32 Miktions- und Defäkationsstörungen sowie Inkontinenz



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361 32 Miktions- und Defäkationsstörungen sowie Inkontinenz 32.1 Vorbemerkungen Nachfolgend wird vorwiegend von der Miktion die Rede sein, deren Störungen viel häufiger ein Leitsymptom sind als Defäkationsstörungen. Für das Verständnis dieser Störungen und deren systematische Analyse ist in besonderem Maße eine exakte Kenntnis der anatomischen und physiologischen Gegebenheiten Voraussetzung. Diese sollen deshalb nachfolgend ausführlich dargelegt werden. 32.1.1 Anatomische Strukturen Die für den Mechanismus der n- und Mastdarmentleerung sowie für den Sexualakt des Mannes wesentlichen anatomischen Strukturen sind in Abb. 32.1 dargestellt. Sie können wie folgt beschrieben werden: Die ist ein Hohlorgan, dessen Wand vor allem durch Lagen glatter Muskelfasern, die Detrusor vesicae genannte Muskulatur, gebildet wird. Die Muskelfasern verlaufen so, dass sie Kontraktion zu einer Verkleinerung der führen. Zugleich aber strahlen sie so in die Urethra ein, dass eine Kontraktion des Detrusor vesicae zu einer Öffnung des den nausgang umgreifenden glatten M. sphincter vesicae internus und damit des Urethraeingangs führt. Die Funktion von, Mastdarm und Genitalapparat wird zunächst durch eine autonome parasympathische Innervation gesteuert. In der nwand sind Streckrezeptoren in Serie mit den glatten Muskelzellen geschaltet. Die daraus stammenden Afferenzen erreichen über den N. pelvicus und die dorsalen Wurzeln S1 bis S4 das sakrale nzentrum, das in 2 der 3 erstgenannten Segmente im Conus medullaris gelegen ist. Zugleich gelangen allerdings auch afferente Impulse direkt nach kranial zum pontinen nzentrum. Vom sakralen nzentrum erreichen efferente Impulse über die Vorderwurzeln S2, S3 und S4 die Cauda equina und gelangen durch die entsprechenden Foramina des Sakrums in die Nn. Pelvici. Die präganglionären Fasern werden in den Ganglien des Plexus vesicalis in der nwand selbst auf die postganglionären Fasern umgeschaltet. Eine Reizung des N. pelvicus führt zu einer kräftigen Kontraktion des Detrusor vesicae. Auch eine sympathische Innervation der wirkt mit: Präganglionäre sympathische Neurone liegen im Seitenhorn auf Höhe von T12, L1 und L2. Die präganglionären Axone verlassen das Rückenmark durch die entsprechenden Vorderwurzeln und gelangen über den sympathischen Grenzstrang ohne Umschaltung und dann über die Nn. Splanchnici zu den sympathischen Ganglien im Bereich der Aortenbifurkation, z. B. dem Ganglion mesentericum inferius. Nach Umschaltung gelangen von hier die postganglionären Fasern als N. praesacralis im Plexus hypogastricus bilateral zur (hier besonders zum Trigonum). Andere postganglionäre Fasern gelangen über die Nn. Erigentes des N. pelvicus zu den Schwellkörpern des Penis. Die Funktion der sympathischen Innervation ist allerdings nicht ganz geklärt. Eine Reizung des Sympathikus soll die Wirkung parasympathischer Impulse und somit die nwandkontraktion hemmen. Jedenfalls aber hat die Sympathektomie keinen klinisch fassbaren Einfluss auf die nfunktion (wohl aber auf die männliche Potenz; s. S. 366). Die quergestreifte Muskulatur des Beckenbodens, zu welcher auch der willkürliche Sphincter vesicae externus gehört, sowie die Bauchwandmuskulatur spielen m Vorgang der Miktion ebenfalls eine Rolle. Ihre somatomotorische Funktion wird wie folgt gesteuert: Die den Beckenbodenmuskeln entsprechenden Motoneurone liegen in den Vorderhörnern des 1. und 2. sakralen Segments. Die daraus über Vorderwurzeln und Cauda equina durch die entsprechenden Foramina des Sakrums austretenden Spinalnervenwurzeln bilden den N. pudendus, dessen Endast, der N. perinealis, zum Sphincter externus und zur Beckenbodenmuskulatur gelangt. Somatosensorische Afferenzen aus Damm, Penis und äußerer Urethra gelangen über die Nn. Perineales und Nn. Rectales inferiores sowie den N. dorsalis penis durch die Hinterwurzeln von S2 und S3 in den Conus medullaris.

362 32 Miktions- und Defäkationsstörungen sowie Inkontinenz Lobulus paracentralis Tr. corticospinalis Nc. intermediolateralis Tr. spinothalamicus ant. Truncus sympathicus Th12 L1 L2 M. transversus abdominis N. pudendus S2 S4 R. ventralis n. spinalis Th5 L2 N. perinealis Mm. pelvici L1 S3 S4 Ganglion mesentericum inferius? Pons Med. oblong. Formatio reticularis Funiculus posterior Tr. reticulospinalis N. pelvicus S2 S4 Plexus vesicalis M. detrusor M. sphincter int. M. sphincter ext. Cp. cavernosum Abb. 32.1 Neuroanatomisches Substrat der nfunktion. Ein supraspinaler Apparat kontrolliert und steuert m Gesunden den Miktionsvorgang: Ein wichtiges Zentrum in der pontinen Substantia reticularis (Barrington-Zentrum) sendet fördernde Impulse für den Miktionsvorgang. In der Regio praeoptica des Zwischenhirns liegt ein weiteres Zentrum, dessen Reizung im Tierversuch Miktion und Einnahme der entsprechenden Stellung ausgelöst werden.

32.1 Vorbemerkungen 363 Die kortikale Repräsentation der liegt im Lobulus paracentralis in Mantelkantennähe. Dessen Reizung führt zu einer Kontraktion der. Ein kortikales Zentrum im zweiten Gyrus frontalis hemmt die nentleerung. Die aus diesen Zentren deszendierenden Fasern verlaufen den kortikospinalen bzw. den retikulospinalen Bahnen benachbart derseits im ventrolateralen Teil des Rückenmarks. 32.1.2 Physiologie der nfunktion Etwa 50 cm 3 Urin gelangen durchschnittlich pro Stunde in die. Trotz der zunehmenden Dehnung der nwand steigt der intravesikale Druck normalerweise nur geringfügig an. Erst einem Inhalt von etwa 400 cm 3 wird ein Völlegefühl empfunden und der Miktionsreflex kann einem ninhalt von etwa 400 500 cm 3 in Gang gesetzt werden. Die Miktion wird dadurch eingeleitet, dass eine Kontraktion von Bauchwandmuskulatur und Zwerchfell zu Tabelle 32.1 Typen neurogener Miktionsstörungen. Name kortikal ungehemmte spinale Reflexblase ( neurogene, automatische ) denervierte, autonome 32.1.3 Typen der organischen Miktionsstörungen anatomischer Lä sionsort Rückenmark oberhalb S 1 sakrales nzentrum (S2 S4) bzw. dessen afferente und/oder efferente Verbindungen zur normal spastisch ntonus Harndrang mäßige Füllung zweite Stirnhirnwindung unkontrolliert geringer Füllung (evtl. fehlend vollständigem Querschnittsyndrom) unkontrolliert, durch Manipulation (Klopfen, Kneifen) schlaff keiner nicht willkürlich einer Erhöhung des Abdominaldrucks führt. Hier erreichen die von den oben erwähnten Dehnungsrezeptoren der nwand ausgehenden afferenten Impulse über die Nn. Pelvici das im Conus terminalis befindliche spinale nzentrum in den Segmenten S2 S4. Aufsteigende Kollaterale erreichen zugleich das Miktionszentrum in der pontinen Substantia reticularis, von welchem nun fazilitierende Impulse in das Sakralmark absteigen, sofern nicht hemmende Impulse aus dem Stirnhirnkortex den ganzen Vorgang blockieren. Zugleich mit der Aktivierung des spinalen, parasympathischen nzentrums werden auch z. T. hemmende, zum Teil fördernde Impulse an die in den Segmenten S1 S2 gelegenen Motoneurone der Beckenbodenmuskeln übermittelt. Die Folge ist eine Erschlaffung des Sphincter externus und eine Kontraktion anderer Beckenbodenmuskeln sowie der Bauchwandmuskeln. Diese sind in Tab. 32.1 zusammengefasst. nicht willkürlich nicht willkürlich ständiges Abtropfen von Urin: Überlaufblase Miktionsbeginn Miktionsbeendigung nkapazität Restharn Komplikationen normal keiner unkontrollierte Miktion klein sehr groß wenig oder keiner riesige Mengen (Infekt) unkontrollierte Miktion Infekte Ursache: Beispiele hirnatrophische Prozesse, Tumor, Trauma, Apoplexie, zerebrale Arteriosklerose Rückenmarktrauma, -tumor, multiple Sklerose Konusläsion, Kaudaläsion, Läsionen im kleinen Becken zentrale Afferenzen zur keiner klein Detrusor- Sphinkter Dyssynergie intermittierend Inkontinenz traumatische RM-Läsion, Tumor, MS

364 32 Miktions- und Defäkationsstörungen sowie Inkontinenz 32.2 Miktionsstörungen 32.2.1 nentleerungsstörung als einzige relevante pathologische Erscheinung Hierzu gehören vor allem die urologischen Erkrankungen, welche der Neurologe im Rahmen der Differenzialdiagnose immerhin zu berücksichtigen hat: Stressinkontinenz. Das Einnässen geschieht regellos, ohne Vorwarnung, besonders m Pressen, m Lachen oder Heben eines Gewichtes. Es liegt dann eine sogenannte Stressinkontinenz lokaler Anomalie des Beckenbodens vor. In den meisten Fällen handelt es sich Frauen um einen Prolaps mit Zystozele. Prostatahypertrophie oder Tumor. Zeichen der mechanischen Entleerungsbehinderung kennzeichnen die Miktion (m Mann): längeres Warten, um den Miktionsvorgang starten zu können, schwacher Strahl, intermittierende Unterbrechung des Miktionsflusses, unvollständige nentleerung mit sehr häufigem Miktionsdrang etc. Dies deutet m Mann auf Prostatahypertrophie oder auf Tumor hin. Zystitis oder Prostatitis. Andere urologische Affektionen sind durch Brennen m Wasserlösen und häufige Miktion (Pollakisurie) oder durch Schmerzen (Dysurie) gekennzeichnet, z. B. eine Zystitis oder eine Prostatitis. Internistische Erkrankungen. Auch eine Reihe internistischer Erkrankungen haben z. T. eindrückliche Miktionsbesonderheiten. Es werden abnorm große Harnmengen gelöst (Polyurie). Es kommt eine internistische Affektion (z. B. Diabetes mellitus) oder eine Zwischenhirnläsion (posttraumatisch, Tumor der Hirnbasis) mit Diabetes insipidus bzw. eine inadäquate ADH-Sekretion aus internistischen Gründen infrage. Vermehrtes Harnlassen in der Nacht (Nykturie) ist meist Ausdruck einer Herzinsuffizienz oder ist durch die Einnahme von Diuretica bzw. durch große Trinkmengen bedingt. Die Enuresis nocturna kann primär sein, d. h., dass der Betroffene seit Kindheit noch nie trocken war. Dann liegt praktisch immer eine nicht organische Störung vor. Ist sie einem Kinde sekundär aufgetreten, dann ist sie ebenfalls so gut wie immer funktioneller Natur. Man muss in gewissen Fällen allerdings gelegentlich eine Abgrenzung gegenüber dem Bettnässen als Ausdruck nächtlicher epileptischer Anfälle machen. Eine sekundär m Erwachsenen aufgetretene Enuresis nocturna wird sich kaum je isoliert in der Nacht manifestieren. Selbst dann aber muss sorgfältig nach einer organischen Ursache gefahndet werden. Im Besonderen kann eine nächtliche unkontrollierte Miktion (s. o.) auch Ausdruck eines epileptischen Anfalls sein (Suche nach Speichel oder Blut auf dem Kopfkissen, nach Zungenbiss, nach erhöhter CPK am Morgen; EEG-Untersuchung evtl. in einem 24-Stunden-EEG). Ähnliche Überlegungen gelten, wenn zum nächtlichen Harnverlust auch eine Enuresis diurna hinzukommt. Harnverlust ausschließlich am Tage ist so gut wie immer organischer Natur, kann aber auch einmal jedoch nie isoliert Ausdruck einer schweren psychischen Störung sein (Somatose). 32.2.2 nstörung und andere neurologische Besonderheiten oder Befunde Zeichen einer zerebralen Läsion und Miktionsstörung Ist die zerebrale Affektion ursächlich für die Miktionsstörung verantwortlich, dann äußert sich Letztere als kortikal ungehemmte mit unterschiedlich häufigen unwillkürlichen Entleerungen. Die Harnmenge ist jeweils größer als spinaler Reflexblase (automatische ), es gibt keinen Restharn (s. Tab. 32.1). Diese Form der Miktionsstörung ist selten und findet sich vor allem Patienten mit schwerer seniler Demenz. Als Ausdruck davon findet sich ein psychoorganisches Syndrom, welches begleitet sein kann von epileptischen Anfällen, neuropsychologischen Störungen oder zerebral zu lokalisierenden neurologischen Ausfällen. Typisch sind Inkontinenzerscheinungen auch aresorptivem Hydrozephalus (Abb. 10.4 a, b). Zeichen einer Rückenmarkläsion und Miktionsstörungen Liegen schwerwiegende Rückenmarkssymptome im Sinne eines ausgeprägten Querschnittsyndroms vor, wird Letzteres und nicht die Miktionsstörung Leitsymptom sein. Querschnittläsion und Miktionsstörungen. Diskrete Zeichen einer Querschnittläsion mit Miktionsstörungen sind die Charakteristika der automatischen, d. h. häufiger Harndrang mit unkontrolliertem Abgang relativ kleiner Harnmengen, evtl. provozierbar durch Beklopfen des Unterbauches. Man suche nach Spastik, Pyramidenzeichen und einem sensiblen Niveau. Ursächlich kommen infrage: Rückenmarkkompression durch einen raumfordernden intraspinalen Prozess, Myelitis, evtl. eine multiple Sklerose.

32.3 Defäkationsstörungen 365 Imperativer Harndrang multipler Sklerose. Die multiple Sklerose ist besonders oft sogar als Frühsymptom begleitet von imperativem Harndrang. Dieser ist Ausdruck einer supranukleären Störung der Miktion: Bei Auftreten des Miktionsbedürfnisses muss dasselbe sehr rasch befriedigt werden, da sonst Inkontinenz droht. Diese Patienten richten ihren Alltag so ein, dass sie immer eine Toilette in der Nähe haben. Diese Störung muss allerdings oft ausdrücklich erfragt werden und ist sehr charakteristisch für eine multiple Sklerose. Selten kann sie auch einmal funktionell bedingt sein. Zeichen einer Läsion sakraler Wurzeln und Miktionsstörung Es können zusätzlich Sensibilitätsstörungen oder/und motorische Ausfälle vorliegen. Wichtig sind vor allem Gefühlsstörungen der Miktion und der Defäkation selbst, so dass die Entleerung der bzw. der Durchtritt des Stuhles durch den After nicht gespürt werden (fragen!). Hierzu gehört aber auch ein verändertes Gefühl m Sitzen (Reithosenhypästhesie) oder m Geschlechtsakt. Man suche nach Sensibilitätsstörungen im Reithosenbereich und motorischen Ausfällen in den sakralen Segmenten und prüfe den Sphinkter-ani- sowie den Bulbokavernosus-Reflex. Die Miktionsstörung selbst wird einer Überlaufblase mit sehr großen Restharnmengen entsprechen (s. Tab. 32.1). Ursächlich kommt eine Raumforderung im Lumbosakralkanal infrage oder ein Tethered-Cord-Syndrom. Mehr oder weniger akutes Auftreten, zugleich mit Kreuzschmerzen und Ischialgie. Hier kommen vor allem infrage: lumbale Diskushernie, besonders eine mediane (s. S. 297 u. 181), rasch progredienter intraspinaler Tumor des lumbosakralen Bereichs, also ein maligner Tumor bzw. eine Metastase, allenfalls eine Meningosis carcinomatosa, Wurzelbefall Borreliose. Entwicklung der Störung rasch, aber schmerzlos. Hat sich die Störung rasch, aber ohne Schmerzen entwickelt, spricht dies für entweder eine Raumforderung der Kauda selbst oder eine entzündliche Erkrankung derselben, z. B. ein Elsberg-Syndrom. Eine allgemeine Polyradikulitis (Guillain-Barré) wird nicht von einer nstörung begleitet. Sehr langsame Zunahme der Miktionsstörung. Die Progredienz über Monate oder gar Jahre ist von den Zeichen einer Schädigung der Kaudawurzeln begleitet. Ursächlich kommt vor allem ein langsam wachsender raumfordernder Prozess im Lumbalkanal infrage, z. B. ein Dermoid, ein Ependymom, ein Neurinom etc. (erhöhtes Eiweiß im Liquor, evtl. Ausweitung des Kanals im Röntgenbild, entscheidend sind CT, MRT, evtl. Myelogramm). Zeichen einer allgemeinen autonomen Denervation und Miktionsstörung Es finden sich z. B. auch Störungen der Schweißsekretion, der Piloarrektion, der Blutdruckregulation, evtl. der Herzfrequenz und der Potenz. Es besteht das Bild der autonom denervierten mit großer, gedehnter, schlaffer Überlaufblase. Infrage kommen 2 hauptsächliche Ursachengruppen: eine chronische Polyneuropathie, besonders jene Diabetes mellitus und primärer Amyloidose, einige der Erkrankungen mit hauptsächlichem Befall des vegetativen Nervensystems, so die akute Pandysautonomie, die familiäre Dysautonomie Riley, die orthostatische Hypotonie Shy-Drager oder eine andere Multisystematrophie. 32.3 Defäkationsstörungen 32.3.1 Behinderung der Defäkation Hierfür sind meist gastroenterologisch-internistische Ursachen einer Obstipation oder einer Koprostase verantwortlich. Bleistiftkot oder Kotretention ist auch immer verdächtig auf eine Raumforderung im kolorektalen Abschnitt. 32.3.2 Stuhlinkontinenz Diese geht einher mit Urininkontinenz, mit Störungen des Sphinktertonus oder/und des Analreflexes oder/und der sakralen Sensibilität: Eine dseitige Läsion der sakralen Afferenzen von S1 bis S4 liegt vor. Es finden sich keine der soeben erwähnten Anomalien für die sehr beeinträchtigende rektale Hypersensibilität mit imperativem Stuhldrang. Sie kann gelegentlich Rektumkarzinom und entzündlichen Darmerkrankungen vorkommen, meistens findet sich jedoch keine fassbare Ursache.