Rechtsprechung zum Verbraucherinsolvenzverfahren Thomas Seethaler, Caritasverband Heidelberg e.v. Die vorliegende Übersicht gibt nur einen Teil der Rechtsprechung zum Verbraucherinsolvenzverfahren wider, die im Jahr 2010 veröffentlicht wurde. Der Schwerpunkt wurde auf möglichst praxisrelevante Entscheidungen für die Arbeit von Insolvenzberater(innen) gelegt. Soweit sich die Insolvenzgerichte mit anderen Fragen beschäftigt haben, die für die Arbeit der Schuldnerberatung nicht wichtig waren (z.b. Fragen der Vergütung des Treuhänders bzw. des Insolvenzverwalters) wurde darauf verzichtet, sie in die Aufstellung einzubeziehen. Sämtliche unveröffentlichten Entscheidungen des BGH sind auf der Website des BGH (www.bundesgerichtshof.de) in der Rubrik Entscheidungen zu finden. In der dortigen Suchmaske kann sowohl nach Aktenzeichen als auch nach Datum oder Stichworten gesucht werden. Antragstellung Erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung nach Sperrfrist zulässig Nach Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren kann der Schuldner einen erneuten Insolvenz-, Stundungs- und Restschuldbefreiungsantrag stellen, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe neue Forderungen gegen ihn begründet worden sind (Fortführung von BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 - IX ZB 219/08, siehe Rechtsprechungsübersicht 4/2009). BGH, Beschluss vom 03.12.2009, IX ZB 89/09, www.bundesgerichtshof.de Stundung Insolvenzgericht darf Schuldner zu einer Erklärung über wirtschaftliche Verhältnisse ungeachtet eines Vorhalts zur Änderung auffordern Das Insolvenzgericht kann vom Schuldner eine Erklärung über seine Verhältnisse verlangen, um zu prüfen, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners verbessert haben und die Entscheidung über eine Stundung deshalb zu ändern ist. Die Erklärungspflicht wird nicht davon abhängig gemacht, dass das Gericht der Partei zuvor eine Änderung ihrer Verhältnisse vorgehalten hat. Beruft sich der Schuldner als Partei auf Prozessunfähigkeit, so muss er Tatsachen darlegen, aus denen sich ausreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. BGH, Beschluss vom 05.11.2009, IX ZB 91/09, ZInsO 51-52/2010, 2405 Keine Aufhebung der Stundung bei Leistungsunfähigkeit des beschäftigungslosen Schuldners Die Stundung der Kosten des Verfahrens kann nicht deshalb aufgehoben werden, weil der beschäftigungslose Schuldner sich nicht um eine Beschäftigung bemüht, wenn er nicht in der Lage ist, Einkünfte oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu erzielen, und die Befriedigung der Insolvenzgläubiger somit nicht beeinträchtigt ist. BGH, Beschluss vom 22.10.2009, IX ZB 160/09, ZInsO 47/2009, 2210
Eröffnetes Insolvenzverfahren Die Entscheidung über die Restschuldbefreiung muss 6 Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen, auch wenn dieses noch andauert a) Über den Antrag auf Restschuldbefreiung ist nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung von Amts wegen zu entscheiden, auch wenn das Insolvenzverfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen werden kann. b) Ist über die Restschuldbefreiung vor Abschluss des Insolvenzverfahrens zu entscheiden, muss den Beteiligten wie bei einem Schlusstermin Gelegenheit zu Versagungsanträgen nach 290 InsO und zur Stellungnahme gegeben werden. Die Ankündigung der Restschuldbefreiung, die Wohlverhaltensphase und die dort sonst zu beachtenden Obliegenheiten des Schuldners entfallen. c) Wird dem Schuldner im laufenden Insolvenzverfahren nach Ablauf der Abtretungserklärung Restschuldbefreiung erteilt, entfällt der Insolvenzbeschlag für den Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung. d) Bis zur Rechtskraft der Entscheidung, mit der im laufenden Verfahren Restschuldbefreiung erteilt wird, hat der Insolvenzverwalter den pfändbaren Neuerwerb einzuziehen und für die Masse zu sichern. Wird Restschuldbefreiung erteilt, hat er den eingezogenen Neuerwerb, der danach nicht in die Masse gefallen ist, an den Schuldner auszukehren. BGH, Beschluss vom 03.12.2009, IX ZB 247/08, ZInsO 2/2010, 102 Zur Abgrenzung des berechtigten vom unberechtigten Lastschriftwiderruf 1. Die Pfändungsschutzvorschriften der ZPO gelten auch für Lastschriftwiderrufe durch den Treuhänder im Verbraucherinsolvenzverfahren. 2. Der Treuhänder im Verbraucherinsolvenzverfahren ist nicht berechtigt, Lastschriften des Schuldners, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung einer Schuld dienen und aus dem pfändungsfreien Vermögen des Schuldners stammen, zu widerrufen. 3. Im Fall eines unberechtigten Lastschriftwiderrufs kann die Schuldnerbank dem Treuhänder den dolo-agit-einwand aus 242 BGB entgegenhalten. AG Hannover, Urteil vom 06.11.2009, 568 C 9396/09, ZInsO 49/2009, 2301, ZVI 2009, 504 Kündigung der Mitgliedschaft in einer Genossenschaft durch den Treuhänder 1. Das Recht, in der Insolvenz des Mitglieds einer Genossenschaft die Mitgliedschaft mit dem Ziel zu kündigen, den zur Insolvenzmasse gehörigen Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens ( 73 GenG) zu realisieren, steht dem Insolvenzverwalter zu. 2. Eine analoge Anwendung von 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist unter dem Gesichtspunkt verfassungskonformer Auslegung im Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht geboten. BGH, Urteil vom 17.09.2009, IX ZR 63/09, ZInsO 45/2009, 2104, ZVI 2009, 448 Insolvenzmasse Massezugehörigkeit von fällig werdenden Nebenkostenguthaben 1. Ansprüche auf Auskehr von Nebenkostenguthaben stehen der Masse zu, auch wenn die Vorauszahlungen aus unpfändbaren Vermögen des Schuldners stammen.
2. Nach Erklärung des Insolvenzverwalters gem. 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und Ablauf der Frist des 109 Abs. 1 Satz 1 InsO sind fällig werdende Nebenkostenguthaben nicht mehr massezugehörig, auch wenn sie aus Zahlungen vor Ablauf der Frist des 109 Abs. 1 Satz1 InsO stammen. 3. Dies folgt auch aus einem Vergleich mit der Rechtslage bei Mietkautionen, die ebenfalls dem Schuldner zustehen. AG Göttingen, Urteil vom 18.06.2009, 21 C 33/09 (nicht rechtskräftig), ZVI 2009, 460 Versagung nach 290 Abs. 1 InsO 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO Vermögensverschwendung durch Zerstörung einer zur Masse gehörenden Einbauküche Leitsatz; Eine Vermögensverschwendung liegt vor, wenn der Schuldner eine zur Massegehörende Einbauküche, die der Insolvenzverwalter bereits verkauft hat, entfernt oder vernichtet. BGH, Beschluss vom 09.07.2009, IX ZB 199/08, ZVI 453 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO Abgrenzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten In der fehlenden Information der Treuhänderin über die Aufnahme einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit und der Begründung von Masseverbindlichkeiten ohne Kenntnis der Treuhänderin liegt eine Verletzung von Mitwirkungspflichten. BGH, Beschluss vom 15.10.2009, IX ZB 70/09, ZinsO 46/2009, 2162 Obliegenheiten nach 295 Abs. 1 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO Zur Erwerbsobliegenheit in der Wohlverhaltensperiode bei Betreuung eines Kindes Die Erwerbsobliegenheit eines Insolvenzschuldners entfällt, wenn ihm die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann. Dies kann auch im Hinblick auf die Betreuung minderjähriger Kinder in Betracht kommen. Bei der Betreuung eines Kindes bis zum achten Lebensjahr besteht grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit. Bei einem Kind, das zwischen acht und elf Jahren alt ist, kommt es bei der Frage, ob der Schuldner zumindest eine Teilzeit-Erwerbstätigkeit ausüben muss, wiederum auf die Umstände des Einzelfalls an. Sollte aus einer zumutbaren Tätigkeit kein pfändbares Einkommen erzielbar gewesen sein, fehlt es allerdings an der maßgeblichen konkreten Beeinträchtigung der Gläubiger. BGH, Beschluss vom 03.12.2009, IX ZB 139/07, ZInsO 2/2010, 105
Verletzung der Erwerbsobliegenheit durch Vereinbarung eines geringeren Entgeltes Es stellt eine konkret messbare Vermögensbeeinträchtigung dar, wenn der Schuldner in einem Arbeitsvertrag sich ein geringeres Entgelt versprechen lässt, als er im Vergleich zu einem anderen Beschäftigten des Unternehmens bei ansonsten gleichlautenden Anstellungsverträgen und Beschäftigungsbedingungen hätte erzielen können. BGH, Beschluss vom 24.09.2009, IX ZB 288/08, ZVI 2009, 509 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO Keine Obliegenheitsverletzung bei Mitteilung von Eheschließung ohne weitere Angaben zu eigenen Einkommen des Ehepartners Der Schuldner, der dem Treuhänder die Eheschließung ohne weitere Angaben zu den Einkünften des Ehepartners mitteilt, "verheimlicht" keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge. BGH, Beschluss vom 22. 10. 2009, IX ZB 249/08, www.bundesgerichtshof.de Versagung der Restschuldbefreiung nach 296 Abs. 2 S. 3 InsO, 298 Abs. 1 InsO 296 Abs. 2 Satz 3 InsO Voraussetzungen für Restschuldbefreiungsversagung Sinn und Zweck des 296 Abs. 2 InsO ist es, dem Gericht die Sachaufklärung zu erleichtern. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn die Versagung der Restschuldbefreiung von der weiteren, im Gesetz gerade nicht vorgesehenen Voraussetzung einer konkreten Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten abhängig würde. BGH, Beschluss vom 08.10.2009, IX ZB 169/08, ZinsO 46/2009, 2162 298 Abs. 1 InsO Voraussetzung der Versagung der Restschuldbefreiung nach 298 Abs. 1 InsO Wegen Nichtzulassung der Mindestvergütung des Treuhänders kann die Restschuldbefreiung dem Schuldner nicht versagt werden, wenn der Treuhänder in seiner Zahlungsaufforderung auf die Möglichkeit der Versagung der Restschuldbefreiung nicht hingewiesen hat. BGH, Beschluss vom 22. 10. 2009, IX ZB 43/07, ZInsO 49/2009, 2310 Erteilung der Restschuldbefreiung, ausgenommene Forderungen, Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung Bindungswirkung der "Anerkennung" einer Forderung aus unerlaubter Handlung Hat der Schuldner mit einem gerichtlichen Vergleich auch den Rechtsgrund der dadurch titulierten Forderung als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung außer Streit gestellt, so steht für den
Feststellungsprozess bindend fest, dass die Forderung auf einer entsprechenden Handlung beruht. BGH, Urteil vom 25.06.2009, IX ZR 154/08, ZInsO 33/2009, 1494