Interview #21. Alexandre Corazzola. Bund der Szenografen

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Transkript:

Alexandre Corazzola Bund der Szenografen

Corazzola Alexandre Corazzola Alexandre Corazzola wuchs in Düsseldorf, München und Wien auf. Mit 17 Jahren wanderte er in die USA aus, um an der Idyllwild Arts Academy in Kalifornien ein Vorstudium im Fach Bühnenbild zu absolvieren. Nach dem Bachelor an der Western Michigan University, erhielt er den Master of Fine Arts an der New York University. 2005 kehrte Alexandre wieder zurück nach Europa, wo er für die nächsten drei Jahre an der Schaubühne Berlin, dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, den Salzburger Festspielen, der Wiener Staatsoper und dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg als Assistent arbeitete. Seit der Spielzeit 2008/2009 ist Alexandre als freischaffender Bühnen- und Kostümbildner an Häusern wie der Oper Frankfurt, dem Schauspiel Frankfurt, dem Volkstheater Wien, Düsseldorfer Schauspielhaus, Staatsschauspiel Dresden, Nationaltheater Mannheim, Nationaltheater Weimar, Schauspielhaus Graz, der Staatsoper und dem Staatsschauspiel Hannover, dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, den Tiroler Festspielen Erl, der Opéra National du Rhin und dem Théatre Athenée Paris tätig. Bund der Szenografen Alexandre ist Alumnus des Internationalen Forums des Theater Treffens und der Akademie Musiktheater heute der Deutschen Bank. Für die Produktion Frühlings Erwachen (Regie: Jan Friedrich, 2018) war er für den FAUST Preis in der Kategorie Bühne/Kostüm nominiert. www.corazzola.com 3

Alexandre Corazzola Frühlings Erwachen, Schauburg München, 2018 / Alexandre Corazzola Kabale und Liebe, Staatsschauspiel Hannover, 2017 / Corazzola JAKOB KNAPP Eine Frage vorweg - Warum bist du im Bund der Szenografen? ALEXANDRE CORAZZOLA Dem Bund der Szenografen bin ich beigetreten, um mein Blickfeld auf unseren Beruf zu vergrößern. Weit über meine tägliche Arbeit hinaus habe ich mich schon seit jeher für die Geschichte des Bühnenbilds interessiert, die ja auch immer eine Geschichte der Theaterarchitektur, der Technologien, der politischen und sozialen Umstände in den diversen Epochen und der unterschiedlichen künstlerischen Strömungen war. Diese Entwicklung geht natürlich immer weiter. Und ähnlich wie durch mein Studium in den USA oder dem regelmäßigen Besuch der Prager Quadriennale möchte ich mir auch durch den Bund der Szenografen ein Bild davon machen, was aktuelle deutsche und internationale Tendenzen sind, an die ich andocken und zu denen ich beitragen kann. JK Was liebst du am Theater und wie bist du zum Theater gekommen? AC Als mein Vater Anfang der 60er Jahre als italienischer Gastarbeiter nach Paris ging, wurde er dort von einem Ehepaar wie ein eigener Sohn aufgenommen. Der Mann dieses Paares hatte immer den Wunsch gehabt Operettensänger zu werden, doch er durfte es von dessen Eltern aus nicht. Später hat er sich in seinem Bastelzimmer ein kleines Modelltheater gebaut und mithilfe eines Plattenspielers Vorstellungen für seine Nachbarschaft inszeniert. Als ich klein war, haben wir dieses Ehepaar jeden Sommer in der Normandie besucht, wohin es im Ruhestand zog. Ich war so fasziniert von diesem liebevoll geschnitzten und bunt beleuchteten Opernhaus, dass ich zuhause selbst versuchte, ein eigenes zu bauen, so gut ich das als Kind eben konnte. Was ich in diesen Stunden des kindlichen Bauens und Entwerfens am meisten geliebt habe, war definitiv der damit verbundene Eskapismus. Das ist heute anders, denn was ich jetzt am Theater liebe, ist gerade die Tatsache, dass es mich mit der Welt verbindet. Auf der einen, ganz praktischen Seite, lässt mich mein Beruf viel reisen und so viele Menschen kennenlernen, wie das sonst wohl nur in ganz wenigen Bereichen möglich ist. Auf der anderen Seite erfährt man durch die Werke, mit denen man sich beschäftigt, immer mehr über sich und die menschliche Existenz im Allgemeinen. Es ist ein wenig so, als dürfe man sein ganzes Leben lang Student bleiben und weiterlernen. JK Gibt es einen Unterschied zwischen bildender Kunst und Szenografie? AC Ja, diesen Unterschied gibt es für mich auf jeden Fall. Ich würde sogar sagen, dass die Tätigkeit von Bühnen- und Kostümbildner*innen keine Kunst ist, sondern Design, das zur Kunstform Theater beiträgt. Ein Bühnenbild oder ein Kostüm sind Objekte zeitbasierten Designs. Das heißt zweierlei: Erstens, sie sind zeitbasiert. Das bedeutet, dass sie nur für die Dauer einer Vorstellung wirklich existieren. Ein nicht getragenes Kostüm ist nur sinnfreie Kleidung. Das weiß jeder, der schon mal ein Kostüm auf einer Kleiderstange im Flur der Kostümabteilung gesehen hat und sich dachte, wie hässlich dieses Kostüm doch sei. Wenn man es aber dann am 5

Faust, Nationaltheater Mannheim, 2016 / Corazzola Abend auf der Bühne wiedersah, wandelte es sich plötzlich zum tollsten Kostüm, das man jemals gesehen hat, denn es hatte plötzlich einen Sinn und einen Träger. Ebenso verhält es sich beim Bühnenbild. Es ist vor und nach jeder Vorstellung meist nicht viel mehr als ein seltsamer Bretterhaufen, aber währenddessen entfaltet es eine ungeahnte Kraft, weil Schauspieler*innen, Sänger*innen oder Tänzer*innen damit vor Publikum umgehen. Zweitens handelt es sich um Design. Ein Bühnen- oder Kostümbild wird immer für einen ganz bestimmten Zweck entworfen, bei dem es das Ziel ist, ein größtmögliches, ästhetisches Niveau mit größtmöglicher Funktionalität zu verbinden. Wenn ein Bühnenbild darüber hinaus auch außerhalb des Theaterkontextes beispielsweise als Skulptur oder als Installation bestehen kann, oder ein Kostümbild sich der Kunst der Haute Couture nähert, ist das eine schöne Nebenerscheinung, aber erst einmal nicht ihr eigentlicher Sinn. JK Welche Funktion hat für dich ein Bühnenbild / Kostümbild? AC Ein Bühnenbild hat die Funktion eine Inszenierung zu verorten. Dabei kann es einen realistischen Raum darstellen und doch keinen meinen. Ebenso kann es völlig abstrakt sein und sich doch sehr konkret auf einen wirklichen Ort beziehen. Ein Bühnenbild hat außerdem die Funktion, den Darsteller*innen gleichzeitig eine Behausung und einen Widerstand zu bieten. Beim Entwerfen geht es also darum, den einzig möglichen Raum zu finden, in dem es für die Figuren der Darsteller*innen Sinn macht zu existieren. Und zugleich brauchen sie Widerstand, denn daraus speist sich ihre Erzählung. Ein Kostümbild hat die Funktion, die Figuren in einer Erzählung zusammen mit den Darsteller*innen zu finden und zu gestalten. Auch im Kostüm geht es um Behausung und Widerstand. Nur, dass die Zeichen hier noch viel feiner und intimer sind, da sie direkt mit dem menschlichen Körper in Verbindung stehen. Daher müssen sie umso bedachter gesetzt werden. JK Soll ein Bühnen / Kostümbild eine eigenständige Aussage zum Stück machen? Oder soll es vor allem der Intention der Regie eine Form geben? Welche Rolle spielt für dich Werktreue und was verstehst du darunter? AC Sobald ein Stück durch die Köpfe und Hände eines Regieteams fließt, beginnt die Interpretation. Ob man als Bühnenbildner eine Aussage machen soll, kann ich also nur so beantworten, dass diese Aussage ganz unweigerlich entsteht, wenn ich den ersten Strich in mein Notizbuch zeichne und das erste Stück Pappe in das Modell setze. Das widerspricht sich aber für mich nicht mit dem Gedanken der Werktreue, denn ich will dem Werk ja so treu wie möglich sein, in dem ich versuche, seine für mich ganz persönliche Essenz herauszufiltern. Überhaupt geht es bei meiner Arbeit immer darum, alles Unnötige wegzulassen. Gute Szenografie entsteht für mich dann, wenn man genau das richtige Maß zwischen Reibung an und Übereinstimmung mit dem Stück und der Inszenierung findet. Nichts ist 7

4.48 Psychose, Theater Osnabrück, 2018 / Corazzola Natives, Düsseldorfer Schauspielhaus, 2016 / Corazzola enttäuschender als ein Theater zu betreten, die Ausstattung zu sehen und sofort zu wissen, wozu man geladen ist. Viel spannender ist es doch, wenn sich mir als Zuschauer*in alles erst im Verlauf des Abends erschließt, vielleicht sogar erst in den allerletzten Momenten einer Inszenierung. JK Beeinflusst du durch deine Räume die Ideen der Regie und die Spielweise der Darsteller*innen? AC In meinen Bühnenbildern spielt die Idee des physischen Widerstands oft eine große Rolle. In diesen Räumen müssen die Darsteller*innen klettern, das Gleichgewicht halten, gegen etwas anschieben oder sich in einem Labyrinth zurechtfinden. Wenn eine Regisseur*in und die Darsteller*innen dazu bereit sind, dieses oft anstrengende Wagnis mit mir einzugehen, können auf der Bühne durch die körperliche Erschöpfung sehr intensive Zustände erreicht werden. JK Wie näherst du dich einem Stück? AC In meinem Studium wurden Theater-, Kunst-, Musik-, Architektur- und Kostümgeschichte sehr ausführlich gelehrt, und auch aus eigenem Interesse habe ich auf diesen Gebieten einen immer größeren Wissensschatz angesammelt. Ich dachte früher, je mehr Bildbände ich kaufe und in je mehr Museen und Galerien ich renne, desto besser werden meine Entwürfe, denn ich habe mich ja mit all diesem Wissen gewappnet. Doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass dieses Wissen auch eine Last sein kann, ein Hindernis, das den direkten Zugriff auf ein Werk versperrt. Und so konzentriere ich mich immer mehr einfach nur auf den Text eines Stückes oder die Musik einer Oper und vertraue auf die Bilder, die ab dem ersten Lesen und Hören vor meinem geistigen Auge erscheinen und die ich sofort in einem Notizbuch festhalte. JK Mit welchen Techniken arbeitest du? Hat der klassische Theaterraum für dich eine Bedeutung? Experimentierst du gerne? Wie spiegelt sich die Wahl der Techniken in deinem Schaffen? AC Bei jedem Projekt habe ich das Gefühl absolut bei Null anzufangen. Ich habe keine Angst vor der weißen Leinwand. Im Gegenteil, ich finde sie befreiend. Insofern bin ich extrem experimentierfreudig und habe keine bevorzugten Techniken. Erst mal kommen das Stück und die Ideen, die das Regieteam zusammen entwickelt, und dann schauen wir, wie sich das umsetzen lässt. Dabei kommt noch ein drittes, essentielles Element mit ins Spiel: der Raum, in dem die Inszenierung stattfinden soll. Die technischen Möglichkeiten spielen dabei natürlich eine große Rolle, aber viel wichtiger ist die Atmosphäre, die der Raum evoziert. Manche Theaterräume waren früher ja mal etwas anderes (ein Tanzsaal oder ein Kino), und diese Geschichte lässt sich an den Räumen oft ablesen. Oder es handelt sich um ein Sommertheater und auf einmal wird der Himmel oder die Aussicht Teil des Settings. Diese drei Grundelemente führen mich zu einem Entwurf: der Text bzw. die Musik, die Ideen des Regieteams und der Ort der Inszenierung. Diese Elemente bestimmen dann, welche Techniken zum Einsatz kommen, vom 9

Penthesilea, Staatstheater Saarbrücken, 2015 / Corazzola 11

Lulu, Schauspielhaus Graz, 2018 / Corazzola gemalten Prospekt bis zum Live-Video. JK Du sagst, du fürchtest dich nicht vor der weißen Leinwand und beginnst immer bei Null - trotzdem gibt es in deinen Arbeiten etwas, was sie miteinander verbindet, was sie gemeinsam haben. Was würdest du sagen, könnte man als deine Handschrift beschreiben? AC Die Verbindungen zwischen meinen Entwürfen werden mir immer erst im Nachhinein bewusst. Und natürlich kann man dann in der Betrachtung der Arbeiten von einer Handschrift sprechen. Aber zunächst denke ich mir bei jedem Projekt: Ich will so anfangen, als hätte ich noch nie zuvor ein Bühnenbild gemacht. Was aber durchaus immer gleich bleibt, ist meine ursprüngliche, wahrscheinlich schon in der Kindheit entstandene, ästhetische Prägung, die mir eine Liebe zur Natur, zu minimalistischer Architektur, schrägen Charakteren und zu intensiven Farben beschert hat. JK Wie sehr ist eine Lichtkonzeption schon Teil deiner Raumidee? AC Ohne Licht gibt es keinen Raum, und daher denke ich schon von den ersten Skizzen an darüber nach, wie Licht in meinen Entwurf integriert werden kann und wie es den Raum, den ich gestalte, mitformt, denn es ist ein ebenso skulpturales Mittel wie das Bühnenbild selbst. Ich bedauere sehr, dass es in Deutschland nur wenige Möglichkeiten für freischaffende Lichtdesigner gibt. Aus meiner Zeit in den USA schätze ich sie als integralen Bestandteil des Kreativteams sehr. Zur Zeit entwickle ich zusammen mit einem amerikanischen Lichtdesigner, einem Studienkollegen aus New York, der nun ebenfalls in Berlin lebt, ein besseres Beleuchtungssystem für meine Modelle, damit ich meine Lichtideen auch schon in der Entwurfsphase austesten und mithilfe von Fotos einem Beleuchtungsmeister besser vermitteln kann. JK Was schätzt du an der Arbeit im Team? Was ist wichtig daran für deine Arbeit? AC In manchen Konstellationen potenziert sich das Können aller Beteiligten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich in der Zusammenarbeit mit manchen Regisseur*innen zu einem besseren Bühnenbildner geworden bin. Das basiert auf Vertrauen, Offenheit und Kommunikation, und spielt sich zumeist erst mit der Zeit ein, nachdem man schon einige Projekte miteinander gemacht hat. Daher glaube ich fest an eine Kontinuität in der Zusammenarbeit. JK Musst du die Gedanken einer Regisseur*in verstehen, um arbeiten zu können? AC Arbeiten und entwerfen könnte ich theoretisch auch ohne die Gedanken der Regisseur*in zu kennen, aber das ist ja nicht der Sinn einer Zusammenarbeit. Vielmehr versuche ich mich in seine/ihre Gedankenwelt einzufühlen, um dann die passenden Bilder dazu zu finden. Das ist ein sehr empathischer Prozess. Man darf das jedoch nicht mit willenloser Wunscherfüllung verwechseln. Manchmal ist es genau richtig einem Regisseur/einer Regisseurin das komplette Gegenteil von dem anzubieten, was er/sie zu Beginn beschrieben hat, weil man weiß, dass gerade dadurch seine/ihre Ideen noch stärker zur Geltung kommen. 13

Von Mäusen und Menschen, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 2009 / Corazzola Merlin, Staatsschauspiel Dresden, 2014 / Corazzola JK Wie gehst du mit den Bildideen der Regie um, welche Rolle spielen sie für deine eigene Arbeit? AC Ich sehe sie als Bereicherung und Inspiration, denn meistens haben genau die Regisseur*innen eine detaillierte bildliche Vorstellung, bei denen Bild und Bühnengeschehen untrennbar miteinander verbunden sind. Und genau diese Vereinigung will ich als Bühnenund Kostümbildner ja auch erreichen. Ansonsten verkommt meine Ausstattung zur bloßen Dekoration. Es ist dann immer noch genügend Raum dafür da, mir diese Bildideen zu eigen zu machen und sie in eine ästhetische Form zu bringen. JK Was sagst du zu Konfliktpotenzial und Kompromissen? AC In einem gut funktionierenden Team geht es nicht so sehr um Kompromisse, sondern darum, dass sich letzten Endes immer die beste Idee durchsetzt, egal wer sie hatte. Meistens vergisst man auch im Nachhinein, was genau von wem stammt. Da geht es also nicht darum, seine Ideen schützen zu müssen, oder um verletzten Stolz, falls man sich von einer Idee lösen muss, sondern es geht um Offenheit und das Projekt an sich. JK Durch welche Faktoren werden Bühne, Kostüm, Regie und Licht zu einem inhaltlichen und optischen Gesamtwerk? AC Wenn man das festhalten könnte, gäbe es das perfekte und universelle Rezept für eine gelungene Produktion, aber das gibt es (glücklicherweise) nicht. Wichtig ist, eine Inszenierung als lebende und sich ständig wandelnde Entität zu begreifen. Man kann sie nicht, wie Hitchcock das mit seinen Filmen gemacht hat, auf dem Reißbrett entwerfen, denn sie ist von vielen, oft sehr kleinen und fragilen Faktoren abhängig, die sich bei jeder Probe und jedem Durchlauf verändern. Man sollte sich davon aber nicht entmutigen lassen, sondern offen und auch im größten Endprobenstress entspannt genug bleiben, um mit klarem Blick analysieren zu können, was funktioniert und was nicht, um bei Bedarf Änderungen vorzunehmen. JK Erarbeitest du deine Bühnenbilder mit Hilfe eines Modells? Mit welchen anderen Mitteln arbeitest du? AC Für jede neue Produktion kaufe ich mir das immer gleiche Notizbuch. Das ist zu einer Art Ritual geworden. Gleich beim ersten Lesen oder Hören des Stoffes und beim ersten Gespräch mit dem Regisseur/der Regisseurin fange ich an zu kritzeln. Oft notiere ich die Ideen, die uns kommen, auch nur in Worten. Irgendwann entstehen dann die ersten konkreteren Skizzen, bis ich merke, dass ich das ganze jetzt in 3D sehen muss. Also fange ich an Modell zu bauen, ganz schnell und grob zunächst, denn es besteht immer die Gefahr, dass man rigide wird und später nur deshalb eine Idee nicht verwerfen will, weil sie im Modell mühsam zu bauen war. Aber für perfekten Modellbau ist im Anschluss immer noch genügend Zeit. Zunächst geht es darum sich den vorgefundenen Raum zu eigen zu machen. Erst wenn alle Formen, Proportionen und Farben stimmen, baue ich das endgültige Modell, das bei mir sehr, sehr detailliert und möglichst wie echt aussehen soll. 15

Das Versprechen, Schauspiel Frankfurt, 2013 / Corazzola Salome, Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, 2016 / Corazzola Zeitgleich entstehen auch die ersten technischen Zeichnungen in AutoCAD. Das ist bei mir kein unabhängiger oder irgendwie hintendran gehängter Prozess. Ich wechsle ständig zwischen dem Grundriss und dem Modell hin- und her. Nur so kann ich den Entwurf bildnerisch optimieren und sichergehen, dass er auch wirklich in dem vorgegebenen Raum realisierbar ist. JK Wie erarbeitest du deine Kostümbilder und wie vermittelst du deine Idee an die Werkstätten? AC In meinem Studium habe ich durch jahrelangen Zeichenunterricht gelernt, sehr schöne Figurinen zu erstellen, was ich bis heute tue. Ich halte es für extrem wichtig, nicht nur Bilder aus Modemagazinen oder von Instagram zu sammeln. Es geschieht etwas mit den Entwürfen, wenn sie zumindest in einer groben Skizze einmal durch meine Hand auf das Papier fließen. Ich denke im Hinblick auf die Ästhetik und die Umsetzung viel genauer über sie nach. Diese Entwurfszeichnungen zeigen nicht nur die Figuren eines Stückes, so wie wir sie uns im Regieteam vorstellen, sondern vermitteln den Werkstätten auch Schnitt, Farben und Stoffart. Doch so mühsam es auch sein mag sie anzufertigen und so gerne man sie auch mit dem fertigen Produkt verwechselt: sie sind nur ein Zwischenschritt. Die richtige Arbeit beginnt erst am Körper des Darstellers und in den Proben. JK Für wie wichtig hältst du eine gute Präsentation für die Motivierung der Werkstätten? AC Eine gute Präsentation halte ich für absolut projektentscheidend. Besonders wenn ich das erste Mal an einem Haus arbeite, können ein tolles Modell, schöne Figurinen, ausführliche Listen und aussagekräftiges Anschauungsmaterial schon vor der Bauprobe wie eine Visitenkarte für mich als Ausstatter wirken. Genauso wichtig ist es, dass ich den Kolleg- *innen im gleichen Maße freundlich, von meiner Idee überzeugt und sachkundig gegenübertrete. Den Werkstätten begegnen so viele Ausstatter*innen, und so sind sie manchmal allein schon ob der schieren Menge an Entwürfen pro Spielzeit etwas demotiviert, sich mit jedem einzelnen bis ins letzte Detail zu befassen. Da muss man alles tun, um die Aufmerksamkeit auf sein Projekt zu lenken. JK Wie viel Fachwissen hast du in den verschiedenen Handwerken die am Theater zum Einsatz kommen, und wie hast du es erworben? AC Über die Jahre habe ich mit sehr vielen tollen Technischen Direktor*innen, Tischlermeister*innen, Gewandmeister*innen, etc. arbeiten können. Gemeinsam haben wir viele schwierige technische Probleme gelöst, Eisenbahnen zum fahren gebracht, Schiffe dazu sich zu entfalten, riesige Wippen dazu zu schwingen, Trickkostüme...dieses Wissen speichert man dann natürlich und trägt es weiter zur nächsten Produktion. Während des Studiums habe ich außerdem für viele Inszenierungen als Requisiteur und als Theatermaler gearbeitet. 17

Der Sieg der Schönheit, Theater Osnabrück, 2012 / Corazzola JK Wie flexibel willst du sein, wenn es um Änderungen deines Bildes während der Proben geht? AC In den allermeisten Fällen geht es bei solchen Änderungen ja darum, dass eine von mir erdachte Idee inszenatorisch nicht funktioniert. Gerade als Anfänger*in, wenn man sehr stolz darauf ist, endlich die eigenen Ideen auf der Bühne umsetzen zu können, kann es schmerzhaft sein, wenn zum Beispiel ein Kostüm gestrichen wird. Aber mit der Zeit begreift man, dass es bei solchen Änderungen nur sehr selten um Willkür, sondern meistens um dramaturgische Überlegungen geht. Und diese können eben auch bedeuten, sich von Dingen trennen zu müssen, in die man viel Arbeit investiert hat. Wichtig ist in solchen Fällen, dass das Regieteam die Kommunikationswege unter einander offen hält. Wenn ich verstehe, warum etwas geändert werden muss, bin ich sehr bereit dazu. JK Von welchen Faktoren ist deiner Meinung nach eine gelungene praktische Umsetzung deiner Idee im Sinne der Gesamtidee abhängig? AC Aus den vielen Faktoren, wie Budget, Zeit, handwerkliches Geschick und Motivation der Gewerke etc. hat sich ein Faktor als der entscheidendste für mich herauskristallisiert: meine persönliche Anwesenheit. Wie vorhin erwähnt, können Werkstätten und Technik manchmal den Überblick über all die Produktionen verlieren, die sie zu betreuen haben, was man ihnen überhaupt nicht zum Vorwurf machen kann. Doch genau aus diesem Grund ist es wichtig, nicht nur für den/die Regisseur*in und die Darsteller*innen, sondern auch für das Haus als Ansprechpartner*in da zu sein. Das ist gar nicht so selbstlos, wie es jetzt vielleicht klingt. Im Gegenteil, je mehr Fragen ich beantworten kann, desto sicherer kann ich mir einer gelungenen Umsetzung meiner Entwürfe sein. JK Gibt es eine Arbeit, bei der die technische/ formale Lösung besonders interessant für dich war? AC Ich arbeite gerade zum ersten Mal an einem site-specific -Projekt für das Schauspiel Hannover. Ein Projekt, das draußen stattfindet, an einem Ort, an dem erstmal keinerlei theatrale Infrastruktur existiert, von der Bestuhlung angefangen, über den Regenschutz und die Stabilität der vorhandenen Bausubstanz, bis hin zur Stromversorgung und der Verpflegung der Zuschauer. Auf einmal spreche ich nicht nur mit der künstlerischen und technischen Leitung des Theaters, sondern auch mit der Baubehörde, den Gastwirten, den Nachbar- *innen (Lärmschutz, Fluchtwege) und dem Kartenbüro. Das ist eine riesige Herausforderung, gleichzeitig aber auch ein bisschen so, als baue man nicht nur ein Bühnenbild, sondern tatsächlich auch ein ganz neues Theater, was mir viel Spaß macht. JK Würdest du diesen Beruf wieder wählen, wenn du noch einmal von vorne anfangen könntest? AC In meinem Fall kann ich gar nicht von einer Berufswahl sprechen. Bühnen und Kostüme zu entwerfen ist einfach das, was ich tue und immer schon getan habe. JK Wir danken dir für das Gespräch! 19

Ihr seid herzlich eingeladen, das Gespräch mit uns zu führen! Fragen und Einsendungen an: dialog@szenografen-bund.de Bund der Szenografen Interview, Redaktion: Jakob Knapp (BdS) Layout: Nadia Schrader (BdS) Bund der Szenografen e.v., Berlin 2021

Telefon und Fax 030 441 92 75 kontakt@szenografen-bund.de szenografen-bund.de Anschrift Bund der Szenografen im Theaterhaus Berlin Mitte Wallstraße 32, Haus C D-10179 Berlin