Kindgerechte Entwicklung fördern!

Ähnliche Dokumente
LEITLINIEN CREGLINGEN, FREUDENBACH UND OBERRIMBACH DER STÄDTISCHEN KINDERGÄRTEN. Stadt MIT IDEEN

Fachstelle für Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen

in Kinderschuhen Möglichkeiten und Wege der Partizipation Kinder unter drei Franziska Schubert-Suffrian 21. April 2010

Erkennen von und Umgang mit Kindeswohlgefährdung

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung

Was brauchen Fachkräfte (und Organisationen), um gegen Machtmissbrauch aktiv zu werden und zu bleiben?

Rahmenkonzept für Sexualpädagogik und den Umgang mit Körperlichkeit in städtischen KiTas

Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) - Kinder- und Jugendhilfe. 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe

Informationen und Fragen. zur Aufnahme eines. unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings

I NE ERL DAS SCHRECKLICHE LEBEN? KOPF TEIL 5: ROLLSTUHL FÜR BERNHARD MEYER

Sonnenburg * Soziale Dienste von Mensch zu Mensch

KURZE ANTWORTEN AUF DIE HÄUFIGSTEN FRAGEN SCHWERTER NETZ. für Jugend und Familie. gemeinnützige GmbH

Fortbildungen 2017 für Kindertagesstätten im Landkreis Darmstadt-Dieburg

Warum diese Broschüre? Wieso heißt der Vormund eigentlich Vormund? Was Jungen und Mädchen wissen sollten:

Vollzeitpflege bei Verwandten

Judith Ohlmes. Pädosexuelle Täter. Merkmale und Strategien als Ansatzpunkte präventiver Maßnahmen

Oder eine Mutter, die ihre erwachsene Tochter nicht ausziehen lässt.

Grenzen setzen Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?

EHRENAMT IN DER HOSPIZARBEIT

Mobbing- und Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen

Ethische Leitlinien. Deutsche Gesellschaft für Supervision e.v.

Vorwort. Griesson - de Beukelaer. gezeichnet Andreas Land Geschäftsleitung. Juli 2010

Krippe - Kita - Hort

Fortbildung: Ehrenamtlich im Strafvollzug

Exkurs US-Hausfrauen, Kurt Lewin und die Innereien. Zum Abbau von Speiseabscheu Infobörse Hannover

MA Stellungnahme barrierefreies Wahlrecht

Mama/Papa hat Krebs. Ein Projekt der Krebshilfe Wien

Fortbildungen 2018 für Kindertagesstätten im Landkreis Darmstadt-Dieburg

I.O. BUSINESS. L.A.R.S. Leadership Appraisal Review System

Mobbing in der Schule. Hendrik Stoya

SOS Kinderdorf e.v. Will- SOS-Kinderdorf Ammersee. kommen. im SOS-Kinderdorf Ammersee

Eigenes Geld für Assistenz und Unterstützung

Die Rolle der Großeltern bei einer Trennung / Scheidung Evangelische Akademie Tutzing 7. Juni 2011

Kultursensible Elternarbeit in Berliner Kitas Ergebnisse einer Befragung von türkeistämmigen und arabischsprachigen Eltern

Informationen und Fragen zur Aufnahme eines ausländischen Kindes

Praxissemester in der Fünftage-/ Tagesgruppe

IMPULSE Handbuch für Jugendarbeit

Wir haben folgende Kinder: a) im Haushalt lebend, b) außerhalb des Haushaltes lebend

Partizipation von Kindern Freiräume aktiv mitgestalten

Fragebogen zur Einleitung einer ambulanten Psychotherapie

Vision Unternehmensziele Philosophie Führungsleitlinien Unser Umgang miteinander. Unser Leitbild

Partizipation in Kindertageseinrichtungen. Qualitätsstandards

gastfreunde Begleiten, Beraten und Betreuen Ambulante Betreuungsangebote für Menschen mit psychischer Erkrankung Perspektive Leben.

Leitbild der Ehninger Kindergärten

Der Lehrplan gliedert sich in 3 verbindliche Bausteine und einige fakultative thematische Bausteine. Letztere werden nur benannt.

Wir begleiten Kinder im Alter von drei Monaten bis zum Schuleintritt individuell und fördern ihre Persönlichkeitsentwicklung

Wie nah ist zu nah? Kinderschutzkonzepte (und Kinderrechte) in der pädagogischen Arbeit. 3. Fachtag Netzwerk Familienpaten Bayern.

Vorbeugen statt Zurücklehnen

Fachtagung Ein richtiger Junge Evangelische Akademie Thüringen Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren!

Menschen sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entzündet werden wollen.

Alle Kinder haben Rechte

Hephata Jugendhilfe. eine. Übersicht. Brunnenstraße Mönchengladbach Tel: /

Sterben und Tod kein Tabu mehr - Die Bevölkerung fordert eine intensivere Auseinandersetzung mit diesen Themen

Unser Leitbild Juni 2012

Liebe/r Nutzer/in der Erkundungsbögen!

Wie ist mein Sprach-Bewusstsein? Was ist mein Selbst-Verständnis?

Gesellschaft für psychische und soziale Gesundheit

Diskussionsgrundlage für die öffentliche Sitzung

Informationen und Fragen zur Aufnahme eines Adoptivkindes

Leitbild. der katholischen Kindertagesstätten Christ König Maria Himmelfahrt. Kindertagesstätte Christ König. Kindertagesstätte Maria Himmelfahrt

Leitbild. der Kindertagesstätten im Caritasverband Worms e. V.

Studie: Bankberatung. Wie persönlich darf es sein?

KINDERGARTEN FLÖGELN KONZEPTION

Sexualpädagogisches Konzept

Das Kind im Spannungsfeld der Eltern vor und während der Trennungsphase der Eltern

Kinderschutz. Das Konzept in der Kita (Elbkinder)

Unternehmensphilosophie

Zukunftswerkstatt Lauben Unsere Gemeinde: aktiv, für eine lebenswerte, blühende Zukunft Jeder macht mit!

Die Besten für die Jüngsten. Betreuung- Erziehung und Bildung unter Dreijähriger Zusatzqualifizierung für pädagogische Fachkräfte

Starke Eltern - Starke Kinder Elternkurse des Deutschen Kinderschutzbundes

Regenbogen-Gesamtschule. Das Fach. Pädagogik. im Ergänzungsunterricht

Betreutes Einzelwohnen

Unsere Jugendlichen zählen auf Sie

Verhaltenskodex und Selbstverpflichtung

Fachberatung im Kontext Kindeswohlgefährdung. Kita - Fachberatung Angelika Stroh-Purwin

Leihmutterschaft ethische Überlegungen

1. Grundlagen der Beurteilung

Symposium 12 Nationale Tagung für Betriebliches Gesundheitsmanagement 24. August 2016

größten Fehler, die Sie machen können, um Ihr Kind wieder für die Schule zu motivieren. Jemanden zu suchen, der Schuld an der Situation hat!

Die Definition von Kinderarmut

I.O. BUSINESS. Checkliste Mitarbeiter motivieren

Überlegungen zur Umsetzung

Nähe und Distanz als Herausforderungen professioneller Beziehungsgestaltung

Konzeption. Tagesstrukturierende Maßnahmen für ältere Menschen mit Behinderung

Wie gesund ist meine Schule?

JUNGEN MENSCHEN IN IHRER VIELFALT BEGEGNEN!

Selbstbewusste Angehörige oder Nörgler zwischen Ansprüchen und Verantwortung

Hilfe nach 35a SGBVIII

Personalvereinbarung KiBiz

Institut. NutriVille - Der Fitnesscoach für Ihr Unternehmen. NutriVille - Institut für angewandte Gesundheitswissenschaften

Women Platform Coaching Brunch In Prag

Gesundheit von Lehrkräften

Transkript:

Kindgerechte Entwicklung fördern! Fachpolitische Stellungnahme des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) 1 in NRW zur Notwendigkeit von Sexualpädagogik und Sexualpädagogischen Konzepten ANLASS Der Deutsche Kinderschutzbund in NRW ist beunruhigt, weil die Bedürfnisse von Mädchen und Jungen nach Geborgenheit, getröstet und beschützt werden, angenehmen Berührungen, die Neugier am eigenen und am anderen Geschlecht und vielen anderen Elementen einer natürlichen sexuellen Entwicklung derzeit Gefahr laufen, in pädagogischen Einrichtungen und Organisationen nicht genügend Berücksichtigung zu finden. Es muss jedoch in aller Deutlichkeit betont werden, dass die sexuellen Bedürfnisse von Mädchen und Jungen nicht mit der Sexualität von Erwachsenen zu verwechseln und gleichzusetzten sind. Der Deutsche Kinderschutzbund in NRW spricht sich vehement gegen sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern aus! Bedenklich ist jedoch, wenn Berührungsverbote für Mitarbeiter/innen in Kindertageseinrichtungen ausgesprochen werden, der Abbau von Kuschelecken sowie die Unterbindung von Doktorspielen befürwortet werden und sehr emotionale Reaktionen in Fällen sexueller Grenzverletzungen von Kindern untereinander erfolgen. Ferner erfahren wir von fehlenden Regeln und einer daraus resultierenden Unsicherheit bezüglich der erforderlichen Pflegeleistungen und Hilfestellungen im U-3-Bereich bzw. in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Im schulischen Bereich manifestiert sich die Problematik u.a. am Sexualkundeunterricht: Vielerorts bilden sich Elterninitiativen, die sich für eine Abschaffung desselbigen stark machen. Das Thema macht auch vor der Einstellung von Bewerbern nicht halt. So wird uns von pädagogischen Einrichtungen berichtet, die der Einstellung männlicher Kollegen sehr kritisch gegenüber stehen bzw. diese mit großer Sorge betrachten. 1 Die vorliegende fachpolitische Stellungnahme wurde in der Landesarbeitsgemeinschaft gegen Gewalt gegen Kinder und mit beratender Unterstützung des Arbeitskreises sexualpädagogische Konzepte erarbeitet. Sowohl die Landesarbeitsgemeinschaft als auch der Arbeitskreis finden regelmäßig in der Landesgeschäftsstelle des Deutschen Kinderschutzbundes Nordrhein-Westfalen e.v. statt.

Diese Aufzählung ließe sich um weitere Aspekte ergänzen. Es sind Facetten einer Entwicklung, die der Deutsche Kinderschutzbund in NRW alarmiert feststellt, da die tatsächliche Situation von Mädchen und Jungen und ihre Bedürfnisse dabei aus dem Blick geraten. Zugrunde liegen unseres Ermessens nach eine tiefe Verunsicherung und zahlreiche Ängste sowohl auf Seiten der Fachkräfte bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch der Eltern. Die zahlreichen Missbrauchsfälle in Einrichtungen, die insbesondere im Jahr 2010 publik wurden, können sicherlich als eine Ursache angenommen werden. Darüber hinaus fehlt es den pädagogischen Einrichtungen und Organisationen häufig an sexualpädagogischen Konzepten, an denen sich das eigene fachliche Handeln ausrichten kann, die Sicherheit und Orientierung im Umgang mit kindlicher und jugendlicher Sexualität geben. Daher gilt es, sich mit der Frage, wie das Spannungsfeld zwischen Kinderschutz einerseits und der Gewährung von Autonomie- und Selbstbestimmungsbedürfnissen der Kinder und Jugendlichen andererseits in der sexualpädagogischen Arbeit aufgelöst werden kann. Kinder brauchen ebenso wie Nahrung und einen Schlaf- und Wachrhythmus für eine gesunde Entwicklung Körpererfahrungen, Berührungen sowie ganzheitliche Sinneserfahrungen. Diese kindliche Sexualität bezieht sich auf den eigenen Körper, aber auch den Körper Gleichaltriger und beinhaltet, sich selbst mit dem ganzen Körper gute Gefühle zu bereiten. Das Erleben von Nähe, sinnlichen Berührungen und eines Wohlgefühls ist dabei ebenso entscheidend wie das Wahrnehmen und Äußern von Grenzen. Die Achtung eigener Grenzen stärkt das Gefühl der Selbstwirksamkeit und motiviert, sich gegen Übergriffe zur Wehr zu setzen. Das Wahrnehmen der Grenzen des Gegenübers fördert die Empathie und einen respektvollen Umgang mit den Bedürfnissen anderer: Mädchen und Jungen entwickeln ein Gespür für eigene Schamgrenzen und die des Gegenübers. Mit anderen Worten: Für die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist Sexualität ein integraler Bestandteil und entscheidend für die körperliche und seelische Gesundheit. Insgesamt lässt sich beobachten, wie schwer es vielen pädagogischen Fachkräften fällt, Ausdrucksformen kindlicher und jugendlicher Sexualität zu erkennen und zu benennen. Dies ist zum einen auf mangelnde Kenntnisse über die Entwicklung kindlicher Sexualität und ihrer Ausdrucksformen in verschiedenen Entwicklungsstadien vom Kleinkind zum Jugendlichen zurückzuführen, zum anderen jedoch auch auf eigene (biographische) Wertvorstellungen bezüglich Sexualität, die das Handeln oft unbewusst prägen. So natürlich diese unbewussten Prägungen, Denk- und Handlungsmuster auch sind, so sehr sind pädagogische Fachkräfte dazu angehalten, zu Gunsten ihrer Professionalität die eigenen Werte zu reflektieren und in der Erziehungsarbeit zu abstrahieren. Geschieht diese Auseinandersetzung nicht, so laufen pädagogische Fachkräfte Gefahr, kindliche und/oder jugendliche Sexualität zu tabuisieren oder gar zu unterdrücken. Dies wird den Bedürfnissen der Mädchen und Jungen jedoch nicht gerecht und kann sich negativ auf deren Entwicklung auswirken. Die zunehmende Verunsicherung bei den 2

Fachkräften und auch bei Eltern führt dazu, dass Kinder und Jugendliche erhebliche Beschränkungen hinsichtlich der Erfahrungen erleben, die im Rahmen ihrer sexuellen Entwicklung notwendig und völlig in Ordnung sind. FORDERUNGEN DES DKSB IN NRW: SEXUALPÄDAGOGIK ALS BESTANDTEIL DER PÄDAGOGISCHEN ARBEIT ER- ARBEITUNG SEXUALPÄDAGOGISCHER KONZEPTE Um den oben beschriebenen Facetten unserer Wahrnehmungen und Beobachtungen konstruktiv entgegentreten zu können, fordert der Kinderschutzbund in NRW hiermit alle Einrichtungen und Organisationen, die Kinder und Jugendliche betreuen, erziehen, fördern, begleiten und unterstützen auf, für eine Kultur und Haltung der offenen Kommunikation hinsichtlich des Themas kindlicher und jugendlicher Sexualität nach innen und außen zu sorgen. Eine solche Haltung erlaubt die gemeinsame Entwicklung von Regeln für das Miteinander sowie die Thematisierung von Grenzverletzungen und Übergriffen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die grundlegenden Bedürfnisse von Mädchen und Jungen berücksichtigt werden. Ein solches Klima des Darüber- Sprechens ( Was brauchst du, damit du dich sicher und wohl fühlst? ), der Auseinandersetzung über Distanz und Nähe zu den Betreuten und des gegenseitigen Feedbacks schützt alle. Dies erfordert auch die Beschäftigung und die Auseinandersetzung der Fachkräfte mit der eigenen Geschlechterrolle und geschlechtsspezifischen Sichtweisen und trägt somit zur persönlichen Qualifizierung bei. Als außerordentlich hilfreicher Rahmen für die sexualpädagogische Arbeit in Einrichtungen und Organisationen hat sich die Entwicklung eines sexualpädagogischen Konzeptes erwiesen: Das Ziel sexualpädagogischer Konzepte ist die geschlechtsspezifische Unterstützung in der sexuellen Entwicklung von Mädchen und Jungen gemäß ihres Alters und ihrer Lebenssituation. Ein sexualpädagogisches Konzept in einer Kindertageseinrichtung muss dementsprechend andere Aspekte berücksichtigen als z.b. im schulischen Bereich. So muss ein sexualpädagogisches Konzept in der Kindertageseinrichtung sich z.b. mit Themen wie Kuscheln und das spielerische Erkunden des eigenen Körpers und des Körpers von Gleichaltrigen auseinandersetzen. Dies impliziert, dass die Mädchen und Jungen in einer Kita geschützte Orte und Zeit zum Ausleben ihrer sexuellen Bedürfnisse benötigen. Sie müssen sich ausprobieren dürfen, brauchen dazu aber keine Öffentlichkeit. Regeln und Grenzachtung dienen ihrer Sicherheit. Solange das Ausprobieren im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Kindern der gleichen Entwicklungsstufe und ohne Verletzungsrisiko erfolgt, besteht kein Grund hier einzugreifen. Erwachsene sollten jedoch Grenzen setzen bzw. Regeln aufstellen bezüglich dessen, was unangemessen und unzulässig ist. Es geht darum, Kinder zu befähigen, die eigenen Grenzen zu erkennen und benennen zu können. Ein sexualpädagogisches Konzept für den schulischen Bereich muss sich demgegenüber vielmehr mit Themen wie Liebe, Beziehung und (körperlicher) Sexualität auseinandersetzen. Diese Themen geben wichtige Impulse zur Persönlichkeitsentwicklung. Sexualpädagogik umfasst somit mehr als die bloße Aufklärung über körperliche und sexuelle Vorgänge. Sie ist eine Sexualerziehung und Anregung zur sexuellen Bildung, 3

die sich nicht nur auf sachliche Informationen beschränkt, sondern die Beziehungen zwischen den Menschen thematisiert und ethische und moralische Komponenten berücksichtigt. Sexualerziehung und sexuelle Bildung verhelfen dabei zu einem guten Körpergefühl und Respekt vor dem eigenen Körper. Mädchen und Jungen lernen zu unterscheiden, was ihnen gefällt und was nicht. Auch werden sie ermuntert, mutig Nein zu sagen. Sexualerziehung und sexuelle Bildungsarbeit leistet somit auch einen Beitrag zur Prävention von sexualisierter Gewalt. Bei den Fachleuten, die im Bereich sexualisierter Gewalt arbeiten, ist unumstritten, dass Wissen über Sexualität eine schützende Wirkung hat, Unwissenheit bei Kindern dagegen ein Risikofaktor ist! Und das gilt nicht nur für die (betreuten) Mädchen und Jungen, sondern auch für Eltern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch wie müssen sexualpädagogische Konzepte und Angebote beschaffen sein, damit stets die Würde und Integrität der Kinder und Jugendlichen geachtet, ihre Grenzen respektiert und zugleich zur Klärung ihrer Fragen und zu ihrer Bildung beigetragen wird? Sexualpädagogik, die all diese Aspekte berücksichtigt, arbeitet immer zielgruppenspezifisch: Sie holt jedes einzelne Kind und jeden einzelnen Jugendlichen dort ab, wo es bzw. er steht. Sie berücksichtigt dabei die Erfahrungen, Fragen und Interessen sowie das Lebensumfeld des Kindes bzw. des Jugendlichen. Sie orientiert sich an den Impulsen der Mädchen und Jungen und betont die positive und freudvolle Kraft der kindlichen und jugendlichen Sexualität. Bedeutsam für sexualpädagogische Konzepte ist daher eine professionelle Haltung zur Sexualität der Heranwachsenden sowie ein vernetztes Arbeiten, dazu gehört auch unabdingbar die Einbeziehung der Eltern. Ihre Meinungen und Ansichten, die jeweils individuell, religiös und/oder kulturell unterschiedliche Prägungen aufweisen, müssen respektiert und ernst genommen werden, ebenso wie ihre Sorgen und Ängste. Den Fachkräften fällt dabei die Aufgabe der Information der Erziehungsberechtigten über die kindlichen Bedürfnisse und die sexuelle Entwicklung zu. Im Gespräch und im Austausch zwischen Mitarbeitenden und Eltern ganz im Sinne einer Erziehungspartnerschaft werden gemeinsam die Grundpfeiler des sexualpädagogischen Konzeptes einrichtungsbzw. trägerspezifisch vereinbart sowie die daraus resultierende professionelle Haltung (z. B. bezüglich sexuellen Verhaltens der Kinder und Jugendlichen) schriftlich fixiert. Das Konzept sollte grundsätzlich auf Fachkompetenz und Fachwissen, jedoch auch in einer gut verständlichen Sprache verfasst sein. Für die Mitarbeitenden bedeutet die Arbeit am Konzept zunächst, sich mit dem Fachwissen auseinanderzusetzen und eine Meinungsbildung im Team herbei zu führen. So können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sexualpädagogischen Fragen eine gemeinsame Haltung entwickeln, mit der sie auch den Eltern offen, wertschätzend, klar und selbstbewusst gegenübertreten können. Dies erleichtert auch den Kontakt und das Gespräch mit denjenigen Müttern und Vätern, die aus welchen Gründen auch immer zur Sexualpädagogik eine skeptische oder sogar kritisch-ablehnende Einstellung haben. Ein sexualpädagogisches Konzept bietet Orientierung für angemessenes Verhalten und Körperkontakt. Es stellt somit eine Leitplanke für alle Beteiligten dar: den Mädchen und Jungen, den Eltern und den Fachkräften. Gleichzeitig berücksichtigt es die einrichtungsspezifischen Gegebenheiten. Es verdeutlicht die Haltung der Einrichtung/des Trä- 4

gers zur kindlichen und jugendlichen Sexualentwicklung und der aufgestellten Regeln für den Umgang miteinander. Darüber hinaus hilft es, Vorfälle wie Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe und sexuellen Missbrauch besser klären und einordnen zu können. Im Kontext eines Präventions- und Schutzkonzeptes für Einrichtungen ist ein sexualpädagogisches Konzept ein notwendiges Element und über die 45, 79a SGB VIII fachlich gefordert. Es ist dabei notwendig, sich mit der Frage auseinander zu setzen, in welchem Verhältnis das Präventions- und Schutzkonzept der eigenen Einrichtung zum sexualpädagogischen Konzept steht bzw. stehen kann, denn sexualpädagogische Konzepte sollten auf der Idee der sexuellen Rechte der Kinder und Jugendlichen basieren. Es gilt somit, die Spannung zwischen Schutz und Freiheit auszuhalten und gleichermaßen in einem ganzheitlichen Einrichtungskonzept zu berücksichtigen. Sexualpädagogik und sexualpädagogische Konzeptarbeit muss für Fachkräfte und in Einrichtungen und Organisationen genauso zur Selbstverständlichkeit werden wie beispielsweise gesunde Ernährung, Sicherheit im Straßenverkehr, Gesundheitsförderung, Medienpädagogik und als ein Element eines umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrags verstanden werden! Der DKSB in NRW fordert darüber hinaus, dass Sexualpädagogik als Pflichtfach in das Ausbildungscurriculum der Erzieherinnen und Erzieher sowie anderer relevanter Ausbildungs- und Studiengänge, die auf die berufliche Tätigkeit in der Betreuung, Förderung, Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen vorbereiten, aufgenommen werden muss. Sinnvoll wäre es, wenn es in jeder Einrichtung bzw. beim Träger eine Mitarbeiterin/einen Mitarbeiter mit Zuständigkeit für das Thema Sexualpädagogik im Sinne eines/einer Ansprechpartners/in gäbe, so wie es auch Schwerpunktsetzungen zu anderen Themen in Teams gibt. In diesem Kontext wäre es ebenso hilfreich, wenn die Fachberatungen für Kindertageseinrichtungen die Entwicklung sexualpädagogischer Konzepte unterstützen könnten. Da der DKSB vielerorts Träger von Einrichtungen und anderen Angeboten für Mädchen und Jungen ist, muss das Vorhandensein sexualpädagogischer Konzepte auch ein Faktor der verbandlichen, angebotsspezifischen Qualitätsstandards sein, wie z. B. beim Gütesiegel Blauer Elefant. Und, um es nochmals zu betonen: Die sexuellen Bedürfnisse von Mädchen und Jungen sind nicht mit der Sexualität Erwachsener zu verwechseln oder gleichzusetzen! Der Deutsche Kinderschutzbund in NRW spricht sich in aller Deutlichkeit gegen sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern aus! Wuppertal, im September 2015 5