbeendigung angesprochen werden. Für eine Solche stehen dann vaginaloperative Entbindungsmöglichkeit bei entsprechendem Tiefstand des kindlichen Kopfes oder aber die Sectio im Raum. Dies muss offen bei der weiteren Geburtsplanung mit der Mutter besprochen werden. Es geht eben nicht darum, dass man es immer auf eine Zuspitzung der pathologischen Situation ankommen lass muss um eine Indikation für die Schwangerschaftsbeendigung zu stellen, sondern darauf, dass man rechtzeitig im Rahmen einer prospektiven Geburtshilfe erkennt, dass sich im weiteren Verlauf für das Kind oder die Mutter Risiken einstellen können. Für diese Risiken gilt es bereits im Vorfeld durch ordentliche Geburtshilfe und Planung zu erkennen und durch rechtzeitige schonende Entbindungsmethoden zu eliminieren. Als Fazit kann mitgenommen werden, dass gerade das Ergebnis des Geburtsplanungsgesprächs unter Berücksichtigung aller Risiken essenziell für die weitere Geburtsführung ist. Die insofern erforderliche Aufklärung über alternative Entbindungsmethoden oder Risiken bestimmter geburtshilflicher Maßnahmen bestimmt die Entscheidungsfindung der Gebärenden und obliegt ihr. Welchen

Geburtsweg sie gehen will im Interesse ihres Kindes muss sie selbst entscheiden und zwar aufgrund einer ausführlichen, nicht unbedingt Panik machenden aber von Fakten getragenen Risikoabwägung. Jegliches eigenmächtiges (mit Ausnahme einer kurzfristig eintretenden absoluten Notsituation) Handeln der Geburtshelfer oder Hebammen ist in der modernen Geburtshilfe fehl am Platze. J. Korioth Rechtsanwalt 1. Vorsitzender