A. Steinmetz NEURONALE NETZE IN BEZUG AUF MUSTERERKENNUNG. Vom biologischen Vorbild. zum informatischen Modell



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A. Steinmetz NEURONALE NETZE IN BEZUG AUF MUSTERERKENNUNG Vom biologischen Vorbild zum informatischen Modell

A. Steinmetz NEURONALE NETZE IN BEZUG AUF MUSTERERKENNUNG Vom biologischen Vorbild zum informatischen Modell Ausbildungsjahr: WS 2002/ SS 2003 Fach: Informatik Name: Andrea Steinmetz Prüfer: Stephan Gringard Koprüfer: Dr. Jürgen Mayer-Gürr Ausgabetermin des Themas: 13.12.2002 Abgabetermin der Facharbeit: 20.02.2003 Abgabeort Oberstufenkolleg Bielefeld

Wenn unser Gehirn so simpel wäre, dass wir es verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir es nicht könnten. Emerson Puigh 1, Gehirnforscher 1 Emerson Puigh, BrainTech. Mind Machines und Bewusstsein, hg. v. Lutz Berger und Werner Pieper, Löhrbach 1989

Vorwort Diese Arbeit entstand im Rahmen der Abschlußprüfungen am Oberstufen- Kolleg in Bielefeld als Facharbeit des Wahlfachs Informatik. Ausschlaggebend für die Wahl meines Themas war der Wunsch, das Studium der Informatik im Fachbereich Neuroinformatik an einer Universität fortzuführen. In dieser Arbeit habe ich versucht, eine knappe Einführung in die Grundlagen der Neuroinformatik zu geben. Ich hoffe, dabei die enge Verwandtschaft zweier Fachgebiete, der Biologie und der Informatik, aufgezeigt haben zu können. Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, mich bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Oberstufen-Kollegs für ihre Hilfe zu bedanken, die mit Geduld und Sachkenntnis zu der Fertigstellung meiner Facharbeit beigetragen haben. Andrea Steinmetz Bielefeld, 17. Februar 2003 v

vi

Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 1 Die Nervenzelle 5 1.1 Aufbau und Funktion eines Neurons................ 5 1.2 Das Myelin............................. 8 2 Erregung von Nervenfasern 15 2.1 Das Ruhepotential......................... 15 2.2 Das Aktionspotential........................ 19 2.3 Die Reizfortpflanzung........................ 24 3 Synaptische Erregungsübertragung 27 3.1 Die Synapse............................. 27 3.2 Die Informationsverarbeitung................... 30 4 Visuelle Wahrnehmung 35 4.1 Ultrakurzzeit-Gedächtnis...................... 35 4.2 Kurzzeit-Gedächtnis........................ 36 4.3 Langzeit-Gedächtnis........................ 37 4.4 Verarbeitung visueller Reize im Gehirn.............. 40 5 Die Zellen eines Künstlichen Neuronalen Netzes 43 5.1 Aktivierungszustand........................ 44 5.2 Ausgabefunktion.......................... 45 5.3 Propagierungsfunktion....................... 46 5.4 Aktivierungsfunktion........................ 47 vii

INHALTSVERZEICHNIS 6 Zellen eines KNN im Verbund 49 6.1 Netzwerktopologien......................... 49 6.2 Verschiedene Formen der Aktivierung............... 51 6.3 Methoden des Lernens....................... 53 6.4 Lernregel............................... 54 6.4.1 Hebbsche Lernregel..................... 55 6.4.2 Delta-Regel......................... 56 6.4.3 Backpropagation-Regel................... 56 7 KNN-Modelle 59 7.1 Mustererkennung.......................... 59 7.2 Perzeptron.............................. 60 7.3 Backpropagation.......................... 63 7.3.1 Backpropagation-Verfahren................ 63 7.3.2 Probleme der Backpropagation.............. 67 7.3.3 Herleitung der Delta-Regel................. 71 7.4 Hopfield-Netze............................ 72 7.4.1 Binäre Hopfield-Netze................... 73 7.4.2 Beweis der Stabilität von Hopfield-Netzen........ 73 8 Simulation eines KNN in JAVA 77 8.1 Typenklassendeklaration und Initialisierung der wichtigsten Komponenten............................... 77 8.2 Das Erlernen von Mustern..................... 81 8.3 Die Hamming-Distanz....................... 84 8.4 Das Wiedererkennen von Mustern................. 85 8.4.1 Analyse der fehlerhaften Programmfunktionen...... 88 8.4.2 Umsetzung der Wiedererkennung in Java......... 90 viii

INHALTSVERZEICHNIS Ausblick 95 Literaturverzeichnis 98 Anhang 98 A Java-Sourcecode 99 1

INHALTSVERZEICHNIS 2

Einleitung Technische Errungenschaften beruhen häufig auf dem Versuch, die Natur in ihrer Funktionsweise zu kopieren. Die Entwicklung der Computer lief anfänglich noch unabhängig davon ab. Zu Beginn dienten sie der Durchführung von Berechnungen. Im Laufe der Zeit wurden sie weiterentwickelt, sodass sie kompliziertere Speicherprozesse vornehmen konnten. Dadurch zeigten sie Ähnlichkeit mit dem menschlichen Gehirn. Dieses hat jedoch dem Computer gegenüber einen großen Vorteil: es kann Informationen assoziativ speichern. Ist bei einem Computer der Speicherort einer Information nicht bekannt, kann er nicht aus den übrigen gespeicherten Informationen erschlossen werden. Auch unzureichende Informationen können von einem Computer nicht verarbeitet werden, wohingegen das Gehirn Informationslücken assoziativ auffüllt. Ein Bereich, in dem sich Gehirn und Computer in ihrer Speicherung unterscheiden, ist die Mustererkennung. Um diese Differenz zum biologischen Vorbild zu überwinden, liegt es nahe, seine Funktionsweise zu simulieren. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Funktionsweise des menschlichen Gehirns bezüglich der Mustererkennung und dem Versuch, diese in informatische Modelle umzusetzen. Dazu werden im ersten Kapitel dieser Arbeit die Nervenzellen vorgestellt, die für die Informationsverarbeitung innerhalb des Gehirns zuständig sind. Sie werden durch elektrische Reize erregt, die bei der Mustererkennung von Rezeptoren innerhalb des Auges produziert werden. Um die Weiterleitung von Nervenreizen zu verstehen, wird der Aufbau und die chemischen Vorgänge vor, während und nach einer Erregung einer Nervenzelle in einem weiteren Kapitel beleuchtet. Die Kommunikation zwischen Nervenzellen ist ausschlaggebend für die Weiterverarbeitung der Informationen, die in das Gehirn gelangen. Wie es dazu kommt, dass nicht alle Zellen in gleicher Stärke ihre Impulse an ihre benachbarten Nervenzellen weitergeben, soll in einem darauf folgenden Kapitel erklärt werden. Der Teil, der sich mit dem menschlichen Gehirn beschäftigt, schließt mit einem Kapitel, dass sich mit der Speicherung von Informationen, dem Gedächtnis, beschäftigt, ab. Dabei soll ein kurzer Einblick in die Abläufe visueller Wahrnehmung gegeben werden. 3

INHALTSVERZEICHNIS Darauf folgt ein Teil der Arbeit, der zeigen soll, wie diese Nervenzellen und ihre Kommunikation untereinander in Modelle der Informatik umgesetzt werden. Dabei soll der Schwerpunkt im Aufzeigen der Analogien zwischen den beiden Fachbereichen Biologie und Informatik gelegt werden. Dieser Teil beginnt mit den einzelnen Komponenten der Modelle und der Vorstellung mathematischer Formeln, die die Vorgänge der Informationsweiterleitung von künstlichen Neuronen untereinander repräsentieren. Dabei soll gezeigt werden, wie sich unterschiedliche Verschaltungen künstlicher Neuronen untereinander auf die Funktionsweise eines Netzes aus mehreren Neuronen auswirkt. Ein weiteres Kapitel stellt einige der bekanntesten Modelle künstlicher neuronaler Netze vor, denen unterschiedliche Netzarchitekturen zugrunde liegen. Eines dieser vorgestellten Modelle ist das Hopfield-Netz, welches im letzten Teil der Arbeit die Grundlage für ein Programm bildet. Dabei soll dargestellt werden, wie die Informationen der vorangegangenen Kapitel in der Programmiersprache JAVA implementiert werden können. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen neuronalen Netze. 4

Kapitel 1 Die Nervenzelle Alle Lebewesen reagieren auf ihre Umwelt. Pflanzen zum Beispiel, richten ihre Blätter nach dem Sonnenlicht aus. Eine solche Reaktion läuft sehr langsam ab. Tiere und Menschen hingegen reagieren wesentlich schneller auf Reize. Dies verdanken sie den Nervenzellen, die nur im Tier-, jedoch nicht im Pflanzenreich vorkommen. Neben den Nervenzellen ist das Myelin ein weiterer wichtiger Bestandteil des Nervensystems. In den folgenden Kapiteln soll der Aufbau und die Funktionsweisen der Nervenzellen und des Myelins erläutert werden. 1.1 Aufbau und Funktion eines Neurons Nervenzellen, auch Neuronen oder Gangliazellen genannt, haben die Funktion der Informationsverarbeitung und -weiterleitung. Sie bilden somit das Bindeglied zwischen einem Reiz und der darauf folgenden Reaktion. Die Anzahl von Neuronen im menschlichen Gehirn kann nur geschätzt werden. Man vermutet, dass es mehr als 100 Milliarden 1 sind. Die Anzahl der Neuronen, über die ein Mensch verfügt, steht schon vor seiner Geburt fest. Während der Embryonalphase verlieren Neuronen ihre Fähigkeit, sich zu teilen. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits alle Neuronen gebildet und können sich ab da nicht weiter vermehren. Jedes Neuron ist wiederum mit anderen Neuronen verknüpft. Das Neuron hat, wie alle tierischen Zellen, eine Zellmembran (Plasmalemma), einen Zellkern (Nucleus) und Zellflüssigkeit (Cytoplasma). Zusammen bilden sie den Zellkörper, der die Bezeichnung Soma trägt (Abb. 1.1). Dendriten und Neuriten (Axone oder Nervenfasern) sind Fortsätze, die dem Soma entspringen. Dendriten können in unterschiedlicher Anzahl oder gar nicht auftreten. 1 1 Milliarde = 1000 Millionen = 10 9 5

1. Die Nervenzelle Abbildung 1.1: Schematische Darstellung eines Neurons. In der Mitte des Axons ist der Zellkern (Nucleus) zu erkennen. Sie sind für die Informationsaufnahme von anderen Neuronen zuständig, wohingegen die Axone genau einmal je Zelle vorkommen und Informationen an andere Neuronen abgeben. Sie enden entweder an Dendriten anderer Neuronen oder an deren Soma. Beachtenswert ist die Länge, die sie ausbilden können. Dendriten haben eine durchschnittliche Länge von 200 Mikrometern bis 300 Mikrometern 2, Axone jedoch können bis zu einem Meter lang werden. Sowohl Dendriten als auch Axone können sich nach ihrem Abgang vom Soma weiter aufzweigen. Die Verzweigungen des Axons werden Kollaterale genannt. Neuronen treten in grosser Formenvielfalt auf. Anhand der Anzahl ihrer Fortsätze lassen sie sich jedoch klassifizieren (Abb. 1.2): Unipolare Zellen haben keine Dendriten und ein Axon Bipolare Zellen haben jeweils einen Dendriten und ein Axon Multipolare Zellen haben viele Dendriten und ein Axon. Sie sind nur bei Wirbeltieren vorzufinden. Bei höher entwickelten Lebewesen ist das Axon durch eine fetthaltige Isolierschicht umgeben, dem Myelin. Das Myelin umgibt das Axon jedoch nicht kontinuierlich. Unter dem Lichtmikroskop sind Einschnürungen zu erkennen. Sie werden nach ihrem Entdecker Ranviersche Schnürringe genannt. Am Ende des Axons sitzt die Synapse, die die Kontaktstelle zum Nachbarneuron darstellt. Das Soma kann in Größen zwischen 5 µm und 100 µm vorkommen. Es enthält neben dem Zellkern, der das genetische Material enthält und die Lebensprozesse der Zelle kontrolliert, noch weitere Organellen, die in allen Zellen, die einen Zellkern haben, vorkommen (Abb. 1.3). Jede Organelle hat eine zellspezifische 2 1 mm = 1.000 µm = 1.000 Mikrometer 6

1.1. Das Neuron Abbildung 1.2: Verschiedene Neuronentypen Aufgabe. Dicht dem Nucleus angesiedelt ist das endoplastische Retikulum. Es fungiert als Transport- und Sammelsystem der Zelle. In seinem Inneren werden Produkte (hauptsächlich Proteine) synthetisiert, die dann über die Membran in das Cytoplasma abgegeben werden. Das endoplastische Retikulum ist in Kompartimente aufgeteilt, den Zisternen. Auf ihnen sitzen kleine runde Partikel, die aus RNA 3 und Proteinen bestehen. Diese sogenannten Ribosomen habe die Aufgabe der Proteinbiosynthese. Weitere Organellen sind die Mitochondrien. Sie sind für die Zellatmung zuständig. In ihrem Inneren wird durch Nährstoffabbau ATP 4 produziert. ATP setzt bei Abspaltung seines Phosphatanteils Energie frei und ist damit ein wichtiger Energielieferant. Das Dictyosom (Golgi-Apparat) nimmt die am endoplastischen Retikulum synthetisierten (Glyco-)Proteine auf und modifiziert sie je nach ihrem Bestimmungsort. Die aus dem Golgi-Apparat austretenden Proteine werden mittels Vesikel innerhalb der Zelle an ihren Bestimmungsort transportiert. Bei Proteinen, die außerhalb der Zelle benötigt werden, verschmelzen die Vesikel mit der Zellmembran und geben dabei ihren Inhalt an das Zelläußere ab. Wie das endoplastische Retikulum, besteht auch der Golgi-Apparat aus mehreren Zisternen, die unterschiedliche Enzyme enthalten, die unterschiedliche Aufgaben bei der Proteinmodifikation übernehmen. Die für die intrazellulare Verdauung zuständige Organelle ist das Lyosom. Die 3 Ribonucleinsäure 4 Adenosintriphosphat 7

1. Die Nervenzelle Abbildung 1.3: Schematische Darstellung einer Zelle mit ihren Organellen Membran des Lyosoms umschließt eine Vielzahl unterschiedlicher Enzyme, die die Fähigkeit der Zerlegung von Makromolekülen besitzen. 1.2 Das Myelin Die meisten Nervenfasern sind von einer Myelinschicht umhüllt. Je dicker eine Nervenfaser ist, umso dicker ist auch die sie umschließende Myelinschicht. Ein Schnitt durch eine myelinisierten Nervenfaser zeigt, dass das Myelin in mehreren Schichten um das Axon anlagert ist (Abb. 1.4). Erkennbar ist das an den dunklen und hellen Linien, die spiralförmig um das Axon liegen. In Abständen von 0,8-2 mm fehlt bei den myelinisierten Nervenfasern die Myelinhülle, so dass die Umhüllung eingeschnürrt erscheint. Diese Einschnürungen heißen Ranviersche Schnürringe 5 (Abb. 1.5). Untersuchungen in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts haben gezeigt, dass sich das Myelin aus einer 5,5 Nanometer 6 dicken Lipidschicht und einer drei Nanometer dicken Proteinschicht zusammensetzt, die abwechselnd aufeinander folgen. Diese Struktur des Myelins gleicht auffallend der von Zellmembranen. Die Entdeckung der Schwann-Zellen zeigte den Grund dieser Ähnlichkeit, denn das Myelin wird nicht von der Nervenzelle selbst produziert, 5 nach ihrem Entdecker Louis Ranvier benannt 6 1 Nanometer = 1nm = 1 Millionstel Millimeter 8

1.2. Das Myelin Abbildung 1.4: Mikroskopie eines Schnitts durch ein Axon mit Myelinschicht Abbildung 1.5: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von einem Axon mit Myelinschicht sondern stammt von den Membranen der Schwann-Zelle. Die Bildung des Myelins ist abhängig von der Lage des Axons im Nervensystem. Befindet sich das Axon außerhalb von Hirn und Rückenmark, spricht man von peripheren Nervenfasern. Ihr Myelin wird von den Schwannschen Zellen gebildet. Nerven innerhalb von Hirn und Rückenmark bilden das Zentralnervensystem. Die Aufgabe der Myelinbildung im Zentralnervensystem übernehmen die Oligodendrocyten. Eine Schwann-Zelle erzeugt einen zwischen zwei Ranvierschen Schnürringen liegenden Abschnitt der Myelinhülle. Der Prozess der Umwicklung beginnt mit der Anlagerung der Schwann-Zelle an eine Nervenfaser (Abb. 1.6). Sie bildet ihre Membran zu einer flachen Zunge aus, die das Axon im Laufe der Zeit mehrfach umwickelt. Dabei wird fast das gesamte Zellplasma aus der Membran heraus gedrückt. Bei nur einer Umwindung liegen dem Axon also zwei Membranen an. Bestimmte Proteine (basische Proteine), die auf der Innenseite der Zellmembran liegen, bewirken, dass die Innenseiten der Membran miteinander verschmelzen. Dabei entstehen die in der mikroskopischen Aufnahme sichtbaren dunklen Linien. Die Außenseiten der Schwannschen Zellmembran besitzt dieses Protein nicht. Daher berühren sich benachbarte Windungen nur und verschmelzen nicht miteinander. 9

1. Die Nervenzelle Abbildung 1.6: Bildung der Myelinscheide Oligodendrocyten sind Stützstellen, die Myelin produzieren (Abb. 1.7). Sie bilden Fortsätze aus, die zu den Axonen hinwachsen und sie einhüllen. Jedes Myelinsegment eines Axons wird von einer anderen Stützstelle gebildet. Ein Oligodendrocyt kann bis zu vierzig solcher Fortsätze haben. Die Vorteile von Myelin Myelin ist, bedingt durch seinen hohen Fettanteil, wasserabweisend und damit ein guter Isolator für Axone, durch die elektrische Impulse laufen. Aber es gibt noch zwei weitere Vorteile: den der Geschwindigkeitserhöhung und den der Energieeinsparung. Durch myelinisierte Nervenfasern läuft ein elektrisches Signal schneller als durch ein Axon ohne Myelinmantel. Die Geschwindigkeit, mit der sich Signale in einer Nervenfaser fortpflanzen können, hängt von ihrer Dicke ab und dem Umstand, ob die Nervenfaser isoliert ist oder nicht. Ist sie nicht isoliert, steigt die Geschwindigkeit des sie durchlaufenden Impulses proportional zu der Quadratwurzel ihres Durchmessers. Das würde bedeuten, dass sich bei einem vierfachen Durchmesser die Geschwindigkeit nur verdoppelt. Ist die Nervenfaser hingegen durch eine Myelinschicht geschützt, pflanzt sich das Signal mit einer Geschwindigkeit proportional zur Dicke der Faser fort, das heißt, dass ein Axon mit vierfachem Durchmesser ein Signal auch in vierfacher Geschwindigkeit weiterleiten kann. Bei gleicher Geschwindigkeit benötigt also die myelinisierte Nervenfaser weniger Platz als die ohne Myelin. Wären die Nervenfasern im menschlichen Rückenmark nicht von einer Myelinschicht umgeben, müsste es einen Durchmesser von mehre- 10

1.2. Das Myelin Abbildung 1.7: Schematische Darstellung der Myelinisierung durch ein Oligodendrocyt (Bildmitte). ren Metern haben, um den von ihr geforderten Leistungen gerecht werden zu können ([Mor1980]). Myelin hat auch einen positiven Einfluss auf den Energieverbrauch. Eine zwölf Mikrometer dicke Nervenfaser eines Frosches leitet die Signale mit einer Geschwindigkeit von 25 Metern pro Sekunde. Die gleiche Geschwindigkeit erzielt die Nervenfaser eines Tintenfisches. Sie ist unmyelinisiert und benötigt deshalb einen Durchmesser, der vierzigmal so groß ist wie die des Frosches. Gewaltig erscheint jedoch der Unterschied im Energiebedarf. Er ist beim Tintenfisch fünftausendmal höher als beim Frosch. Das menschliche Gehirn kann also Dank des Myelins Reize sehr schnell aufnehmen und verarbeiten, benötigt dabei wenig Platz und Energie. Wie aktiv das Gehirn ist, verdeutlicht die Tatsache, dass es trotzdem noch etwa zwanzig Prozent der Energie des Gesamtumsatzes für die Arbeit des Nervensystems verwendet. Ist die Myelinproduktion gestört oder verlieren Nervenfasern ihre Myelinschicht, kann dies schwerwiegende Folgen auf die Gesundheit haben, die von Taubheitsgefühlen bis hin zu Lähmungserscheinungen und Erblindung reichen. Eine Krankheit, bei der die Myelinschicht abgebaut wird, ist die Multiple Sklerose. 11

1. Die Nervenzelle Molekulare Zusammensetzung Wie bereits erwähnt, ist Myelin eine Zellmembran. Membrane bestehen (unter anderem) aus Proteinen und Eiweißstoffen (Lipide), welche die Eigenschaft besitzen, Wasser und wasserlösliche Stoffe abzustoßen. Im Vergleich mit der Membran von Leberzellen fällt auf, dass beide gleichartige Moleküle, diese jedoch in unterschiedlichen Mengenverhältnissen besitzen (Abb. 1.8). Durch verschiedene Labormethoden kann man die Abbildung 1.8: Mengenverhältnisse zwischen Proteinen und Lipiden bei Membranen und Myelin Lipide aus dem Myelin isolieren und untersuchen. Sie bestehen aus Cholesterin, Phospholipiden und Glycolipiden. Phospholipide enthalten alle ein Phosphoratom. Glycolipide sind fettartige Substanzen mit einem Zuckermolekül. Einen prozentual großen Anteil der Lipide im Myelin nimmt ein Glycolipid mit dem Namen Cerebrosid ein (Abb. 1.9). Sein Zuckermolekül ist die Galactose, die den wasserlösliche Teil des Cerebrosid ausmacht. Als Beispiel für ein Molekül aus der Phospholipidgruppe des Myelins kann das Phosphatidylcholin genannt werden. Wie das Cerebrosid enthält auch das Phosphatidylcholin ein wasserlösliches Molekül. Auch die Proteine von Myelin unterscheiden sich von denen anderer Membranen. Die meisten Membrane bestehen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Proteine, von denen keines überwiegt. Myelin enthält weniger verschiedene Arten von Proteinen. Von diesen bilden zwei Proteinarten einen Großteil. Die einen sind die bereits erwähnten basischen Proteine, die anderen sind Lipoproteine. Sie sind in die Außenseite der Myelinmembran eingebettet. Der Einfluß der Ernährung auf die Bildung von Myelin Der Prozess der Myelinisierung läuft parallel zur Entwicklung der Nervenfasern. Da die- 12

1.2. Das Myelin Abbildung 1.9: a: Phosphatidcholin, b: Cerebrosid, c: Cholesterin. Die großen Kreise indizieren die Moleküle, die wasserlöslich sind. se Entwicklung hauptsächlich in den ersten drei Lebensmonaten abläuft, wird dann auch der größte Teil des Myelins produziert. Einseitige oder unzureichende Ernährung in dieser Zeit kann dazu führen, dass nicht ausreichend Myelin produziert wird. Versuche an Ratten haben gezeigt, dass das Gehirn von unterernährten Ratten im Vergleich zu denen von normal ernährten Ratten 40% weniger Verknüpfungen von Nervenzellen ausgebildet hat. Da das Myelin zum Teil aus Eiweißen besteht, ist eine eiweißhaltige Ernährung der Bildung von Myelin zuträglich. 13

1. Die Nervenzelle 14

Kapitel 2 Erregung von Nervenfasern Der menschliche Organismus ist in der Lage, eingehende Informationen an die Zentren im Gehirn weiterzuleiten, die für die Verarbeitung dieser Informationen zuständig sind. Informationen haben im Nervensystem die Form von elektrischen Reizen. Diese wiederum entstehen durch die Veränderung des Spannungsunterschiedes, der zwischen dem Zellinneren eines Neurons und dem ihm umgebenden Raum herrscht. Die folgenden Kapitel erklären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein Reiz von einem Neuron weitergeleitet wird und welche elektrochemischen Veränderungen an der Zellmembran der Neuronen ablaufen. 2.1 Das Ruhepotential Erkenntnisse über elektrische Vorgänge innerhalb von Nervenzellen lassen sich durch Messungen gewinnen, die man an ihnen vornimmt. Derzeitige Messmethoden sind soweit fortgeschritten, dass sie Untersuchungen an Nervenfasern gewöhnlicher Größe zulassen. Zur Untersuchung werden zwei Messelektroden benötigt (Abb. 2.1). Die eine Elektrode (M 1 ) besteht aus einem dünnen Glasröhrchen, das mit einer leitenden Flüssigkeit, einem Elektrolyt, gefüllt ist. Die andere Elektrode ist ein Metallplättchen (M 2 ). Zu Beginn der Untersuchung liegen beide Elektroden im extracellulärem Raum. Der Spannungsmesser (in der Abbildung mit Oszilloskop bezeichnet), der beide Elektroden miteinander verbindet, zeigt keine Spannungsdifferenz an. Man nennt dies extracelluläres Potential. Elektrische Spannung wird in Volt, in diesem Fall in Millivolt (mv), gemessen. Das extracelluläre Potential beträgt also 0 mv. Sticht man mit der Glaskapillare in einen Neuriten, zeigt der Spannungsmesser eine negative Differenz an (in der 15

2. Erregung von Nervenfasern Abbildung 2.1: Messung des Ruhepotentials Abbildung durch einen Pfeil gekennzeichnet). Je nach Zelltyp kann sie zwischen -60 mv und -110 mv liegen. Diese Spannungsdifferenz zwischen dem Intracellulärraum einer unerregten Nervenzelle und ihrem Extracellulärraum wird als Ruhepotential bezeichnet. Ursache des Zustandekommens des Ruhepotentials Da bei der Messung des Ruhepotentials eine negative Spannungsdifferenz angezeigt wird, muss im Intracellulärraum ein Überschuss an negativer Ladung gegenüber dem Extracellulärraum bestehen. In wässrigen Lösungen zerfallen Moleküle in Ionen, das sind negativ, bzw. positiv geladene Teilmoleküle. Sowohl der Intra- als auch der Extracellulärraum ist mit einer wässrigen Salzlösung angefüllt. Innerhalb eines Neuriten ist keine Spannungsdifferenz messbar, d.h. es gibt genauso viele negativ geladene Ionen, genannt Anionen, wie positiv geladene, Kationen genannt. Gleiches gilt für den Extracellulärraum, da sein Potential ebenfalls 0 mv beträgt. Der Grund für die Entstehung einer Spannungsdifferenz zwischen beiden Räumen liegt in der Durchlässigkeit (Permeabilität) der Membran, die beide voneinander trennt. Diese Membran ist selektiv durchlässig. Das bedeutet, dass verschiedene Ionen unterschiedlich gut durch die Membran diffundieren können. Untersuchungen an der Zellmembran von Neuriten haben gezeigt, dass sie für Kalium (K + )-Ionen, die sowohl im Intra- als auch im Extracellulärraum vorkommen, besonders gut durchlässig ist. Für weitere Ionen, die sowohl im Zellinneren wie auch im Zelläußeren auftreten, ist die Membran weniger permeabel. In Bezug auf die Durchlässigkeit von K + -Ionen beträgt die Durchlässigkeit von Chlorid (Cl )-Ionen etwa 45% und für Natrium (Na + )-Ionen sogar nur 4%. K + -Ionen treten im Zellinneren in sehr viel höherer Konzentration als im Zelläußeren auf (Abb. 2.2), weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Intracellulärraum in den Extracellulärraum durch die Membran diffundieren höher 16

2.1. Das Ruhepotential ist, als auf umgekehrtem Wege. Man spricht hier vom osmotischen Druck, der die Ionen zur Diffusion bewegt. Dieser Diffusionsprozess könnte jetzt so lange ablaufen, bis sowohl im Zellinneren als auch im Zelläußeren die gleiche K + -Ionenkonzentration erreicht ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Dafür verantwortlich ist die positive Ladung von K + -Ionen. Wie bereits erwähnt, herrscht im Zellinneren eine hohe K + -Ionenkonzentration. Dem gegenüber steht eine nahezu genauso hohe Konzentration von negativ geladenen Eiweißanionen (A ), die das Spannungsgleichgewicht im Zellinneren entstehen lässt. Durch ihre gegensätzliche Ladung ziehen sich beide Ionen einander an (elektrostatische Kraft). Diffundiert nun ein K + -Ion durch die Zellmembran, wird es vom Eiweißanion, das nicht durch die Membran dringen kann, vom Zellinneren aus festgehalten. Da das Eiweißanion größer als das K + - Ion ist, macht es die Membran Abbildung 2.2: Prozentuale Ionenverteilung im an der Stelle undurchlässig für Intra- und Extracellulärraum weitere Kaliumionen. Das Ruhepotential entsteht daher an der Zellmembran. Es bestehen also zwei Kräfte, die gegeneinander wirken: die elektrostatische Kraft und der osmotische Druck. Die Diffusion durch die Membran dauert solange an, bis sich ein Gleichgewicht zwischen diesen Kräften eingestellt hat. Dadurch erreicht das Membranpotential einen konstanten Wert. Dieses Gleichgewichtspotential lässt sich mit Hilfe der Nernstschen Gleichung errechnen. Errechnen des Ruhepotentials mit der Nernstschen Gleichung allgemeine Form der Nernstschen Gleichung lautet: Die E ion = R T z F ln(c a C i ) Dabei stellen die Variablen folgende Werte dar: E ion = das Gleichgewichtspotential [mv] R = die Gaskonstante (8,3143 J K 1 mol 1 ) T = absolute Temperatur (293 K, das entspricht 20 C) z = die Valenz (Ladung) des Ions 1 17

2. Erregung von Nervenfasern F = die Farady-Konstante (96.487 C mol 1 ) C a = die Konzentration des Ions außerhalb der Zelle [mmol l 1 ] C i = die Konzentration des Ions innerhalb der Zelle [mmol l 1 ] Die Konstanten und die Temperatur lassen sich für die Berechnung des Kaliumgleichgewichtspotentials zu einem Wert zusammenfassen 2. E K + = 25mV ln( K+ a K + i ) Mit den Werten für die Kaliumkonzentration im Intracellulärraum (410 mmol l 1 ) und Extracellulärraum (10 mmol l 1 ), lässt sich dann der Wert berechnen 3. E K + = 25mV ln(0, 024) E K + = 25mV ( )3, 7 E K + = 92, 5mV Vergleicht man das Ergebnis mit dem in der Abbildung 2.1 gemessenen Wert, erkennt man, dass der errechnete Wert kleiner ist. Das liegt daran, dass Kalium nicht alleine zum Ruhepotential beiträgt. Um zu einem identischen Ergebnis zu gelangen, müssen weitere Werte in die Gleichung aufgenommen werden. Dazu gehören die Konzentrationen von Na + und Cl und die für diese Ionen entsprechende Durchlässigkeit (g) der Membran. E = 25mV ln( K+ a + g Na Na + a + g Cl Cl i K + i + g Na Na + i + g Cl Cla ) Die Konzentrationen von Cl sind deshalb vertauscht eingesetzt, weil sie im Gegensatz zu K + und Na + negativ geladen sind. Dabei ist: Na + a Na + i = 460 mmol dm 3 = 50 mmol dm 3 2 Dabei gelten folgende Umformungsregeln: V = J C und 1 V = 1.000 mv 3 bei Werten, die kleiner als 1 sind, ergeben sich unter Anwendung des natürlichen Logarithmus negative Werte. 18

2.2. Das Aktionspotential g Na = 0,04 Cl a Cl i g Cl = 0,45 = 540 mmol dm 3 = 60 mmol dm 3 Diese Werte in obige Gleichung eingesetzt ergibt: E = 62mV Dieser Wert stimmt mit dem gemessenen Wert überein. 2.2 Das Aktionspotential Wird eine unerregte Nervenzelle durch einen Reiz erregt, ändert sich ihr Ladungszustand. Für einen kurzen Zeitraum wechselt ihre Ladung vom Negativen zum Positiven und kehrt anschließend wieder zu ihrem ursprünglichen Zustand zurück. Diese kurzfristige Veränderung wird Aktionspotential genannt, man sagt auch: ein Neuron feuert. Eine Voraussetzung für die Entstehung des Aktionspotentials ist das Ruhe- Abbildung 2.3: Spannungskurve des Aktionspotentials potential. Wird eine Nervenzelle erregt, wird die in ihrem Inneren bestehende negative Ladung abgebaut. In der Abbildung 2.3 ist dies durch den Anstieg der Spannungskurve erkennbar. Diese Phase des Aktionspotentials wird als Aufstrich bezeichnet. Da die Zelle beim Aufstrich ihre negative Ladung verliert, nennt man den Aufstrich auch Depolarisationsphase. Das Potential erreicht in 19

2. Erregung von Nervenfasern dieser Phase positive Werte. Der Anteil, den die positiven Werte beim Aktionspotential ausmachen, wird als Überschuss bezeichnet. Langsamer als die Depolarisation verläuft die Repolarisation - die Phase, in der die negative Ladung im Zellinneren wieder aufgebaut wird. Nähert sich die Ladung wieder ihrem ursprünglichen Zustand, verlangsamt sich die Repolarisation weiter. Am Ende dieser Phase können Nachpotentiale entstehen. Unterschreitet das Potential nach der Repolarisation den Wert des Ruhepotentials, spricht man vom hyperpolarisierndenem Nachpotential. Bleibt das Potential noch eine kurze Zeit oberhalb des Ruhepotentials, bevor es dieses erreicht, spricht man vom depolarisierendem Nachpotential. Die Zeitspanne, in der die Spannung während des Aktionspotentials von der des Ruhepotentials abweicht, wird Refraktärphase genannt. Die Dauer der Refraktärzeit ist von Zelle zu Zelle unterschiedlich. Bei Nervenzellen dauert sie nur etwa eine Millisekunde. Der Herzmuskel benötigt das 200-fache dieser Zeit, um seinen ursprünglichen Ladungswert wieder hergestellt zu haben. Das Aktionspotential kann durch einen Reiz ausgelöst werden. Dabei ist die Stärke des Reizes für die Auslösung entscheidend (Abb. 2.4). Wird der Ladungszustand des Intracellulärraums eines Neurons bis zu Abbildung 2.4: Auslösebedingungen für das Aktionspotential einem gewissen Wert verändert, wird das Aktionspotential nicht ausgelöst. Wird dieser Wert, der als Schwellenwert bezeichnet wird, überschritten, wird es ausgelöst und läuft dann unabhängig von der Höhe des den Schwellenwert überschreitenden Wertes ab. Diese Tatsache wird als Alles-oder-Nichts -Regel 20

2.2. Das Aktionspotential des Aktionspotentials bezeichnet. Ist das Aktionspotential einmal ausgelöst worden, befindet sich die Zelle in einem unerregbaren Zustand. Während der Refraktärzeit eintreffende Reize werden nicht verarbeitet. Ursachen der Spannungsveränderung. Wird ein Neuron über seinen Schwellwert hinaus gereizt, verändern sich die Eigenschaften seiner Membran. Wie auch beim Ruhepotential sind Verschiebungen von Ionen an der Membran für eine Veränderung des Spannungsunterschiedes verantwortlich. Bei einer unerregten Nervenzelle ist die Membran durchlässig für Kalium- und Natriumionen. Durch eine Kalium-Natrium-Pumpe, die Natrium aus dem Intracellulärraum durch die Membran in den Extracellulärraum zurück leitet, fällt die positive Ladung von Natrium bei der Berechnung des Ruhepotentials jedoch nicht ins Gewicht. Wird das Neuron erregt, erhöht sich sprunghaft ihre Leitfähigkeit für Natriumionen (Abb. 2.5). Außerhalb der Zelle herrscht eine sehr viel höhere Natriumkonzentration als innerhalb der Zelle, so dass ein Konzentrationsgefälle vorliegt, das Natriumionen veranlasst, die Membran von Aussen nach Innen zu durchdringen (osmotischer Druck). Während der Erregung übertrifft die Leitfähigkeit für Natriumionen die für Abbildung 2.5: Membranleitfähigkeit während des Aktionspotentials. Oben Zeitverlauf eines Aktionspotentials, darunter Zeitverlauf der Membranleitfähigkeit von Natriumionen (g Na ) und Kaliumionen (g K ) während des Aktionspotentials Kaliumionen. Durch das Eindringen von Natriumionen erhöht sich die positive Ladung im Zellinneren und der negative Spannungsunterschied zwischen Intraund Extracellulärraum wird kompensiert. Währenddessen steigt die Kaliumleitfähigkeit der Membran weiter an, bis sie mehr als das Hundertfache ihres ursprünglichen Wertes erreicht hat. Die Natriumionen würden jetzt solange in die Zelle einströmen, bis sich der osmotische Druck abgebaut haben würde. Wäre das der Fall, müsste der höchste gemessene Spannungswert bei etwa +60 mv liegen. In der Abbildung 2.3 sieht 21

2. Erregung von Nervenfasern man jedoch, dass der Wendepunkt der Spannungskurve bei +30 mv liegt. Das hat zwei Gründe: Die Natriumionen-Leitfähigkeit der Membran hält nicht lange genug an, um so viele Natriumionen durchzulassen, bis ein Spitzenwert von +60 mv erreicht werden kann. Neben der Erhöhung der Leitfähigkeit von Natriumionen wird auch die Leitfähigkeit von Kaliumionen mit einer Verzögerung von etwa 1 ms verstärkt. Somit wird die positive Ladung im Zellinneren wieder abgebaut. Ist also die Spitze der Spannungskurve erreicht, werden die Poren, die Natriumionen in die Zelle lassen, wieder geschlossen und die Poren, die Kaliumionen, die für die Entstehung des Ruhepotentials verantwortlich sind, durchlassen, erhöhen ihre Aktivität, sodass die Spannungskurve wieder sinkt. Der Ladungsausgleich ist am Ende dieses Prozesses im Intra- und Extracellulärraum wieder hergestellt. Die Mengenverhältnisse von Natrium- und Kaliumionen haben sich jedoch sowohl außerhalb als auch innerhalb der Zelle verändert. Um dieser Veränderung entgegenzuwirken und die ursprünglichen Mengenverhältnisse wieder herzustellen, erhöhen die bereits erwähnten Natrium-Kalium-Pumpen ihre Tätigkeit und transportieren Natriumionen aus dem Zellinneren ins Zelläußere und Kaliumionen aus dem Zelläußeren ins Zellinnere. Damit ist das Ruhepotential wieder hergestellt. In der Abbildung 2.6 sind die Vorgänge in der Membran während des Aktionspotentials schematisch dargestellt. Jedes einzelne Teilbild zeigt dabei den Zustand der Poren, die Natriumionen durchlassen (eckig dargestellt) und denen, die Kaliumionen durchlassen (rund dargestellt). Diese Abbildung vernachlässigt aus Gründen des besseren Verständnisses die Tatsache, dass die Kaliumionen durchlassenden Poren auch schon während des Ruhepotentials geöffnet sind. Die Menge der Ionen, die die Membran während des Aktionspotentials durchdringen, ist im Verhältnis zu denen, die die Zelle umgeben, relativ klein. Das bedeutet auch, dass die Menge der Natriumionen, die während des Aktionspotentials in die Zelle eindringt, nur einen Bruchteil der Menge der Natriumionen ausmacht, die die Zelle umschließt. Schaltet man die für den Rücktransport der Natriumionen aus dem Extra- in den Intracellulärraum verantwortliche Natrium-Kalium-Pumpe aus, können noch Tausende von Aktionspotentialen ablaufen, ehe der Natriumgehalt außerhalb der Zelle so hoch geworden ist, dass 22

2.2. Das Aktionspotential Abbildung 2.6: Vorgänge in der Membran während des AP die Zelle unerregbar wird. Der Einfluss der Natriumkonzentration im Extracellulärraum auf das Ruhepotential ist nahezu unerheblich. Das Ruhepotential würde unter einer solchen Bedingung um etwa 10 mv geringer werden. Der Einfluss auf das Aktionspotential ist jedoch um ein Vielfaches größer. Das Aktionspotential entfaltet sich nicht mehr in seiner gewohnten Größe. Das heißt, dass der Überschuss abnimmt und sich der Aufstrich verlangsamt. Die Unerregbarkeit der Neuronen ist dann erreicht, wenn der Natriumgehalt im Extracellulärraum auf ein Zehntel seiner Ursprünglichen Konzentration absinkt. Beschleunigen kann man diesen negativen Effekt, indem man die Natriumkonzentration im Innern des Neurons erhöht. Da das Konzentrationsgefälle zwischen Intra- und Extracellulärraum nicht mehr so stark ist, ist auch der osmotische Druck schwächer. Die Geschwindigkeit der in die Zelle einströmenden Natriumionen verringert sich und die Zelle wird nicht mehr in gleicher Höhe depolarisiert. Funktionsweise der Natrium-Kalium-Pumpe. Im Intracellulärraum befindet sich ein Trägermolekül (in der Abbildung 2.7 mit A bezeichnet), das die Eigenschaft besitzt, sich mit Natriumionen verbinden zu können. Die Ionenpumpe kann diese Verbindung in den Extracellulärraum leiten. Dort löst sich diese Verbindung wieder. Ein Enzym verändert das Trägermolekül so, 23

2. Erregung von Nervenfasern dass es nun Natriumionen binden kann (in den Abbildung mit A bezeichnet). Diese neue Verbindung diffundiert nun durch die Membran ins Zellinnere und zerfällt dort wieder. Das veränderte Trägermolekül wird nun wieder durch ein Enzym in seinen ursprünglichen Zustand zurück verwandelt, so dass es wieder Natriumionen binden kann. Bei diesem Umwandlungsprozess wird Energie benötigt, die aus dem Abspalten eines Phosphatteils von ATP gewonnen wird. Dabei wird ADP 4 gebildet. Für jedes Natriumion, das die Membran nach außen passiert, wird ein Kaliumion in den Intracellulärraum geleitet. Abbildung 2.7: Mechanismus der Ionenpumpe 2.3 Die Reizfortpflanzung Werden an mehreren Stellen eines Axons Messpunkte angebracht und an einem Ende des Axons durch einen elektrischer Reiz, der den Schwellwert übersteigt, das Aktionspotential ausgelöst, so tritt das Aktionspotential an dem Messpunkt auf, der dem Reizpunkt am nächsten liegt, dann an dem zweitnächsten, usw. Daran erkennt man, dass sich ein Reiz entlang eines Axons fortpflanzt. Mithilfe der Meßstationen lässt sich auch die Geschwindigkeit 5 der Reizübertragung ermitteln. Sie ist abhängig von den Eigenschaften des Neurons und kann zwischen 1 m/s und mehr als 100 m/s liegen. Das Aktionspotential ist an allen gemessenen Stellen gleichgroß. Das zeigt, dass ein Neuron den Strom nicht einfach nur leitet (elektrotonische Ausbreitung), denn dann würde der an 4 Adenosindiphosphat 5 Geschwindigkeit = Weg / Zeit 24

2.3. Die Reizfortpflanzung den Messpunkten gemessene Wert abnehmen. Bei der Reizfortpflanzung wirken elektrotonische Ausbreitung und Erregung zusammen. Wird die Zellmembran an einer Stelle zur Auslösung des Aktionspotentials gereizt, fließt Strom in benachbarte Membranbereiche und depolarisiert diese. Das dort entstehende elektrotonische Potential überschreitet den Schwellwert und löst dabei das selbstständig ablaufende Aktionspotential aus. Von dieser Stelle aus werden wieder die Nachbarbereiche depolarisiert. Da sich die Stelle, von der aus der Reiz ursprünglich ausging aber noch in der Refraktärphase befindet, also unerregbar ist, pflanzt sich der Reiz nur in eine Richtung, von der Reizquelle weg, fort. Diese Reizströme bewegen sich ringförmig von der Reizquelle weg und werden deshalb auch Kreisströmchen genannt. Die Leitungsgeschwindigkeit hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einer dieser Faktoren ist der Faserdurchmesser. Der Widerstand der Faser, die den elektrotonischen Strom abbremst, fällt mit dem Quadrat des inneren Faserdurchmessers. Durch einen geringeren Widerstand werden benachbarte Membranbereiche schneller depolarisiert und das Aktionspotential kann früher ausgeführt werden. Ebenfalls Einfluss auf die Leitungsgeschwindigkeit nimmt die Höhe des Natrium- Einstroms in die Zelle. In der Depolarisationsphase schießen Natriumionen in den Intracellulärraum und depolarisieren dabei die Zellmembran. Der dabei entstehende elektrotonische Strom fließt in die Nachbarbezirke und depolarisiert die Membran an dieser Stelle. Ist der Natriumionenstrom geringer, z.b. bei einem erniedrigten (weniger negativen) Ruhepotential, kann auch weniger elektrotonischer Strom in die benachbarten Bereiche fließen, um diese zu depolarisieren. Daher steigt die Leitungsgeschwindigkeit mit der Amplitude des Natriumionen-Einstroms in die Zelle. Einen weiteren Faktor stellt das Vorhandensein einer Myelinschicht dar. An den Internioden, das sind die Stellen des Axons, die von einem Myelinmantel umhüllt sind, kann sich kein Aktionspotential bilden, da die Membran nicht mit dem Extracellulärraum in Berührung kommt (Abb. 2.8). Das bedeutet, dass an diesen Stellen nur der elektrotonische Strom den Reiz leitet. Der elektrotonische Strom ist abhängig von Membrankapazität und -widerstand. Geringere Kapazität und höherer Membranwiderstand wirken sich positiv auf die elektrotonische Leitfähigkeit aus. Die Myelinschicht erzeugt genau diese Bedingungen an der Membranoberfläche: Der Widerstand erhöht sich und die Kapazität sinkt. In den Internioden wird also die Stärke eines elektrischen Reizes nur sehr wenig verringert und schnell weitergeleitet. Eine Verzögerung tritt erst wieder ein, wenn das Signal einen Ranvierschen Schnürring erreicht, 25

2. Erregung von Nervenfasern an dem Membrankapazität und -widerstand wieder ihren normalen Wert haben. An diesen myelinlosen Stellen steigt das elektrotonische Potential an und löst ein Aktionspotential aus. Bei myelinisierten Nervenfasern springt also das Aktionspotential von Schnürring zu Schnürring. Die Erregungsleitung wird deshalb dort saltatorisch genannt 6. Da das Aktionspotential immer in voller Höhe ausgeführt wird (Alles-oder-Nichts-Regel), entstehen keine Signalverluste. Verluste, die auf dem Weg zu einem Schnürring auftreten können, werden durch die volle Auslösung des Aktionspotentials also wieder ausgeglichen. Myelinisierte Nervenfasern benötigen auch weniger Energie als unmyelinisierte. Das liegt daran, dass die energieverbrauchende Natrium-Kalium-Pumpe nur an den Ranvierschen Schnürringen, jedoch nicht an den Internioden arbeiten muss. Abbildung 2.8: Erregungsfortleitung am myelinisierten Axon. R 1 ist eine Reizelektrode, R 2 die dazugehörige Bezugselektrode. An den Meßpunkten a und d wird ein Aktionspotential ausgebildet. An diesen Stellen ist ein Ranvierscher Schnürring, daher kommt die Zellmembran mit dem Extracellulärraum in Kontakt. Hier wird der Reiz durch Erregung fortgepflanzt. An den Meßpunkten b und c ist das Axon durch eine Myelinschicht vom Extracellulärraum getrennt. Hier kann sich kein Aktionspotential ausbilden. An diesen Stellen wird der Reiz durch elektrotonische Leitung fortgepflanzt. 6 saltare lat. springen 26

Kapitel 3 Synaptische Erregungsübertragung Die Stellen, an denen Axone enden und mit anderen Zellen eine Verbindung eingehen, werden Synapsen genannt. Früher nahm man an, dass es sich bei den Synapsen um feste Verbindungen handelte, die das Aktionspotential auf die nächste Zelle ohne Unterbrechung weiterleiteten. Als dann die Labortechniken in ihrer Entwicklung fortschritten und die Synapsen mit einem Elektronenmikroskop untersucht werden konnten, stellte man fest, dass es zwar Synapsen dieser Form, die heute elektronische Synapsen genannt werden, gibt, sie jedoch nur sehr selten vorkommen. Sehr viel häufiger sind die chemischen Synapsen, die sich wiederum in hemmende und erregende chemische Synapsen untergliedern lassen. Bei den chemischen Synapsen liegt zwischen den aneinander liegenden Zellen ein schmaler Spalt, das heißt, die Membrane berühren einander nicht. Aufbau und Funktion der chemischen Synapsen, sowie die Methoden mit denen Nervenzellen Informationen verarbeiten, sollen im Folgenden erklärt werden. 3.1 Die Synapse Synapsen können in großer Formenvielfalt vorkommen. In Abbildung 3.1 sieht man verschiedene Arten von Verbindungen, nach denen die Synapsen wie folgt benannt werden: axo-axonale Synapse (AAS), axo-dendritische Synapse (ADS) und axo-somatische Synapse (ASS). Ihnen allen ist ihre Funktion gemein. Aufbau einer chemischen Synapse. Das Axon endet in einer Verdickung, dem Synapsenendknöpfchen. Da es den vorderen Teil der Synapse bildet, wird 27

3. Synaptische Erregungsübertragung Abbildung 3.1: Synaptische Verbindungen zwischen verschiedenen Nervenzellen es auch präsynaptische Endigung genannt (Abb. 3.2). Sie enthält eine Vielzahl von Mitochondrien und Vesikeln. Diese sind mit Transmittersubstanzen gefüllt, die im Synapsenendknöpfchen synthetisiert werden. Die präsynaptische Endigung ist durch einen Spalt, dem synaptischen Spalt, von der postsynaptischen Seite getrennt. Dieser Spalt ist zwischen 10 nm und 50 nm breit. Auf der gegenüberliegenden Seite des synaptischen Spaltes, der postsynaptischen Seite, liegt die postsynaptische Membran. Sie wird auch subsynaptische Membran genannt. Untersuchungen mit dem Elektronenmikroskop haben gezeigt, dass dieser Membranteil dicker ist als die Membran, die nicht einem Synapsenendknöpfchen gegenüberliegt. Das deutet darauf hin, dass sie sich auch funktionell voneinander unterschieden. Funktion einer chemischen Synapse. Im Synapsenendknöpfchen werden Neurotransmitter synthetisiert und in Vesikeln gespeichert, die sich an die präsynaptische Membran legen. Ein an der Synapse ankommendes Aktionspotential veranlasst die Vesikelmembran mit der präsynaptischen Membran zu verschmelzen. Dabei werden die in den Vesikeln gelagerten Neurotransmitter in den synaptischen Spalt freigesetzt. Die Moleküle der freigesetzten Neurotransmitter binden sich an Rezeptormoleküle, die an den Ionenkanälen der Empfängerzelle sitzen. Durch diese Bindung werden die Ionenkanäle veranlasst sich zu öffnen. Dabei strömen Ionen in den Intracellulärraum der Empfängerzelle und verändern das Membranpotential an dieser Stelle. Hierbei unterscheiden sich erregende Synapsen von hemmenden: 28

3.1. Die Synapse Abbildung 3.2: Schematische Darstellung einer längsgeschnittenen axo-dendritischen Synapse Handelt es sich bei der Synapse um eine erregende Synapse, binden sich die Moleküle ihrer Neurotransmitter an die Rezeptormoleküle von Natriumporen. Diese sind (da die Zelle unerregt ist) geschlossen. Durch die Bindung öffnen sie sich und Natriumionen strömen in die Empfängerzelle. Dabei wird dieser Bereich der Membran depolarisiert. Liegt die Depolarisation über dem Schwellwert, kann ein neues Aktionspotential ausgebildet werden. Das an der postsynaptischen Membran gemessene Potential wird als excitatorisches postsynaptisches Potential (EPSP) bezeichnet. Die Abbildung 3.3 zeigt die Ausbildung eines EPSP s. Je nach Neuronentyp kann die Amplitude ihre Größe verändern. In diesem Beispiel beträgt die Höhe der Depolarisation nur wenige Millivolt. Bei hemmenden Synapsen werden andere Transmitterstoffe ausgeschüttet, die sich an Rezeptoren von Chlorid- und Kaliumionenporen binden. Diese öffnen sich und Chloridionen treten in die Empfängerzelle ein, Kaliumionen treten aus. Dabei wird die intracelluläre Spannung negativer. Das bedeutet, dass sich der Spannungsunterschied zwischen Intracellulärraum der Empfängerzelle und dem synaptischen Spalt erhöht. Das an der postsynaptischen Membran gemessene Potential wird als inhibitorisches postsynaptisches Potential (IPSP) bezeichnet (Abb. 3.4). Durch die im Zellinneren steigende negative Ladung wird die Ausbildung 29

3. Synaptische Erregungsübertragung eines neuen Aktionspotentials erschwert. Die Erregbarkeit des Neurons wird also vermindert. Nachdem sich die Ionenkanäle geöffnet haben, werden die Transmittermoleküle von Enzymen aufgespalten und verlieren dadurch ihre Eigenschaft die Kanäle offen zu halten. Die gespaltenen Moleküle werden von der präsynaptischen Membran wieder aufgenommen und für die Synthese weiterer Transmittermoleküle verwendet. Werden keine neuen Transmittermoleküle gebildet, reicht der im Synapsenendknöpfchen gespeicherte Vorrat noch für die Übertragung von bis zu 5000 Impulsen ([Sch1974]). Es gibt eine Vielzahl verschiedener Transmitterstoffe. Sie weisen häufig Aminosäurecharakteristika auf oder gehen aus einfachen chemischen Reaktionen aus Aminosäuren hervor. Ein Transmitterstoff, der in erregenden Synapsen synthetisiert wird, ist das Acetylcholin. Es wirkt im vegetativen Nervensystem und bei der Übertragung von Nervenimpulsen auf Muskelzellen. Ein hemmender Transmitter ist das Glycin oder Gamma-Aminosäurebutter. Es konnte im schlafenden Gehirn nachgewiesen werden. Neuronen können nur Transmitter eines bestimmten Typs synthetisieren. Daher sind alle Synapsen eines Neurons entweder erregend oder hemmend. Man spricht deshalb auch von erregenden oder hemmenden Neuronen. Abbildung 3.3: Zeitlicher Verlauf des EPSP Abbildung 3.4: Zeitlicher Verlauf des IPSP 3.2 Die Informationsverarbeitung In den vorangehenden Kapiteln haben wir gesehen, dass ein Nervensignal immer in voller Stärke übertragen wird (Alles-oder-Nichts-Regel). Für die Übermittlung der Intensität eines Signals kann also die Höhe der Depolarisation während des Aktionspotentials nicht ausschlaggebend sein. Variieren 30

3.2. Die Informationsverarbeitung kann jedoch der Zeitraum zwischen zwei Aktionspotentialen. Wird auf eine Nervenfaser ein Reiz in konstanter Höhe ausgeübt, bildet sich in regelmäßigen Abständen ein Aktionspotential aus. Erhöht man die Stärke des Reizes, verkürzen sich diese Abstände (Abb. 3.5). Die Stärke des Signals ist umgekehrt proportional zu der Länge der Zwischenräume, die zwischen den Aktionspotentialen entstehen. Dieses Prinzip wird Frequenzmodulation genannt. Durch Frequenzmodulation wird das Nervensystem vor Systemüberlastung und Informationsverfälschung geschützt. Während der Refraktärzeit kann kein neues Aktionspotential ausgebildet werden. Das bedeutet, dass die Impulsfrequenz einen Maximalwert nicht überschreiten kann. Dadurch wird das Nervensystem gegen Überlastung gesichert. Abbildung 3.5: Auswirkungen Die Nervenfasern besitzen einen für sie spezifischen Leitwiderstand. Wird durch ein myelini- von Reizstärke auf Aktionspotentialfrequensiertes Axon ein elektrotonischer Reiz geleitet, verliert er auf dem Weg durch das Axon an Stärke. Erreicht der Reiz einen Ranvierschen Schnürring, kann er immer noch groß genug sein, um ein weiteres Aktionspotential auszulösen. Die Breite eines Schnürringes ist so breit, dass die elektrotonische Reizstärke ausreicht, um die Zellmembran bis zum Schwellenwert zu depolarisieren. Die Ranvierschen Schnürringe wirken also wie Reizverstärker. Das Aktionspotential wird immer in gleicher Stärke ausgebildet, das bedeutet, dass durch die Reizverstärkung der Reiz weder erhöht, noch erniedrigt wird, er wird lediglich erhalten. Arbeitet ein Schnürring nicht einwandfrei, wird das Aktionspotential am ihm folgenden Schnürring ausgebildet, der Reiz geht also nicht verloren. Da für die Signalintensität die Frequenz entscheidend ist und nicht die Höhe des Aktionspotentials, bietet hier die Frequenzmodulation einen Schutz gegen Informationsverfälschung. Im Nervensystem können auf Neuronen eine Vielzahl von Synapsen unterschiedlicher anderer Neuronen wirken. Diese Impulse können zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Frequenz eintreffen. Wie bereits erwähnt, enden Synapsen vorgeschalteter Neuronen entweder an der Somamembran oder an den Dendriten. An diesen Stellen können keine Aktionspotentiale ausgebildet werden. Die dort eingehenden Impulse verursachen eine kurzzeitige Veränderung des Membranpotentials, das durch die Membran bis zum Ansatzpunkt des Axons am Soma, dem Axonhügel, weitergeleitet wird. Gleichzeitig eingehende Signale summieren einander auf. Das bedeutet, dass 31