Ärztliches Berufsgeheimnis und Inkasso von Honorarforderungen



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Transkript:

Ärztliches Berufsgeheimnis und Inkasso von Honorarforderungen Bemerkungen zum Entscheid des Bezirksgerichtes Zürich vom 9. September 2003 Robert Gmür, Rechtsdienst FMH Einleitung Der Fall Das Bezirksgericht Zürich hat am 9. September 2003 einen Facharzt für Gynäkologie wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses zu Fr. 700. Busse verurteilt. Der Arzt hatte eine Honorarforderung ohne Einwilligung des Patienten oder Entbindung durch die vorgesetzte Behörde zum Inkasso an ein spezialisiertes Unternehmen übergeben. Das Inkassobüro erfuhr in diesem Zusammenhang lediglich die Personalien der Patientin, das Behandlungsdatum sowie den Rechnungsbetrag. Das Urteil wurde nicht weitergezogen und ist damit rechtskräftig. Vorgehen Ich behandle zunächst die Vorfrage, ob eine Betreibung überhaupt zwingend auf eine ärztliche Behandlung hinweist. Dann die allgemeine Frage, ob die Tatsache des Arztbesuchs allein bereits dem Arztgeheimnis unterliegt, und wie man sich gegebenenfalls vom Berufsgeheimnis entbinden lassen kann. Der Beitrag schliesst mit einem Fazit und konkreten Empfehlungen. Ist eine Betreibung ein Hinweis auf eine ärztliche Behandlung? Will der Arzt einen Patienten betreiben, muss er auf dem Betreibungsbegehren den Namen und die Adresse des Schuldners sowie den Forderungsbetrag und den Grund der Forderung angeben. Dieselben Angaben und nur diese(!) [1] benötigt auch ein Inkassobüro, das er mit dem Einzug der Forderung und gegebenenfalls der Einleitung der Betreibung beauftragt. Verletzt er damit bereits das Berufsgeheimnis? Nicht unbedingt, wie das Bundesgericht in einem vergleichbaren Fall betreffend Anwaltsgeheimnis entschieden hat [2]. Zwar ist es in diesem Urteil ohne Federlesen davon ausgegangen, bereits die Tatsache des Bestehens eines Mandatsverhältnisses zwischen Anwalt und Klient unterliege dem Berufsgeheimnis. Allerdings hat es die betroffene Anwältin freigesprochen, weil der Vermerk «Honorarnote» oder «Rechnung» auf dem Betreibungsbegehren eben nicht zwingend auf ein anwaltliches Mandatsverhältnis zum Betriebenen schliessen lasse: «Honorare» könnten auch Entschädigungen für eine Tätigkeit als Verwaltungsrat oder für eine wissenschaftliche oder künstlerische Leistung sein, welche nicht unter das Berufsgeheimnis fallen Wenn also der Arzt im Inkassoauftrag oder im Betreibungsbegehren ausschliesslich die Personalien des Patienten sowie als Forderungsgrund «Rechnung vom» und den Betrag angibt, und jegliche, betreibungsrechtlich sowieso überflüssige Hinweise auf ein Behandlungsverhältnis unterlässt (keine Angabe des Behandlungsdatums, keine Formulierungen wie «Rechnung für Behandlung vom»), wäre nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts das Berufsgeheimnis wohl nicht verletzt. Auch Ärzte sind gelegentlich ausserhalb der Sprechstunde erwerbstätig (Forschung, Referate, Fachartikel usw.). Sicher, spätestens bei der Durchsetzung der Honorarforderungen vor Gericht, etwa nachdem ein betriebener Patient Rechtsvorschlag erhoben hat, müssen die Tatsache der Behandlung und deren Details zwangsläufig offenbart werden. Dann kommt man nicht um eine Entbindung vom Berufsgeheimnis herum. Häufig ist dieser Fall in der Praxis allerdings nicht: Angesichts der in der Regel geringen Rechnungsbeträge [3] verzichten viele Ärzte nach erfolglosen Inkassobemühungen auf weitergehende rechtliche Schritte. Ist der Arztbesuch geheim? Im vorliegenden, vom Bezirksgericht Zürich zu beurteilenden Fall hat der Arzt im Auftragsformular an das Inkassobüro ausdrücklich die Rubrik «Behandlungsdatum» ausgefüllt und somit implizit die Tatsache offenbart, dass er die betriebene Frau ärztlich behandelt hat. Ob diese Tatsache allein dem Arztgeheimnis untersteht, ist umstritten. Das Bundesgericht hat die Frage Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri 2004;85: Nr 34 1758

für das ebenfalls in Art. 321 StGB geregelte Anwaltsgeheimnis, wie oben erwähnt, zwar pauschal bejaht, aber eben ohne sich vertieft damit auseinandersetzen zu müssen. Die Lehre jedenfalls ist sich alles andere als einig. Für die einen Autoren ist damit von vorneherein kein Geheimnis verraten [4]. Für andere gilt das Berufsgeheimnis auch für die blosse Tatsache des Arztbesuchs [5]. Überwiegend wird die Meinung vertreten, dass der Geheimnisbegriff nicht einfach schematisch eingegrenzt werden kann, sondern in verschiedener Hinsicht relativ zu verstehen ist [6]. Dem Patienten ist es in der Regel egal, ob jemand weiss, dass er einen Arzt aufgesucht hat. Ein Arztbesuch ist dermassen alltäglich, dass Geheimhaltungswille also auch Geheimhaltungsinteresse des Patienten in der Regel nicht gegeben sind. Anders sieht es höchstens aus, wenn die Spezialisierung des Arztes einigermassen eindeutige Rückschlüsse auf eine sozial stigmatisierende Krankheit erlaubt. Das trifft insbesondere zu auf die Psychiatrie und die Onkologie, allenfalls auch auf die Urologie und Dermatologie/Venerologie. Es ist bezeichnend, dass sich die Gerichte, mit Ausnahme des vorliegenden Entscheides, trotz Hunderttausenden von «einwilligungslosen» Betreibungen, noch nie mit dieser Frage befassen mussten. Leider hat das Bezirksgericht Zürich die Gelegenheit nicht wahrgenommen, sie vertieft abzuklären. Es hat sich vielmehr unter grosszügiger Ausklammerung der gesamten Literatur [7] weitgehend auf den Leitfaden des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten gestützt und festgehalten, dass «der spezialärztliche Fachbereich des Angeklagten eben durchaus Rückschlüsse auf die Art der Behandlung der Geschädigten als Patientin zulässt» (Entscheid, Ziffer III 1, Seite 15). Das lässt zwar im Ansatz die hier vertretene These durchschimmern, dass der Geheimnisbegriff relativ ist, und die Formulierung lässt vermuten, dass das Bezirksgericht einen Grundversorger freigesprochen hätte. In der Konsequenz hätte es aber einen Schritt weitergehen und berücksichtigen müssen, dass freipraktizierende Gynäkologen auch eine wesentliche Grundversorgerfunktion haben und deshalb die Tatsache, dass eine Frau in gynäkologischer Behandlung ist, ebenso alltäglich ist wie die Tatsache, dass jemand einen Allgemeinpraktiker oder Allgemeininternisten aufsucht [8]. Zwischenergebnis: Ob die Tatsache des Arztbesuchs geheimniswürdig ist oder nicht und damit dem Berufsgeheimnis unterliegt, bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen. Im Zusammenhang mit einer Betreibung ist dies in aller Regel nicht der Fall, Ausnahmen sind gewisse Fachspezialisierungen, die Rückschlüsse auf nicht alltägliche, sozial stigmatisierende Behandlungen nahelegen. In diesen Ausnahmefällen, und im Zweifel ist eher von einem Ausnahmefall auszugehen, wird ein Arzt wohl nicht darum herumkommen, sich auch für die Offenbarung der Tatsache eines Arztbesuchs von der Schweigepflicht entbinden zu lassen. Die Entbindung vom Berufsgeheimnis Übersicht Gemäss Art. 321 StGB ist der Arzt nicht an das Berufsgeheimnis gebunden wenn der Patient darin einwilligt; wenn er durch seine vorgesetzte Behörde vom Berufsgeheimnis entbunden wird oder wenn ihn eine kantonale oder eidgenössische Bestimmung dazu verpflichtet oder ermächtigt. Die Einwilligung des Patienten Offensichtlich illusorisch ist es, einen zahlungsunwilligen Patienten vor Einleitung von Inkassomassnahmen zu fragen, ob er damit einverstanden sei. Welche Möglichkeiten bieten sich hier an? Die Formulareinwilligung Der Arzt könnte die Einwilligung vorsorglich, schon vor Beginn der Behandlung einholen. Die Einwilligung kann mündlich oder schriftlich sein, in vielen Praxen haben sich bereits heute entsprechende Formulare, in der Regel verbunden mit der Anmeldung, eingebürgert. Diese Lösung findet auch Gnade in den Augen des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) [9]. Allerdings ist zu beachten, dass die heute da und dort verwendeten, sehr allgemeinen gehaltenen Pauschaleinwilligungen den Ansprüchen des EDSB nicht genügen. Der EDSB ist der Auffassung, dass das Inkassobüro in der Einwilligungserklärung namentlich zu bezeichnen ist, und dass für jede einzelne Instanz bzw. potentielle Weitergabe im Rahmen der Durchsetzung der Honorarforderung eine getrennte Einwilligung eingeholt werden muss [10]. Die «Lösung», die Patienten bei Behandlungsbeginn einmal mehr ein Formular unterschreiben zu lassen, überzeugt nicht. Es ist zunächst einmal eine Zumutung, dem Grossteil der Patienten, die ihre Rechnungen ordnungsgemäss zu bezahlen pflegen, vorsorglich schon mal das Misstrauen aussprechen zu müssen. Der Vorschlag des EDSB erstaunt aber auch aus rechtlicher Sicht [11]: Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri 2004;85: Nr 34 1759

An anderer Stelle betont der EDSB zu Recht, der Patient müsse «freiwillig und ohne Druck entscheiden können, ob er seine Einwilligung geben will» [12]. Hand aufs Herz: Wie frei kann ein Patient, der eine Behandlung benötigt, noch über die Datenweitergabe an Inkassobüros usw. entscheiden? Wird er nicht vielmehr irgendetwas unterschreiben, um nicht als Querulant dazustehen? Umgekehrt fragt man sich, wie ein Arzt reagieren soll, wenn der Patient die Unterschrift verweigert. Darf er das als Zeichen für eine schlechte Zahlungsmoral werten und den Patienten von Notfällen abgesehen, in denen ohnehin keine Zeit für Formulare bleibt ablehnen? In wie vielen Sprachen ist das Formular aufzulegen? Gilt die einmal gegebene Einwilligung für alle Zeiten für sämtliche Behandlungen, oder muss sie bei jedem neuen Behandlungsfall wiederholt werden? Was ist, wenn der Arzt das Inkassobüro wechselt? Muss er sämtliche Einwilligungen noch einmal einholen? Schliesslich muss man sich bewusst sein, dass der Patient eine einmal gegebene Einwilligung jederzeit mit sofortiger Wirkung widerrufen kann. Er könnte also beispielsweise das Formular bei der ersten Konsultation unterschreiben und bei Abschluss der Behandlung, oder wenn die Rechnung oder erste Mahnung eintrifft, widerrufen. Die stillschweigende Einwilligung Die Einwilligung des Patienten ist rechtlich nicht an eine bestimmte Form gebunden. Sie kann ausdrücklich (schriftlich oder mündlich) oder auch sogenannt konkludent, durch Stillschweigen, gegeben werden. Meines Erachtens willigt ein Patient, der auf die ausdrückliche Androhung der Übergabe der Honorarforderung zum Inkasso und/oder zur Betreibung nicht reagiert, stillschweigend darin ein, dass diese Stellen von der Tatsache des Arztbesuchs und dem Honorarbetrag erfahren. Allerdings wird man nicht allzu leichtfertig von einer stillschweigenden Einwilligung ausgehen dürfen. Es empfiehlt sich deshalb, ein namentlich bezeichnetes Inkassobüro in der letzten Mahnung deutlich hervorzuheben. Auf Anfrage äusserte sich der EDSB skeptisch zu dieser Lösung [13]. Offenbar zieht er die ausdrückliche, aber unter Druck der Krankheitssituation abgegebene und evtl. längst vergessene Formulareinwilligung einer stillschweigenden, in der konkreten Betreibungssituation erteilten Einwilligung vor. Wie ein Gericht dies werten würde, bleibt offen. Die Entbindung durch die vorgesetzte Behörde Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich von der vorgesetzten Behörde vom Berufsgeheimnis entbinden zu lassen. In der Regel ist das die kantonale Gesundheitsdirektion, und dort häufig der Kantonsarzt. Das Gesuch muss schriftlich eingereicht werden, in gewissen Kantonen gibt es dafür vorgedruckte Formulare. Den Gesuchen wird mit Blick auf die in aller Regel völlig klaren Interessenverhältnisse ohne weiteres entsprochen [14]. Das Verfahren ist gutschweizerisch föderalistisch unterschiedlich geregelt [15]; besonders aufwendig wird es dann, wenn der Patient im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs Stellung nehmen kann und ihm der Entscheid mit Ansetzung einer Rechtsmittelbelehrung eröffnet wird, wie es Lehre und Rechtsprechung fordern, aber in der Praxis in den meisten Kantonen ignoriert wird [16]. Angesichts dieses beträchtlichen Aufwandes lohnt sich ein Blick auf die Verhältnisse in der Praxis: Die beiden Marktführer FMH Inkasso Services und Inkassomed (Zusammenarbeitspartner der Ärztekasse) haben im Jahr 2002 zusammen etwa 71000 Inkassofälle (Eingang) bearbeitet; dazu kommen noch die Fälle einiger lokaler Inkassostellen. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen wurden und werden offenbar nur vereinzelt überhaupt Entbindungsgesuche gestellt. In gewissen Kantonen sind die Gesundheitsbehörden, soweit sie überhaupt mit dem Problem konfrontiert werden, sogar der Ansicht, für die Durchsetzung von Honorarstreitigkeiten sei von vornherein keine Entbindung notwendig [17]. Einsame Ausnahme bildet der Kanton Zürich, wobei auch hier die Zahl der Entbindungsgesuche weit hinter den Betreibungsfällen hinterherhinken dürfte [18]. Würden nun zugegeben, eine reichlich theoretische Überlegung alle Ärzte konsequent den Weg der behördlichen Entbindung wählen, wären die kantonalen Gesundheitsbehörden täglich mit einer wahren Flut von Entbindungsgesuchen konfrontiert. Viel Aufwand im Vergleich zu den Persönlichkeitsschutzinteressen, die auf dem Spiel stehen (noch einmal: es geht darum, ob eine Inkassostelle oder das Betreibungsamt erfährt, dass jemand beim Arzt war). Angesichts der desolaten Finanzlage der öffentlichen Hand würden die Behörden ohne Zweifel prüfen müssen, ob sie dem Problem nicht mit einer Pauschalentbindung für Honorarstreitigkeiten Herr werden könnten [19]. Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri 2004;85: Nr 34 1760

Zusammenfassung und Empfehlungen Bei Übergabe einer Honorarforderung zum Inkasso oder zur Betreibung laufen Sie Gefahr, die Tatsache zu offenbaren, dass ein Patient bei Ihnen in Behandlung war. Diese Tatsache allein kann bereits dem Arztgeheimnis unterstehen, vor allem wenn Ihre Spezialisierung mehr oder weniger eindeutige Rückschlüsse auf die Art der Krankheit erlaubt. Was tun? Die «Anwaltspraxis» Befolgen Sie strikt die bei Anwälten übliche, bundesgerichtlich anerkannte Praxis und vermeiden Sie im Inkassoauftrag und/ oder Betreibungsbegehren jeglichen Hinweis auf eine ärztliche Behandlung, geben Sie also insbesondere nicht überflüssigerweise das Behandlungsdatum an. Das Restrisiko, dass ein Gericht die Rechtslage bei Ärzten aus irgendeinem Grund anders einschätzt als bei Anwälten, ist meines Erachtens klein. Allerdings bedingt dieses Vorgehen administrative Disziplin und eine gute Instruktion des Praxispersonals, eine Unachtsamkeit beim Ausfüllen von Inkassoaufträgen oder Betreibungsbegehren ist schnell passiert. Des weiteren müssen Sie sich bewusst sein, dass spätestens für die gerichtliche Durchsetzung der Honorarforderung von der Ärzte wegen der relativ geringen Rechnungsbeträge allerdings selten Gebrauch machen eine Entbindung vom Berufsgeheimnis notwendig ist. Die Formulareinwilligung Wem das zu heikel ist oder angesichts vieler Inkassofälle zu kompliziert, wählt die Lösung mit der routinemässigen Formulareinwilligung durch den Patienten. Da dieses Vorgehen den amtlichen Segen des EDSB geniesst, riskieren Sie mit grosser Sicherheit auch keine Verurteilung wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses [20]. Allerdings sind Sie gut beraten, gegebenenfalls die Vorstellungen des EDSB konsequent umzusetzen. Unser Mustertext (siehe Kasten) orientiert sich an der Auskunft des EDSB an die FMH, berücksichtigt indes zusätzlich die beiden in der Praxis gängigen Varianten der Zusammenarbeit mit aussenstehenden Abrechnungs- und Inkassodienstleistern. Muster für Formulareinwilligung Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient Damit ich mich auf meine medizinische Tätigkeit konzentrieren kann, ziehe ich für administrative Abläufe in meiner Praxis, insbesondere für das Rechnungswesen (Fakturierung, Debitorenkontrolle, Inkasso, Buchhaltung usw.), spezialisierte Unternehmungen bei. Selbstverständlich erhalten diese Stellen nur diejenigen Informationen und Daten, die sie für ihre Aufgabe benötigen. Ich bitte Sie deshalb, mir mit Ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass Sie mit diesem Vorgehen einverstanden sind. (Textvariante bei an Verrechnungsstelle [z. B. Ärztekasse, medipa] ausgelagerter Rechnungsstellung:) Ich bin damit einverstanden, dass Dr. med. XYZ die für die Rechnungsstellung und das Inkasso erforderlichen Daten jeweils an die (Name/Adresse Verrechnungsstelle) bzw. an deren Inkassostelle (Name/Adresse des Inkassozusammenarbeitspartners der Verrechnungsstelle) weiterleitet. (Textvariante bei Rechnungsstellung, Mahnwesen durch Praxis/ Übergabe von Säumnisfällen an Inkassostelle:) Ich bin damit einverstanden, dass Dr. med. XYZ im Falle meines Zahlungsverzugs die für das Inkasso erforderlichen Angaben jeweils an die (Name/Adresse der Inkassostelle) weiterleitet. Ich bin ferner damit einverstanden, dass die obenerwähnte (Name/Adresse der Inkassostelle) im Falle meines anhaltenden Zahlungsverzuges dem Betreibungsamt die für die Betreibung erforderlichen Angaben machen kann. Ich bin schliesslich damit einverstanden, dass mein Arzt dem zuständigen Gericht die notwendigen Angaben für die Durchsetzung seiner Honorarforderung machen kann. Ich bin ich mir bewusst, dass mein Arzt, sollte ich diese Einwilligungen nicht geben, bei seiner vorgesetzten Behörde (kantonale Gesundheitsdirektion) eine Befreiung vom Berufsgeheimnis beantragen kann, um Inkasso, Schuldbetreibung und Gerichtsverfahren einzuleiten. Ort, Datum Unterschrift Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri 2004;85: Nr 34 1761

Die Formulareinwilligung kann beispielsweise auf der Rückseite des Personalienblattes bei der Anmeldung abgedruckt und ausgefüllt werden. Natürlich können Sie auch ein separates Formular verwenden, vor allem wenn Sie es nicht routinemässig einsetzen wollen, sondern beispielsweise nur bei neuen oder unbekannten Patienten und/oder bei Patienten, deren Zahlungsmoral nicht über alle Zweifel erhaben ist. Die behördliche Entbindung Wer sich und seine Patienten prinzipiell von der Formularhuberei verschonen will und bei Inkassoproblemen datenschutzrechtlich trotzdem auf Nummer Sicher gehen will, wählt den «Goldstandard» und lässt sich in jedem einzelnen Fall von der vorgesetzten Behörde vom Berufsgeheimnis entbinden und das schon vor dem Einschalten eines Inkassobüros. Das ist vor allem dann zu empfehlen, wenn Sie das Glück haben, nur selten Schwierigkeiten mit dem Inkasso zu haben, und wenn Sie von Anfang an entschlossen sind, die Honorarforderung nötigenfalls auch vor Gericht durchzusetzen. Literatur 1 Selbstverständlich geht es nicht an, dass der Arzt aus Bequemlichkeit oder Nachlässigkeit dem Betreibungsbegehren oder dem Auftrag an das Inkassobüro eine Rechnungskopie mit detaillierten Leistungspositionen und evtl. Diagnosecode beilegt. Diese Angaben braucht der Adressat nicht, und deren Weitergabe ist in jedem Fall rechtswidrig. 2 Unveröffentlichter Entscheid vom 31. Juli 2001 (2P.144/2001). 3 Der durchschnittliche Betrag einer Arztrechnung beträgt 260 bis 300 Franken, mit saisonalen Schwankungen und teilweise grosser Streuung nach Fachgebiet (Quelle: Ärztekasse. Auskunft vom 20. Februar 2004). 4 Noll P. Das ärztliche Berufsgeheimnis im Schweizerischen Strafrecht. In: Peter H (Hrsg.). Schweizerische Beiträge V. Internationaler Kongress für Rechtsvergleich, Zürich 1958. S. 233ff.; Steinauer P-H. Protection des donnés de la personnalité et le secret médical dans le contexte des nouveaux médias et de l informatique. In: Schweizerische Stiftung Telmed. Medizinische Informatik in der Schweiz. Basel 1986. S. 106ff. 5 Langmark H. Die Strafrechtliche Schweigepflicht des Arztes. ZStR 1972, S. 71; BSK StGB II / Oberholzer N. Art. 321 N. 10; Der Schweizerische Beobachter (Hrsg.). Ratgeber Patientenrecht. 2. Auflage. Zürich 1998, S. 104, allerdings auch mit einem relativierenden Beispiel (psychiatrische Konsultation). Zu absolut, allenfalls im behandelten Kontext (polizeiliche Ermittlung) vertretbar: Gmür R. Ist der Arztbesuch geheim? Schweiz Ärztezeitung 1987;68:413. 6 Vgl. die eingehenden grundsätzlichen Erörterungen von Druey J-N. Information als Gegenstand des Rechts. Zürich 1995. S. 257ff., 273ff.; bezüglich Berufsgeheimnis S. 384ff. (lesenswert pointiert S. 185, Fn. 133). Für die Tatsache des Arztbesuchs Russek R. Das ärztliche Berufsgeheimnis. Bern 1954, S. 42; Boll J. Die Entbindung vom Arzt- und Anwaltsgeheimnis. Dissertation Zürich, 1983, S.3; Datenschutz im Medizinalbereich. Bericht einer vom Bundesamt für Justiz eingesetzten Arbeitsgruppe. Bern 1984, S. 67; Gmür R. Zur Weitergabe von Patientendaten an ärztliche Verrechnungsstellen, Buchhaltungsdienste und Inkassobüros. Schweiz Ärztezeitung 1993;74:551ff.; Brühwiler-Frésey LS. Medizinischer Behandlungsvertrag und Datenrecht. Zürich 1996, S. 216f. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDSB) unterstellt den Arztbesuch zwar «grundsätzlich» dem Berufsgeheimnis, relativiert dies aber sogleich: «[ ] besondere Vorsicht ist am Platz, wenn der Fachbereich des Arztes direkte Rückschlüsse auf die Art der Behandlung zulässt (beispielsweise Psychiater oder Onkologe/Tumorspezialist).» Leitfaden für die Bearbeitung von Personendaten im medizinischen Bereich. Bern 1997, S. 24. 7 Nicht einschlägig ist der (einzige) Literaturverweis des Gerichtes auf Keller K. Das ärztliche Berufsgeheimnis gemäss Art. 321 StGB. Dissertation Zürich 1993, S. 160 (Entscheid Ziffer III. 1 S. 14). Die zitierte Stelle bezieht sich auf die gerichtliche Durchsetzung der Honorarforderung im Zivilprozess, wo der Arzt naturgemäss auch detaillierte Angaben zur Behandlung machen muss. 8 Insofern unzutreffend auch das Beispiel bei Brühwiler-Frésey [6], S. 216. 9 EDSB. Leitfaden [6], S. 24; Auskunft des EDSB an die FMH vom 28. Februar 2003. 10 Auskunft des EDSB an die FMH vom 28. Februar 2003. 11 Wir haben diese Fragen dem EDSB gestellt, der allerdings aufgrund «knapper personeller Ressourcen» nicht darauf eingehen mochte. 12 EDSB. Leitfaden [6], S. 22. 13 Auskunft des EDSB an die FMH vom 28. Februar 2003. 14 Beobachter-Ratgeber [5], S. 118; Boll [6], S. 63. 15 Übersicht bei Ummel M, Restellini J-P. Les instances de levée du secret médical en Suisse. SJZ 1994;21:361. 16 BGE 91 I 204; Boll [6], S. 60; Ummel/Restelli [15], S. 363. 17 Brühwiler-Frésey [6], S. 217. 18 Das Bezirksgericht Zürich hat im vorliegenden Entscheid übrigens klargestellt, dass die bisherige Praxis der Gesundheitsdirektion, Entbindungen nur für Inkassoaufträge an Anwälte, nicht aber an Inkassobüros zu erteilen, unhaltbar ist. 19 kritisch dazu Keller [7], S. 151. 20 Ein gründlicher Richter könnte zwar zum Schluss kommen, die Formulareinwilligung sei wegen mangelnder freier Meinungsbildung widerrechtlich und damit unbeachtlich. Er würde dann zwar feststellen, dass der betreffende Arzt das Berufsgeheimnis objektiv verletzt hat, ihn aber wohl wegen Rechtsirrtum freisprechen. Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri 2004;85: Nr 34 1762