Aussteifung von Gebäuden Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 1 Inhalt der Vorlesung Einführendes Beispiel Typische Aussteifungssysteme Fotos aus der Praxis Horizontale Beanspruchungen Windbeanspruchung Imperfektionen Erdbeben Aussteifungselemente Lastaufteilung Schlechte Aussteifungssysteme Fehlerhafte Aussteifungen am Beispiel Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 2 1
Einführendes Beispiel Aussteifung eines Carports Grundriß X - Richtung Isometrie Y - Richtung X - Richtung Y - Richtung Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 3 Einführendes Beispiel Aussteifung eines Carports Y - Richtung Grundriß Starre H/2 Scheibe H/2 Isometrie H y Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 4 2
Einführendes Beispiel Aussteifung eines Carports X - Richtung Grundriß L H/2 H H/2 H x L/2 Isometrie M T = H L/2 L Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 5 Merkregeln Ein Aussteifungssystem besteht immer aus horizontalen und vertikalen Elementen. Bei der Berechnung von Aussteifungssystemen werden die horizontalen Aussteifungselemente (z. B. Stahlbetondecken) vereinfachend als starre Scheiben angesetzt, die möglichen Freiheitsgrade reduzieren sich dadurch auf 2 mögliche horizontale Translationen und eine Rotation um eine vertikale Achse. Symmetrische Anordnung von Aussteifungselementen führt zu Translationen. Unsymmetrische Anordnung von Aussteifungselementen führt zu Translationen und Rotationen. Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 6 3
Typische Aussteifungssysteme Scheibensystem Kernsystem Fachwerksystem Rahmensystem Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 7 Rahmensystem Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 8 4
Rahmensystem Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 9 Fachwerk- und Rahmensystem Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 10 5
Fachwerk- und Rahmensystem Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 11 Fachwerksystem Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 12 6
Merkregeln Scheiben-, Kern- und Fachwerksysteme sind erheblich steifer als Rahmensysteme. Als Aussteifungselement nutzbare Bauteile stehen aus Nutzungsbedingungen, bauphysikalischen Gründen oder zur Abtragung von vertikalen Lasten häufig schon zur Verfügung. Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 13 Horizontale Beanspruchung von Gebäuden Windlasten Imperfektionen (Lotabweichung) Erdbeben Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 14 7
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Winddruck w e w e = q p (z e ) c pe q p (z e ) Böengeschwindigkeitsdruck z e Bezugshöhe für den Außendruck (Abs. 7) c pe aerodynamische Beiwert für den Außendruck (Abs. 7) Warum c pe? Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 15 Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 (2010) Windzonen Deutschland (Bild NA.A1) Referenzwerte bei ebenem Gelände (Kategorie II) 4 3 4 3 4 Windzone q b,0 2 1 0,32 1 2 3 0,39 0,47 2 4 0,56 in kn/m² - Erhöhung Geschwindigkeitsdruck ab Bauwerkshöhen 800 m über NN - Für Kamm- und Gipfellagen gesonderte Überlegungen Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 16 8
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4, NA.B.3.2 Vereinfachte Geschwindigkeitsdrücke für Bauwerke bis 25 m Höhe ACHTUNG: Druck ist konstant über die gesamte Gebäudehöhe anzusetzen! Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 17 Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Winddruck w e w e = q p (z e ) c pe q p (z e ) Böengeschwindigkeitsdruck z e Bezugshöhe für den Außendruck (Abs. 7) c pe aerodynamische Beiwert für den Außendruck (Abs. 7) Druckbeiwerte c pe D A B E C F G H F I Auf die Dachflächen Auf die Seitenflächen Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 18 9
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Winddruck w e w e = q p (z e ) c pe q p (z e ) Böengeschwindigkeitsdruck z e Bezugshöhe für den Außendruck (Abs. 7) c pe aerodynamische Beiwert für den Außendruck (Abs. 7) Druckbeiwerte c pe D h/d c pe,10 c pe,1 5 +0,8 +1,0 1 +0,8 +1,0 0,25 +0,7 +1,0 nach DIN EN 1991-1-4/NA (nationaler Anhang) Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 19 Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Ausmitte der Gesamtwindkraft bei torsionsanfälligen Bauteilen Grundriß b v L H/2 + H e/l H H/2 + H e/l L/2 e H E D L Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 20 10
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Geschwindigkeitsdruck q(z) für senkrechte Gebäudewände h b b < h 2b h > 2b Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 21 Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Geschwindigkeitsdruck q(z) für senkrechte Gebäudewände Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 22 11
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Geschwindigkeitsdruck q(z) für senkrechte Gebäudewände Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 23 Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Böengeschwindigkeitsdruck im Regelfall Geländekategorien nach Tabelle NA.B.1 I II III IV Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 24 12
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 25 Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Kraftbeiwert c f für Bauteile mit kantigem Querschnitt c f = c f,0 ψ λ c f,0 = 2,0 ψ λ (vereinfacht) Abminderungsfaktor für Schlankheit Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 26 13
Windlasten nach DIN EN 1991-1-4 Beispiel q(h) q(b) D WR E h-b b B = 5 m D = 5 m z e =10 m H = 10 m z e =5 m Gebäude im Binnenland q b = 0,32 kn/m 2 q p (h)= 1,7 x 0,32 x (10/10) (0,37) = 0,55 kn/m 2 q p (b)= 1,5 x 0,32 = 0,48 kn/m 2 Winddruck w (D- und E- Fläche) Aerodynamischer Beiwert A>10 m 2 c pe,10 maßgebend Fläche D (Winddruck) c pe = 0,8 Fläche E (Windsog) c pe = -0,5 Geländerauhigkeit Winddrücke: Fläche D (Winddruck) w h = 0,8 x 0,55 = 0,44 kn/m 2 w b = 0,8 x 0,48 = 0,38 kn/m 2 Fläche E (Windsog) w h = - 0,5 x 0,55 = - 0,275 kn/m 2 w b = - 0,5 x 0,48 = - 0,24 kn/m 2 Resultierende Windkraft: W = F w = 5 x 5 x (0,44+0,38+0,275+0,24) W = F w = 33,38 kn Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 27 Imperfektionen im Stahlbau Geometrische Ersatzimperfektionen nach DIN EN 1993-1-1, Abs. 5.3 sollen mögliche Abweichungen von der planmäßigen Geometrie des Tragwerkes (geometrische Imperfektionen), Eigenspannungen und ungleichmäßige Verteilungen der Festigkeitswerte (strukturelle Imperfektionen) berücksichtigen. Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 28 14
Imperfektionen im Stahlbau 1 0,5 1 m Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 29 Imperfektionen im Stahlbau m = 2 m = 4 Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 30 15
Erdbeben nach DIN EN 1998-1 (2010) Erdbebeneinwirkung Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 31 Erdbeben nach DIN EN 1998-1 m n m j m 1 h zj Eigenfrequenz & Eigenperiode Bodenbeschleunigung 1. 2. 3. 4. Eigenform T 1 > T 2 > T 3 > T 4 Eigenperiode [s] F n F i s i F n F i Gesamterdbebenkraft F 2 F1 F 2 F 1 Geschosskräfte 1.Eigenform Linear Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 32 16
Merkregeln Grundriss Möglichst kompakter Gebäudegrundriss, damit die Decken ihre Form und Steifigkeit bei einem Erdbeben behalten Aufgelöste Querschnitte mit einspringenden Ecken und nachteilige Anordnung von Aussparungen vermeiden ungünstig ungünstig Fugen günstig günstig Fugen Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 33 Merkregeln Aufriss: Hohe schlanke Bauwerke führen zu extremen Gründungsbeanspruchungen Massen gleichmäßig verteilen Massen in großer Höhe vermeiden Horizontal versetzte Stützen vermeiden Gebäude mit Höhenversatz durch Fugen trennen Weiche Geschosse im Zwischenbereich vermeiden ungünstig ungünstig ungünstig ungünstig ungünstig Steifigkeit günstig günstig günstig günstig Fuge Verformung Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 34 17
Aussteifungselemente Wandscheiben y z x Material: Mauerwerk Stahlbeton Trapezprofil (Stahl oder Alu) Wirksame Steifigkeiten: Biegesteifigkeit EI z Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 35 Aussteifungselemente Kern x z y Sehr oft werden die Verkehrswege (Treppenhäuser, Aufzugsschächte, Versorgungsschächte) als Kerne benutzt. Material: Stahlbeton, Stahlfachwerk Wirksame Steifigkeiten: Biegesteifigkeit EI y / EI z Torsionssteifigkeit GI T Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 36 18
Aussteifungselemente Rahmen x z y Material: Stahl / Stahlbeton Wirksame Steifigkeiten: Ersatzbiegesteifigkeit EI * z Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 37 Aussteifungselemente Fachwerke Zugdiagonalen (druckschlaff) Material: Stahl Wirksame Steifigkeiten: Ersatzbiegesteifigkeit EI * Zug- / Druckdiagonale K-Verband Portal Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 38 19
Verteilung der H-Lasten Statisch bestimmte Systeme Die infolge von H auf die Scheiben entfallenden Kräfte können über Gleichgewichtsaussagen berechnet werden. X = 0, Y = 0, M = 0 Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 39 Verteilung der H-Lasten Statisch unbestimmte Systeme Die infolge von H auf die Scheiben entfallenden Kräfte können nicht mehr alleine über Gleichgewichtsaussagen berechnet werden. Es müssen zusätzliche Verträglichkeitsbedingungen formuliert werden (z. B. Kraftgrößenverfahren). k 1 k 2 k 1 Ausnutzung von Symmetrie: Symmetrische Scheibenanordnung = nur Translation = biegesteifer Balken mit elastischer Lagerung Ansonsten: Starre Scheibe mit elastischer Lagerung k 1 = k 2 Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 40 20
Schlechte Aussteifungssysteme Fehlende Aussteifung gegen Verdrehen Fehlende Aussteifung in Längsrichtung Fehlende Aussteifung gegen Verdrehen Zwängungen durch Verhinderung der horizontalen Scheibenverformungen Große Exzentrizität und geringe Auflast Geringe Aussteifung gegen Verdrehen Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 41 Schlechte Aussteifungssysteme Beispiel Fehlende Aussteifung - 3 Auskreuzungen erforderlich Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 42 21
Merkregeln Ein Tragwerk ist mit 3 Scheiben, die sich nicht in einem Punkt schneiden, ausgesteift. Die Scheiben/Kerne sollten so angeordnet werden, daß keine oder nur geringe Zwangskräfte entstehen können. Die Scheiben/Kerne sollten möglichst große vertikale Lasten erhalten, damit keine Zugkräfte in den Baugrund eingeleitet werden müssen. Institut für Stahlbau und Werkstoffmechanik Prof. Dr.-Ing. Jörg Lange 43 22