Veranstaltungsbericht (Langfassung) Titel: Was wird aus Europa? Krisen im Westen, Konflikte im Osten. Was wird aus Europa? lautete der Titel des von FAZ-Redakteur Dr. Christian Geinitz moderierten Notarions der Österreichischen Notariatskammer am 3. Dezember 2014. Bei seiner Begrüßung betonte der Präsident der Notariatskammer, Hon.-Prof. Univ.-Doz. DDr. Ludwig Bittner, dass Österreich nicht nur in der Geldwirtschaft, sondern auch in Industrie und Handel in den vergangenen 20 Jahren von Zentral- und Osteuropa profitiert habe. Die positive Entwicklung sei sicher nicht vorbei, aber im Wandel begriffen. Zwtl: Stabile Strukturen gefragt Dipl.oec. Klaus Huttelmaier (Alleinvorstand der Robert Bosch AG Wien, Repräsentant der Bosch-Gruppe in Österreich, Regionalverantwortlicher für Mittelosteuropa) präsentierte in seinem Vortrag die Bosch-Gruppe als international führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen, das in den vergangenen fünf Jahren mehr als 20 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung investiert hat. Im Durchschnitt meldet Bosch an jedem Arbeitstag 20 Patente an. In Mittelosteuropa ist das Unternehmen in 14 Ländern an 53 Standorten aktiv. Die Region habe eine große (überproportionale) Bedeutung für Bosch, so Huttelmaier. Rund 10% des Bosch- Umsatzes werden dort generiert. Das Umsatzwachstum ist in Mittelosteuropa im Vergleich zum gesamteuropäischen Umsatzwachstum höher. Rund 8 Prozent der Bosch-Belegschaft sind in der Region tätig. Bosch baut zudem seine Entwicklungsund Fertigungskapazitäten in der Region aus. Als Herausforderungen nannte Huttelmaier die Stabilisierung der politischen Strukturen in der Region, die Stärkung des Binnenmarktes und die Reduktion der Exportabhängigkeit vieler Länder. Seine Hausaufgaben gemacht habe Polen. Das Land sei ohne BIP-Rückgang durch die Krise gegangen. Die Staatsverschuldung sei in einigen Ländern dramatisch, wie etwa in Slowenien und Kroatien, während Polen und Ungarn diesbezüglich vorbildlich seien. Zwtl: Chancen und Risiken
Risiken bestünden in einer Schwächung des Wachstums im Euroraum sowie in einer Eskalation der Ukraine-Krise. Chancen sieht Huttelmaier in EU-Mitteln als wichtigem Teil der Gesamtnachfrage, in der sinkenden Bedeutung der Exporte als Wachstumsmotor und in der steigenden Bedeutung von Investitionen und Konsum für das Wachstum sowie im fallenden Ölpreis. Ein niedriger Ölpreis bringt Frachtkosteneinsparungen und günstigere Produktionskosten, macht Autofahren attraktiver und stimuliert den privaten Konsum. Der Abruf von EU-Mitteln ist in der Region unterschiedlich, so der Manager. Während Polen alles ausschöpfe, sei Tschechien nicht dazu in der Lage. Dies hänge seiner Vermutung nach von Transparenz- und Vergaberichtlinien ab, so Huttelmaier. In seinem persönlichen Ranking liegt Polen an erster Stelle, gefolgt von einer Gruppe aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei sowie Rumänien am dritten Platz. Danach folgen Kroatien, Bulgarien, Serbien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina. Huttelmaier hob die positiven Aussichten für das BIP-Wachstum in Mittelosteuropa hervor, das im Vergleich zum Euroraum um 1,8%-Punkte höher ausfällt. In den meisten Ländern wird zudem eine graduelle Beschleunigung des BIP-Wachstums erwartet. Die Industrieproduktion sei der deutlichste positive Makrotrend, der 2013 im gesamten Raum zu beobachten war. Die Aussichten für 2014 und 2015 seien positiv. Die Region sei insgesamt auf Wachstumskurs, Wachstum sei unabdingbar, so der Bosch-Vorstand über die emerging markets vor der Haustüre. Wichtig sei allerdings, dass die politischen und rechtlichen Strukturen sowie der Binnenmarkt gestärkt und die Exportabhängigkeit reduziert würden. Zwtl: Importierte Krise Dkfm. Dr. Herbert Stepic (Senior Advisor to the Board der Raiffeisen Bank International) verwies in seinem Statement auf die Erfolgsgeschichte der Raiffeisen Bank International in der Region. Man habe mit 1200 Mitarbeitern begonnen, heute seien es 55.000. Der Beitrag Mittel- und Osteuropas zum Gesamterfolg des Unternehmens liege bei 60-70 Prozent. Stepic verwies darauf, dass Osteuropa in den vergangenen Jahren stärker als Asien gewachsen sei. Die Unternehmen hätten die größten Gewinne dort und nicht in Asien erzielt. Österreich habe von dieser Entwicklung überproportional profitiert. Dies sei sonst nur Holland gelungen. Das
österreichische Bankenwesen sei ohne Osteuropa überhaupt nicht vorstellbar. Die Kreditvergaben seien dort um 20 bis 30 Prozent pro Jahr gewachsen. Europa habe durch den liberalen Geldmarkt die Krise des amerikanischen Realitätenmarktes importiert. 60 Prozent der Krise seien in der Folge in Europa absorbiert worden. Stepic prognostizierte einen unglaublichen Schrumpfungsprozess der Banken mit dem Abbau von rund 10.000 Bankstellen in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Die Zeiten, in denen Staaten Banken retten würden, seien endgültig vorbei. Prognosen von Ökonomen, die Europa und den Euro totsagten, bezeichnete Stepic als blanken Unsinn. Der Euro habe sich bestens bewährt. Zwtl: Österreich braucht Strukturreformen Für die Länder Mittel- und Osteuropas seien der EU-Beitritt bzw. die Hoffnung darauf entscheidend für notwendige Transformationsprozesse gewesen. Die Osteuropäer hätten sich dabei gut geschlagen auch in der Krise, bilanzierte Stepic. Man habe Leistungsbilanzen in Ordnung gebracht, harte Sparmaßnahmen durchgesetzt und moderate Lohnstückkosten gesichert. Die mittel- und osteuropäischen Märkte hätten die Wachstumsschwächen in Europa überkompensiert: Während das Wachstum in Südeuropa seit 2004 um neun Prozent gesunken ist, steigt es in Mittel- und Osteuropa um zwölf Prozent an. Für den Westen von Europa konzedierte der Banker eine krisenähnliche Situation, die stark an die japanischen Verhältnisse erinnere: kaum Wachstum, eine alternde Bevölkerungsstruktur, sinkende Investitionen, überbordende Bürokratie, weiterer Anstieg der Staatsschulden. Deficit spending mache nur kurzfristig und nur dann Sinn, wenn ein staatlich investierter Euro auch einen zusätzlichen privat investierten Euro generiere. Stepic mahnte für Österreich Strukturreformen ein. Mit Blick auf die Situation der Banken stellte er fest, dass durch die gestiegenen Kapitalanforderungen die Kreditgewährung an den Mittelstand deutlich schwieriger geworden sei. Die Finanzierungsabhängigkeit der mittelständischen Unternehmen liege in Europa bei 80 Prozent, in den USA seien es gerade einmal 20 Prozent. Die Banken hätten ihre Kapitalia in nur vier Jahren verdreieinhalbfachen müssen. Es sei
klar, dass Entscheidungswege immer langsamer würden. In Zentral- und Osteuropa sieht Stepic unterschiedliche Entwicklungen: Während Zentraleuropa mit Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei mit einem Wachstum zwischen zwei und drei Prozent sehr gut liege, schwächelten die südosteuropäischen Staaten mit knapp 1,5 Prozent. Ungewiss sei die Entwicklung in der Ukraine, Russland und Weißrussland. Die Russland-Ukraine-Krise hätte massive Auswirkungen auf Europa und die Welt, resümierte Stepic. Zwtl: Kritik an Sanktionen In der nachfolgenden Diskussion zeigte sich Bosch-Alleinvorstand Huttelmaier mit Blick auf das Ende für South Stream gelassen. Das Streben nach Energieautonomie werde zunehmen, erneuerbare Energien würden vorangebracht. Sorge mache ihm vielmehr, dass Frankreich und Italien ihre Hausaufgaben nicht machten. Bei Investitionen in Mittel- und Osteuropa sei es wichtig, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Jedes Land habe seine Stärken und Schwächen. Stepic verwies darauf, dass das Wachstum in Osteuropa insbesondere vom Wachstum in Deutschland abhänge. Ein extremer Austeritätskurs sei in Frankreich derzeit nicht möglich. Die französischen Arbeitsgesetze bewirken, dass ein französischer Unternehmer im Durchschnitt zwei Jahre braucht, um einen Arbeitnehmer zu kündigen. Die Arbeitsflexibilisierung sei hingegen einer der vielen Vorteile der österreichischen Wirtschaft. Zum Verhältnis zwischen der EU und Russland sagte Stepic, jegliche Sanktionen würden die Situation nur verschärfen. Die bisherigen Sanktionen würden beiden Seiten schaden. Seine Forderung nach einem aktiven Dialog wurde auch von Huttelmaier unterstützt. Österreich sei in Russland stark vertreten und könne daher auch eine vermittelnde Rolle einnehmen. Putin fehle es in Europa an einem Gesprächspartner. Jede Eskalation werde zu einer lange andauernden Phase der Unsicherheit führen, so Stepic. Jeder Unternehmer werde es sich zehnmal überlegen, ob er Investitionen tätigen werde oder nicht. Unter den Personen, auf die Putin höre, befänden sich etliche Österreicher, sagte Stepic. Zwtl: Rechtssicherheit entscheidet
Harte Kritik übte der Banker an Viktor Orban, der eine opportunistisch-nationale Politik betreibe und die Demokratie in Ungarn de facto ausgeschaltet habe. Orban habe die Banken abkassiert, was den Bankenapparat rund 7 Mrd. Euro gekostet habe. Die Bankensteuer bezeichnete er als Verbrechen. Wenn jedes Land eine solche Steuer einführe, von der letztlich das Geld der Sparer betroffen sei, werde dies eine negative Kettenreaktion für den gesamten Bankenapparat auslösen. Bosch-Vorstand Huttelmaier bilanzierte die Ungarn-Erfahrungen seines Unternehmens so, dass man sehr selbstbewusst auftreten müsse und Vieles nur über persönliche Gespräche mit obersten Regierungsvertretern erreichbar sei. Die Bosch-Gruppe beschäftigte in Ungarn mittlerweile 12.000 Mitarbeiter. Für Investitionsentscheidungen seien Subventionen nicht alleine entscheidend, sondern strategische Weitsicht und unternehmerische Entscheidungen. Rechtssicherheit ist ein wichtiges Kriterium. Auch Stepic betonte die große Bedeutung von Rechtssicherheit: Sie sei in allen Ländern Osteuropas die erste Schwachstelle. Wo die Demokratie faktisch begrenzt werde und nur ein Mann das Sagen habe, sei der Korruption Tür und Tor geöffnet. Russland sei deutlich weniger korrupt als die Ukraine, berichtete er. Im Wissen um die Rolle der Banken bei der Bewältigung von Transformationsprozessen würden Regierungen in Mittel- und Osteuropa Banken bei der Bewältigung von Korruptionsfällen sogar helfen. Zwtl: Mehr Strukturreformen im Westen, mehr Rechtsstaatlichkeit im Osten Auch in der Publikumsdiskussion standen Fragen rund die Russland-Ukraine-Krise und die Zukunft Europas im Vordergrund. Stepic unterstrich, dass die derzeitige Situation in Europa alles andere als rosig sei. Er sei aber weit davon entfernt zu sagen, dass Europa zu Grunde gehen werde. Zum Ende des South Stream- Projektes merkte er an, dass die Türkei ein Abnehmer für russisches Gas vor der Haustüre sei. Für Huttelmaier ist Energie zur politischen Waffe geworden. Die Energiepreise seien politisch getrieben - und der Ölpreis daher nicht zufällig gefallen. Man treffe damit Russland ins Mark. Wichtig ist für ihn die Verfügbarkeit von Energie.
Moderator Christian Geinitz bilanzierte, während der Westen Europas Strukturreformen brauche, müsse sich der Osten auf die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und politische Stabilität konzentrieren. Mittelständler sollten dort achtsam sein und nicht überstürzt handeln. Das Engagement auf den mittel- und osteuropäischen Märkten sei jedenfalls richtig, weil Mittel- und Osteuropa überproportional wachsen werde.