Fall 3. Prüfen Sie gutachterlich, ob die Rechtsansicht des Finanzamtes zutreffend ist.



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E N T S C H E I D S A U S Z U G

Sie haben das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag zu widerrufen.

Transkript:

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Rechtswissenschaftliche Fakultät Institut für Medien- und Informationsrecht Dr. Nikolaus Marsch, D.I.A.P. (ENA) Fall 3 a) Der Zahntechniker Z betreibt im Mitgliedstaat A ein Zahntechniklabor, in dem er unter anderem Zahnersatzprodukte herstellt. Die Lieferung dieser Produkte an Zahnarztpraxen war durch das nationale Umsatzsteuergesetz bisher von der Umsatzsteuer befreit. Aufgrund der angespannten Haushaltslage in A verabschiedet das dortige Parlament am 20.12.2011 eine Reform des Umsatzsteuergesetzes und streicht den die Lieferung von Zahnersatz betreffenden Befreiungstatbestand mit Wirkung zum 1.1.2012. Z, der aus der Zeitung von der Reform erfahren hat, wendet sich daher am 29.12.2011 an das zuständige Finanzamt mit der Frage, ob er denn von nun an Umsatzsteuer abführen müsse. Er verweist auf die Richtlinie 2006/112/EG vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, deren Umsetzungsfrist bereits abgelaufen ist und in der es in Art. 132 Abs. 1 lit. e heißt: Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer: ( ) e) Dienstleistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker. Das Finanzamt antwortet ihm bereits am 30.12.2011 und verweist auf die Streichung des Befreiungstatbestandes durch den Gesetzgeber. Zwar sei die Lieferung von Zahnersatz nach der Richtlinie 2006/112 von der Umsatzsteuer zu befreien; diese Vorgabe richte sich jedoch nur an den Gesetzgeber, was sich bereits aus Art. 288 Abs. AEUV ergebe. Natürlich stehe es dem Z frei, sich wegen des auch nach Ansicht des Finanzamtes nicht mit der Richtlinie zu vereinbarenden Umsatzsteuergesetzes an die EU-Kommission zu wenden, um ein Vertragsverletzungsverfahren anzuregen. Solange jedoch das Umsatzsteuergesetz nicht erneut geändert worden sei, müsse Z Umsatzsteuer abführen. Prüfen Sie gutachterlich, ob die Rechtsansicht des Finanzamtes zutreffend ist. b) Nach einer EU-Richtlinie zum Gesellschaftsrecht müssen die Mitgliedstaaten bestimmte Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften mit Sanktionen belegen. Italien setzt diese Vorgabe zunächst durch eine Änderung des nationalen Strafgesetzbuches um. Nach einigen Jahren wird die umsetzende nationale Strafnorm jedoch wieder ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Italienische Staatsanwälte, die bereits vor der Streichung der Strafnorm eine Reihe von Ermittlungsverfahren eingeleitet hatten, klagen die Beschuldigten trotzdem vor den zuständigen italienischen Strafgerichten an. Sie begründen die Anklageerhebung jeweils mit der Direktwirkung der Richtlinie, deren Umsetzungsfrist vor geraumer Zeit abgelaufen ist. Aus diesem Grund seien die alten Strafvorschriften anzuwenden. Die befassten Strafgerichte haben jedoch Zweifel an dieser Rechtsansicht. Können die Angeklagten auf der Grundlage der Richtlinie verurteilt werden. 1

c) Der dänische Staatsbürger K unternimmt 1989 eine Busreise nach Italien. Bei einem Zwischenstopp an einem Busbahnhof wird er von einem Zeitschriftenverkäufer bedrängt, ein 5-Jahres-Abonnement der Gazzetta dello Sport abzuschließen. K lässt sich überreden, da er seine Italienischkenntnisse durch eine regelmäßige Zeitungslektüre aufbessern möchte, und unterschreibt den Vertrag, wobei er nicht über ein Widerrufsrecht belehrt wird. Als er wenige Tage später nach Dänemark zurückkehrt wird ihm klar, dass er ein Abonnement für eine Sportzeitung abgeschlossen hat. Da K sich nicht für italienischen Fußball interessiert, erklärt er gegenüber seinem Vertragspartner, dass er den Vertragsschluss widerrufe. Er ist der Meinung, dass dies nach der Haustürwiderrufsrichtlinie auch in Italien möglich sein müsse. Sein Vertragspartner weist ihn jedoch darauf hin, dass diese Richtlinie trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist in Italien noch nicht umgesetzt worden sei. Das italienische Recht sehe jedoch einen Widerruf von Verträgen nicht vor, da hier noch der alte Grundsatz des pacta sunt servanda gelte. Daher wünsche er dem K viel Spaß bei der Lektüre und erwarte im Gegenzug pünktliche Bezahlung des Abonnements. Kann K den Vertrag unter Verweis auf die Richtlinie widerrufen oder stehen ihm andere Wege offen, sich schadlos aus der Affaire zu ziehen? d) In Mitgliedstaat M werden nach einigen Lebensmittelskandalen unter anderen die Vorschriften über die Etikettierung von Lebensmitteln neu geregelt. Für Olivenöl werden beispielsweise Regelungen eingeführt, die unter anderem die erforderlichen Herkunftsangaben neu regeln. Weder der Gesetzentwurf für die Neuregelung noch diese selbst wurden jedoch der EU-Kommission mitgeteilt, wie es an sich nach Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG für technische Vorschriften über bestimmte Produkte vorgesehen ist. Der Olivenölhersteller O liefert nun an den Großhändler G eine größere Menge Olivenöl, dessen Etikettierung den alten, nicht aber den neuen Etikettierungsvorschriften entspricht. G verweigert daher Annahme und Zahlung und fordert O auf, die Ware zurückzunehmen und korrekt etikettierte Flaschen zu liefern, da er die falsch etikettierten Flaschen nicht weiterverkaufen könne. O sieht dies jedoch ganz anders und erhebt vor dem zuständigen Zivilgericht Zahlungsklage gegen den G. Diese hat nach dem in M geltenden Zivilrecht Erfolg, wenn das gesetzliche Verbot falsch etikettierte Lebensmittel zu verkaufen im konkreten Fall unanwendbar sein sollte. Wie muss das Zivilgericht entscheiden? Bearbeitervermerk: Von den Anwendbarkeit der Richtlinie und einem Verstoß gegen die Richtlinienbestimmungen durch die Nichtübermittlung des Gesetzentwurfs ist auszugehen. RICHTLINIE 98/34/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften Artikel 8 (1) Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor. Gegebenenfalls - sofern dies noch nicht bei einer früheren Mitteilung geschehen ist - übermitteln die Mitgliedstaaten gleichzeitig den Wortlaut der hauptsächlich und unmittelbar betroffenen grundlegenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfs einer technischen Vorschrift notwendig ist. Die Mitgliedstaaten machen eine weitere Mitteilung in der vorgenannten Art und Weise, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen. ( ) 2

Die Kommission unterrichtet die anderen Mitgliedstaaten unverzüglich über den Entwurf einer technischen Vorschrift und alle ihr zugegangenen Dokumente. Sie kann den Entwurf auch dem nach Artikel 5 eingesetzten Ausschuß und gegebenenfalls dem jeweils zuständigen Ausschuß zur Stellungnahme vorlegen. Im bezug auf die technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften nach Artikel 1 Nummer 9 Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich können sich die Bemerkungen oder ausführlichen Stellungnahmen der Kommission oder der Mitgliedstaaten nur auf den Aspekt der Maßnahme der möglicherweise ein Handelshemmnis darstellt, nicht aber auf den steuerlichen oder finanziellen Aspekt beziehen. (2) Die Kommission und die Mitgliedstaaten können bei dem Mitgliedstaat, der einen Entwurf einer technischen Vorschrift unterbreitet hat, Bemerkungen vorbringen, die dieser Mitgliedstaat bei der weiteren Ausarbeitung der technischen Vorschrift soweit wie möglich berücksichtigt. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich den endgültigen Wortlaut einer technischen Vorschrift mit. (4) ( ) (5) ( ) Artikel 9 (1) Die Mitgliedstaaten nehmen den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 8 Absatz 1 bei der Kommission an. (2) ( ) (3) ( ) (4) ( ) (5) ( ) (6) Die in den Absätzen 3, 4 und 5 genannten Pflichten entfallen, - wenn die Kommission den Mitgliedstaaten mitteilt, daß sie auf ihre Absicht verzichtet, einen verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakt vorzuschlagen oder zu erlassen, oder - wenn die Kommission die Mitgliedstaaten von der Rücknahme ihres Entwurfs oder Vorschlags unterrichtet oder - sobald ein verbindlicher Gemeinschaftsrechtsakt von der Kommission oder vom Rat erlassen worden ist. (7) Die Absätze 1 bis 5 gelten nicht, wenn ein Mitgliedstaat aus dringenden Gründen, die durch eine ernste und unvorhersehbare Situation entstanden sind und sich auf den Gesundheitsschutz von Mensch und Tier, auf den Erhalt von Pflanzen oder auf die Sicherheit beziehen, gezwungen ist, ohne die Möglichkeit einer vorherigen Konsultation in kürzester Frist technische Vorschriften auszuarbeiten, um sie unverzüglich zu erlassen und in Kraft zu setzen. Der Mitgliedstaat begründet in der in Artikel 8 genannten Mitteilung die Dringlichkeit der betreffenden Maßnahmen. Die Kommission äußert sich unverzüglich zu dieser Mitteilung. Bei mißbräuchlicher Anwendung dieses Verfahrens trifft sie die erforderlichen Maßnahmen. Das Europäische Parlament wird von der Kommission regelmäßig unterrichtet. 3

e) Frau K ist im 19.1.1979 geboren und seit dem 1.2.1997 in Deutschland beim Unternehmen U als Lageristin beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.03.2007 kündigt U das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 30.04.2007. Bei der Berechnung der Kündigungsfrist legte U eine Beschäftigungsdauer von 3 Jahren zugrunde, da es gemäß 622 Abs. 2 S. 2 BGB die Beschäftigungszeit bis zum 19.01.2004 unberücksichtigt ließ. Frau K focht die Kündigung vor dem zuständigen ArbG an, da die Regelung in 622 Abs. 2 S. 2 BGB ihrer Meinung nach ein Altersdiskriminierung darstelle und daher unangewendet bleiben müsse; die Kündigungsfrist habe daher auf der Grundlage einer Beschäftigungszeit von über 10 Jahren vier Monate betragen. Sie beruft sich hierfür zum einen auf die Richtlinie 2000/78/EG, die ihrer Ansicht nach eine Ungleichbehandlung wie sie der 622 Abs. 2 S. 2 BGB verbiete, zum anderen stützt sie ihre Rechtsansicht auf Art. 21 Abs. 1 Grundrechte-Charta. Das ArbG hat ebenfalls Zweifel, ob die Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist und legt dem EuGH daher im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die folgenden Fragen vor: Frage 1 a) Verstößt eine nationale Gesetzesregelung, nach der sich die vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfristen mit zunehmender Dauer der Beschäftigung stufenweise verlängern, jedoch hierbei vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers unberücksichtigt bleiben, gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung, namentlich gegen Primärrecht der Gemeinschaft oder gegen die Richtlinie 2000/78? b) Kann ein Rechtfertigungsgrund dafür, dass der Arbeitgeber bei der Kündigung von jüngeren Arbeitnehmern nur eine Grundkündigungsfrist einzuhalten hat, darin gesehen werden, dass dem Arbeitgeber ein durch längere Kündigungsfristen beeinträchtigtes betriebliches Interesse an personalwirtschaftlicher Flexibilität zugestanden wird und jüngeren Arbeitnehmern nicht der (durch längere Kündigungsfristen den älteren Arbeitnehmern vermittelte) Bestands- und Dispositionsschutz zugestanden wird, z. B. weil ihnen im Hinblick auf ihr Alter und/oder geringere soziale, familiäre und private Verpflichtungen eine höhere berufliche und persönliche Flexibilität und Mobilität zugemutet wird? Frage 2: Wenn die Frage zu 1a bejaht und die Frage zu 1b verneint wird: Hat das Gericht eines Mitgliedstaats in einem Rechtsstreit unter Privaten die dem Gemeinschaftsrecht explizit entgegenstehende Gesetzesregelung unangewendet zu lassen, oder ist dem Vertrauen, das die Normunterworfenen in die Anwendung geltender innerstaatlicher Gesetze setzen, dahin gehend Rechnung zu tragen, dass die Unanwendbarkeitsfolge erst nach Vorliegen einer Entscheidung des Gerichtshofs über die inkriminierte oder eine im Wesentlichen ähnliche Regelung eintritt? Wie wird der EuGH die ihm vorgelegten Fragen beantworten? Bearbeitervermerk: Die Annahmefähigkeit ist grundsätzlich zu unterstellen, wobei die vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren sind. 4

BGB 622 (2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen 1. zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats, 2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats, 5. zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats, 6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats, 7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Artikel 1 Zweck Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten. Artikel 2 Der Begriff "Diskriminierung" (1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet "Gleichbehandlungsgrundsatz", dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf. (2) Im Sinne des Absatzes 1 a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; Artikel 6 Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters (1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen; b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile; c) die Festsetzung eines Hoechstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand. 5