DMGP. Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie. Leitlinien zur umfassenden Behandlung und Rehabilitation Querschnittgelähmter



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Transkript:

DMGP Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie Leitlinien zur umfassenden Behandlung und Rehabilitation Querschnittgelähmter

2 Inhalt: 1. Einleitung 2-5 2. Definition Querschnittlähmung 5 3. Entstehungsursachen 5 3.1 Trauma 6 3.2 Erkrankung 6 3.3 Fehlbildung 6 4. Besonderheiten der Querschnittlähmung 6-9 5. Behandlungsziele 9-20 6. Ablauf der Behandlung und Rehabilitation 20-21 6.1 Ablauf der Erstbehandlung 21-22 6.2 Medizinische Rehabilitation 22-24 6.3 Berufliche und soziale Rehabilitation 25-27 6.4 Konzept der lebenslangen medizinischen Betreuung 27-28 7. Leistungsrechtliche Einordnung 28-29 7.1 Krankenversicherung 28-30 7.2 Unfallversicherung 31 7.3 Rentenversicherung 31 8. Behandlungseinrichtungen 32 8.1 Anforderungen an Behandlungszentren unmittelbar nach Eintritt einer Querschnittlähmung 32-35 8.2 Anforderungen an Behandlungszentren für Querschnittgelähmte zur Durchführung der medizinischen 35-37 Rehabilitation 9. Schlussbemerkungen 37

3 1 Einleitung Die Spezialzentren zur Behandlung Querschnittgelähmter in der Bundesrepublik Deutschland führen sei 1976 eine Statistik über die von ihnen betreuten Patienten. Auf diesem Zahlenmaterial basiert die folgende Darstellung. Die Zahl der behandelten neu aufgetretenen Lähmungsfälle hat sich in den Spezialzentren auf 1600 pro Jahr eingependelt. Hierdurch ist die Kapazität der Zentren auch im Zusammenhang mit den stationär zu behandelnden Komplikationen der Querschnittlähmung ausgelastet. Immer mehr Patienten müssen wegen stationär behandlungsbedürftiger Komplikationen aufgenommen werden. Die durchschnittliche Zahl der Wiederaufnahmen lag in den letzten Jahren bei 3500 pro Jahr. Zu den Aufgaben der Querschnittgelähmtenzentren gehört neben der Sicherstellung der Behandlung unmittelbar nach Eintritt einer Querschnittlähmung sowie der Behandlung von Komplikationen auch die ambulante Diagnostik, Behandlung und Beratung im Rahmen der medizinisch gebotenen lebenslangen Nachsorge. Obwohl nach wie vor nicht alle Zentren zur vertragsärztlichen ambulanten Versorgung ermächtigt sind, ist die Zahl der ambulanten Konsultationen in den letzten Jahren auf 6600 pro Jahr gestiegen. Die Spezialzentren sind aufgrund ihrer historischen Entwicklung im wesentlichen traumatologisch ausgerichtet, so dass auch die Mehrzahl der Patienten wegen unfallbedingter Querschnittlähmung behandelt werden. Lediglich eine relativ geringe Zahl von krankheitsbedingten Querschnittlähmungen ist dabei erfasst. Obwohl in den bestehenden Zentren zu etwa 70 % traumatisch verursachte Querschnittlähmungen behandelt werden, muss davon ausgegangen werden, dass das tatsächliche Verhältnis zwischen traumatisch- und erkrankungsbedingten Querschnittlähmungen 1 : 1 ist. Schon die Zahl der traumatisch bedingten Querschnittlähmungen ist nicht ganz vollständig erfasst, da Kinder häufig in kinderchirurgischen Kliniken erstbehandelt werden und verbleiben, auch erreichen nicht alle polytraumatisierten Querschnittgelähmten ein Spezialzentrum. In letzter Zeit erfolgt bei unkomplizierten Paraplegien auch häufig die wirbelsäulenchirurgische Versorgung in Traumazentren mit anschließender Weiterverlegung in nicht spezialisierte

4 Rehabilitationseinrichtungen, so dass eine Behandlung in einem Spezialzentrum häufig erst nach Auftreten schwerwiegender Komplikationen erfolgt. Hierüber liegen keine exakten Zahlen vor. Umso mehr ist die Zahl der erkrankungsbedingten Querschnittlähmungen unzuverlässig, da häufig nach Diagnosestellung ebenfalls die weitere Behandlung in nicht spezialisierten Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen erfolgt. Häufigster Grund für Wiederaufnahmen bei Komplikationen sind Hautweichteilschäden (Decubitus), jedoch auch Harnwegskomplikationen sowie andere typische Komplikationen der Querschnittlähmung wie exzessive Spastik, Kontrakturen, Weichteilverknöcherungen, sekundäre Knochenbrüche, pulmonale und Herz-Kreislaufstörungen sowie Schmerzsyndrome und andere. Grundsätzlich sollten alle Querschnittlähmungen unabhängig von ihrer Entstehungsursache in Spezialzentren für die Behandlung Querschnittgelähmter in enger Kooperation mit den erstbehandelnden Fachabteilungen weiter versorgt werden. Kinder mit angeborener Querschnittlähmung gehören zunächst in den Zuständigkeitsbereich der Kinderärzte in enger Zusammenarbeit mit Neurochirurgen, Urologen und Orthopäden, sind jedoch dem Patientenkreis der Behandlungszentren für Querschnittgelähmte zur weiteren Überwachung und Behandlung von Komplikationen zuzuordnen, sobald sie aus Altersgründen nicht mehr in die Zuständigkeit ihrer Kinderärzte fallen. Die Gesamtzahl von Einwohnern mit einer Querschnittlähmung in der Bundesrepublik Deutschland ist statistisch nicht erfasst. Nach Berechnungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften besteht ein Bedarf von einem Spezialbett zur Behandlung Querschnittgelähmter auf 41.400 Einwohner. Bei einer derzeitigen Gesamteinwohnerzahl der Bundesrepublik von 78,9 Millionen ließe sich so ein Bettenbedarf von etwa 1.900 Spezialbetten errechnen. Zur Zeit stehen knapp 1.200 Betten in 23 Querschnittgelähmtenzentren in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung, wobei jedoch nur 11 Zentren einem Klinikum mit Traumazentrum zugeordnet sind, weitere 7 Spezialabteilungen mit einer wirbelsäulenchirurgischen Spezialklinik verbunden sind.

5 Eine ausreichende Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung ist bei 10 den Berufsgenossenschaften zuzurechnenden Zentren gewährleistet, dies gilt jedoch nicht für die gesetzliche Krankenversicherung und andere Kostenträger. Eine nicht unerhebliche Zahl frisch aufgetretener Querschnittlähmungen kann wegen des Fehlens geeigneter Einrichtungen nicht ausreichend behandelt werden. Die Zahl der komplikationsbedingten Wiederaufnahmen von Querschnittgelähmten steigt ständig, da auch die Zahl der überlebenden Querschnittgelähmten im Wachsen begriffen ist. Das komplexe Krankheits- und Behinderungsbild einer Querschnittlähmung ist nicht so häufig, dass an allen Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen das gleiche ausreichende Wissen um die speziellen Krankheitsverläufe, Komplikationsgefahren, Therapieverfahren und Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Das notwendige Wissen und die langjährige Erfahrung lässt sich nur in Behandlungszentren sammeln, in denen eine große Anzahl verschiedenster Verläufe beobachtet werden können. Nur dort steht auch der zwingend notwendige personelle und apparative Aufwand zur Verfügung. Wegen unzureichender Behandlung in personell und technisch nicht genügend ausgestatteten Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen, die trotz intensiver Aufklärung über die Behandlungsgrundsätze für Querschnittgelähmte noch immer stattfindet, kommt es bereits in den ersten Tagen und Wochen zu Komplikationen der Atemwege und/oder der Blase, zu Druckgeschwüren und Gelenkversteifungen. Diese vermeidbaren Komplikationen verursachen eine wesentliche Verschlechterung der Rehabilitationsmöglichkeiten und einen unverhältnismäßig erhöhten Verwaltungs- und Kostenaufwand. Deshalb müssten die erforderlichen Betten in Behandlungszentren für Querschnittgelähmte kurzfristig bereitgestellt werden. Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat mit seiner Denkschrift Zur Neuordnung der Behandlungszentren für Querschnittgelähmte in der Bundesrepublik Deutschland mit Planungsrichtwerten für Neubauten ein Konzept vorgelegt und umgesetzt, das die bestmögliche Versorgung seiner Querschnittgelähmten sichert. Vergleichbare Konzepte für eine ausreichende und

6 zweckmäßige Versorgung aller anderen Querschnittgelähmten fehlen bisher und machen die intensive Zusammenarbeit aller Kräfte erforderlich. Die DMGP gibt als interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft die nachstehenden Behandlungsleitlinien heraus. 2 Definition Querschnittlähmung Querschnittlähmungen sind die Folge einer durch angeborene Fehlbildungen, durch Erkrankung oder durch Unfälle hervorgerufene Funktionsstörung des Rückenmarkes. Dieses stellt die Verbindung zwischen dem zentralen Steuerungsbereich des Groß- und Kleinhirns und den Erfolgsorganen in der Peripherie (z.b. Muskeln, Blase, Darm) her und leitet die von dort und von der Haut aufgenommenen Wahrnehmungen an die höhergelegenen Zentren zurück. Die Unterbrechung führt in Abhängigkeit von ihrem Ausmaß und ihrer Lokalisation zu teilweisen oder vollständigen Ausfällen der verschiedenen Qualitäten der Gefühlsempfindungen, der aktiven Bewegung der Gliedmaßen, der Muskulatur des Rumpfes, des Brustkorbes und des Zwerchfelles sowie der Funktionen von Blase und Mastdarm und der Sexualfunktion, ferner zu Regulationsstörungen von z.b. Atmung und Kreislauf. Querschnittlähmungen nach Schädigungen im Halsmarkbereich werden als Tetraplegie, Schädigungen des Brust-, Lenden- und Sakralmarkes als Paraplegie bezeichnet. Bei der Tetraplegie sind alle vier Gliedmaßen, die Brustkorb- und Rumpfmuskulatur, bei der Paraplegie die Muskulatur des Rumpfes und der unteren Gliedmaßen betroffen. Von einer kompletten Lähmung spricht man bei vollständigem Ausfall aller unterhalb des Schädigungsortes ausgefallenen Funktionen, von einer inkompletten Lähmung bei nur teilweisem Ausfall. 3 Entstehungsursachen Bei den nachfolgend aufgeführten Entstehungsursachen werden beispielhaft die Hauptursachen aufgeführt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

7 3.1 Trauma Traumatische Querschnittlähmungen entstehen durch äußere Gewalteinwirkung, überwiegend durch instabile Brüche und Verrenkungen im Bereich der Wirbelsäule, durch Stich- und Schussverletzungen, nur sehr selten jedoch ohne erkennbare Verletzung der Wirbelsäule durch kontusionelle Blutungen des Rückenmarks. 3.2 Erkrankung Erkrankungsbedingte Querschnittlähmungen werden durch gut- oder bösartige Raumforderungen verursacht, die entweder das Rückenmark selbst erfassen oder den Wirbelkanal, durch Gefäßerkrankungen mit entsprechenden Verschlüssen, durch bakterielle Entzündungen entweder der Wirbelsäule oder des Rückenmarkkanals, durch Virusinfektionen oder durch Bandscheibenvorfälle im Bereich von Hals- und Brustwirbelsäule. 3.3 Fehlbildung Störungen in der embryonalen Entwicklung der Wirbelsäule und des Neuralrohrs führen zu Spaltbildungen in unterschiedlichen Höhen des Rückenmarks und damit zu einer angeborenen Querschnittlähmung. Diese sind häufig kombiniert mit knöchernen Fehlbildungen im gelähmten Bereich sowie einem Hydrocephalus. 4 Besonderheiten der Querschnittlähmung Alle Tetraplegien und hohen Brustmarklähmungen haben einen Ausfall der Intercostalmuskulatur und damit eine erhebliche Verminderung des Atemvolumens durch die ausschließliche Zwerchfellatmung zur Folge, weshalb über die anfänglich häufig notwendige maschinelle Beatmung hinaus besondere Erfahrungen in der Atemtherapie erforderlich sind. Mit Ausnahme der dauerbeatmungspflichtigen Lähmungen mit Verlust der Zwerchfellinnervation muss die maschinelle Beatmung auf die kürzest mögliche Zeit begrenzt werden. Eine intensive und spezialisierte Atemtherapie wird dann erforderlich.

8 Durch den spinalen Schock kommt es zu einer Weitstellung der Gefäße im gelähmten Bereich und dadurch bedingte Blutdruckabfälle, die von den Auswirkungen eines hämorrhagischen Schockes abgegrenzt werden müssen, um nachhaltige Komplikationen für die Atemwege durch Überinfusionen zu vermeiden. Die Blase kann nach Eintritt einer Querschnittlähmung nicht willkürlich entleert werden. Anfangs besteht in der Regel eine schlaffe Blasenlähmung, die eine Urinableitung entweder über intermittierenden Katheterismus oder eine suprapubische Katheterableitung erfordert. Die transurethrale Dauerkatheterableitung führt unausweichlich zur Infektion innerhalb der ersten Tage und muss deshalb vermieden werden. Das weitere Leben des Querschnittgelähmten wird wesentlich davon abhängig, dass urologische Komplikationen mit Infektionen der oberen Harnwege und damit zunehmender Niereninsuffizienz vermieden werden. Ziel der Behandlung der neurogenen Blase ist es, eine druckarme Blasenfüllung mit Kontinenz zu erreichen, wozu es eingehender neuro-urologischer Erfahrung und Behandlungskonzepte bedarf. Insbesondere bei einer traumatischen Querschnittlähmung besteht zunächst eine Darmparalyse, die von einem Ileus anderer Ursache unterschieden werden muss, was ein entsprechendes Erfahrungsausmaß voraussetzt, um die geeigneten Behandlungsmethoden einleiten zu können und vermeidbare Operationen auch tatsächlich zu verhindern. Ein geeignetes Darmentleerungsregime muss nach den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen entwickelt und durchgeführt werden. Querschnittgelähmte sind im Hinblick auf das Auftreten von Weichteilkomplikationen (Druckgeschwüre) sowohl durch die Sensibilitätsverluste besonders gefährdet als auch durch den lähmungsbedingten Verlust der Gefäßregulierung und den initial vorhandenen spinalen Schock. Spezielle Lagerungstechniken sowie die Erfahrung der Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten sind erforderlich, um diese vermeidbaren Komplikationen zu verhindern. Schon bei der Initialbehandlung muss die Entstehung von Gelenkkontrakturen, insbesondere der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke vermieden werden, wozu

9 entsprechende gezielte Behandlungen und Lagerungen erforderlich sind, da sonst eine Rehabilitation und Reintegration unmöglich gemacht werden kann. Besonderes Augenmerk ist dabei auch auf die Fingerstellung der Tetraplegiker zu richten, da sonst eine Funktionshand zur Ermöglichung primitiver Greifformen nicht erzielt werden kann. Wenn auch ein Einfluss auf das Ausmaß der Lähmung durch operative Maßnahmen kaum genommen werden kann, ist die operative Wiederherstellung von Form und Funktion der Wirbelsäule unabdingbar erforderlich, wobei die wirbelsäulenchirurgische Versorgung den später erforderlichen Ansprüchen an die Funktion der Wirbelsäule insbesondere beim Querschnittgelähmten Rechnung tragen muss, was Auswirkungen auf die Art der Implantate hat. Besondere Erfahrung ist notwendig, um eine zügige Mobilisation nach erfolgter Wirbelsäulenstabilisierung auch ermöglichen zu können. Insbesondere bei traumatischen Querschnittlähmungen liegt sehr häufig ein Polytrauma vor, das einer ausgedehnten interdisziplinären Versorgung bedarf unter besonderer Berücksichtigung der vielfältigen Einschränkungen beim Querschnittgelähmten. Nach Abklingen des spinalen Schocks setzt beim Querschnittgelähmten eine spinale Spastik ein, die häufig so ausgeprägt ist, dass hieraus weitere Komplikationen entstehen, weshalb besondere Erfahrungen in der Behandlung der spinalen Spastik vorliegen müssen, um lebenslang negative Auswirkungen zu vermeiden. Aus unbekannter Ursache entstehen bei vielen Querschnittgelähmten trotz vollständiger Leitungsunterbrechung im Rückenmark schwerwiegende Schmerzsyndrome im Bereich der gelähmten Körperregion, deren Behandlung außerordentlich schwierig ist, da auch die Konzepte der modernen Schmerztherapie in diesen Fällen vielfach nicht greifen. Die Prognose der Querschnittlähmung ist nicht mit der gebotenen Sicherheit schon frühzeitig zu stellen, da nur in wenigen Fällen eine vollständige Durchtrennung des Rückenmarks vorliegt und Teilremissionen möglich sind.

10 Die Behandlung dieser Besonderheiten der Querschnittlähmung erfordert ein interdisziplinäres Behandlerteam, das Kenntnisse aus allen Bereichen therapeutischer Anwendungen hat und jeweils die geeignete Methode im Einzelfall zur Anwendung bringt, da bei der Behandlung Querschnittgelähmter eine einzige Therapieform nicht ausreicht. Die unverzichtbaren Erfahrungen in der Behandlung Querschnittgelähmter können nur dadurch entwickelt werden und wachsen, dass auch ständig solche Patienten in ausreichender Zahl behandelt und beobachtet werden können. Im Gegensatz zu anderen Verletzungsbildern und Erkrankungen müssen bei der Querschnittlähmung in weit höherem Maße sofort parallel zu den zwingend gebotenen medizinischen Maßnahmen Rehabilitationselemente in die Behandlung eingefügt werden, so dass die im Vordergrund stehende ärztlich medizinische Behandlung und Überwachung absolut parallel zu ergänzenden Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt wird. Im Gegensatz zu anderen Verletzungs- oder Erkrankungsbildern liegt bei der Querschnittlähmung eine extrem hohe Thrombosehäufigkeit vor, die auf das lähmungsbedingte Fehlen der Muskelpumpe zurückzuführen ist. Eine extrem hohe Thromboemboliegefahr besteht in den ersten drei Monaten trotz Ausnutzung aller prophylaktischen Maßnahmen. Die gezielte gerinnungshemmende Therapie mit Cumarinen ist bei Lähmungen oberhalb D 10 außerordentlich schwierig und kann nur unter stationären Bedingungen durchgeführt werden. Aus wissenschaftlich nicht geklärten Gründen kommt es im Langzeitverlauf der Querschnittlähmung trotz gleicher Verursachungsvoraussetzungen nur noch äußerst selten zu Thrombosekomplikationen. Häufiger weisen Beinschwellungen dann eher auf ein Lymphödem hin. 5 Behandlungsziele Unabhängig von der Schadenslokalisation im Rückenmark ist nach Eintritt einer Querschnittlähmung davon auszugehen, dass im Fall einer fortbestehenden vollständigen oder inkompletten Lähmung lebenslanger Behandlungsbedarf

11 bestehen bleiben wird, der sich aus den weiter unten erläuterten allgemeinen Behandlungszielen ableitet. Welche Leistungen dabei zum Einsatz kommen (z.b. vollstationäre, teil- oder nachstationäre Krankenhausbehandlung, ambulante Behandlung sowie andere Maßnahmen der Rehabilitation) richtet sich nach den jeweiligen besonderen Behandlungszielen, die sich notwendigerweise aus der akuten individuellen medizinischen Situation ergeben und eine Einzelfallbeurteilung erforderlich machen. Ohne jede Frage liegt bei der Querschnittlähmung der verschiedensten Ursachen entsprechend der internationalen Klassifikation (ICF= International Classification of Function) eine Störung der gesundheitlichen Integrität vor, die ggf. durch zusätzliche Erkrankungen oder Verletzungen noch verstärkt werden kann. Die hierdurch bedingte funktionelle Beeinträchtigung führt zu einer Veränderung der Aktivität mit dadurch bedingten weitreichenden sozialen Beeinträchtigungen als Partizipationsstörung. Die schon unmittelbar nach Eintritt der Querschnittlähmung gestörten und veränderten Funktionen im Hinblick auf Blasen- und Mastdarmentleerung sowie Atmung und Kreislauf sind in den ersten drei bis vier Monaten ganz erheblichen Wechseln unterworfen, die jeweils gezielte medizinische Maßnahmen nach sich ziehen, weshalb auch bis zur Stabilisierung dieser Funktionen Krankenhausbehandlung einschließlich Rückgriffmöglichkeit auf die Behandlung auf Intensivstation geboten ist. Parallel zu der rein medizinischen Therapie müssen jedoch bereits gleichzeitig Rehabilitationsaufgaben erfüllt werden, da auch die Rehabilitation unverzichtbarer Bestandteil der umfassenden Gesamtbehandlung des Querschnittgelähmten ist. Die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit kann sich bedeutend verlängern durch auftretende Komplikationen sowie die notwendige Behandlung von neben der Querschnittlähmung bestehenden Erkrankungen oder Zusatzverletzungen. Die speziellen Anforderungen an die Gesamtbehandlung der Querschnittgelähmten sind Aufgaben, die in der Regel weder von Krankenhäusern der Regel- noch Maximalversorgung wahrgenommen werden können, weshalb die Behandlung in einer spezialisierten Einrichtung notwendig ist, die gleichzeitig sowohl die umfassende medizinische Behandlung gewährleisten kann als auch die Wahrnehmung der rehabilitativen Elemente.

12 Auch nach Abschluss der stationären Behandlung liegt bei der Querschnittlähmung im Gegensatz zu anderen Behinderungsbildern ständig die Gefahr typischer Komplikationen vor, weshalb auch lebenslang eine medizinische Überwachung zum rechtzeitigen Aufdecken von Komplikationen erforderlich ist mit Einleitung einer entsprechenden zielgerichteten Behandlung. Dies begründet sich insbesondere durch den Verlust der Blasen- und Mastdarmkontrolle verbunden mit hyperreflexiven Steuerungsstörungen sowie dem Verlust aller sensiblen Qualitäten mit dadurch erhöhter Gefahr der Entwicklung von Druckgeschwüren. Auch die Auswirkungen der spinalen Spastik müssen berücksichtigt werden. 5.1 Allgemeine Behandlungsziele - Das Überleben zu sichern und Leben zu verlängern. - Den somatischen Zustand zu verbessern, zumindestens jedoch eine Verschlechterung einschließlich möglicher Komplikationen zu verhindern und ggf. zu behandeln. - Den funktionellen Zustand zu verbessern, mindestens jedoch eine Verschlechterung zu vermeiden, um die bestmögliche Selbständigkeit zu erzielen. - Den psychischen Zustand zu verbessern, zumindestens jedoch eine Verschlechterung zu vermeiden, da dies unter anderem unverzichtbare Bedingung für eine somatische Verbesserung, mindestens jedoch eine Stabilisierung ist. Dies sind Behandlungsziele, die sich unmittelbar nach Eintritt der Querschnittlähmung ergeben, bleiben aber Behandlungsziel als lebenslanger Bestandteil der Behandlung.

13 5.2 Besondere Behandlungsziele im Rahmen der Erstversorgung nach Eintritt der Querschnittlähmung a) Stabilisierung der Vitalfunktionen Die Dauer ist abhängig von den bestehenden Begleitverletzungen und Begleiterkrankungen (Polytrauma und Polymorbidität) und abhängig von der Lokalisation der Rückenmarkschädigung: Wenige Tage bis mehrere Wochen. Von einer langwierigen Dauer muss ausgegangen werden bei gleichzeitigem Vorliegen von Brustkorbverletzungen oder Vorerkrankungen der Atmungs- und Kreislauforgane, gleichzeitigem Schädelhirntrauma sowie Läsionen oberhalb C 4 mit Beatmungspflicht. Meist ist die Behandlung auf einer Intensivstation erforderlich. b) Dekompression des Rückenmarks und operative Stabilisierung der Wirbelsäule mit dem Ziel der Wiederherstellung der normalen Belastbarkeit der Wirbelsäule und zur Vermeidung von sekundären neurologischen Verschlechterungen Auch bei komplikationsfreiem Verlauf kann mit voller Belastbarkeit der Wirbelsäule vor Ablauf von 12 Wochen nicht gerechnet werden, so dass vor diesem Zeitpunkt auch nicht von uneingeschränkter Rehabilitationsfähigkeit ausgegangen werden kann, obwohl die Rollstuhlmobilisation bereits in den ersten zwei Wochen möglich ist. Die Dauer der Krankenhausbehandlung wird weniger durch die Ausheilung der Wirbelsäulenverletzung bestimmt als durch das Erzielen der anderen Behandlungsziele.

14 c) Versorgung der Begleitverletzungen und Behandlung von Begleiterkrankungen Insbesondere bei Verletzungen der oberen Gliedmaßen wird Rehabilitationsfähigkeit erst nach Versorgung und Heilung hergestellt. Ausmaß und Art von Begleitverletzungen und Begleiterkrankungen können die Dauer der notwendigen Krankenhausbehandlung entscheidend beeinflussen. d) Langfristige Stabilisierung der Vitalfunktionen (Herz-Kreislauf, Atmung, Ausscheidung) Die Dauer der Behandlung ist entscheidend von der Lokalisation des Rückenmarkschadens abhängig sowie der Art der Begleitverletzungen oder - erkrankungen. Auch bei primär erfolgreicher Stabilisierung der Vitalfunktionen auf der Intensivstation liegt zunächst nur ein labiles Gleichgewicht vor, so dass jederzeit auch bei primär komplikationsarmen Verlauf bei Halsmark- und hohen Brustmarklähmungen Atemwegskomplikationen drohen, die dann intensivmedizinische Behandlung notwendig machen können. Besonders häufig sind entsprechende Komplikationen während der ersten Monate zu erwarten. e) Die Vermeidung, Diagnostik und Behandlung akut lebensbedrohender Komplikationen, insbesondere der Thrombosen. Unabhängig von der Schadenshöhe liegt insbesondere in den ersten drei Monaten nach Schadenseintritt eine extrem hohe Thrombosegefährdung wegen der fehlenden Muskelpumpe vor, die alle medikamentösen und physikalischen prophylaktischen Maßnahmen erforderlich macht, ohne dass hierdurch zuverlässig Thromboembolien vermieden werden könnten, so dass auch für diesen Zeitraum die Möglichkeit intensivmedizinischer Behandlung vorgehalten werden muss.

15 f) Die weitestgehende Wiederherstellung der Blasenfunktion (Kontinenz durch ausreichende Speicherfunktion, niedrige Blasendrucke zur Vermeidung aufsteigender Harnwegsinfektionen) als unabdingbare Voraussetzung zum langfristigen Überleben. Die Behandlung der Blasenfunktionsstörung setzt unmittelbar nach Eintritt der Querschnittlähmung ein, wobei die Behandlungsstrategie jedoch nach Abklingen des spinalen Schocks mit Einsetzen einer hyperreflexiven Blasenentleerung Änderungen unterworfen ist. Eine ausreichende Blasenstabilisierung ist nicht vor Ablauf von vier Monaten nach Schadenseintritt zu erwarten, weshalb im gesamten Verlauf engmaschige neurourologische Untersuchungen und Therapieanpassungen erfolgen müssen mit besonderem personellen und apparativem Aufwand sowie entsprechenden speziellen neurourologischen Kenntnissen. (siehe Manual Neuro-Urologie und Querschnittlähmung Leitlinien zur urologischen Betreuung Querschnittgelähmter ). g) Die Regulierung der spinalen Spastik nach Abklingen des spinalen Schocks Mit Ausnahme einiger Typen des Conussyndroms und der Schädigung der Cauda equina entwickelt sich nach Abklingen des spinalen Schocks zwischen 3 und 6 Wochen nach Schadenseintritt eine individuell stark unterschiedlich ausgeprägte spinale Spastik, die bei 80 % der Patienten so erheblich ist, dass neben anderen Maßnahmen eine individuell angepasste medikamentöse Therapie erforderlich wird. Hierbei sind Nebenwirkungen der benötigten Medikamente sorgfältig abzuwägen und zu beobachten. Bei 5 bis 10 % der Patienten liegen so erhebliche, nicht beeinflussbare Auswirkungen der Spastik vor, dass die Implantation einer Medikamentenpumpe erwogen werden muss oder andere operative Maßnahmen. Die Regulierung der Spastik ist wesentliche Voraussetzung für die Erzielung von Rehabilitationsfähigkeit und kann damit wesentlich die Länge der notwendigen Krankenhausbehandlung bestimmen. Die Dauer der erforderlichen stationären Behandlung ist abhängig vom Erfolg der therapeutischen Maßnahmen und individuell stark unterschiedlich.

16 h) Die Vermeidung und Behandlung sonstiger Komplikationen (Kontrakturen, Weichteilverknöcherungen, Druckgeschwüre, chronisches Schmerzsyndrom) Bereits unmittelbar nach Schadenseintritt muss durch intensive tägliche und ggf. auch mehrmals tägliche krankengymnastische Einzelbehandlung sowie spezielle Lagerungsmethoden unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle der Bildung von Kontrakturen entgegen gewirkt werden, da sonst für die Zukunft unüberwindbare Rehabilitationshindernisse aufgebaut werden, insbesondere durch schmerzhafte Kontrakturen im Bereich der Schultergelenke oder unzureichende Vorgehensweise bei der Erzielung einer Funktionshand des Tetraplegikers. Lähmungsspezifische Weichteilverknöcherungen, die besonders in den ersten vier Monaten nach Schadenseintritt befürchtet werden müssen, bedürfen besonderer ärztlicher Kontrolle und Diagnostik und Stadien und stadiengerechter Behandlung. Zur Vermeidung von Druckgeschwüren sind gezielte Lagerungstechniken sowie besondere Hilfsmittel zur Druckentlastung erforderlich. Kontraktur- und Decubitusprophylaxe müssen lebenslang fortgeführt werden. i) Die psychische Stabilisierung des Patienten als unabdingbare Voraussetzung für eine somatische Stabilisierung Die Dauer ist abhängig von den bisherigen sozialen Lebensverhältnissen und den individuellen Möglichkeiten, die Behinderung zu verarbeiten und anzunehmen. Zur Behandlung kommen insbesondere Kriseninterventionsmaßnahmen und Maßnahmen zur Förderung der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, ggf. psychologische oder psychotherapeutische Betreuung in Frage; bei Kindern Durchführung von heilpädagogischen Maßnahmen. j) Die Wiederherstellung der größtmöglichen Selbständigkeit Die Dauer ist abhängig vom Ausmaß der Behinderung, in der Regel in der Gesamtzeit der ohnehin wegen der anderen oben genannten Behandlungsziele notwendigen stationären Behandlung durch ergotherapeutisches und krankengymnastisches Selbständigkeits- und Funktionstraining zu erreichen. Sehr

17 unterschiedliche Hilfsmittel müssen verordnet, erprobt und individuell angepasst werden. k) Die Eingliederung oder Wiedereingliederung in individuell angepasste soziale Lebensverhältnisse. Leistungen und Maßnahmen der beruflichen und sozialen Rehabilitation müssen noch während der laufenden stationären Krankenhausbehandlung eingeleitet und ggf. auch bereits durchgeführt werden (z.b. Leistungen im Rahmen der Kraftfahrzeughilfeverordnung, der begleitenden Hilfen im Arbeits- und Berufsleben, Arbeitsplatz- und Wohnungsanpassungsmaßnahmen und andere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Leben in der Gemeinschaft). Nach einer Sozialstatistik mit Daten aus den Behandlungszentren für Querschnittgelähmte von 1990/91 kann davon ausgegangen werden, dass 35 bis 40 % der Betroffenen, bei denen eine Erwerbstätigkeit nicht bereits grundsätzlich durch das Ausmaß der Behinderung oder aufgrund des Alters ausgeschlossen ist, bei ihrem bisherigen Arbeitgeber weiterbeschäftigt werden können, dagegen würde eine erst nach Abschluss der stationären Krankenhausbehandlung einsetzende Planung höchstwahrscheinlich zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Insofern müssen alle der Wiedereingliederung dienenden Maßnahmen im Sinne des SGB IX so früh wie möglich geplant, eingeleitet und durchgeführt werden. Grundsätzlich hat sich die in Deutschland geübte Behandlungsstrategie mit Behandlung und Rehabilitation der Querschnittlähmung unmittelbar nach Eintritt der Schädigung in einem Behandlungszentrum für Querschnittgelähmte unter einem Dach und aus einer Hand bewährt, da die bestehenden Behandlungszentren sowohl über die notwendige Erfahrung als auch die baulichen, apparativen und personellen Voraussetzungen verfügen. Zielgerichtete medizinische Behandlungsmaßnahmen überwiegen in den ersten vier Monaten nach Eintritt einer Querschnittlähmung bei gleichzeitig ablaufenden rehabilitativen Maßnahmen, die erst im weiteren Verlauf im Vordergrund stehen können, in der Regel jedoch nach Erreichen der medizinisch bestimmten Behandlungsziele a bis h ebenfalls soweit zum Abschluss gebracht werden können, dass eine weitere ambulante oder teilstationäre Therapie ausreicht. Auch aus diesem Grund müssen erforderliche Maßnahmen zur sozialen und

18 beruflichen Reintegration schon während der Krankenhausbehandlung eingeleitet und zeitlich festgelegt werden. In der Regel sind die Behandlungsziele (a-h) bei Paraplegien in 4 bis 6 Monaten zu erreichen, bei Tetraplegien in 6 bis 8 Monaten. 5.3 Behandlungsziele im Rahmen der lebenslangen Nachsorge und Rehabilitation Die lebenslang bestehende Behandlungs- und Rehabilitationsbedürftigkeit begründet sich bei Querschnittgelähmten dadurch, dass im Gegensatz zu anderen Behinderungsbildern ständig Komplikationen unter anderem durch die Blasenlähmung, die Sensibilitätsverluste mit der Gefahr von Druckgeschwüren sowie die spinale Spastik drohen, auch spezifisch bei Querschnittgelähmten auftretende schwer therapierbare Schmerzensyndrome. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Behandlungsziele sind deshalb weitere lebenslang gültige Behandlungsziele aufzuführen: a) Die Erhaltung der Speicherfunktion der Blase bei niedrigen Blasendruckwerten, um aufsteigende Harnwegsinfektionen mit drohender Niereninsuffizienz zu vermeiden und ein langfristiges Überleben zu sichern. Die Behandlung und Diagnostik der Blasenfunktionsstörung muss lebenslang fortgesetzt werden, da Veränderungen, die einen sofortigen ärztlichen Behandlungsbedarf nach sich ziehen, auf Dauer nicht ausgeschlossen werden können. Insoweit sind regelmäßige ambulante ärztliche Untersuchungen unter Mitwirkung eines neurourologisch erfahrenen Arztes erforderlich. Abhängig von der jeweiligen medizinischen Notwendigkeit können erneute stationäre Krankenhausbehandlungen notwendig werden. b) Die Vermeidung und Behandlung von Komplikationen (z.b. Kontrakturen, Druckgeschwüre).

19 Lebenslange Behandlung und Überprüfungen sind erforderlich. Auch bei Abschluss der stationären Behandlungen sind krankengymnastische Einzelbehandlungen weiter notwendig, deren Umfang von den individuellen Gegebenheiten abhängig ist. Es kann deshalb auch nur nach dem jeweils erhobenen ärztlichen Befund entschieden werden, ob einzelne Serien krankengymnastischer Kontrakturbehandlungen erforderlich sind oder tägliche krankengymnastische Einzelbehandlungen notwendig werden. Der Einsatz von apparativen Hilfen zur Kontrakturprophylaxe muss überprüft werden. Besonders bei druckgeschwürsgefährdeten Patienten, die eine entsprechende Komplikation bereits erlebt haben, sind häufige ambulante Kontrolluntersuchungen zur Komplikationsvermeidung erforderlich sowie der Einsatz druckentlastender Hilfsmittel. Hierzu erfolgt Einsatz von Heil- und Hilfsmitteln, ambulante Überwachung, ggf. stationäre Krankenhausbehandlung c) Diagnostik und Therapie der Auswirkung der Querschnittlähmung im Hinblick auf die funktionelle Einordnung des alternden Querschnittgelähmten Bei älter werdenden Querschnittgelähmten wirken sich auch ohne Änderung der Läsionshöhe die Alterungsprozesse allgemein auf den zu erhaltenden funktionellen Zustand aus, wodurch früher erworbene Fähigkeiten wieder verloren gehen. Dies macht ambulante oder ggf. stationäre Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation notwendig. d) Diagnostik und Therapie der Spätfolgen der Querschnittlähmung (sekundäre Spinalkanalstenosen, Syringo- und Hydromyelien, Lähmungsskoliosen) Bei Deformitäten und primär nicht beseitigten Instabilitäten können sekundäre Spinalkanalstenosen entstehen sowie Höhlenbildungen im Rückenmark im Sinne von Syringo- oder Hydromyelien mit Ausweitung der ursprünglichen Ausfallerscheinungen. Die Veränderungen sind nur durch entsprechende

20 diagnostische Verfahren nach Verdachtsdiagnose bei den regelmäßigen ärztlichen Kontrolluntersuchungen zu erkennen. Allen Patienten mit Eintritt der Lähmung im Kindesalter droht die Lähmungsskoliose, die einer entsprechenden zielgerichteten, vornehmlich operativen Behandlung bedürfen. Regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen, ggf. stationäre Krankenhausbehandlung sind erforderlich. e) Die Regulierung der spinalen Spastik Auch nach Abschluss der stationären Behandlung bleibt ärztliches Behandlungsziel, die spinale Spastik auf ein tolerierbares Ausmaß reduziert zu halten, wobei die spinale Spastik auch im Langzeitverlauf Wechseln unterworfen ist, die eine Änderung des vorherigen Therapieregimes nach sich ziehen. Regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen und ambulante Behandlung, ggf. stationäre Krankenhausbehandlung müssen durchgeführt werden. f) Die psychische Stabilisierung der Patienten als unabdingbare Voraussetzung für eine somatische Stabilisierung Abhängig von den sozialen Lebensverhältnissen und den individuellen Möglichkeiten, die Behinderung zu verarbeiten und anzunehmen, müssen geeignete Maßnahmen durchgeführt werden. Lähmungsspezifische Schmerzsyndrome können auch langfristige psychotherapeutische Maßnahmen erforderlich machen. Geeignete Maßnahmen können Kriseninterventionsmaßnahmen im Rahmen einer psychologischen oder psychotherapeutischen Betreuung oder Behandlung, bei Kindern auch heilpädagogische Maßnahmen, sein. g) Wiederherstellung und Erhaltung der größtmöglichen Selbständigkeit Abhängig vom Ausmaß der Behinderung sowie individuell bestehenden Funktions- und Selbsthilfepotential sind stationäre Maßnahmen zur medizinischen

21 Rehabilitation, falls ambulante oder teilstationäre Maßnahmen nicht ausreichen oder nicht zur Verfügung stehen, bei Bedarf durchzuführen. h) Die Eingliederung in individuell angepasste soziale Lebensverhältnisse Die bereits während der stationären Krankenhausbehandlung eingeleiteten Rehabilitationsmaßnahmen müssen weiter fortgeführt werden. Lebenslang wird davon ausgegangen werden müssen, dass einzelne Maßnahmen (z.b. aufgrund geänderter persönlicher und beruflicher Verhältnisse) wiederholt einzuleiten und durchzuführen sind. 6 Ablauf der Behandlung und Rehabilitation Unmittelbar nach Eintritt einer Querschnittlähmung steht die ärztliche Behandlung im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung im Vordergrund, weil - umfangreiche medizinische und operative Maßnahmen zur Begrenzung der Lähmung erforderlich sind unter Mitwirkung eines mit der Querschnittlähmung erfahrenen Arztes, - jederzeit - auch noch nach mehreren Monaten der stationären Behandlung - lebensbedrohende Komplikationen auftreten können, die das sofortige Einschreiten eines Arztes erfordern, - jederzeit lähmungsspezifische Verschlechterungen eintreten können, die des Eingreifens eines mit der Querschnittlähmung erfahrenen Arztes bedürfen, - bei Auftreten lebensbedrohlicher Komplikationen die apparative Ausstattung einer Intensivstation zur Verfügung stehen muss, jederzeit die apparative und personelle Ausstattung zur Diagnostik sich anbahnender Komplikationen vorhanden sein muss.

22 6.1 Ablauf der Erstbehandlung Unter umfassender Behandlung und Rehabilitation (Comprehensive care) unmittelbar nach Eintritt einer Querschnittlähmung ist zu verstehen, dass während der durch die in Abschnitt 5 genannten Behandlungsziele a-h, die stationäre Krankenhausbehandlung notwendig machen, gleichzeitig rehabilitative Maßnahmen erforderlich werden, die in der Regel mit Abschluss der notwendigen stationären Krankenhausbehandlung auch zum Abschluss gebracht werden können. Hierfür erforderlich sind allerdings die besonderen räumlichen, personellen und apparativen Voraussetzungen einer spezialisierten Krankenhausabteilung, die aufgrund der speziellen Aufgabenstellung auch über die notwendigen Erfahrungen in der Gesamtbehandlung von Querschnittlähmungen verfügt. Mit den Maßnahmen zur Wiedererlangung der Selbständigkeit bzw. den Maßnahmen zur Wiedereingliederung in individuell angepasste Lebensverhältnisse darf keinesfalls erst nach Abschluss der stationären Krankenhausbehandlung begonnen werden, da jede Verzögerung zu einer Verschlechterung des Behandlungsablaufes führen muss, was wiederum unweigerlich eine Gefährdung der übrigen Behandlungsziele nach sich zieht und weitere Kosten verursacht. Bei komplikationsarmem Verlauf wird die umfassende Erstbehandlung bei Paraplegien in 4 bis 6 Monaten, bei Tetraplegien in 6 bis 8 Monaten abgeschlossen werden können. Unmittelbar nach Eintritt einer Querschnittlähmung und Beherrschung der lebensbedrohlichen Situation sollte vor allem nach Unfällen die unverzügliche Einweisung in ein geeignetes Behandlungszentrum für Querschnittgelähmte erfolgen. Die operative Dekompression und Stabilisierung sollte nur dann in einer neurochirurgischen Fachabteilung oder einem Traumazentrum erfolgen, wenn eine geeignete Spezialeinrichtung nicht aufnahmefähig ist. Zumindest muss unmittelbar nach Akutversorgung eine Verlegung durchgeführt werden, da auch große Traumaund Behandlungszentren allgemeiner Art weder über die personelle, apparative und räumliche Ausstattung noch die notwendige Erfahrung bei der Behandlung Querschnittgelähmter verfügen. Auch an die operative Stabilisierung der Wirbelsäule bei querschnittgelähmten Patienten müssen besondere Anforderungen gestellt

23 werden, da sonst die Behandlungsziele nicht erreicht werden können und weitere sekundäre operative Maßnahmen erfolgen müssen. Dies gilt auch für die größte Zahl der nicht traumatischen Querschnittlähmungen 6.2 Medizinische Rehabilitation Führt die Schädigung des Rückenmarks zu nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigungen der Aktivität und können positive Rehabilitationsziele benannt werden, liegt auch unter Berücksichtigung von Kontext- und Risikofaktoren eine Indikation für eine Rehabilitation vor und ist Rehabilitationsbedürftigkeit zu unterstellen, um durch Rehabilitationsmaßnahmen die Beeinträchtigungen zu vermindern oder zukünftigen Verschlechterungen entgegen zu wirken. Bei der Rehabilitationsbehandlung der Aktivitätsstörungen sind besonders zu berücksichtigen: - Fortbewegung mit und ohne entsprechende Hilfsmittel - Körperpflege - An- und Auskleiden - Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme, ggf. Schlucktraining - Entleerung von Blase und Mastdarm - Haushaltsführung - Wiederherstellung der Kommunikation durch Sprechen, Schreiben und Lesen - Gesellschaftliche und familiäre Wiedereingliederung - Hilfe bei der Krankheitsverarbeitung Ziel der Rehabilitation ist, die Abhängigkeit von fremder Hilfe auf das notwendige Ausmaß zu beschränken und eine unabhängige Lebensführung zu ermöglichen, wozu auch die Mobilität zur Erschließung der näheren und weiteren Umgebung ebenso gehört wie die Wiederaufnahme schulischer und beruflicher Aktivitäten und Erschließung von Freizeitaktivitäten. Neben dem Ausmaß der Beeinträchtigungen der Aktivität ist das Ergebnis und die Durchführbarkeit von Rehabilitationsmaßnahmen bei Querschnittlähmungen wesentlich auch von Kontext-Faktoren abhängig, die bedeutsame

24 Wechselwirkungen haben. So spielen einmal personenbezogene Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung und Ausbildung, religiöse Bindungen, Charakter und Persönlichkeit wie auch zusätzliche Gesundheitsprobleme, der Lebensstil, Erziehung und Beruf sowie die allgemeine Fitness eine Rolle, daneben jedoch auch weitere Umweltfaktoren wie Wohnung und Familie. Positive Kontext-Faktoren haben auf das Ergebnis des Rehabilitationsverlaufs einen günstigen Einfluss, so dass sie auch frühzeitig erkannt und genutzt werden müssen, während negative Kontext-Faktoren nicht nur den Verlauf der Rehabilitation ungünstig beeinflussen, sondern häufig auch Grund für ein erhöhtes Gesundheitsrisiko sind. Indikation und Ziel der Rehabilitation müssen deshalb in jedem einzelnen Fall besonders geprüft und gewürdigt werden. Zunächst negative Kontext-Faktoren können durchaus durch ausreichende Hilfsmittel sowie psychologische Hilfestellungen in ihrer Auswirkung positiv beeinflusst werden. Je mehr positive Umweltfaktoren bereits bei Eintritt der Querschnittlähmung vorhanden waren oder durch gezielte Maßnahmen geschaffen werden können, um so besser wird das Ergebnis der Rehabilitationsmaßnahmen bewertet werden können. Rehabilitationsfähigkeit wird durch die körperliche und psychische Verfassung des Querschnittgelähmten bestimmt (Motivation, Motivierbarkeit und Belastbarkeit). Bei querschnittgelähmten Patienten wird Rehabilitationsfähigkeit erst dann unterstellt werden können, wenn zumindest die nachstehenden Parameter in ihrer Gesamtheit erfüllt sind: - Die vitalen Parameter (Atmung, Kreislauf) sind nachhaltig stabil - Die krankheitsspezifischen Komplikationen (Decubitus, neuro-urologische Probleme usw.) sind soweit medizinisch stabil ausbehandelt, dass die weitere notwendige medizinische Behandlung auch in einer auf querschnittgelähmte Patienten spezialisierte Rehabilitationseinrichtung erfolgen kann und noch vorhandene Druckgeschwüre die Belastung nicht verhindern. - Bestehende Begleiterkrankungen und Komplikationen verhindern die Mobilisierung nicht. - Die primäre Diagnostik ist abgeschlossen und die weitere notwendige medizinische Therapie ist festgelegt, so dass weitere diagnostische

25 Maßnahmen in der Rehabilitationseinrichtung lediglich der Anpassung der medizinischen und rehabilitativen Therapie dienen. - Die körperliche und psychische Belastbarkeit (auch unter Einsatz von Hilfsmitteln) erlaubt mehrmals tägliche Therapiemaßnahmen von mindestens 15 Minuten Dauer im Sitzen oder Stehen. Auf dem Boden der medizinischen Diagnosen unter Einschluss zusätzlicher Gesundheitsstörungen und Beeinträchtigungen lässt sich unter Berücksichtigung der Kontext- und Umweltfaktoren wie dem Ausmaß der Aktivitätsbeeinträchtigungen und des primären Verlaufs eine Rehabilitationsprognose als medizinisch begründete Wahrscheinlichkeitsaussage formulieren und die zu erreichenden Rehabilitationsziele definieren, so dass sowohl die geeignete Rehabilitationsmaßnahme als auch ein notwendiger Zeitraum benannt werden können. Immer muss der Querschnittgelähmte selbst neben den Mitgliedern des interdisziplinären Rehabilitationsteams in die Definition der Rehabilitationsziele einbezogen werden. Regelmäßig muss die rehabilitative wie auch medizinische Therapie dem aktuellen Zustand angepasst werden, ggf. sind die Rehabilitationsziele auch zu erweitern oder auf eine geringere Stufe zurückzunehmen. Unbedingt erforderlich ist es, den Querschnittgelähmten und ihren Angehörigen ein umfassendes Wissen über die Behinderung selbst sowie über mögliche Komplikationen und ihre Vermeidung zu vermitteln. Grundsätzlich sind alle in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Behandlungszentren für Querschnittgelähmte geeignet, neben der medizinisch notwendigen Akut- und Komplikationsbehandlung auch den Anforderungen der medizinischen Rehabilitation zu genügen, da in allen Abteilungen die hierfür erforderliche Erfahrung, personelle, apparative und räumliche Voraussetzungen vorliegen, während sonstige Rehabilitationseinrichtungen diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Zur Zeit ist die überwiegende Mehrzahl der Behandlungszentren für Querschnittgelähmte in der Bundesrepublik Deutschland lediglich für die Akutbehandlung zugelassen, weshalb sie umgehend gleichzeitig auch als Rehabilitationseinrichtungen anerkannt werden sollten.

26 6.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Leben in der Gemeinschaft Querschnittgelähmte haben aufgrund der umfangreichen Störungen der Aktivität sowie der Partizipation nicht nur berechtigte Ansprüche auf eine Wiederherstellung der größtmöglichen Selbständigkeit in den Verrichtungen des täglichen Lebens durch medizinische Rehabilitation, sondern auch unter Berücksichtigung positiver Kontext-Faktoren einen berechtigten Anspruch auf berufliche und soziale Reintegration, solange nicht das Lebensalter oder das Ausmaß der Behinderung eine berufliche Wiedereingliederung unmöglich machen. Eine Tetraplegie schließt keineswegs eine berufliche Wiedereingliederung aus, wie dies in der Vergangenheit vielfach bewiesen wurde. Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. 6.3.1 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Bei positiven Kontext-Faktoren und realistischer Einschätzung der beruflichen Wiedereingliederung kommen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Frage. Ziel der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist es, die Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit des Querschnittgelähmten oder sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern und ihn möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben (wieder-) einzugliedern. Bei der Auswahl der Leistungen werden Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen entsprechend den Leistungsgrundsätzen der zuständigen Sozialleistungsträger berücksichtigt. Als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kommen insbesondere in Betracht: - Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen, - Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Querschnittlähmung erforderlichen Grundausbildung,

27 - berufliche Anpassung und Weiterbildung auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen, - berufliche Ausbildung auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden, - sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um querschnittgelähmten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Darüber hinaus kommen für Querschnittgelähmte insbesondere folgende Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht: - Kraftfahrzeughilfe im Sinne der KFZ-Hilfe-Verordnung, - die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes * ), - Kosten für Hilfsmittel, die zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz erforderlich sind, - Kosten für technische Arbeitshilfen, die zur Berufsausübung erforderlich sind, - Kosten der Beschaffung, der Ausstattung und der Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen auch ggf. erforderliche medizinische, pädagogische und psychologische Hilfen wie Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, Beratung von Angehörigen, Vorgesetzen und Kollegen, Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, u.a. durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen, Training lebenspraktischer Fähigkeiten, Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitleben. * Die Leistung wird in Abstimmung mit dem zuständigen Rehabilitationsträger durch das zuständige Integrationsamt ausgeführt

28 Weitergehende Leistungen können sich aus den für den jeweiligen Sozialleistungsträger geltenden Leistungsgesetzen ergeben. 6.3.2 Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den querschnittgelähmten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen. Zu den Leistungen gehören insbesondere: - Versorgung mit Hilfsmitteln, - heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, - Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, querschnittgelähmten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, - Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt, - Hilfen bei der Beschaffung und Ausstattung und Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen des querschnittgelähmten Menschen entspricht, - Hilfen zu selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten, - Hilfen zur Teilnahme am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Weitere Leistungen können sich im Rahmen der Nachteilsausgleiche nach den besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht) ergeben. Darüber hinaus kann aus dem für den jeweiligen Sozialleistungsträger geltenden Leistungsgesetz ein weitergehender Anspruch bestehen. 6.4 Konzept der lebenslangen medizinischen Betreuung Da bei einer Querschnittlähmung lebenslang die Gefahr typischer Komplikationen besteht, ist auch lebenslang eine medizinische Betreuung zur fortlaufenden Überwachung und Früherkennung sowie Verhütung von Komplikationen erforderlich,