Wirksamkeit von Psychotherapie bei Zwangsstörungen: Stand und Ausblick Norbert Kathmann 1 Institut für Psychologie Hochschulambulanz für Psychotherapie und Psychodiagnostik Humboldt-Universität zu Berlin
Evidenzbasierte Behandlung der Zwangsstörung (OCD) Kognitive Verhaltenstherapie (Exposition + kognitive Umbewertung, ) Pharmakologische Therapie (SSRI) Keine Belege für Wirksamkeit von Psychoanalyse, Gesprächspsychotherapie, Entspannung, Benzodiazepine, Elektrokrampftherapie, transkranielle Magnetstimulation 2
Evidenzbasierte Behandlung der Zwangsstörung (OCD) Kognitive Verhaltenstherapie (Exposition + kognitive Umbewertung, ) Pharmakologische Therapie (SSRI) Keine Belege für Wirksamkeit von Psychoanalyse, Gesprächspsychotherapie, Entspannung, Benzodiazepine, Elektrokrampftherapie, transkranielle Magnetstimulation. 3
Wie groß sind die Effekte der KVT bei der Behandlung von OCD? Meta-Analysen (über RCTs): Cochrane Review (Gava et al., 2007) 7 Studien (K)VT vs TAU : 1.24 (1.61 / 0.87) Rosa-Alcazar et al. (2008) 19 Studien (K)VT vs WL/PL 1.00 (1.44 / 0.56) Hofmann & Smits (2008) 3 Studien (K)VT vs WL/PL 1.37 (2.20 / 0.64) Olatunji et al. (2013) 16 Studien (K)VT vs WL/aktive KG 1.39 (1.74 / 1.04) 4
Was bedeutet das? Anteil derjenigen Patienten, die reliabel und klinisch signifikant gebessert sind, liegt bei etwa 40 60 % Also sind 40 60 % unzureichend gebessert! Trotz guter Effektstärken gibt es viel Raum für Verbesserungen Welche Wege erscheinen aussichtsreich? 5
Es ist wahrscheinlich nicht sinnvoll, ganz andere und neue Therapien an Stelle der KVT zu setzen, sondern die KVT muss optimiert und in geeigneter Weise ergänzt werden 6
7 Ist die KVT überhaupt unter Praxisbedingungen so wirksam wie die RCTs nahelegen? (effectiveness als Ergänzung zu efficacy)
Praxisbewährung der KVT bei OCD in der Hochschulambulanz der Humboldt-Universität zu Berlin Stichprobe N = 148 Prä-post Effektstärke d = 1.37 N (%) 30-50% Reduktion (Y-BOCS) : 39 (26.4) > 50% Reduktion (Y-BOCS) : 53 (35.8) < 30% Reduktion (Y-BOCS) : 56 (37.8) 62 % zeigen deutlich erkennbare Besserung d.h. KVT kann auch unter weniger selektiven Bedingungen mit hoher Wirksamkeit durchgeführt werden (Expo ist immer Kern d. Behandlung! ) 8
9 Meta-Analyse von Praxisbewährungsstudien (Hans & Hiller, Clinical Psychology Review, vol. 33, 2013, 954-64)
Langzeiteffekte: bisher kaum methodisch gute Studien, die follow-up Perioden von mehr als 2 Jahren betrachten längerfristige Nachhaltigkeit von KVT weitgehend unbekannt Mittelfristig (1 2 Jahre) günstigere Verläufe nach KVT (oder KVT + Pharmakotherapie) als unter alleiniger Pharmakotherapie 10
Wieviel Therapie ist nötig für den Effekt? (Therapiedosis) Unzureichende Daten zur Bedeutung der Therapiedosis Ist mehr wirklich mehr, und für wen? Einzelne Studien sprechen dafür, dass gesamter Effekt bereits nach 4 Wochen erreicht ist (z.b. Foa et al., 2005) dass bei stepped care 30% der Patienten bereits auf kurze Intervention mit wenig Therapeutenkontakt reagiert (Gilliam et al., 2010) 11
Therapie mit reduziertem Therapeutenkontakt (Internet, Telefon, Bibliotherapie, Schreiben, ) Kann man teilweise auf den direkten Therapeutenkontakt verzichten? RCTs (Vergleich mit Warteliste / TAU) Andersson et al. (2012) Mahoney et al. (2014) Herbst et al. (2014) d = 1.12, 60% signifikant Gebesserte, stabil 4 Monate nach Ende d = 0.78, stabil 3 Monate nach Ende d = 0.82, satbil 6 Monate nach Ende 12 Ergebnisse internetbasierter Therapien mit reduziertem Therapeutenkontakt sind nur wenig schwächer in der Wirksamkeit als face-to-face KVT viel Raum für Kostenersparnis und bessere Versorgung
Man kann also wahrscheinlich die recht guten Effekte der KVT noch sparsamer erreichen als bisher angenommen Aber kann man den recht guten Effekt von KVT durch geeignete Ergänzungen und Modifikationen selbst noch erhöhen? 13
Hausaufgaben und Therapieerfolg Durchführung von Hausaufgaben ist nicht selten insuffizient Prädiziert Therapieerfolg 14
Hausaufgabenadhärenz als Erfolgsmediator (Simpson et al., 2011) Auch im 6 Monats follow-up gute Prädiktion! (Simpson et al., 2012) 15
Wie kann man Adhärenz steigern? Motivational Interviewing (Miller & Rollnick, 2002) entwickelt um Patienten Verhaltensänderungen zu erleichtern client-centered, directive approach designed to enhance intrinsic motivation for change through understanding and resolving ambivalence about change Empathie ausdrücken Diskrepanz zwischen Problemverhalten und Werte/Zielen herausarbeiten Explorieren von Änderungsgründen, Widerstand nicht direkt konfrontieren Adressieren von Hindernissen für Veränderung Herausfinden individueller Änderungsstrategien Unterstützen von Veränderungsentscheidungen (change talk) Patient behält Autonomie, wird selbst zum Advokaten für Veränderung 16
Wirkt MI als Add-On bei Zwang? Meyer et al. 17
Einbindung von Angehörigen Feindseliger Affekt von Angehörigen als negativer Prädiktor für Therapieerfolg (Chambless et al., 1999) Eingebunden-Sein von Angehörigen in die Symptomatik (z.b. durch Rückversicherungen, Übernahme von Kontrollen) mit schlechterer Beziehungszufriedenheit und geringerem Therapieerfolg assoziiert (Boeding et al., 2013) Familienfokussierte Therapie für Angststörungen (Chambless, 2012) Paarbasierte KVT für Zwang (Abramowitz et al., 2013) als Ergänzung zu KVT entwickelt (bisher keine RCTs!) 18
Verfahren der 3. Welle Studie von Twohig et al. (2010): Acceptance and Commitment Therapy (ACT) RCT: ACT (41) vs PMR (38) 8 Sitzungen! Effektstärken: d = 0.84 d = 0.62 für Y-BOCS für klinisch signifikante Besserung Hohe Akzeptanz bei Patienten! 19
Verfahren der 3. Welle Mindfulness based cognitive therapy (MBCT) Mehrere geplante und/oder laufende Studien Külz et al. (2014) Strauss et al. (2015) 20 Prospective, bicentric, assessorblinded, randomized, activelycontrolled clinical trial. 128 patients with primary diagnosis of OCD and no or only partial response to CBT. Patients will be randomized to either an MBCT intervention group or to a psycho-educative coaching group (OCD-EP) as an active control condition.
Können Pharmaka in Ergänzung zur KVT bessere Ergebnisse erzielen? SSRI Effekte insgesamt schwächer als KVT Bei starker Depressivität ist zusätzliche SSRI Medikation sinnvoll SSRI Behandlung alleine ist in der Regel zu wenig (wg. Effekt und Rückfall) 21 aus: Foa et al., Am J Psychiat, 2005 Keine guten aktuellen weiterführenden Studien!
Können Pharmaka in Ergänzung zur KVT bessere Ergebnisse erzielen? D-Cycloserine verbessert Löschungslernen Bei Anwendung während der Exposition wird Effekt der KVT verstärkt /beschleunigt Wilhelm et al. (2008) Chasson et al. (2010) Bisher nur kleine Studien Kleine bis mittlere Effekte (verglichen mit Placebo) 22
(Neuro-)kognitive Endophänotypen Messbare, aber nicht unmittelbar beobachtbare Funktionen und Merkmale, die mit der Störung assoziiert sind, aber selbst keinen Symptomwert haben (Vulnerabilität?) Lassen sich diese durch Intervention (z.b. Training) direkt beeinflussen? Haben solche Interventionen einen klinischen Effekt? Führen sie zu additiven / interaktiven Effekten in Zusammenwirkung mit KVT? 23
Attentional Bias Modification Probe Detection Task x Keim Baum F Subklinisch zwanghafte Probanden lernen einen Aufmerksamkeitsbias auf die neutralen Wörter zu entwickeln Sie zeigen danach mehr Annäherungsverhalten für unangenehme Reize Aber: noch nicht an Patienten gezeigt (Effekt auf Störungssymptome?) 24 Najmi & Amir: Journal of Abnormal Psychology, 2010
Erhöhte Error Related Negativity (ERN) Zahlreiche Replikationen, u.a.: Hajcak et al., 2008 Endrass et al., 2010 Stern et al., 2010 Riesel et al., 2011 Xiao et al., 2011 Carrasco et al., 2013 Klawohn et al., 2014 Riesel et al., 2014 Endrass et al. : Neuropsychologia, vol. 46, 2008 Eine der am besten replizierten neurokognitiven Veränderungen bei OCD 25
Familienstudien Riesel et al. : American Journal of Psychiatry, 2011 Replikation: Carrasco et al., 2013 spricht für Status als Indikator biologischer Vulnerabilität 26
Kann erhöhte ERN reduziert werden? Doppelaufgabe H Reizdarbietung N-Back 400 ms 600-1000 ms Länge eines Durchgangs: 2400 3200 ms Reizdarbietung Flanker 100 ms 900 ms Fixation 400 800 ms W Klawohn et al., in revision 27
Downtraining der Handlungsmonitoring- Aktivität Bisher unklar, ob Symptome ebenfalls reduziert werden, und ob Effekte anhalten! 28
Direkte Modifikation neuronaler Prozesse? Neurofeedback (EEG, fmrt) Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rtms) Tiefenhirnstimulation (DBS) Bisher vereinzelt positive Berichte, aber keine guten RCTs Stärkste Effekte durch Tiefenhirnstimulation ( last resort intervention ) 29
Direkte Modifikation neuronaler Prozesse? Aim: To evaluate the effect of adjunctive treatment with EEG biofeedback training on the symptoms and cognitive functioning of individuals with OCD. Methods: A total of 79 individuals with OCD were randomly assigned to the study group (n=40) or the control group (n=39). The control group was treated using a combination of sertraline (50 to 200 mg/d) and weekly cognitive behavioral therapy sessions by trained therapists for 8 weeks; the study group was treated using the same regimen plus EEG biofeedback sessions 5 times per week. Results: At the end of the study, treatment was considered effective in 32 of the 37 (86.5%) participants in the study group and in 22 of the 35 (62.9%) participants in the control group (χ2=5.36, p=0.021). Repeated measures analysis of variance showed that the improvement in OCD symptoms was greater in the study group than the control group by the 6th week of 30 treatment.
Zusammenfassung Wir haben gute Standardtherapien für Patienten mit Zwangsstörung, aber sie müssen noch deutlich besser werden Wir müssen mehr über besseren Einsatz von Ressourcen nachdenken Die Kombination von KVT und Pharmakotherapie muss wesentlich systematischer erforscht werden Die Rolle von Weiterentwicklungen der KVT (3. Welle) im Rahmen einer Gesamtbehandlungsstrategie muss geklärt werden Interventionen, die nicht auf der Symptomebene, sondern an zugrunde liegenden kognitiven und neuronalen Merkmalen/Defiziten ansetzen, könnten einen neuen Weg zur Optimierung der Behandlung von Zwangsstörungen darstellen 31
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 32